Gernulf Olzheimer kommentiert (DCLXV): Das Alphamännlein

26 05 2023
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Früher war die Sache einfach: irgendwann erwischte die Säbelzahnziege den Egoleptiker in der ersten Reihe der Jäger und verarbeitete ihn zu etwas, was man an Ort und Stelle entsorgte, weil sich der Schmodder für ein Bestattungsritual nicht mehr eignete. Die verarbeiteten Bären zu Kleidern und Beeren zu Rohkost, während Männer, oder was sich dafür hielt, testosterongeschwängert durch die Steppe stapften, alles kaputtmachten, was sie hätte kaputtmachen können, und einander zeigten, wer der tollste Hecht von allen war. Bis heute hat sich wenig geändert, nur gerieten die sozial erwünschen Rollenstereotype während ihrer Versteinerung in unterschiedliche ideologische Fahrwasser zwischen christlicher und nationaler Gehirnprothetik. Für den Haudrauf, der trotz medizinischen Fortschritts bis heute signifikant früher ins Gras beißt, blieb es in der Summe gleich, er ist zum Erfolg verdammt und landet eben öfter mal auf der Schnauze. Dass er im Umkehrschluss formale Bildung oder überhaupt die intellektgesteuerte Lebensführung für falsch hält, da sie nicht seinem Ideal entspricht, führt in die selbst gegrabene Fallgrube: er ist ein richtiger Mann, der sich seine Männlichkeit selbst definieren kann, und spielt dafür weder im gesellschaftlichen noch im wirtschaftlichen oder wissenschaftlichen Leben eine nennenswerte Rolle, denn diese Bereiche haben keine Verwendung für das Alphamännlein.

Es lässt sich in randständigen Milieus wie eben den religiösen und nationalistisch verschwiemelten Schimmelhirnpopulationen unverdünnt beobachten, wo die traditionell verstandene Maskulinitätsnorm noch mit unterkomplexen Kategorien wie Ehre oder Führungsanspruch einher kommt. Ob man es als kulturelles oder Klassenphänomen deutet, es hält sich hartnäckig wie die Vorstellung, dass vor allem Leistungsbereitschaft und Impulskontrolle, durch die ein Belohnungsaufschub möglich wird, gegen eine schnelle Frustrationsregulation verliert, bei der man ad hoc dem Feind eine reinzimmern kann. Zwar wird der soziale Aufstieg den Angehörigen dieser Schicht oft erschwert, um nicht plötzlich Arbeiter in den Vorständen wiederzufinden, doch haben sich die Merkmale der Bildungsverachtung auch in der Elite ausgebreitet, wo man stets davon ausging, dass es derlei Anstrengung nicht bedürfe, um sich von der Masse zu unterscheiden. Dort wird man üblicherweise nicht nach Leistung bewertet, schon gar nicht nach Erfolg. Und eins in die Fresse bekommt man nur in historischen Einzelfällen, meist mit anschließender Entschädigung.

Doch die Kränkung bleibt. Wie man etwa im Querstullenkreis, unter Rassentheoretikern wie den Mitläufern der klerikalen Weißheitsszene und den anderen Esospacken dieser Hohlschädelerde das Versprechen auf ein gottgewolltes Patriarchat den Bach runtergehen sieht, weil die postmoderne Welt auf diese evolutionäre Montagsproduktion pfeifen kann, suhlen sich die unbesiegbaren, wertvollsten und stärksten Primaten plötzlich in der Opferrolle, auf die es unter ihrer Kalotte nur eine Antwort gibt: Gewalt. Renitenz. Und so jammern sie abwechselnd allen vor, wie gemein die Welt ist, und drohen mit brutaler Vergeltung, wenn man ihnen die Erfüllung ihrer Ansprüche verweigert.

Bisher ist nicht geklärt, was so erstrebenswert sein soll daran, mit einem ständig durch die Decke gehenden Adrenalinspiegel das Risiko eines Herzinfarkts zu potenzieren, und sei es durch den Dauerstress, sich durch Geltungskonsum oder ein politisches Spitzenamt ohne messbare Kompetenz auf Sozialentzug zu begeben, der nur durch Drogen zu kompensieren ist. Die Machos mit Schnurrbart und Uniform sind endgültig out, keiner will mehr mit ihnen Krieg spielen, sie im Chefsessel erdulden oder ihr Gebagger aushalten, geschweige den obszönen Spreizsitz in der U-Bahn, damit frau nicht merkt, dass hier sonst kein Gaul zwischen den Schenkeln klemmt. Sie haben die Attraktivität von Nagelpilz und Maximalwerte auf der nach oben offenen Ekelskala von Null bis Popel auf der Brille.

Langsam wachen einige auf und merken, dass die alte Ernäherrolle als Alphamacker nichts für sie ist, weil sie inzwischen auch die Alternative haben, sich nicht totzuarbeiten und unmittelbar nach dem Ausscheiden aus der Tretmühle in die Grube zu fahren. Ein Problem der klassischen Ledernacken ist, dass durch die Gleichstellung auch Frauen die Chance haben, in diesem letzten Reservat der Dämlichkeit ihr Claims abzustecken. Dann kommt noch diese verdammte Diversität dazu, die ihnen das Privileg wegnimmt, selbst über ihre Privilegien zu entscheiden, und dann wird in der Vorabendserie ihr Typ mit der hässlichsten Gurke in der Kartei besetzt. Willkommen ganz unten.

Evolutionär ist es für den Mann heute jedenfalls besser, ein humorvoller, sozial kompetenter Partner und verlässlicher Vater zu sein, der sich nicht aus Gewohnheit regelmäßig die Birne zulötet, mit dem SUV durch die Fußgängerzone bügelt und ein Hakenkreuz aufs Sixpack peikern lässt. Gut, wer das als Nachbarn hat, obwohl die Wohngegend es nicht hergibt, der darf ihm auch schon mal eine Runde Materialkaltverfomung im Kieferbereich spendieren. Einer muss ihn ja zur Vernunft bringen.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CDLII): Toxische Männlichkeit

22 02 2019
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Es war ein lauer Frühlingsmorgen und Uga schlug sein Wasser direkt vor der Sippenhöhle ab. Das hatte der Fortschritt den DNA-Klumpen schon beigebracht, sie konnten es im Stehen, und also taten sie es. Zwar sorgte der beißende Geruch stets für Irritationen, doch war das nicht ganz ungewollt: hier, so verlautbarte der Sickerfleck im Splittboden, begann das Revier eines aufrechten Mannes, der gern und jederzeit bereit war, einem Konkurrenten das Gesicht neu zu arrangieren. Dass das Weib im Innern der Behausung sich über die in den Koch- und Schlafbereich ziehenden Dünste nicht freute, ließ ihn kalt; sie war ja bloß das Weib. Etwaige Kausalitäten zu ihrer Reproduktionsbereitschaft pflegte Uga zu ignorieren, zumindest tat er so. Im Wesentlich fielen ihm derlei Kleinigkeiten nicht mehr auf, wenn er in sanfter Morgensonne vor dem Eingang stand und schaute, ob sein Geschäft auch genug Beachtung fände, denn auch und vor allem darauf kam es ja an. Sie waren Männer, und damit fängt der Schlamassel an.

Der toxische Mann wehrt sich mit allen zur Verfügung stehenden Fingernägeln gegen diesen Ausgang aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Denn nichts ist ihm lieber als das zu Primatenzeit in Schmierkäse geschnitzte Image des ganzen Kerls, das er rücksichtsfrei auslebt, stets dessen im Bewusstsein, dass er ein weimernder Waschlappen ist, der vor lauter Kraft nur noch dazu kommt, seinen demnächst erfolgenden Untergang als Spezies anzukündigen, den er als Opfer eines Krieges sämtlicher Paralleluniversen gegen ihn allein nicht mehr aufhalten wird. Die Korrelationen zum autoritären Persönlichkeitstypus, wie er immer wieder zu einem braunstinkenden Mob gerinnt, sind kaum zufällig; hier haben sie ihren psychischen Ursprung, ein gemeinsames Instrumentarium und die gemeinsame Dummheit als deren Urgrund.

Toxische Männlichkeit ist das Ausleben wirr verschwiemelter Gewaltvorstellungen, wiewohl kaum ein Männchen zugäbe, dass es in der streng hierarchischen Vorstellung eines quasi nach Potenz gegliederten Systems außer einem Führer nur noch Unterworfene geben kann, die sich mit Getrete nach allen Seiten ihre Neurose vom Leib halten, immer in der wackelnden Balance aus Kompetenz- und Machtstreitigkeiten, die ausgefochten werden wollen, um den Abstand zum Alphatierchen zu definieren. Ab und zu dickt sich die Materie ein, es entstehen Vereine, Ämter oder Parteien, und wenn alles schief geht, mutiert das Konglomerat aus manischem Selbsthass und latenter Todessehnsucht zur Religion.

Womit das Thema der Sexualität auch gleich abgehandelt wäre, denn sie ist eine der letzten Bastionen, in denen der Mann noch Täter sein darf, alles an Niveau unterkellernd, weil es auch hier um Macht geht. Führt nun die Embryonalintelligenz planmäßig zu blinden Flecken, da es auch in diesem Konstrukt vorwiegend Rangordnungen gibt, so hat der Giftzwerg wenigstens maximale Freiheit, da er an der gesellschaftlichen Tabuierung seiner Verfehlungen eifrig mitgearbeitet hat, um sich in den Gräben seiner Trümmerburg noch wie die handelsübliche Wildsau zu benehmen. Andererseits assoziiert er jede Beschneidung seiner körperlichen Triebe – Tempolimit, Steuergerechtigkeit, Feminismus – reflexartig mit der Kastration, vor der ihn das eingeschrieben mütterliche Über-Ich gewarnt hat. Es ist also egal, ob ihm die Böse beim Pinkeln über die Schulter schaut oder wenn er gerade Asylbewerberheime anzündet, alles wird zur Bedrohung des Rechts auf freie Entfaltung seines Niedrighirnniveaus.

Doch die Zugehörigkeit wird nicht etwa durch Geburt und Status verliehen, um dann bis zum Ende aller Tage zu bleiben. Was der toxische Mann erwirbt, um es zu besitzen, braucht Grenzerfahrung, beispielsweise das blutige Aufnahmeritual in den Männerbund, der die gegenseitige Abhängigkeit durch albernes Geprotze verherrlicht, als sei die Resterampe der mählich verfettenden Nachtjacken ein Flor holden Knabentums. Sie wähnen sich noch solidarisch in ihrer Unterwürfigkeit, fest in diesem Opfermythos gefangen und Feind der restlichen Entwicklung, an der sie nicht teilgenommen haben. Aber sie sind nichts als kleine Hackenbeißer, jäh aufgehetzt von formunschönen Strebern, die Krieg spielen, weil die intellektuellen Bordmittel für eine zivilisatorische Ankunft einfach nicht ausreichen. Was haben Frauen nicht inzwischen alles erreicht; sie dürfen ohne Begleitung Straßenbahn fahren, Brot und Aktien kaufen, Konzerne leiten, Schiffe und Flugzeuge, kurz: das ganze Teufelszeug, das so nicht vorgesehen war, als der toxische Mann in der Steinzeit anhub, sich gegen die Evolution zu stemmen. Und was passiert schon mit einem Mann, dessen Erfahrungshorizont größtenteils davon geprägt ist, vor der Höhle zu stehen und gegen den Wind zu urinieren. Man kann es sich schönreden, weil es kurzfristig wärmt. Aber irgendwann ist das Es müde. Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? Und wer macht den ganzen Dreck wieder weg?





Aus der Tiefe des Raumes

17 06 2014

Anne schlug die Tür zu und fuhr ruckartig an. „Es ist nicht das Problem mit dem Fußball“, zischte sie, „diese Idioten haben offensichtlich ein Problem damit, dass ich eine Frau bin.“ Ich verkrampfte mich unwillkürlich in den Sitz, während sie das Gaspedal durchtrat. „Du kannst von allem Ahnung haben, Autos, Technik, sogar Fußball – wenn Du eine Frau bist, wissen sie es grundsätzlich besser.“ „Vielleicht solltet Ihr einen Konsens finden und nur noch über Dinge sprechen, von denen Ihr alle etwas versteht.“ Sie lächelte säuerlich. „Eine reizvolle Vorstellung, dann müsste ich nie wieder mit ihnen reden.“

Ausgerechnet ich sollte sie auf den Grillabend begleiten, der mit ihren Kollegen stattfand. Und ausgerechnet an diesem Abend, an dem ein Spiel von nationaler Bedeutung stattfand, sollte ich die auf diesen Grillabend begleiten. „Wenn ihnen Fußball wirklich so viel bedeutete“, mutmaßte ich, „hätten sie die Party auch auf jeden anderen Abend legen können.“ „Lünekämper hat halt nur einmal im Jahr Geburtstag“, antwortete Anne knapp. „Und er hat die Unflexibilität erfunden.“ Genau das sagte man einander auch unter Eingeweihten, die den Anwalt der renommierten Kanzlei kannten. Es würde sicher eine interessante Feier werden, immer vorausgesetzt, man hätte ein Ideal von Glück vor Augen, das viel mit dem Anstarren einer gekalkten Wand zu tun hätte. „Ich werde ein falsches Wort über Fußball sagen, und sie werden mich ab morgen im Büro ächten.“

Es begann recht harmlos. Ich ging glatt als Begleitung durch – ihren glücklosen Verehrer Max Hülsenbeck hatten sie wohl gar nicht erwartet – und durfte mich sogleich an Kartoffelsalat und Bier bedienen. „Wenn Sie mich fragen“, erklärte ein kleiner Dicker mit der Andeutung eines Bärtchens die Situation, „die spielen ja nur Ticki-Tacki, aber das können sie auch.“ Ich nickte beifällig und begriff. „Wenn man eine Turniermannschaft ist, kann einen das nicht aus dem Konzept bringen.“ Er klömperte seine Bierflasche gegen meine. „Wir verstehen uns“, sagte er mit verklärtem Blick. Bevor sich eine Freundschaft anzubahnen drohte, suchte ich Anne. Sie hatte bereits das Debakel hinter sich. „Sie kennen nicht einmal den Unterschied zwischen Viererkette und Abseitsfalle.“ Dazu hatte der Juniorchef ihr ein alkoholfreies Bier in die Hand gedrückt. Die Stimmung war auf dem Tiefpunkt. „Standardsituationen sind gefährlich“, gab ich zu bedenken. Und das Spiel hatte noch nicht einmal begonnen.

Auf Lünekämpers Schreibtisch lag ein Stapel Visitenkarten, die er nach Gewohnheit schwunghaft unter die Leute brachte. Da hatte ich plötzlich die rettende Idee. Ich schnappte mir die Kärtchen, zog einen Stift aus dem Jackett und begann rasch die Rückseiten zu beschreiben. Anne schaute skeptisch. „Und was wird das, wenn es fertig ist?“ „Kleine Argumentationshilfen“, murmelte ich. „Das wird Dein Sportfachgespräch entscheidend verbessern.“ „Ich soll mit einem Haufen Karteikarten einen ganzen Abend bestreiten?“ Ich drückte ihr die Kärtchen in die Hand. „Und wie hast Du Dein Examen bestanden?“

Der Grill grillte, der Beamer beamte, die Gesellschaft hockte im Halbdunkel auf Klapp- und anderem Gestühl. „Das muss sicher ein WM-System sein“, fachsimpelte der kleine Dicke, worauf sich ein akkurat gescheitelter Herr mit Kurzarmhemd und gestreifter Krawatte heftig nickend einschaltete. „Sie spielen bestimmt wieder mit Manndeckung.“ Anne ballte die Faust. „Noch nicht“, flüsterte ich, „wir brauchen erst noch eine prägnante…“ „Unsinn“, schnauzte sie. „Die müssen einfach nur schneller umschalten!“ Vierzig Augen hefteten sich auf sie. „Worauf genau beziehen Sie sich?“ Der Juniorchef grinste, man sah es auch in diesem Dämmerlicht. Anne blätterte um. „Da gehen viel zu viele Pässe ins Leere.“ Die anderen nickten beifällig. Ein Punkt für uns.

„Es klappt schon ganz gut, aber jetzt nicht…“ Schon wieder unterbrach sie mich. „Über die Flügel“, schrie sie, „verdammt noch mal – die müssen doch jetzt über die Flügel spielen!“ Der bebrillte Flachdachscheitel nickte zustimmend. „Das wollte ich auch gerade sagen.“ „Und dieses Schönspielen, pff! Dafür gibt’s doch auch keine Punkte.“ Möglicherweise hatte ich Anne wirklich unterschätzt. Nur nicht ihren Sachverstand in Sachen Fußball.

Schon wand sich ein Spieler auf dem Rasen. „Skandal!“ „Heimtücke, weil wir ihnen den Euro wegnehmen werden.“ „Mit dem können die doch eh nicht umgehen.“ „Hähähä!“ Anne räusperte sich. „Das ist Kinderkram, in England hätte das doch keiner gepfiffen.“ „Wenn sich das mal nicht rächt!“ Der Brillenträger setzte auf eine Charmeoffensive. Doch sie blieb stur. „Jetzt müssen sie auch dahin, wo es richtig wehtut.“ Ausgerechnet der Juniorchef musste immer noch eins draufsetzen. „Da!“ Der Unparteiische hatte gepfiffen. „Typisch, wie die spielen – der stand doch schon halb im Abseits.“ Bohrende Blicke hefteten sich auf ihn. „Wenn Sie das einer Laiin erklären könnten“, sagte sie sanft, „wie kann jemand halb im Abseits stehen?“ Er schwieg verbissen. „Haben Sie die Regel gerade nicht parat? Kann ja mal vorkommen.“ Er zischte etwas Unverständliches. „Ja, so ist Fußball.“ Die anderen Gäste murmelten etwas Zustimmendes. Worauf sich alle einig waren, dass ein Tor dem Spiel durchaus guttun würde.

Anne schloss die Tür und schob den Gurt ins Schloss. „Das war gerade noch rechtzeitig“, sagte sie und atmete erleichtert auf. „Aber es lief doch ganz flüssig?“ Sie gab Gas. „So weit war alles in Ordnung, aber mir wären jeden Moment die Kärtchen ausgegangen.“





Alles Liebe

14 02 2012

Anne verstaute die Marmeladengläser in ihrem Einkaufskorb. „Nähgarn, Klebstoff, Spülmittel, Eier und Speck.“ Sie faltete den Zettel zusammen. „Jetzt noch Dein Rasierwasser, dann sind wir endlich aus diesem Kasten raus.“ In der Tat war das Kaufhaus karnevalesk geschmückt. „An sich würde ich lieber morgen in die Parfümerie-Abteilung“, murrte ich.

„Bedaure, Le Fourbi ist gerade aus“, teilte die Fachverkäuferin Anne mit. „aber wir haben die neue Pflegeserie von Truc de Flonflon.“ „Wenn Sie mir vielleicht etwas ohne Zitrusextrakte zeigen würden“, wandte ich mich an sie. Die Bedufterin sprühte einige Pappstreifen voll und reichte sie Anne. „Die Herren bevorzugen eher die sportliche Note“, kommentierte sie, „aber wir haben auch eine ganz neue Kollektion von Tudelys, ein deutlich herb-aromatischer Mix zwischen Pferdesattel und Bohnerwachs.“ Anne schnupperte konzentriert an den Probierkärtchen. Ich räusperte mich. „Verzeihung, aber ich bin hier der Kunde. Wenn Sie mir vielleicht einfach ein anderes Rasierwasser von Laberfeld verkaufen würden?“ „Die Männer von heute sind zunehmend kapriziös“, zischte sie Anne schnippisch zu, „ich werde Ihnen ein paar neue Düfte mit Sandelholz und Veilchen zeigen. Die kann man auch tragen, wenn man sich nicht mit dem Altern abfinden kann.“ Mir platzte der Kragen. „Sie geben mir jetzt auf der Stelle eine Flasche Plein l’Cul de Paris, ansonsten steht hier gleich der Geschäftsführer!“ Sie reichte Anne die Essenz mit einem Zwinkern. „Eine gute Wahl – und schönen Valentinstag noch für Sie beide…“

„Was regst Du Dich so auf“, kicherte Anne. „Ich bin alt genug, um alleine eine Flasche Rasierwasser zu kaufen.“ Meine Laune war im Keller. Doch das beeindruckte sie nicht. „Immerhin war ich bei Dir“, prustete sie. „Wer weiß, was sie Dir angedreht hätten, wenn Du alleine gegangen wärest.“ „Du bist meine Anwältin“, knurrte ich, „und nicht mein Kindermädchen.“ Anne bog sich vor Lachen. „Jetzt sei nicht so eingeschnappt, ich lade Dich noch auf einen Kaffee ein. Wir müssten nur erst kurz zur Werkstatt, die Türdichtungen sollten schon vorige Woche ausgetauscht werden.“

Der Stadtverkehr verhielt sich vorschriftsmäßig; Anne konnte die 270 Stundenkilometer Spitze ihres Wagens nur selten auskosten und ruckelte nervös auf der Kupplung herum. Entsprechend gereizt kam sie beim der Reparatur an. Nach anderthalb Litern Espresso, zwei Sportbeilagen und einem längeren Telefonat mit dem Zulieferer, der gerade keine Reifen mit Zickzackprofil vorrätig hatte, weil es ja kurz vor den Festtagen war, wurde die Nummer aufgerufen. „Meine Güte“, seufzte der Mechaniker, „ich will ja nichts sagen, aber das wird teuer.“

In der Tat hatte Anne ihren Zweisitzer erst vor drei Wochen zur Generalinspektion abgegeben; der Motor war gut in Schuss, die Karosserie kratzerfrei, Getriebe und Beleuchtung ohne Fehl und Tadel. Einzig der Aschenbecher ließ sich nur mit roher Gewalt aufklappen, was Anne als Nichtraucherin jedoch erst zufällig bemerkt hatte. Das Auto lief, hin und wieder gab das Radio merkwürdige Töne von sich (was allerdings auch moderner Jazz sein könnte, man ist sich da ja nie ganz sicher), sogar die Scheinwerfer warfen Schein. Da bemerkte er mich und öffnete ungefragt die Motorhaube.

„Also technisch ist er in Schuss“, beeilte sich der Reparateur. „Es ist nur der Öltemperatursensor, der ja nicht automatisch…“ „Sie meinen die Hydrauliköltemperatur“, wandte ich mit leicht kritischem Unterton ein, „im Rücklauf kann sie schon ein bisschen verfälscht werden – hat denn die Modellreihe kein Upgrade für den Bordcomputer? und die Hydraulikzylinder? Sind die Sensoren denn nur mit dem Ist-Zustand der Stellzylinder gekoppelt?“ „Die Drucksensoren werden erst ab der SLX-Klasse einzeln vorausberechnet“, gestand der Schrauber. „Entschuldigung“, mischte sich Anne ein. „Die Dichtungsgummis sollten ausgetauscht werden.“ Mit einer an Langeweile grenzenden Arroganz drehte der Monteur seinen Kopf zu Anne. „Lassen Sie es mich wissen, wenn Sie mit der Schließeinrichtung überfordert sind. Wir bauen Ihnen gerne einen beleuchteten Schminkspiegel ein, damit Sie sich unterwegs nicht so langweilen.“ „Den Längsbeschleunigungssensor könnte man auch noch nachjustieren“, mahnte ich. „Das ist natürlich alles schon in der Zentralsteuerung drin“, informierte mich der Mechatroniker. „Das Gerät kontrolliert die Regelventile, die Karosserie sowie das Fahrgestell werden massenmäßig komplett ausgewuchtet, so dass jegliche Nickbewegung der Fliehmasse unterbunden wird – natürlich in Echtzeit, versteht sich!“ „Versteht sich“, antwortete ich mit gönnerischem Unterton und blickt zu Anne, die leicht rot anlief. Vermutlich war es nur etwas zu warm in der Werkstatt.

„Sie werden zufrieden sein“, versicherte die Servicemitarbeiterin und reichte mir strahlend den Schlüssel. „Die Regelventilabsenkung im Kennfeld wird auch auf geraden Strecken für mehr Stabilität sorgen. Wenn Sie gerne schneller als 250 Kilometer in der Stunde fahren, wird Ihre Straßenlage damit entscheidend verbessert – und Ihre Türdichtungen haben wir bei der Gelegenheit auch gleich noch mal gecheckt. Alles in Ordnung, wir mussten nur die Gummis auswechseln. Geht aufs Haus.“ Anne schaute sie fassungslos an, wie die Rezeptionistin mir zwinkernd den Schlüssel anreichte. „Gute Fahrt – und schönen Valentinstag noch für Sie beide!“





Immergrün

2 06 2010

„Der Balkon“, sprach Hildegard und setzte die Kaffeetasse fest auf den Tisch, „kann so jedenfalls nicht bleiben!“ Ich schluckte heftig an meinem Quarkbrötchen; es war wohl die entscheidende Sekunde zu lang, denn sofort, als ich die Hand hob, fiel sie mir ins Wort. „Keine Widerrede!“ Verzweifelt versuchte ich es nochmals, doch ohne Erfolg. „Alle haben Blumen auf dem Balkon, bei allen blühen Geranien und Strauchmargeriten, nur Du hast diese widerlichen Pötte mit dem Gras – das wird sich ändern.“ Den Einwand, dass es sich um meinen Balkon handelt ließ sie nicht gelten. „Du kümmerst Dich doch auch sonst um gar nichts hier. Wenn ich nicht wäre!“ Wäre sie nicht, gab ich lakonisch zur Antwort, hätte ich am Abend zuvor die Petersilie für die Kartoffeln alleine aus dem Kräutergarten zupfen und verzehren können. Sie schlug mit der Faust auf den Tisch. „Und wer hat letztes Wochenende meine Schuhe nicht vom Besohlen abgeholt?“ Da hatte sie Recht; ungeachtet des Umstandes, dass Hildegard den Bon aus irgendeinem Grund wieder aus meinem Portemonnaie herausgenommen hatte – vermutlich hatte sie erst die Quersumme der Bonnummer ausrechnen müssen – so dass mich der Schumacher mit einem Schulterzucken entließ, war ich dann tatsächlich mit leeren Händen zurückgekehrt.

„Impatiens wird ja gerne genommen“, teilte der Verkäufer mir mit. „Fleißige Lieschen sind auf Ihrem Balkon eine Zierde, Sie werden sie schnell ins Herz schließen.“ „Die sind etwas empfindlich gegen Staunässe, nicht wahr?“ Er nickte. „Sie sollten die Bewässerung schon einigermaßen im Zaum halten. Am besten irgendwo im Halbschatten oder sogar in einer Nordecke, die Impatiens ist eine genügsame Pflanze und blüht auch recht ergiebig.“ Hildegard drehte sich um. „Lassen Sie’s“, mischte sie sich ein. „Das kapiert er sowieso nicht.“ „Aber entschuldig mal“, begehrte ich auf, „Du hast doch selbst gesagt, ich solle ein paar Pflanzen auf meinen Balkon stellen.“ „Es war nicht die Rede von einer botanischen Aufzuchtstation“, warf sie mir mit schneidendem Unterton entgegen, bevor sie sich wieder an den Verkäufer wandte: „Geben Sie ihm irgendwas, das sich nicht kaputtkriegen lässt. Einmal am Tag gießen und fertig. Und nächstes Jahr kaufen wir es wieder neu.“

Der Verkäufer war verschnupft; verständlich, hatte er doch sein ganzes Fachwissen über Zimmer- und Garten- und Balkonpflanzen sorgsam vor mir ausgebreitet. „Wir hätten da die Wandelröschen“, begann er aufs Neue. „Sehr schön farbenprächtig, und wenn Sie ganz normal gießen und einfach irgendwohin stellen“ – hier schielte er bereits zu Hildegard hinüber – „dankt sie es Ihnen mit einer entzückenden Wuchsform. Sie müssen nur mit dem Wasser aufpassen, am besten lassen Sie es einfach abstehen, Gießkannenwasser hat einen Kalkgehalt von ungefähr…“ „Gießkanne?“ Hildegard tippte sich an die Stirn. „Glauben Sie bloß nicht, dass er das schafft. Geistig, Sie verstehen. Alles, was eine sorgfältige Planung…“ Jetzt wurde es mir zu bunt. „Was heißt hier sorgfältige Planung? Ich gieße sie jeden Abend mit dem angestandenen Wasser aus der Kanne und fülle danach die Kanne wieder nach. Wo ist hier bitte das Problem?“ „Du hast auch die Alpenveilchen von Tante Paula vernichtet, jawohl: vernichtet! Alle beide! Die alte Dame ist nie darüber hinweggekommen, nie!“ Natürlich waren die beiden Pflanzen der sechswöchigen Kreuzfahrt nicht gewachsen gewesen, ausgetrocknet waren sie, in ihren Töpfchen schmählich verendet, weil sie keinen Tropfen Wasser bekommen hatten. Was aber auch daran lag, dass ich Order hatte, nur das knappe Dutzend Pflanzen auf dem kleinen Tischchen in der Vorhalle zu gießen und ja kein anderes Zimmer zu betreten, nicht einmal bei Feuer, Wasser oder Dieben. Woher hätte ich wissen sollen, dass da zwei Cyclamen im Obergeschoss vor sich hin welkten.

„Stohblumen sind doch vielleicht etwas“, brachte sich der Florist in Erinnerung. „Das hier ist Helichrysum italicum, wenn Sie mal schnuppern wollen?“ Es hatte ein leichtes und würziges Aroma. „Curry-Kraut“, rief ich erfreut aus, „das habe ich seit Jahren gesucht! Das schneidet man doch wie Lavendel herunter, richtig? Und dann kann man es wie den Rosmarin im Mauerschatten überwintern lassen? Sehr gut! Davon nehme ich auf jeden Fall eins, und die Buschmalve dahinten, kann man die mit gehäufeltem Laub abdecken bei Frosteinbruch? Das wäre doch die ideale Ergänzung – was sagst Du, diese blauvioletten Blüten sind doch bildschön, findest Du nicht auch?“ Doch Hildegard winkte nur ab. „Vergessen Sie’s“, sagte sie dem Verkäufer. „Er erzählt Ihnen viel, wenn der Tag lang ist. Und dann kann ich die ganzen Reste aus den Balkonkästen zupfen, er lernt es ja nicht mehr.“ „Das ist ja gar nicht wahr“, ereiferte ich mich. „Die Kräuter habe ich seit zehn Jahren, und sie sind mir nicht ein einziges Mal eingegangen!“ „Kräuter“, schnob sie durch die Nase. „Das bisschen Petersilie und Majoran nennt der Mann Kräuter! Dieses alte Zeugs, das da seit Monaten und Jahren in den Tontöpfen ist – pfui, so was kauft man sich doch frisch im Supermarkt!“

„Immergrün“, bestätigte der Blumenmann, „sie sind so gut wie gar nicht kaputt zu kriegen. Die gießen Sie einmal am Tag oder in der Woche oder… naja, wo Sie wollen. Und die sind winterhart und sprossen nicht und keimen nicht und nichts und… wirklich, sehr pflegeleicht.“ Ich zog ein Gesicht hinter Hildegards Rücken. Hoffentlich klappte das. Sie äugte noch ein bisschen kritisch und nickte dann gnädig. „Dann nimm die hier. Hübsch sind sie ja gerade nicht, aber wenn Du sie auch anständig gießt und nicht zu eng in die Kästen pflanzt, dann siehst das ja unter Umständen einigermaßen zivilisiert bei Dir aus.“ Er schlug die Pflänzchen in Packpapier ein. An der Kasse gab er mir noch ein paar Tipps zum Gießen samt einer Probepackung Düngerstreifen. Meine Begleiterin blickte gnädig darüber hinweg, und auch ich nahm es kaum zur Kenntnis. Was sollten diese Dinger auch groß anrichten – in einer Plastikpflanze?





Gernulf Olzheimer kommentiert (LIV): Betaisierte Männer

23 04 2010
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Von außen betrachtet zeigt sich die Sache als labil: während der Höhlenbewohner Mammut in transportable Portionen zerlegt, statt selbst von dem Tier aus dem Genpool entfernt zu werden, besucht die Gattin das Fußbekleidungsdepot und langweilt sich zum Sonnenuntergang, weil der Fernseher noch nicht erfunden wurde. Folglich bekommt der Mann neue Pflichten, er erobert goldadernhaltige Kontinente, überwindet reißende Ströme zur Sicherung des Papayanachschubs und darf, in Ermangelung von Stymphaliden, Weberknechte von der Schlafzimmerdecke sammeln. Obwohl diploid, wird der Oberlippenbartträger in seinem Tatendrang zum tragischen Affen, der sich vom Alphawesen in den Hauptdarsteller eines Hieronymus-Bosch-Gemäldes verwandelt – das Leben ein Scheißspiel, die Balance längst gekippt, und je mehr der Mann sich abstrampelt, desto eher wird der betaisiert. Der Underdog wird aus der eigenen Hütte verjagt.

Schon in der Natur sieht der Beknackte, dass sich das Verhältnis zwischen dem schönen und dem unterworfenen Teil der humanoiden Population auf groteske Art fehlentwickelt, wo das Männchen sich breitschlagen lässt, um nicht raumkrümmendem Stress mit der Y-losen Bauform zu erliegen – was in aller Beklopptheit sonst nur die Werbeindustrie dem Jetztzeitler als modisch notwendigen Firlefanz ins Hirn ätzt, hier wird’s lächerliches Ereignis in den schrägen Spielarten des Geschlechtsdimorphismus. Ewigweibliches, das die Alphaposition anstrebt, ist nur der Einstieg zu den Irrwegen einer aus dem Leim geratenen Evolution. Rutenangler schwiemeln sich durch die Tiefsee, das Männchen von marginaler Größe und dem Weibchen am nährenden Bauch festgewachsen, zur Untätigkeit verdammt – kein Kerl, der Flaschenöffner und Glotze bedienen kann, hielte diese entwürdigende Lebensweise einen Tag lang aus. Die Fangschrecke pfeift sich schon während der Nachzucht das Männchen rein. Watvögel und Spinnentiere neigen dazu, ihren Unterleib drastisch zu vergrößern – nicht aus ästhetischen oder bautechnischen Gründen, wie der Gas-Wasser-Installateur vermuten würde, der des Weibchens Bedürfnis kennt, die Nasszelle unter großzügiger Verwendung von Marmor und edlen Metallen zum Zentralpunkt der Plattenbaubutze aufzumotzen, sondern schlicht, um mehr Eier in der Wampe bunkern zu können; ein Verhalten, das der weibliche Humanoide vorwiegend dann zeigt, wenn Balz und Reproduktion eh abgehakt sind und für Monsieur der schwache Trost bleibt, dem anderen Geschlecht allenfalls in der Inkarnation von Bill Kaulitz gründlich ins Gehege kommen zu können.

Der betaisierte Mann wird nicht allein um die Früchte der Phylogenese gebracht, denn diese sind, das Weibchen weiß es ja, zeitweise zu gebrauchen; doch der grunzende Halbprimat, der eben noch gut genug war, tragende Wände mit der bloßen Faust zu beseitigen, darf sich seine neue Rolle als Held ohne Geschäftsbereich im soziologischen Untergeschoss einrichten: als nützlicher Idiot. Als solcher darf er zwar noch ungestraft mit Schlagbohrmaschine, Schwingschleifer und Akkuschrauber umgehen, hat aber ansonsten keine Aktien an der Domina. Egal, wie tapfer er hinfort die Oberfräse schwingt, zur Horizontalgymnastik ist der Tennislehrer zur Stelle, die Blaupause aller Kalkhirne, aber dessen Begehr, bei der Gelegenheit auch gleich seine genetische Konstellation weiterzureichen, erweist sich als frommer Wunsch, den er sich auch in die Haare schmieren kann; dazu ist er nicht privilegiert.

Die letzte Stufe, noch unterhalb des Drohn, der die Bälger bis zur Scheidung aufpäppelt und danach lediglich für sie bezahlen darf, ist schließlich der Frauenversteher, ein gehirngewaschener Knalldepp, der der Maid das triste Dasein durch pure Blödheit verschönert. Er hört sich ihr guantanamotaugliches Gefasel an, berät sie bei Auswahl und Erwerb von Unterwäsche, ohne sie am lebenden Objekt erleben zu dürfen, begleitet sie auf Kulturveranstaltungen, die ohne kulturelles Beiwerk auskommen, kurz: sie verschafft dem Mustermuttersöhnchen die beste Gelegenheit, sich permanent zum Vollhorst zu machen, ohne die Schattenseite seiner verklemmten Psyche mit dem Winkelschleifer an ihrer Garagenauffahrt abzureagieren. Früher oder später ist sie ihn los, weil er depressiv oder, nach dem Durchbrennen der Sicherung, Selbstmordattentäter wird, während sie einen jugendlichen Vorstand-Rambo bereits in seine Nachfolge betaisiert – die Evolution frisst ihre Kinder. Es gibt also nur einen Ausweg, der Mann beharrt auf der angestammten Position und überlässt es Tüpfelhyänen und Kattas, sich als von Alpha-Weibchen geführte Rudeltiere durch die Vegetation kommandieren zu lassen, statt die Wildnis auf eigene Faust zu erkunden. Leider schert er bei dieser Lösung aus dem Masterplan der Population aus, doppelt unschön, da er durch das Absägen des eigenen Astes ja bereits den Fitnesszustand seines Genotyps bewiesen hat – aber da dieser kleine, geschmacklose Planet in ein paar Millionen Jahren sich eh erledigt haben dürfte, kann man es genauso gut vernachlässigen. Als der Mann fürs Grobe tut man es sowieso.





Gefangen im Schenkkreis

7 01 2010

„Und dann auch noch in Grün!“ Angewidert schob Anne das Stückchen Stoff von sich weg. „Das Ding passt nicht zu den Küchengardinen, außerdem habe ich noch nie eine Schürze getragen – meine Güte, es ist abgrundtief hässlich!“ Nun kann man über Weihnachtsgeschenke geteilter Meinung sein, sie aber wollte sich ganz einfach aufregen. Was sicher auch daran lag, dass ihr Verflossener, Staatsanwalt Doktor Pöppel, es sich nicht hatte nehmen lassen, diese ausgesucht spießige Kochmontur zu schicken. Er kennt ihren Geschmack doch recht genau.

Doch sie ließ sich nicht beirren und packte den Schutzschurz zusammen. „Dann werde ich ihn eben umtauschen.“ „Wie, umtauschen? Hast Du einen Kassenzettel oder weißt wenigstens, woher diese Schürze stammt?“ Schon erwartete ich eine längere Vorlesung in Schuldrecht, doch Anne schnaubte nur verächtlich. „Was Du wieder denkst – natürlich werde ich das Ding ins Büro mitnehmen. Frau Platzke beschwert sich jedes Jahr, dass ihr Mann ihr nichts Praktisches schenke, sondern immer nur Goldschmuck oder sündhaft teures französisches Parfüm. Sie freut sich garantiert über eine grüne Küchenschürze.“ Zwar sah ich nicht ein, warum ich sie bei der Tauschaktion begleiten sollte, doch sie teilte es mir mit. „Damit Du siehst, wie das geht.“

Herr Platzke hatte seiner Gattin im Schein der Weihnachtskerzen bunte Badepillen beschert. Das Zeug glänzte vornehm, verströmte dafür allerdings den Geruch getoasteter Bonbons. Ich blieb kritisch. „Du nimmt ja nicht einmal Vollbäder.“ Anne war genervt. „Herrgott“, fauchte sie und verdrehte die Augen, „jetzt stell Dich doch nicht dümmer, als Du bist! Los, die nächste Station!“ Auf der anderen Straßenseite lag Trends & Friends – Mandy Schwidarski war mir noch einen Gefallen schuldig, und so wurde ich flugs zum Unterhändler erklärt. „Du kannst doch mit ihr“, ließ Anne mich wissen. „Versuch, etwas Gutes für mich herauszuschlagen.“ Möglicherweise hielt mich die Agenturchefin für komplett vertrottelt, als ich über vier Wochen nach dem Nikolaustag mit einem Wichtelgeschenk bei ihr aufkreuzte. Ob ich einigermaßen überzeugend lügen konnte? Schnell erfand ich eine seit dem letzten Jahr in den USA grassierende Tendenz, seine Weihnachtsgaben nach dem ersten Schock mit besonders guten Freunden zu tauschen. „Ein Zeichen von Wertschätzung“, schwindelte ich schwitzend, „wenn man dazu ausersehen ist.“ Dass ich so authentisch wirkte, verwirrte mich; jedenfalls verließ ich ihr Büro mit Spitzenunterwäsche.

„Natürlich passt die mir!“ Ich wagte nicht, es in Zweifel zu ziehen, obschon ich meinte, mich genau zu erinnern, dass 36 und XL nicht dasselbe bedeuten. Es lag an der Farbe. Anne versicherte mir, keine Frau trage gerne schwarze Höschen. Ich korrigierte die bisherigen Erlebnisse, die ich mit weiblichen Personen in Bezug auf Leibwäsche gemacht hatte. Jacqueline, die Empfangsdame, hatte ein großes Herz, denn war sie auch eine Frau, was nicht nur der erste Eindruck bestätigte, so opferte sie sich doch für diese fürchterlichen Seidendessous. Die gestreifte Krawatte, die sie ihrem Ex-Freund hatte zueignen wollen, gab sie ganz selbstlos obendrein. „Irgendwie kommt sie mir bekannt vor. Die habe ich doch schon mal an Minnichkeit gesehen…“ „Den Schlips“, fragte ich abwesend, als wir wieder in den Wagen stiegen, „oder Jacqueline?“

Von Juri Grigorjewitsch wusste ich nicht, ob er sich für den Binder würde erwärmen können. Tamara Asgatowna, Annes Putzfrau, hatte ihren Schwager, der nebenbei Hausmeister der hiesigen Volkshochschule ist, entsprechend vorgewarnt. Allerdings hatte der Arbeitsmann eher mit einer wärmenden Kleinigkeit zur innerlichen Anwendung gerechnet. Ich packte meine rhetorischen Künste aus. „Man trägt sie jetzt ein bisschen breiter, Herr Jakuschow. Passt zu jedem Hemd. Also farblich.“ Juri befingerte träge den Kulturstrick und klappte das Etikett auf. „Hundert? Was, hundert?“ Ich sah genauer hin. „100% Polyester.“ Da leuchteten seine Augen auf. „Oh, sehr gut! Qualität!“ Sekunden später befand ich mich im Besitz einer monströsen Pralinenschachtel.

Anne feixte. „Wenn die Geschäfte nicht mehr so gut bei Dir laufen, wirst Du Propagandist.“ „Das könnte Dir so passen!“ Ich war sichtlich indigniert; schließlich machte ich das alles nur für sie. „Also nimm jetzt Deine Pralinen, auch wenn Du hinterher wieder jammerst.“ Das war wohl zu viel des Guten, denn Annes launisches Naturell schlug voll durch. „Erstens jammere ich nicht, zweitens bin ich dieses Jahr nur drei Kilo über den üblichen vier, die ich an Weihnachten zunehme, und außerdem…“ „… hast Du darum die Spitzenhöschen…“ „Lenk nicht ab!“

Es muss etwas Wunderbares sein, das Frauen an Schokolade finden, weit wunderbarer als das, was Männer empfinden können, ganz davon abgesehen, was Frauen empfinden, wenn es sich um Männer handeln sollte. Der bittere Gaumenkitzel öffnet alle Herzen und weiß als süße Sünde noch jedes Weib zu locken – nichts, was sie nicht für Naschwerk täte. So war es auch nicht besonders überraschend, dass Frau Breschke beim Anblick des Gebindes Gesprächsbereitschaft signalisierte. Einige Minuten vergingen, dann waren die Verhandlungen perfekt. Anne strahlte, versöhnt mit sich und der Welt, in einem engelsgleichen Gloriolenschein, als hätte ihr das Christkind persönlich den tiefinnigsten Wunsch erfüllt. „Guck, ist sie nicht wunderbar? Und sie wird so schön zu den Küchengardinen passen!“ Ich rieb mir die Augen. „Eine Küchenschürze? Eine grüne Küchenschürze? Sag mir auf der Stelle, dass das ein schlechter Scherz ist!“ Anne hatte für mein Erstaunen nicht eben viel Verständnis. „Das ist keine grüne Küchenschürze“, wies sie mich pikiert zurecht, „sondern eine grün karierte. Dass man Euch so etwas aber auch immer und immer wieder erklären kann, Ihr merkt es eben nicht. Männer!“





Kalter Kaffee

25 11 2009

Anne fuhr sich hektisch durchs Haar. „Ich wusste ja nicht, ob Du überhaupt zu Hause bist!“ „Wenn der Telefonanschluss eine halbe Stunde lang besetzt ist“, erklärte ich ihr geduldig, „dann ist die Wahrscheinlichkeit entsprechend hoch, dass ich derweil in meiner Wohnung bin und telefoniere – tagsüber soll das ab und an passieren. Du hättest also ein Fax schicken, mir auf die Nachrichtenbox sprechen oder mich auf dem Mobiltelefon anrufen können, wenn Du es hättest wissen wollen.“ Sie verteidigte sich. „Aber es hätte ja durchaus sein können, dass Du den Hörer daneben gelegt hast.“ „Und das lässt Dich sofort darauf schließen, dass ich danach auch die Wohnung verlassen habe?“ Da stampfte Anne mit dem Fuß auf den Boden. „Weil Deine Eifersucht einfach kindisch ist!“

Ich konnte mich dem Argument nicht entziehen; Max Hülsenbeck, der schmierige, unrasierte Typ, der bereits die dritte Kippe im Spülbecken ihrer Nichtraucherküche ausdrückte, wurde zwar erst alarmiert, als ich nicht greifbar war, doch war das ein Grund, nicht eifersüchtig zu sein? Wo doch Anne mich gegenüber Hülsenbeck zunächst nur als Verlobten und dann erst als Vater ihrer zukünftigen Kinder ausgegeben hatte, während er unermüdlich versuchte, sie in Lokale einzuladen, in denen er sich noch blicken lassen konnte. Jetzt aber stand der Staatsanwalt, erkennbar schon an seinem schwarzen Sportwagen mit dem MH auf dem Nummernschild, vor der Anrichte und begutachtete die Kaffeemaschine mit dem geschulten Blick eines Ignoranten. „Sie zischt noch ein bisschen“, gab Anne zur Auskunft an, „aber es kommt dann kein Wasser mehr.“ „Wann hattest Du sie zum letzten Mal entkalkt?“ Max, der alles Wissende, kam ihr zuvor. „Dieses Modell muss gar nicht entkalkt werden“, teilte er im Brustton der Überzeugung mit, „das weiß ja jeder Anfänger!“ „Richtig“, wandte ich mich an Anne. „Genau deshalb hat’s ja auch diesen sündhaft teuren Original-Entkalker, den man ausschließlich für dieses Modell einsetzen darf.“ Mit säuerlicher Miene schmiss er die Bedienungsanleitung auf den Küchentisch und drehte den Brühapparat um sämtliche Achsen. „Es kann sich eigentlich nur um das Rückschlagventil handeln.“ Mit gespielter Begeisterung klatschte ich in die Hände. „Nein, wie begabt!“ Völlig überrascht blickte mich Hülsenspeck an. „Wie man durchs Gehäuse erkennen kann, dass dieses Ding über ein Rückschlagventil verfügt – sagenhaft!“

Ein Klingeln an der Etagentür unterbrach das thermoelektrische Fachkolloquium; Anne verließ das Operationsgebiet, um zwei adrett gekleideten Hausierern Auskunft zu erteilen, was sie im Falle eines plötzlichen Weltuntergangs täte, während Hülsenschreck mir die genaue Funktionsweise einer Membranpumpe erklärte – allerdings verwechselte er die Dampfmaschinerie mit einer Mammutpumpe und unterschlug den Thermostaten in seiner Konstruktion. Er musste ein Schüler des seligen Professor Bömmel gewesen sein.

Anne war schon wieder auf dem Weg in die Küche, da packte mich ihr Galan plötzlich am Kragen. „Pass gut auf, Du Klugscheißer“, zischte er, „diesmal vermasselst Du mir nicht die Tour – versuch es am besten gar nicht erst, sonst…“ „… könnte natürlich § 437 BGB nicht in Anwendung kommen durch unsachgemäßen Einsatz eines Schraubendrehers! Ach ja, wie gut ist es doch, wenn man sich als Jurist mit der Mängelhaftung auskennt, nicht wahr?“ Und ich drückte ihm mit maliziösem Lächeln das große japanische Hackmesser in die Hand. Er schluckte trocken.

„Habt Ihr’s denn gleich?“ Anne war sichtlich unruhig – verständlich, wenn man seit fast zwei Stunden auf den Beinen ist und noch keinen Kaffee bekommen hat. Max, der Staatsanwalt, ermittelte inzwischen auf Messers Schneide; er fuhrwerkte mit der Klinge am Boden der Kaffeemaschine entlang und versuchte, das Gehäuse zu öffnen. Unter dem unmerklich leise knacksenden Geräusch einiger abplatzender Teile gelang ihm dies auch, wie ich feststellte. Sein leerer Blick irrte zwischen den Leitungen des Siedegeräts. „Die blaue Litze hier könnte über den Kaltleiterwiderstand laufen – aber der weiße Draht hier?“ Möglicherweise hatte er mehr Ahnung von elektrischen Bauelementen, als mir lieb war, aber sollte mich das kümmern? Ich fasste Anne vertraulich um die Schultern. „Dein strammer Max bezieht seine Allgemeinbildung vermutlich eher aus den billigen Gangsterfilmen, in denen Höllenmaschinen nur rote und grüne Drähte haben.“ Dabei rutschte ihm das Messer ab, das eine längere Kratzspur auf der Anrichte hinterließ. Anne ging in leichte Vibration über.

Der Widerstands-Kämpfer war entschlossen, zwei Baugruppen kurzzuschließen – wahrscheinlich hatte er gerade Tunneldioden um einen Glimmerkondensator ausfindig gemacht – als ich wie zufällig auf die Uhr sah. „Jetzt muss ich aber wirklich“, verkündete ich, „die Kunden aus Tokio werden bestimmt nicht auf mich warten.“ Das leise Schnarren ignorierte ich; kurz vor der Haustür wurde das Brummgeräusch zum gellenden Pfeifen, das nach einigen Sekunden in einen schmatzenden Detonationssound mündete – offenbar hatte Mad Max die Forschung um die Rekonstruktion des Urknalls um eine Facette bereichert. Fröhlich pfeifend betrat ich die Straße. Eine geschmacklose Blumenvase segelte aus der Höhe direkt auf den Sportwagen auf dem Gehsteig. Ich würde mich beeilen müssen; nicht auszudenken, wenn Anne mich jetzt anriefe, um sich bei mir auf einen Kaffee einzuladen, und ich wäre nicht zu Hause.





Passgenau

12 11 2009

„So geht das einfach nicht weiter!“ Im Prinzip war ich mit Hildegard vollkommen einer Meinung, schon deshalb, weil ich auch nicht mehr einsah, warum ich die Halterung des Duschvorhangs jedes Mal wieder neu montieren musste, wenn sie mein Bad benutzt hatte. „Jeden Tag dasselbe Theater“, schimpfte sie, „man braucht nur schief hinzusehen, und zack! hat man gleich den ganzen Kram auf dem Kopf!“ „Das liegt daran, dass Du das komplette Gestänge mit dem Vorhang herunterziehst.“ „Aber ich muss doch das dämliche Ding irgendwie auf und zu kriegen“, knurrte sie. „Das liegt daran“, entgegnete ich, „dass Du den Duschvorhang nicht wie jeder andere vernünftige Mensch horizontal verschiebst, sondern Dich mit Deinem ganzen Körpergewicht…“ Hildegard setzte ihre Kaffeetasse so hart ab, dass ich zusammenzuckte. Grimmig sah sie mich an. „Willst Du damit etwa andeuten, dass ich zugenommen hätte?“ „Ich meinte nur, dass Du nicht so am Vorhang zerren solltest, sonst kommt er immer wieder herunter.“ Sie schlug mit der Faust auf den Frühstückstisch. „Das tut er jetzt schon! Ich kann ja wohl nicht die ganze Zeit die Duschstange mit einer Hand halten.“ „Warum nicht“, meinte ich und biss in mein Marmeladenbrötchen. „Du hast ja zwei Hände, und wenn Du bei der Gelegenheit den einen Arm immer in die Höhe strecktest, würdest Du mit dem Wasserstrahl gleich viel einfacher…“ Hildegards Augen und ihr Mund verengten sich zu drei waagerecht angeordneten Schießscharten. „Du wirst“, zischte sie mich an, „noch heute eine neue Duschstange kaufen!“

Schon um die Mittagszeit fanden wir einen Parkplatz in Sichtweite des Heimwerkermarktes. Wo bekam man hier eine Duschstange? Bunte Tafeln hingen von der Decke, um dem versierten Kunden vom Falzziegel bis zur Stülpschalung alles zu bieten, was er zu brauchen meint. Wir blickten einander ratlos an. Da sauste eine Fachkraft heran; mit dem Fuß stieß der Mann sich vom Boden ab und fuhr auf dem überdimensionalen Einkaufskorb tretrollergleich durch die Halle. Ich winkte ihm zu. „Sanitär im Gang links neben Leuchtmitteln und Elektro“, rief er und war schon verschwunden. Ich war so schlau wie zuvor. Da kam er schon zurück. Todesmutig sprang ich vor den rasenden Trolley. „Aber wo ist das denn?“ „Leuchtmittel und Elektro ist rechts neben Sanitär“, schrie er mir nach und polterte in die Ferne.

Aus dem Seitengang kam ein schwer verstörter Verkäufer im blauen Kittel auf mich zugetorkelt. „Also die Stahlmantelbecken haben wir von 120 bis 150 Zentimeter Tiefe“, schwafelte er, „jeweils acht Zehntelmillimeter Außenhülle und Innenhülle von sechs bis acht Zehntelmillimeter in PVC, oder in Weiß. Können Sie als Aufsteller oder als Einbauer haben, aber ab 120 Zentimeter geht eigentlich sowieso nur Einbau, aber ich verkaufe Ihnen den auch als Aufsteller, einbauen können Sie den aber trotzdem.“ Ich wies ihn darauf hin, dass der Einbau eines Schwimmbassins im Dachgeschoss der Zustimmung des Vermieters bedürfe, aber er ließ nicht locker. „Das kriegen Sie auch barrierefrei mit Tiefeinstieg hin, aber dazu nehmen Sie am besten ein Massivbecken. Schon wegen der Magerbetonplatte auf der Rollierung als Unterbau, verstehen Sie? Ist einfach langlebiger, vor allem bei nichtbindigem Untergrund.“ Ich versprach ihm, sofort nach meiner Rückkehr Bodenproben zu nehmen. Man weiß ja schließlich nie, was sich unter dem Parkett versteckt.

Plötzlich kreischte neben mir eine schrille Stimme auf. Ein halbes Dutzend Kunden warf sich zu Boden. Der Mann mit dem Sturmgewehr bedrohte die drei Angestellten hinter dem Informationstresen. „Ich will endlich einen zölligen Flansch“, brüllte er, „ich will jetzt endlich diesen verdammten zölligen Flansch haben! Wie oft muss ich noch in diesen Saftladen kommen?“ Eine Frau brach in Tränen aus, andere kauerten sich zwischen Regale und Verkaufskörbe. Ich trat einen Schritt vor. „Bitte regen Sie sich nicht auf“, besänftigte ich den fassungslosen Flanschkunden, „es wird sich sicher eine Lösung für Ihr Problem finden lassen.“ Er riss die Waffe herum und zielte auf mich. „Das ist mir vollkommen egal!“ Zitternd vor Wut stieß er die Worte hervor. „Ich komme seit zwei Wochen jeden Tag her, und nie passt dieses Ding ans Abflussrohr. Wenn ich heute hier keinen zölligen Flansch kriege, gibt es Tote!“ Abrupt hob er den Lauf gegen die Decke und drückte ab; majestätisch segelte das Schild, das auf Farben und Lacke hinwies, zu Boden.

„Moment, ich bin gleich zurück.“ Ich sah gerade noch, wie Hildegard sich millimeterweise rückwärts in Richtung Ausgang schob – wo wollte sie hin? Der Schweiß tropfte von meiner Stirn. Würde sie es lebend bis nach draußen schaffen? War die Polizei denn schon alarmiert? Ich schloss die Augen und versuchte mich zu beruhigen. Da spürte ich einen kleinen, harten Gegenstand, der in meine Hand geschoben wurde. Hildegard stand genau hinter mir. „Wenn ich Dein Handgelenk drücke, zählst Du bis drei und wirfst es zur Seite.“ Angespannt wartete ich. Da spürte ich ein Zwicken. Sekunden später klimperten Hutmuttern aus dem splitternden Kästchen. Blitzartig sprang der Geiselnehmer zur Seite. In diesem Moment traf ihn ein rundes Stück Gussstahl an der Schläfe. Er gab ein kurzes Stöhnen von sich und sank bewusstlos zu Boden. „Wenn er wieder zu sich kommt, kann er das Teil gleich mitnehmen“, informierte mich Hildegard. „Der Flansch ist zöllig. Und jetzt sieh zu, dass Du fertig wirst. Bei der Auskunft werden die ja wohl wissen, wo man eine Duschstange findet.“





Auf leisen Sohlen

20 10 2009

Zwei Wochen Urlaub! Was kann man da nicht alles unternehmen – an die Nordsee fahren oder mal wieder in die Ardennen. Oder den Flügel neu stimmen lassen, jeden Tag ausschlafen und eine andere Mozart-Sonate spielen. Oder seine geistige Gesundheit komplett ruinieren.

Ich hatte Anne geholfen, die Gartenmöbel in den Keller zu tragen. Zum Dank durfte ich am folgenden Tag ihre Einkaufstüten tragen. Und diesem Himmelfahrtskommando hätte ich sicher nie zugestimmt, wenn mir klar gewesen wäre, dass sie Schuhe kauft. Selbst Schuld. Bei einer Woche oder zehn Tagen hätte Anne nichts gesagt, aber sobald ich zwei Wochen gestehe, weiß sie, dass sich der Besuch im Depot mit mir lohnt.

Bereits nach drei Geschäften saß ich alleine und verzweifelt in der Einkaufspassage – inzwischen war Karl Ranseier ein paar Mal verstorben – als mich ein Mann anblickte. „Sagen Sie“, fragte er, „kennen wir uns?“ Tatsächlich hatte ich Kurt seit dem Abitur nicht mehr gesehen. „Na, das muss doch gefeiert werden“, jubelte er und zog mich ins Café, wo er sogleich Tee und Apfelkuchen orderte, um mir von seiner phänomenalen Karriere als Ägyptologe zu berichten. Nach Hatschepsut, Djoser und dem vierten Pils berichtete er mir gerade von seiner laufenden Scheidung und zeigte mir Bilder aller seiner Sprösslinge, als Anne auftauchte. „Die goldenen Sandaletten aus dem Schaufenster hatten sie nicht in meiner Größe“, informierte sie mich. „Und das hat derart lange gedauert?“ Sie kniff die Lippen zusammen. „Eigentlich suche ich ja ein Paar schwarze Pumps.“ „Ich vergaß“, antwortete ich, „Du hast ja bloß siebenundsechzig davon.“

Machen wir uns nichts vor, Anne ist Sadistin. Oder wie soll man es nennen, wenn sie weiße Flip-Flops aus dem Präsentationsständer ins Geschäft trägt, sich bis Ladenschluss alles – und alles heißt: alles, also Herrenware, Babygrößen, orthopädisches Schuhwerk – in sämtlichen technisch möglichen Brauntönen zeigen lässt, um dann mit weißen Flip-Flops wieder hinauszugehen. Sie verschleißt in dieser Zeit zehn Verkäuferinnen, drei von ihnen erleiden posttraumatische Belastungsstörungen, und Anne ist das egal. „Du betrittst ein Schuhgeschäft lediglich, um das Personal in den Wahnsinn zu treiben“, mokierte ich mich, „und Du kannst es nicht einmal richtig.“ Sie begehrte auf. „Erstens stimmt das gar nicht, und zweitens kann ich das besser als Du!“ „Ich werde Dir zeigen, wie das geht“, entgegnete ich, „Du bist nicht subtil genug. Immer dasselbe Theater, mit und ohne Riemchen, Schnällchen, Häkchen, Absätzchen und dann die ganze Nummer noch mal in 37¾. Wenn Du vorhast, Verkäuferinnen in die Klapse zu bringen, musst Du punktuell vorgehen.“ Sie lächelte säuerlich. „Wenn Du eine einzige Verkäuferin verrückt machst, bezahle ich Dir ein Paar Schuhe.“ „Und ich muss Dich nie mehr ins Schuhgeschäft begleiten?“

Interessiert musterte ich die Auslage. Schwerer Samt, keine Preisschilder – rein. Kaum zehn Sekunden später schritt etwas in Violett auf mich zu. Sicher würde sie mich gleich fragen, ob ich überhaupt genug Geld besäße, um ihren Tempel zu entern. So weit ließ ich es nicht kommen. „Bitte einen schwarzen Budapester, französischer Schnitt, Cordovan, 8½.“ Machte Anne Zeichen hinter meinem Rücken? Sofort bekam ich ein Paar Schnürstiefeletten. Mein Einsatz. „Fangen wir mit dem Positiven an. Sie sind nicht farbenblind. Und jetzt den Budapester.“ Zwei Versuche später waren wir bei einem mäßig guten Markentreter, den ich der Ladenmaus um die Ohren hieb. „Jetzt schauen wir mal auf die Vorderkappe. Glatt wie ein Kinderarsch. Was sagt uns das? Da war der Fabrikant zu blöd, Löcher reinzupieken.“ Das nächste Paar, gelocht, fand noch weniger Gnade. „Das ist ein Oxford. Ein Derby-Schnitt, Madame, hat offene Schnürung und ist am Schaft nicht gerade geschnitten, sondern im Derby-Bow. Werden wir heute noch fertig oder soll ich nächstes Jahr wiederkommen?“ Sie begann zu beben, kam aber mit einem Semibrogue zurück. Ich beäugte ihn kritisch. „Den kann man auch zum Frack tragen?“ Sie zerstreute meine Bedenken. „Interessant. Der Geschäftsführer ist zu sprechen?“

„Semmerow mein Name“, dienerte der Patron. „Tut nichts zur Sache“, schnöselte ich, „Ihre Angestellte will mir doch einen Brogue zum Frack verkaufen.“ Er sah verständnislos mich an, sie, dann wieder mich. Als hätte ich mich beklagt, dass man hier keinen warmen Pinselreiniger mit Milch serviert bekäme. „Zum Frack empfehle ich einen Lackslipper, wenn Sie einmal schauen möchten…“ Ich fiel ihm ins Wort. „Sagen Sie das bitte erstens nicht mir und zweitens dem Personal. Möglichst während der Ausbildung.“ Langsam verlor ich die Geduld. Es war aber auch nicht leicht mit mir.

Sein Angebot war zwiegenähter Machart und mit Löchern fein verziert. Ich erkundigte mich nach dem Obermaterial. Sofort versicherte er mir, dies sei allerbestes Boxcalf, weich und geschmeidig, zugleich robust. Mit grimmiger Miene rieb ich dem Mann die Galoschen unter die Nase. „Damit Sie’s sich merken: Cordovan. Pferd! Kalb ist das Ding, das sich benimmt wie Ihre Sandalöse, Pferd ist das Tier, das ungefähr Ihren Verstand hat. Und jetzt will ich endlich…“ Verstört taumelte er ab, vermutlich, um das Lager zu durchsuchen, sobald sein Blutdruck es zuließe. Während das konvulsivische Schluchzen der Verkäuferin unter der Ladentheke langsam in apathisches Wimmern überging, wurden wir Zeuge, wie er das Hinterzimmer in Einzelteile zerlegte. Mit einem Paar kam er zurück. Budapester aus Pferdeleder, distinguiert schlank. Ich war’s zufrieden. Anne bezahlte, ohne mit der Wimper zu zucken. Der Preis, meinte ich, sei angemessen. Wenigstens für einen Schuh, der bei guter Pflege 30 Jahre hält. Zumal er als Klassiker sicher auch nie unmodisch würde.

Aus den Augenwinkeln sah ich noch, wie die Ladentür zugeworfen wurde und eine nervöse Hand das Schild Wegen Geschäftsaufgabe geschlossen in die Vitrine stellte. Tatsächlich habe ich Anne nie wieder in ein Schuhgeschäft begleitet. Sie mich allerdings auch nicht.