Gernulf Olzheimer kommentiert (XIX): Shopping-Malls

7 08 2009
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Vorbei die Zeiten, in denen man das an Steuer und Ehegespons vorbei angesparte Geld noch gemütlich in Wurstwaren, Oberbekleidung und Unterhaltungselektronik umsetzen konnte. Die Nachfahren des Einzelhandels, auf die grüne Wiese gekloppte Betonschalenteile im Halbrund hinter einem Parkplatz, der zur Zwischenlagerung der kompletten DDR vor der Ausreise in den Westen gelangt hätte, sie alle sinken in düstere Agonie, denn die Bescheuerten in der Gewerbeförderung haben die Prärie längst abgegrast und nehmen sich neues Terrain zur endsicheren Verschandelung vor. Die Innenstädte müssen dran glauben.

Kam man um Dreck in the City gerade noch einmal wegen der horrenden Grundstückspreise herum, so dass liebliche Schutthalden in einst blühenden Sandsteinlandschaften zwischen dem alten Rathaus und Sankt Eusebia ihr anheimelndes Dornröschenschnarchen beibehalten konnten, kaum gestört von nächtlichem Gebüsch, das über das Kopfsteinpflaster rollt, kaufen heute schon Investorengruppen mit gepumpter Staatsknete die historischen Kerne der menschlichen Besiedelung auf und funktionieren sie zum sozialen Brennpunkt um. Laden stößt an Laden, Shops grenzen an Center, alles häuft, ballt, türmt sich zur neuen Horrorvision des Konsumismus: Einkaufszentren an der Stelle der Innenstädte. Da, wo gerade noch Textilketten die Früchte pakistanischer Kinderarbeit zum sozial verträglichen Preis unters Prekariat jubelten, wächst zur Einweihung von Darmstadt-Dubai der Kristallisationspunkt des Grauens: die Shopping-Mall. Kaufhalle für Kaufhalle die sanfte Unausstehlichkeit der westlichen Welt.

Irgendwo müssen die Beschränkten Bedarf für derlei Konglomerate ausgemacht haben und konfrontieren den Käufer mit immer neuen Herausforderungen. Einst konnte man frisch erstandene Waschvollautomaten und Plasmaglotzen noch behaglich in die Stellplatzwüste karren und mit dem eigenen Wagen in die Zivilisation zurück gurken, heute freut man sich, dass die Innenstädte mit Busspuren und Fahrradwegen gepflastert sind und vom Mittelalter bis zur Neuen Peinlichkeit genug Zeit hatten, eine Kulisse in die Landschaft zu klotzen, durch die man stundenlang einen Wäschetrockner schleppen kann, bis man das Kraftfahrzeug am Stadtrand erreicht hat.

Auch ansonsten beherrscht die postmoderne Neuinterpretation von Kundenfreundlichkeit das Geschehen. Samstags steht Familienausflug ins Krisengebiet auf dem Einsatzplan: während Vati nur mal eben einen Sack Grillkohle nachladen wollte, kontrolliert die Alte den Jahresausstoß an Riemchensandaletten und die Kinder quengeln nach Speiseeis und Ballerspielen. Wer hier nicht am Rad dreht, war auch vorher schon nicht ganz dicht. Dazu kann man die Blagen nicht mehr im Kinderparadies entsorgen oder wenigstens ausrufen lassen, weil die Aufenthaltsqualität nicht mehr konstant unter einem Dach stattfindet, sondern sich auf sechsundachtzig Einzelgeschäfte verteilt. Doch so groß ist der Unterschied nicht. Die Verkäufer sind Betreuung nach eingeübten Standards gewohnt und vertreten die alte Schule von Servicementalität; die Frage nach der Kurzwarenabteilung werten sie bereits als sexuelle Belästigung.

Zwischen Sanitärbedarf auf der einen und Bio-Obst auf der anderen Straßenseite lauert die Gastronomie mit ihren Attacken auf Moral und Volksgesundheit. Über Brackwasserdampf erhitzte Tütenpasta aus Trockenei lassen sich als Spaghetti Alfredo feiern, während am Nebentisch die aus Sprühsahne und Instantkaffee hingeschwiemelte Brühe als Cappuccino auf der Rechnung prangt. Zusammen kostet der Zauber so viel wie elf halbe Hähnchenleichen aus dem Sperrfeuer mit frittierten Holzkohlestäbchen eine Fraßbude weiter und wird mit etwas Glück erst nach dem Verlassen des Konsumtempels in die Landschaft erbrochen Wer jedoch denkt, dies sei Dienst am Kunden, verkennt die Sachlage. Das Gastgewerbe dient ausschließlich zur Steigerung der durchschnittlichen Verweildauer und damit der monetären Umschichtungsmaschine. Flugs noch einen Doppelten gekippt in der Pinte neben dem Umstandsmodenbasar, wo das männliche Treibgut angeschwemmt wird und an Stehtischen strandet, und dann auf zum Erwerb einer preisreduzierten Pendelhubstichsäge aus dem blauen Sortiment, um den Torfschädel vom Jeans-Shop, der zu beschäftigt war, um die richtige Größe aus dem Lager heranzuschaffen, in mundgerechte Stückchen zu zerlegen. Das ändert nicht den Lauf der Gestirne, damit wäre nichts bewiesen, doch darauf kommt es auch überhaupt nicht an. Die Hauptsache ist, dass das Heimwerkerparadies zwohundert Öcken Umsatz gemacht hat, da nimmt man unangekündigte Umstrukturierungen in der Personalsituation gerne mal mit in Kauf.

Den ganzen Zauber finanziert natürlich der Depp, der hier kaufen soll. Und wenn bis heute auch noch nicht geklärt ist, wie der Konsumtrottel elf Drittel mehr vom Netto in den boomenden Binnenmarkt pumpen soll, eins ist sicher. Es vernichtet nicht nur Arbeitsplätze, es schafft auch fast so viele neue. Und das auch noch in bester Lauflage.