Ins eigene Fleisch

7 08 2013

„Veggie Day!“ „Ja und?“ „Meine Güte, Veggie Day!“ „Was wollen Sie denn?“ „Also ich fand’s gut.“ „Jo.“ „Das nenne ich Potenzial.“ „Aber ich bitte Sie – Veggie Day! Einen drei Jahre alten Schmarrn auszugraben, das ist doch grenzdebil!“ „Was wollen Sie eigentlich? Worüber hat denn die Öffentlichkeit diskutiert, über die NSA und dieses Terrorkasperletheater oder über den fleischfreien Tag in der Kantine? Na?“

„Ich möchte solche Vorschläge ab sofort nicht mehr hören.“ „Aber etwas Besseres haben Sie auch nicht auf Lager.“ „Wir können doch die Wähler nicht mit solchen Lappalien…“ „Lappalien? haben Sie die Diskussion überhaupt verfolgt?“ „Zur besten Feriensaison!“ „Alle Heimwerkermärkte voll mit Gartengrills, und Sie wollen uns hier erzählen, der durchschnittliche Deutsche verzichtet einen Tag lang auf sein Schnitzel?“ „Aber das hält doch nur für einen Tag an.“ „Ja und?“ „Man müsste doch etwas in die Presse bringen, was die Leute wirklich schockt.“ „Sie meinen, wo er sich in seinen Lebensgrundlagen getroffen fühlt und instinktiv rebelliert?“ „So in etwa.“ „Autobahnmaut.“ „Boah, hat das einen Bart!“ „Echt, damit locken Sie doch keinen mehr hinter dem Ofen hervor.“ „Da fangen die Leute doch schon aus Verzweiflung an, über die Drohnen von de Maizière zu diskutieren.“ „Hm, naja. Okay. Gut. Suchen Sie weiter.“

„Vielleicht irgendwas mit Feminismus.“ „Diese Flexi-Quote.“ „Oder Frauen in die Aufsichtsräte.“ „Kann man nicht einfach Frauen genauso bezahlen wie Männer.“ „Ich zahle für meine Frauen schon eine ganze Menge, so viel würde ein Mann von mir nie bekommen.“ „Hähähä!“ „Sie waren auch schon mal niveauvoller.“ „Aber damit fühlt sich doch kein Deutscher bevormundet.“ „Aber hier, eine Frau als Chef? Ist das nicht völlig gaga?“ „Merkel ist auch eine Frau.“ „Echt?“ „Gut, dass wir mal darüber geredet haben.“ „Vielleicht irgendwie in Richtung Familienpolitik.“ „So eine Art Prämie, die Eltern bekommen, wenn sie ihre Kinder nicht in die Kita schicken.“ „Hä?“ „Klingt ja total unlogisch.“ „Das ist doch Blödsinn.“ „Eigentlich nur nicht richtig durchdacht, oder?“ „Ja und?“ „Schnapsidee.“ „Eben, damit kriegt man gerade vor den Wahlen die meisten Leute auf die Barrikaden.“ „Und wm schieben Sie das in die Schuhe?“ „Ich dachte, wenn die Schröder…“ „Die hört doch jetzt sowieso auf, der kann man das nicht auch noch unterjubeln.“ „Dann erzählen wir halt, dass sie weitermacht.“ „Nicht! Bitte nicht!“ „Sie sollen die Wähler auf die Palme bringen, kapiert? Von panischer Angst hat keiner was gesagt!“

„Sozialleistungen streichen?“ „Wo ist da der Nachrichtenwert?“ „Stimmt auch wieder.“ „Und wenn wir den Soli nur im Osten kassieren und nur im Westen auszahlen?“ „Dann denken die Leute, jetzt sind sie aus Versehen bei klarem Verstand. Können Sie knicken.“

„Heureka! Ich hab’s!“ „Dann schießen Sie mal los.“ „Mehrwertsteuer!“ „Mehrwertsteuer?“ „Ja, das ist doch der absolute Knaller!“ „Hören Sie mal, das haben Sie wohl nicht ganz verstanden. Wir wollen keine Lachnummer, das hier ist eine ernste Angelegenheit.“ „Aber deshalb doch gerade – eine Mehrwertsteuererhöhung! Na!?“ „Ich finde das nicht so toll.“ „Man könnte es mal probieren.“ „Ja und?“ „Das ist doch Wahnsinn! Keine Partei würde vor der Wahl eine Mehrwertsteuererhöhung für den Fall der Regierung planen. Keine!“ „Aber ich dachte, wenn vielleicht die SPD doch mit der CDU…“ „Keine.“ „… oder umgekehrt…“ „Keine!“ „Aber hier fühlt sich doch der Bürger als erstes angegriffen, das ist ein Szenario, das Wut und Angst und Verzweiflung hervorruft.“ „Sicher?“ „Ich weiß nicht.“ „Nee, irgendwie nicht.“ „Ja und?“ „Gut, dann nicht.“ „Leute, ich will Ergebnisse sehen. Ergebnisse! Die Leute reden sonst noch über den Mindestlohn!“

„Oder hier, Hotelfrühstück.“ „Hm.“ „Aha.“ „Ja und?“ „Ist das nicht abgefahren?“ „Klären Sie uns freundlicherweise auf, was Sie meinen?“ „Dass man die Mehrwertsteuer…“ „Nicht schon wieder!“ „… dafür herabsetzt.“ „Und das bringt genau was?“ „Dann haben die doch mehr Umsatz.“ „Wieso? Frühstückt dann jeder zweimal?“ „Nein, aber man kann doch für das Geld, das man weniger ausgibt, da kann man das doch mehr ausgeben.“ „Im Hotel?“ „Nein, aber…“ „Und was bringt das dann den Hoteliers?“ „Das ist doch nur ein Beispiel!“ „Und warum sollten wir das in der Presse aufblasen?“ „Das ist doch ein Geschenk, verstehen Sie?“ „Für wen?“ „Naja, für die, die es eh nicht mehr nötig haben.“ „Und was ist daran jetzt neu?“ „Dass das alles auf Kosten der Steuerzahler ist.“ „Und darüber soll sich einer aufregen?“ „Aber…“ „Ich will jetzt endlich einen vernünftigen Vorschlag hören! Einen! Zackig!“

„Wir melden, dass der Strom teurer wird.“ „Das ist keine Nachricht.“ „Dann melden wir, dass der Strom teurer wird, weil er für die Industrie billiger wird.“ „Sie meinen über Subventionen?“ „Ja und?“ „So blöd wäre keine Partei.“ „Die schneiden sich doch ins eigene Fleisch.“ „Hihi, er hat Fleisch…“ „Schluss jetzt mit diesem Veggiescheiß!“ „Ich meine ja nur.“ „Schluss!“ „Und dann könnten wir noch schreiben, dass die das für alle machen, die die Subvention beantragen, auch für solche, die das eigentlich gar nicht brauchen, und dass das total teuer wird. Und total ungerecht.“ „Das macht keine Partei. Nicht so kurz vor der Wahl.“ „Ich denke sogar, dass das keine Partei kurz nach der Wahl machen würde.“ „Schleimer!“ „Unsinn, das bringt’s einfach nicht. Wir müssen etwas nehmen, das viel direkter in den Schutzbereich der Menschen, ich meine, das muss die Leute echt fertig machen! So ein soziologischer Weltuntergang!“ „Bitte, was!?“ „Die psychische, und damit meine ich auch die angstbesetzte, also wenn die reagieren, dass das so, ich meine…“ „Gibt es das vielleicht auch mal im Klartext?“ „Sie meinen, die Deutschen sollen so reagieren, als wenn man ihnen einredet, die Grünen wollten ab sofort Fahrradhelme zur Pflicht…“ „Ja! Ja! Halleluja! Jawoll! Dass ich da nicht gleich drauf gekommen bin – Herrschaftszeiten, das ist es! Hallo, Chefredaktion? Wir haben die Headline!“





Die nächste Provokation

29 06 2011

„Entschuldigung, könnten Sie mir mal die nächste Provokation verraten?“ „Die was?“ „Die nächste Provokation.“ „Verstehe ich nicht. Sie meinen die nächste Sau, die hier durchs Dorf getrieben wird?“ „Naja, nicht so ganz. Erinnern Sie sich noch an Sarrazin?“ „Der war eine?“ „Ja.“ „Wusste ich doch, der ist immer noch eine Sau.“ „Das auch. Aber vor allem eine Provokation.“

„Sie meinen also, Sarrazins Äußerungen waren nur als Provokation der Öffentlichkeit gedacht?“ „Durchaus. Man braucht den Konsens ja nur zu sehen, der sich ihm andiente.“ „Wo sahen Sie da einen Konsens?“ „In der Annahme, jede noch so dumme Lüge müsse gleich als Verteidigung der Meinungsfreiheit gefeiert werden.“ „Aber nehmen denn diese Tabubrecher überhaupt Meinungsfreiheit für sich in Anspruch?“ „Für sich selbst schon. Es ist nur keine. Sie brechen kein Tabu, sie erklären nur etwas zum Tabu, um es dann brechen zu können.“ „Und bauen sich damit eine Provokation auf.“ „Die die Öffentlichkeit als Reaktion auf ein Feindbild sieht: Ausländer, Muslime, die 68er, Linke, Arme.“

„Sind Arme ein Feindbild? Ich dachte, sie seien ein Teil unserer Gesellschaft.“ „Das sind Muslime auch.“ „Man definiert also eine Gruppe als andersartig, um sie danach aus der Gesellschaft auszuschließen?“ „Nicht aus der Gesellschaft ausschließen. Die Taliban sind auch als Feindbild anerkannt, aber nie Teil der Gesellschaft gewesen.“

„Wozu brauchen wir überhaupt Feindbilder?“ „Weil wir sonst keine hätten. Überlegen Sie mal: was für eine fürchterlich komplizierte Welt. Jeder müsste auf einmal selbst nachdenken, es gäbe gar keine billigen Erklärungen mehr.“ „Aber vielleicht wollen die Leute ja gar nicht mehr nachdenken?“ „Sie können es nicht mehr. Man hat es ihnen längst abgewöhnt. Sie sind nicht mehr in der Lage dazu. Sie sind darauf angewiesen, dass die Vordenker es ihnen abnehmen und vorgekaute Gedanken vor ihnen ausspucken.“ „Sie, das klingt widerlich!“ „Das ist auch widerlich. Aber wir sehen es ja gerade so trefflich an den Griechen: keiner begreift, worum es eigentlich geht, die meisten wissen nicht einmal, wie eine Rating-Agentur funktioniert und was eine Staatsquote ist. Es reicht, wenn man öffentlich betont, dass die Griechen nur unser Geld wollen.“ „Und was macht man mit diesem Feindbild? Was soll es in Wirklichkeit verbergen?“ „Dass wir den Griechen Geld geben wollen, damit sie unsere deutschen Banken bezahlen können.“

„Es müssten nach Ihrer Definition jetzt gerade wieder die Armen sein. Man hat herausgefunden, dass zehntausend Hartz-IV-Empfänger mehr unter dem Verdacht der Schwarzarbeit standen.“ „Man hätte auch herausfinden können, dass es sich um 1,2% Verdächtige handelte, von denen 0,4% die Staatsanwaltschaft interessierten, von denen die meisten freigesprochen wurden. Ein einziger Steuerhinterzieher richtet mehr Schaden an als drei Dutzend Sozialhilfebetrüger.“ „Dennoch bleibt es eine Provokation. Warum?“ „Weil die meisten Menschen hinters Licht geführt werden wollen. Sie haben das Bedürfnis, an diese Provokationen zu glauben.“ „Ohne schlechtes Gewissen?“ „Ohne schlechtes Gewissen.“ „Und die politische Klasse?“ „Weiß es. Und liefert.“

„Leidet denn diese Bevölkerung nicht längst an Realitätsverweigerung?“ „In der Hinsicht sind sie der politischen Klasse schon recht ähnlich. Sie sind Partner in demselben Spiel.“ „Weil man einander die Provokation glauben muss?“ „Sie würde nicht funktionieren, wenn man sich über den Hintergrund informieren würde. Dass Hartz-IV-Aufstocker den ganzen Tag arbeiten, dass Molekulargenetik etwas komplexer ist als die Laienvorstellungen eines Sarrazin, dass die Griechen weniger Urlaub machen als die Deutschen und auch nicht mit 60 in Rente gehen.“ „Dann sollte eine Gefahr auch nicht als solche wahrgenommen werden, wenn man um ihre wahren Hintergründe weiß.“ „Eben deshalb werden Taliban, Ausländer und Arme auch zur Gefahr für die Gesellschaft erklärt.“ „Die provozierte Gesellschaft wehrt sich also gegen ihre Feinde.“ „Genauer: gegen ihr Feindbild.“

„Aber wer ist in Wirklichkeit der Feind?“ „Denken Sie selbst nach. Sie kennen jetzt ja die Hintergründe.“ „Der Provokateur.“ „Und die politische Klasse, in deren Auftrag der Provokateur arbeitet.“ „Woran machen Sie das fest?“ „Haben wir die neoliberalen Arbeitsmarktgesetze und die Finanzkrise den Arbeitslosen zu verdanken? Kam der Abbau der Grundrechte und die Überwachung mit den muslimischen Einwanderern? Ist die Umweltzerstörung eine Folge von Erdbeben und Klimawandel?“ „Der Bürger braucht also ein Feindbild, um sich zu engagieren. Ich frage mich, warum man das Durchwinken neuer Terrorgesetze und die Erhöhung der Abgeordnetendiäten mit einer so untauglichen Inszenierung verbergen muss.“ „Tja, Deutschland ist eben noch lange nicht in der Gleichstellung angekommen.“ „Was hat das damit zu tun? Wieder so eine neue Provokation?“ „Nein, aber die Leute lassen sich von Frauenfußball einfach nicht genug ablenken.“





Der Schein heiligt die Mittel

16 01 2011

Man sagt, Münchhausen habe sehr gelogen.
Er packte sich niemals am eignen Zopf
und hat sich nie aus einem Sumpf gezogen.
Und doch bleibt uns dies Bild allein im Kopf.

Wenn man uns heute Zahlenwerk vorgaukelt,
so stimmt dies minutiös und ist nie schlecht,
auch wenn man damit nur das Volk verschaukelt.
Sag selbst, Münchhausen: wird man Dir gerecht?

Man kann im Lügen wahr sein, wahrhaft lügend,
dem Vorwurf ausgesetzt sieht man sich schwerlich,
das Ausgedachte ineinander fügend.
Das Zahlenwerk mag wahr sein, doch nie ehrlich.