Gernulf Olzheimer kommentiert (DCXXXVIII): Die Trägheit der Dummen

28 10 2022
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Die poröse Stelle an der Höhlendecke war Rrt schon seit längerer Zeit ein Dorn im Auge gewesen. Was, wenn der beständig herabtropfende Niesel die ohnehin brüchige Struktur herauslöste und in die Tiefe stürzen ließe? Natürlich war der Platz an der Feuerstelle begehrt, auch hatte der Sippenälteste wenig Lust, sich von der mit Jagdszenen anmutig geschmückten Wand zu entfernen, die gleichzeitig bei gutem Wetter ein laues Lüftchen und Wärme im Winter bot. Er machte also Gebrauch von seiner Richtlinienkompetenz und entschied, dass nichts geschehen solle. Satt und schläfrig lag er auf einer Lage Bärenfell, als leises Knistern einsetzte. Wenig später bollerten ein paar Tonnen Gestein und Reste von Anhydrit auf den Alten, der sich schon in den ewigen Jagdgründen befand. Nicht mangelhafte Kenntnisse der Mineralogie hatten die Katastrophe befördert, sondern die bräsige Ignoranz eines wie immer nicht an der Umwelt interessierten Deppen, der letztlich für sein eigenes Schicksal und das der gesamten Sippe verantwortlich war. Die Trägheit der Dummen hatte wieder einmal gesiegt.

Es gibt viele Arten, auf die Herausforderungen der Zukunft zu reagieren. Manche beglücken die wehrlose Menschheit mit Hysterie, mit tumben Lügen, mit aggressiver Verleugnung, abhängig von Erkenntnisfähigkeit und Interessenlage. Ab und zu schlägt auch eins Profit daraus, entweder aus dem drohenden Unheil oder aber aus der Tobsucht der Menge und viele sind schlicht gelähmt, weil sie die Angst vor dem Unbekannten und seinen Folgen in Haft nehmen. Nichts aber ist so unverständlich wie die dusselige Ignoranz, die Phlegma und weißes Rauschen zwischen den Ohren erzeugen. Ja, es ist Pandemie, aber wir haben jedes Jahr Weihnachten in der Großfamilie gefeiert. Sicher, man merkt im Sommer die klimawandelbedingte Hitze, aber wie kommen wir denn sonst nach Mallorca? Der in Denken und Handeln verfaulte Honk aus der Mitte der Gesellschaft hält sein Abwägen zwischen den Chancen und Risiken bereits geschehener Havarien gar für vernunftorientiert und beweist messerscharf, dass ein Tempolimit auf deutschen Straßen ja gar nicht durchzusetzen wäre, denn sonst hätte man es längst beschlossen. Er hat die Ruhe weg, hält er sie doch für die einzig notwendige Bürgerpflicht.

Diese Bequemlichkeit, die sich allerlei Gründe zurechtschwiemelt, um aus dem Bezugssystem auszusteigen, betrifft dabei nicht nur den Einzelnen, sondern im Zweifel die ganze Menschheit, die mit der trägen Masse wie mit einem Gewicht um die Füße laufen muss, weil einige offensichtlich zu behämmert sind, um die Kausalketten zu kapieren. Nicht wenigen reicht ein einziges Motiv, das sie mit gewohntem Hirnplüsch entkräften oder gleich in die Richtung des Verschwörungsgelabers drücken, denn wer will sich schon nachsagen lassen, dass er seine eigenen Interessen verriete.

Dabei ist ἀκήδεια, die negative Verknotung von Begehren und Zorn, genau diese Selbstzerstörung, die eine ganzheitliche Lähmung erzeugt, und so hocken die dünn gestrickten Nachtjacken auch nicht einmal mehr wie das Kaninchen vor der Schlange, sie legen sich zur guten Ruhe und hoffen, dass der Weltuntergang schon nicht so schlimm wird. Ist die Dummheit ohnehin selten eine löbliche Eigenschaft und versteckt sich gern hinter der Absonderung von verbalem Bauschaum, die Gruppendynamik in der Krise verträgt intentionstransparente Bremser nicht, die gerade die Mutlosen noch davon überzeugen, dass ein Schiff, das mit ordentlich Schlagseite im Eismeer trudelt, erst ab einem Neigungswinkel von mindestens soundsoviel Grad verlassen werden dürfe, da alles andere die Konfrontation mit kalter Seeluft nach sich zöge. Es ist die Unelastizität, die auch dieses System aus Politik und Technokratie in einen Betonklotz verwandelt, auf dem sämtliche Kackbratzen bis zum Erbrechen diskutieren, ob auch ja alle Interessen von Staat und Wirtschaft in ausreichendem Maße berücksichtigt worden seien, bevor der Meteroit diesen zweifelhaften Planeten aus der Umlaufbahn befördert.

Möglicherweise ist der gesellschaftliche Gehalt an Schnarchschaben unter den Querkämmern schon ein verlässlicher Indikator, wie weit es noch sein kann bis zum Aufprall. Man könnte sie nutzen wie einen Kompass, der beharrlich nach Süden zeigt. Aber es ist komplexer, denn sie sitzen oft an den Schlüsselstellen von Macht und Verantwortung, wo sich die Gleichgültigkeit auf die Überlebenschancen der restlichen Menschheit direkt auswirken könnte, wenn man ihnen nicht im entscheidenden Moment das Messer an die Kehle setzt. Und nicht einmal dann wäre klar, ob wir uns aus der festgefressenen Situation befreien könnten, die uns die Knalltüten eingebockt haben, weil ihnen eine Flasche Bier, ein schnelles Auto, der Fernsehabend wichtiger waren, die Umgehungsstraße, der Grillabend mit jüngst infizierten Nachbarn, die Gasheizung, ihre billige Entschuldigung, die Gläubigkeit an die Errettung in letzter Sekunde, Zweifel an der Selbstwirksamkeit, Skifahren, Charity, das neue Smartphone, Bioobst und zehn Euro im Monat für arme Waisenkinder in Bangladesch. Es ist uns allen scheißegal. Wenn es kippt, haben wir ja immer noch die Opferrolle.





Gernulf Olzheimer kommentiert (DXLVII): Der Aluhut als Ersatzreligion

15 01 2021
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Irgendwann werden sie angefangen haben, sich die Welt zu erklären: warum jeden Tag die Sonne aufging, die Jahreszeiten wechselten und das Gras wuchs, wenn man Körner auf den Acker streute, unter dem die Ahnen lagen. Die ersten ethischen Fragen schienen auf. Wächst das Gras schneller, wenn wir die Verwandtschaft frühzeitig unter die Scholle schieben? Haben die Jagdtiere eine Seele, die uns für den Verzehr bestraft? Hat der Hominide in der Natur eine Sonderstellung, weil er sich für intelligenter hält als andere Wesen, die ohne seine Existenz ein wunderbares Leben hatten und es auch weiter gehabt hätten, würde er nicht immerzu seine dämlichen Griffel in alles reinstecken und es für Fortschritt halten? Irgendwann muss der Mensch die Zusammenhänge in mythologische Formen geschwiemelt, mit rituellen Handlungen verknüpft und in ein systematisches Konzept gepresst haben, das er fortan für wahr hielt, wenngleich sich diese Wahrheit nicht empirisch begründen ließ – abgesehen vom Wahrheitsbegriff, den jede Religion für sich beansprucht, die durch Götzen, Geister und Götter geformt die Opfergabe von Tierblut als unerlässlich für die nächste Ernte ansah oder den Genuss von Backwaren und Alkoholika als bindend betrachtete für ein feinstoffliches Weiterleben nach der Rückkehr des Körpers zur Biomasse. Irgendwo zeigt sich dann der Bruch, die Wissenschaft dringt jäh ein in die Zaubererzählungen, es gilt keine Geschichte vom Weihnachtsmann mehr und kein Fantasyelaborat von Männern, die übers Wasser laufen und in den Himmel reiten. Dann aber muss schnellstens Ersatz her.

Spätestens durch den Einbruch protestantischer Tugendethik, die mühsam als Markt verkleidet die Gesellschaft mit ihrem Selbsthass terrorisiert, ist der Glaube eine säkularisierte Veranstaltung, die nur noch aus Gründen der Opportunität stattfindet. Ostern und Zuckerfest sind ökonomische Marker im Einzelhandelsjahr, Platzanweiser für korrekten Konsum und ansonsten private Events, die unter Beobachtung des sozialen Nahbereichs ablaufen. Die ordnende Kraft des Religiösen, die das Glauben an sich bestimmt, ist fundamentalmaterialistischen Anschauungen gewichen, unter denen sich auch moralische Ansprüche kommod verstauen lassen. Ob die Risse im Gebälk der Aufklärung auch die Unsicherheit zeigen, mit der sich die realistische Geisteshaltung der Postmoderne herumschlägt? Wir sind uns dessen zumindest nicht bewusst, neigen zu Übersprungshandlungen und Übertreibungen.

Eine der psychologisch wichtigen Aufgaben von Religion ist die Bewältigung existenzieller Krisen; der Verlust eines Länderspiels, lebensbedrohliche Erkrankungen oder die Aussicht auf das eigene Ableben sind Grenzerfahrungen, mit denen wir nur ungern konfrontiert werden. Geht uns nun der stabilisierende Rahmen des Grundvertrauens in eine metaphysische Ordnung verlustig, was zusätzlich eine geistige Krise provoziert durch den Einbruch des nicht mehr Fassbaren – ein Paradox, das sich bei Verfügbarkeit strafender Gottheiten gar nicht erst zeigt und bei gleichzeitig barmherzigen in ein lustiges Logikwölkchen löst – bedürfen wir rasch eines tauglichen Substitutionsgutes. Hier kommt die Verschwörungsideologie in ihrer praktischen Form des leicht Begreifbaren ins Spiel, beispielsweise in Gestalt des Aluhutes, Querbommels oder einer beliebigen Flagge, die man beliebig hochhält.

Die faktische Kraft des Irrationalen erlaubt uns, alle möglichen Sperenzchen zu einem Synkretismus aus geistigem Bauschaum und sozialverträglichen Wahnvorstellungen zu vermengen, der gleichzeitig die Schuldfrage klärt, wenn wir für unsere eigene Beklopptheit nicht bestraft werden wollen, und die Irritation unserer elementaren Überzeugungen durch Externalisierung auf böse Mächte schieben lässt. Sinn stiftet das nicht, aber darauf kommt es vorrangig nicht an; es erlaubt dünn angerührten Kaspern, sich an der selbst zusammengekloppten Krücke einigermaßen durch den Morast der eigenen Ängste zu schleppen, ohne übermäßig rational zu werden, da dies Rechenkapazität zieht und die hedonistisch geprägten Gewohnheiten durch lästige Fragen stört. Hat sich die Schwurbelgurke erst einmal mit der Problematik beschäftigt, welche Konsequenzen sein normiertes Spießerdasein mit sich bringt, für ihn und für andere, besteht immer die Gefahr, dass die Fragen nicht mehr aufhören. Beten und Büßen wären eine nette Übung, sich zu exkulpieren, leider ist die himmlische Instanz gerade im Nirwana verdampft.

So unternehmen die Rotte der Stumpfstullen wütende Wallfahrten, latschen pöbelnden Priestern hinterher und spenden eine Menge Kleingeld für eine Erlösung, die man nicht sehen kann und an die man besser nur glaubt, nachdem man sie als absurd anerkannt hat. Wir sind verloren, wenn wir nicht begreifen, dass diese Ansammlungen fanatischer Flusenlutscher der Untergang der freien Welt ist, wenn wir sie nicht in ihre Löcher zurück stopfen. Die Erleuchtung kam noch nie aus dem Dreck, und die Auffassung allein, dies als legitimen Glauben zu tolerieren, macht nichts besser. Nicht einmal da, wo das Pathos des Unbedingten wirkt.





Gernulf Olzheimer kommentiert (DXXXVI): Die Angstverschiebung

16 10 2020
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

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Die Säbelzahnziege war nicht gut gelitten bei Ugas Sippe, hatte sie doch im Laufe eines einzigen Sommers drei vollgültige Jäger und ein Dutzend adoleszenter Gehilfen aus reiner Selbstverteidigung gerissen. Als Proteinlieferant taugte sie ohnedies kaum, geschmacklich war das Fleisch auch nicht der Rede wert, doch ihr Prestige war hoch: wer die Ziege erlegt, war hoch angesehen und musste sie nicht auch noch selbst verspeisen. So fasste sich der Älteste ein Herz und gab Order, künftig nur noch in ausreichender Schutzbekleidung diese Beute zu jagen, mit entsprechender Mannstärke und Waffen. Hatte sich die Zahl der schweren Unfälle, bei denen ein Ernährer buchstäblich auf der Strecke blieb, durch die Vorsichtsmaßnahmen messbar verringert, so war doch die Säbelzahnziege noch immer als der Hauptfeind das größte Risiko. Man hätte die Jagd auf sie einfach einstellen können; da die schwersten Jagdunfälle noch immer mit Beinschienen und Brustpanzer geschahen, wurden diese weggelassen.

Freilich wird man von frühen Gesellschaften nicht erwarten können, dass sie wissenschaftliche Erkenntnisse reflektieren und zum Maßstab eines vernünftigen Handelns erheben, erst recht nicht bei naturwissenschaftlichen. Kulturen, die Jahreszeiten oder Wetterphänomene von rituellen Handlungen einer privilegierten Priesterkaste abhängig machen, sind nicht per se wissenschaftsfeindlich, sie haben nur die Trennung von Wissen und Glauben noch nicht vollzogen. Beiden geht ein Erkenntnisprozess voran, der sich erst in der Wahl der überprüfenden Mittel unterscheidet. Wasser auf eine Brandstelle zu schütten sorgt für ein Verlöschen des Feuers; zwar wird es nicht durch das Wasser, sondern durch den entstehenden Dampf erstickt, der den Flammen den notwendigen Sauerstoff entzieht, aber das Ergebnis ist beliebig oft wiederholbar, lässt sich in Bezug auf die Stellgrößen verändern und überprüfen, was zur verlässlichen physikalischen Vorhersage führt. Das Experiment, durch einmaligen Verzicht auf jährlich wiederkehrende Opfergaben die Existenz von Vegetationsgeistern zu überprüfen, hätte in einer nicht hinreichend funktional ausdifferenzierten Gesellschaft fatale Folgen.

Einfach zu erklären wäre die Verschiebung der Gefahr, wirksamer ist die Verschiebung der Angst. Erst mit der aktivierenden Aversion, die erfolgreich die logischen Verbindungen zwischen Ursache und Wirkung kappt, lässt sich vernünftiges Verhalten effizient umgehen. Als die Pflicht zum Tragen des Anschnallgurtes im Auto millionenfachen Protest hervorrief, obwohl die Maßnahme signifikant zum Selbstschutz der Fahrzeuginsassen beiträgt, war es zunächst abstrakte Rechtsgefahr, die den rasenden Bürgern dräute. Wer andere zu Sicherheit drängt, so kotzte die meist aus Springers braunen Tümpeln gespeiste Gasfußlobby, beschneidet die Freiheit des Volkes. Allerlei wirr zusammengeschwiemelter Müll drängelte dumpf zwischen den Synapsen der Mehrheitsknalltüten, die befürchteten, schon ein Auffahrunfall bei Schrittgeschwindigkeit würde den Lenker nun hinter dem Steuer einklemmen, wo doch ein Kfz jeden Augenblick explodieren könnte. Zur Panik schließlich führten es alte Männer, die vermutlich dank ihrer eigenen Erfahrungen mit dem Büstenhalter wussten, dass der Gurt Tausende neue Fälle von Brustkrebs auslösen würde. All das wurde nie untersucht, da Autos, die im Wasser versinken, und Fahrerinnen, die gurtartige Tumore ausbilden, statistisch nie erfasst wurden, mangels Masse. Und doch, die Mär hält sich, wobei sie hin und wieder die Vorzeichen kulturell bedingten Aberglaubens etwas anpasst. Dass etwa Kinder unter normalem Mund-Nasen-Schutz, den sie beim Wintersport im Freien selbstverständlich ungefährdet tragen, aus Sauerstoffmangel zu unerwartetem Spontanableben neigen, hat eher Ähnlichkeit mit dem in Südkorea verbreiteten Aberglauben, ein Ventilator entziehe an bestimmten Stellen dem Raum die Luft und lasse eins im Schlaf in einem Vakuum versterben. Da dies Krankheitsbild offenbar nur mit Südkoreanern in Südkorea unter Anwendung südkoreanischer Elektrogeräte replizierbar war, müssen wir uns vor derartigen Gefahren nicht mehr schützen.

Lässt sich also eine Sorge nicht mehr rational begegnen, indem das Evidente zur Grundlage des Diskurses wird, projiziert der durchschnittliche Dummklumpen in ein apokalyptisches Szenario, da er damit mehr Gewicht hat. Wo auch immer sich das sogenannte Volk zusammenrottet, imaginäre Grundrechte zu verteidigen – verfassungskonform gestalteter Alkoholkonsum bis zur Leberzirrhose, gurtfreies Fahren über die Kaimauer – Bekloppte sehen selten über die eigene Person hinaus und sind schon gar nicht in der Lage, die Konsequenzen ihrer Kurzsichtigkeit vom Ende zu begreifen. Lieber lebt das geistige Prekariat in einer bleibenden Angst, die imaginär anschwillt und dabei die reale an den Rand der Wahrnehmung quetscht. Da ist nichts mehr zu holen, schon gar nicht beweisführend. Denn passen die Argumente nicht mehr zur Wirklichkeit, so wird die Wirklichkeit verändert; die Wirklichkeit, nicht die Theorie, denn das wäre ja Wissenschaft.





Gernulf Olzheimer kommentiert (DIV): Die Lebensangst

6 03 2020
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Wir wissen nicht, wie viele Generationen es gedauert hat, bis Ugas Vorfahren eine halbwegs auf Empirie fußende Risikoabschätzung entwickelt hatten. Monokausale Erklärungen – unreife Früchte vom Buntbeerenstrauch sorgen für Heiterkeit, die alsbald die Atmung beendet, eine Säbelzahnziege mit Nachwuchs ist kein geeignetes Jagdziel, wenn man die Jagd überleben will, und wer die Felsspalte mit Hilfe einer Liane überqueren will, sollte sich vor dem Manöver von der Stabilität ihres Wuchses sowie ihrer Befestigung überzeugen – gingen stets ein bisschen rascher ins allgemeine Wissen ein, je komplexer jedoch die Zusammenhänge wurden, die oft erst aus ihren Erscheinungsweisen erschlossen werden konnten, desto bedrohlicher wurde alles, was sich nicht ad hoc erschloss. Noch bis weit in die Neuzeit hinein waren dem Volk essentielle Kausalitäten in Medizin und Physiologie nicht oder nicht ausreichend bekannt; mitunter schwiemelte es sich aus Zuckerkügelchen und Märchenbüchern ein neues Konzept von Verleugnung zusammen, um das lästige Denken zu vermeiden. Insgesamt aber ist der durchschnittliche Depp nur überlebensfähig, wenn er eine irrationale Angst entwickeln kann, die ihm die ganze Existenz komplett versaut.

So irrational die diffusen Vorstellungen höherer Wesen sind, die den Menschen erschaffen, erhalten und irgendwann wieder von der Platte putzen, so vernunftwidrig diffus sind auch seine Auffassungen von Gefahr. Meist wird sie ihm vermittelt durch die Bilder, die Vorurteile auslösen: finstere Viertel sind Brutstätten der Kriminalität, niemand wird lebend aus ihnen herauskommen, da dort das Gesetz nichts gilt – dass niemand ohne Grund in Problembezirke reiste und sich als Katastrophentourist zu erkennen gäbe, ignoriert der Angstbürger geflissentlich. Dass die Wahrscheinlichkeit erheblich höher ist, an einer handelsüblichen Influenza zu versterben, statt bei einem islamistischen Attentat in Europa in die Luft gesprengt zu werden, irritiert ihn nicht.

Dabei wird grob fahrlässiges Verhalten jeder Art zuverlässig ausgeblendet. Im Vollrausch des autonomen Kontrollverlustes tritt der Bescheuerte neben der Lkw-Kolonne das Gaspedal durch und jodelt zielsicher in die Baustelle, die sich aus purer Gehässigkeit nach den angebrachten Hinweistafeln schnellmaterialisiert. Gern zeigt der Hominide seine intellektuelle Überlegenheit, die in mathematischer Grenzberechnung kulminiert, hier experimentell am Beispiel des Beschreitens von Gleisanlagen im Zwischenbereich heruntergelassener Halbschranken demonstriert, um zu beweisen, dass Darwin seine Theorie der Anpassung ans Habitat nicht auf rein körperliche Merkmale beschränkt wissen wollte. So unwirtlich kann keine Welt sein, dass der Bekloppte ihre Feindlichkeit nicht durch eigene Dummheit noch zu steigern wüsste. Sein Bausparerabitur lässt den Realitätsphobiker selektiv wahrnehmen, was er für gefährlich hält, und dies ist dank des Mythos von der technischen Beherrschbarkeit der Welt die Welt selbst, die sich überraschenderweise Millionen von Jahren ohne den Menschen hat über Wasser halten können. Selbstverständlich ist die Natur kein Kindergeburtstag, immerhin hat sie gefährliche, dämliche und vollkommen lebensfeindliche Bestien wie Homo sapiens sapiens hervorgebracht, der sich samt Habitat nicht nur mit Bordmitteln zu zerstören verstünde, sondern das zur Profitmaximierung auch planvoll unternimmt.

Die wirklichen Gefahren, das klimabedingte Absaufen oder Verbrennen ganzer Landstriche, die Verwüstung im Sturm, die Verseuchung durch aus dem Ruder gelaufene Ökosysteme, alles das aber scheint leicht und lässlich, da sich die gründlich verdübelten Nanodenker nicht mit globalen Größen beschäftigen, wenn in ihrer Vorstellung nur der Gartenzaun als letzte Grenze der Erfahrung bleibt. Auch die Angst muss überschaubar und damit gut konsumierbar sein, durch die tägliche Dosis an Unterhaltung und Drogen gut wegzuklappen ins kollektiv Unerwünschte, als würde das Aufsagen eines Gebetssprüchleins schon genügen, um unser Seelenheil mit dem notwendigen Aufprallschutz aufzupumpen. Gleichzeitig verlangt die Mehrheit der Flusenlutscher ein Rundum-Paket, damit die schrecklichen Wahrheiten nicht mehr so kicken.

Nichts verwundert da weniger als die Rückkehr des vorwissenschaftlichen Zeitalters, in dem der Sinn der Schutzimpfung ebenso angezweifelt wird wie die Existenz von Krankheitserregern als dem fiesen Endgegner der Erdscheibenjünger, die die Mondlandung für Science Fiction halten und die Aufteilung ihrer eigenen Spezies in Rassen für genetisch gesichert. Angst macht nicht zwangsläufig doof, sie verengt nur den Horizont wie kein anderes bewusstseinseinschränkendes Mittel. Nicht einmal eine inhaltlich zertifizierte Religion kann hier mithalten, denn die ist immerhin interpretationsfähig. Wir werden alle sterben, das steht schon einmal fest. Bis dahin werden wir es in dieser unbehaglichen Unsicherheit schon noch aushalten müssen. Auch wenn es länger dauern sollte als ursprünglich befürchtet.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CDLV): Die Rückkehr des Autoritären

15 03 2019
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Für Uga war die Sache einfach. Er befahl, der Rest folgte, weil er zu folgen hatte; das war das Gesetz, oder zumindest natürliches Recht, bevor es Gesetze gab. Das bedeutete das größte Stück Fleisch (für Uga), uneingeschränkte Zuneigung seitens der Frauen (für Uga) und das Recht auf eine bevorzugte Behandlung bei der Aufteilung von Beutegut (für Uga). Die anderen Mitglieder der Sippe dagegen profitierten davon, dass sie einen Führer nicht zeitraubender Einzelkritik unterziehen mussten, sondern seine Entscheidungen als gut und nützlich akzeptieren konnten. Hätte sein Schwager nicht bei der Verteilung der von ihm erbeuteten Säbelzahnziege dem Gebieter eins auf die Lichter gekloppt, die Sache wäre gut gelaufen (für Uga). So aber einigte sich die Höhlengemeinschaft auf die Etablierung der Herrschaft eines großen Egos, was auch Vorteile mit sich brachte. Sie konnten alle ein bisschen lockerer mit der Evolution umgehen, denn für dieses Gesellschaftsmodell braucht es bis heute nicht viel Rechenleistung zwischen den Ohren. Die turnusmäßige Rückkehrt des Autoritären profitiert jedes Mal wieder davon.

Denn sie fußt exakt darauf, dass ein sehr lautes Männchen die Population gut vorhersehbar in die Scheiße reitet. Für Jahrzehnte haben sich diverse Formen von Zivilisation und Demokratie gehalten, möglicherweise sind sie so weit Folklore geworden, dass ihr Wegbröseln selbst als ein Zeichen von Modernisierung gedeutet wird, jedenfalls als der Aufbruch und das große Abenteuer Zukunft, die sich nicht mehr in erstarrten Formen von sozialer Praxis ergehen will. Die Geschichtsallergiker haben den Frieden so weit verinnerlicht, dass sich die herrschende Kaste langsam etwas anderes ausdenken muss, um noch sinnvoll unterdrücken zu können, was sich an selbst organisierten Prozessen im Kollektiv abspielt. Zwei Dinge helfen ihnen beim Herrschen, die mangelnde Reflexionsfähigkeit der Masse und ihr Bedürfnis nach Schwäche.

Hat der Grad der Komplettverdeppung eines ganzen Volkes pathologische Formen angenommen und ist der Opportunismus in der bräsigen Bande zu Hochform gediehen, so haben die Kriegsverkäufer Konjunktur und können ihrem Gefolge jedes Gepopel als eherne Wahrheit vorkauen, es wird schon geschluckt. Gerne setzt das dem erkennbar offenporigen Intelligenzprekariat Botschaften von an den Zähnen schmerzender Beklopptheit vor, dümmliche Erklärversuche aus hastig in die Luft geschwiemeltem Dünnsinn, gerne in Gestalt von gruppenbezogenen Gewaltfantasien, was zugleich die Identität stärkt durch Ausgrenzung, die als brutale Selbstermächtigung begriffen wird, denn sie ergibt sich aus wirr geronnenen Denkmustern: wer etwas besitzt, wird auch immer Neider haben, und wer Neider identifiziert hat, muss sie möglichst präventiv unschädlich machen. So lassen sich je nach Interessenlage Völkerscharen gegeneinander aufhetzen, wenn es zur Mobilisierung der geistigen Nichtschwimmerschaft dient. Dass überhaupt eine Selbstermächtigung notwendig ist, muss zwar dem Brüllmüll durch explizite Machtlosigkeit erst beigebracht werden, doch ist sein Bedürfnis nach Schwäche die wichtigste und ideale Voraussetzung dafür, von einer Clique kreischender Suppenkasper vorgeführt zu werden.

Die Geschichte wiederholt sich nicht als Farce, sie sieht erst im Rückblick aus wie eine gründlich versaubeutelte Neuinszenierung beschissener Vorlagen von Sekundenschlaf am Abgrund. Immer und immer wieder tapert die sogenannte Nation in denselben Dreckhaufen, fühlt sich wohl in der stinkenden Wärme, die ihnen noch als Stallgeruch angepriesen wird, und feiert sich selbst für seine Heldentaten: sie sind irgendwo geboren, wo sie aus Zufall immer noch leben, weil die geologischen Verhältnisse ihnen noch nicht den Garaus gemacht haben. Im Laufe der Jahrtausende ist das keine nennenswerte Leistung, im Takt messbarer Historie nicht einmal ein Achtungserfolg. Aber wer schwach ist, lebt von dünner Kost; nicht in Dingenskirchen zu wohnen, das scheint manchen von ihnen schon als geradezu göttliches Privileg. Redet man ihnen jetzt noch ein, dass der charismatische Alte an der Spitze dieser verkoksten Rotte ihnen das verschafft hat, sie rennen dem unsortierten Wortdurchfall der Schnackbratzen blindlings nach. Gerne beugt das sein restliches Rückgrat, lauscht Drohung und Versprechen, denn der emotional flexible Anhang dieser Blödföhne weiß, man gehört lieber zu den Siegern, sonst wird man von der Geschichte und ihren Akteuren zum Verlierer gemacht.

Es wäre leicht, das Autoritäre, den Führerstaat, die absolute Monarchie der Darmleuchter und ihren Hass auf das Aufgeklärte als Kompensation von Ängsten zu deuten. Es lebt aus dem Paradox, die eigene Schwäche mit noch mehr Machtlosigkeit zu verrechnen, damit wenigstens einer Verantwortung tragen kann. Wohin er sie trägt, wo er sie reinwirft und was dabei rauskommt – das wollen wir nicht mehr wissen, denn das ist Zukunft und damit böse. Suhlen wir uns in der Vergangenheit, in ihr liegt, scheint’s, Heil. Auch wenn es meistens gerade andersherum kam. Und nicht als Farce.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CCCLII): Die taktische Verschwörungstheorie

11 11 2016
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Die Geschichte dessen, was wir für Zivilisation halten, ist eine Geschichte hanebüchenen Unsinns, den nicht wenige Zeitgenossen ohne nennenswerte kognitive Eigenleistung glauben. Wie sich dumpfe Ideologien aus Versatzstücken grobe Erklärungen für eine komplexe Welt zurechthämmern, ist weder neu noch originell, hat überwältigend niveauloses Gefolge und dient sich ebendiesen Knalltüten an, weil die Koordinatenbieger mit Bedacht verstrahltes Personal für eine trennscharfe Zielgruppe aus dem Mob mitschnacken. Was da als soziales Konstrukt, das der Existenz von Außerirdischen, Reptiloiden und Gespenstern seinen angeblich unterdrückten Wahrheitsgehalt verdankt, auf vielseitig ungebildete Quotenwürstchen prallt, hat durchaus das Zeug, gesellschaftliche Strukturen in Schutt und Asche zu legen, wenn es als taktisch eingesetzte Verschwörungstheorie funktioniert.

Jede Verschwörungstheorie ist Ausdruck einer Verunsicherung, die sich einen billigen Ausweg in der kompletten Realitätsverleugnung sucht – Flucht reicht hier nicht aus, denn die Wirklichkeit hat die unangenehme Eigenschaft, ihre Kritiker nicht zu entlassen. Da sie im Kern die Welt umzukrempeln verspricht, ist die Theorie kein singuläres Gebilde, sondern arbeitet sich krebsartig voran. Mit einem Luftschloss wird ein anderes erklärt, wie Lochfraß, der sich seinen Weg durch alle Hirnbereiche bahnt, so dass endlich alle Erkenntnis einem primitiven, aber widerspruchsfreien Mythos dient. Erscheint trotz allem Widerspruch, wurde er von ihnen geschürt. Sie sind die anonyme Macht, Illuminaten, Freimauer oder die geheime Weltregierung, die den Vorteil hat, völlig unangreifbar zu sein, ewig bestehend, unbegrenzt in ihrer diabolischen Macht und daher der optimale Endgegner, der sich bei allen Fehlschlägen der Verschwörungstheoretiker nicht verbraucht, nicht einmal, wenn der dutzendfach genau berechnete Weltuntergang mangels göttlicher Fügung bisher zuverlässig ausfiel.

Und diese maßgeschneiderte Teufelsgestalt ist wichtig: wer an sie glaubt, hat autoritäre Denk- und Verhaltensmuster eingeübt und derart verinnerlicht, dass er sie gegen jede rationale Erklärung verteidigt. Die autoritäre Persönlichkeit aber, die sich unterwirft, ist Schlüssel zur Funktionalisierung und Garant für den Erfolg des taktischen Gebrauchs. Hier beginnt, je nach Perspektive, die Verschwörungsmeta- oder Metaverschwörungstheorie.

Wie die Esoterik, der im Niedervoltbereich erleuchtete Stiefzwilling der Pseudowissenschaft, dient auch jede andere aggressive Verleugnung von Vernunft und Aufklärung als beliebter Test für die Hohlpflockrotte, die jedem populistischen Gewinsel Beifall patscht. Die autoritätsgläubige Person, deren flach strukturiertes Denken schon bei kleinstem Bodenverlust Höhenangst kriegt, lässt sich aus Gewohnheit glitschiges Zeug in die Birne kippen, ohne messbare Gegenwehr, wenn es einerseits die bisher vorhandene Mystik nicht durch Fakten stört, andererseits die Angstwut vor ihnen weiter schürt und sie als gemeinsames Feindbild im Amt bestätigt. Die als zuverlässig behämmert Erkannten, die die Mondlandung für einen Filmtrick halten und Elvis für lebendig, werden auch tapfer den Holocaust leugnen und die Umvolkung der Deutschen erwarten. Wer seinen ideologischen Sondermüll bei den Stumpfklumpen ins Hängeschiebregister pfropft, entsorgt also nicht den intellektuellen Faulschlamm, er ersetzt ihn nur durch Auswurf in anderer Geschmacksrichtung. Jeder, der Chemtrails für physikalisch möglich hält, rennt auch hinter Die Juden sind unser Unglück her, prügelt sich für den Dünnsinn und wirbt neues Vieh für den Schädelentkerner. Man braucht wenig Kreativität, Buhmänner und Popanze in Parteipropaganda hineinzuschwiemeln und sie auf die minderbemittelte Masse loszulassen, um jederzeit Wirrlichter im Wartezimmer zu finden.

Nicht einmal die Bumsköpfe um den Bettnässer aus Braunau haben es anders gemacht, als sie in den eigenen Reihen nach Horoskop, Homöopathie und ähnlichem Hokuspokus handelnde Hohlhupen aufspürten, um sie von den Hellsehern und Wünschelrutengängern zu nationalsozialistisch approbierter Pendelei und Rassenlehre zu bekehren – die Beklopptheit war grundsätzlich erwünscht, ihr Aggregatzustand wurde im Sinne der eigenen Macht beliebig uminterpretiert. Wenig anders sind die Geschäftspraktiken der Religionsmanufakturen, die wahllos zusammengehauenen Schmadder als Glaubenssysteme auf den Markt klatschen, um mit den durch ihnen erzeugten Frustrationserfahrungen neue Produkte aus dem breiten Sortiment für ausgeknipste Blitzbirnen nachzuliefern, bis in der Kasse die Spinnenweben verkleben. Vermutlich sind Chemtrails schuld, dass sich der Erfolg nicht einstellt, die mit dem Trinkwasser verabreichten Hormone, RFID-Chips, die bei jeder Impfung unter die Haut geschossen werden, der Fäkaliendschihad, der Papst, die Weltbank, die Dinosaurier, Pippi Langstrumpf, ein Eimer Streusand auf Lummerland. Und natürlich sie.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CXXXI): Die Angstgesellschaft

9 12 2011
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Da steht Sinanthropus pekinensis vor dem Abgrund und tut das, was er am besten kann. Er guckt doof in die Weltgeschichte, kapiert den Zusammenhang der Dinge nur rudimentär, aber er freut sich, dass es den Abgrund gibt. Und das Feuer. Und die Möglichkeit, auf der Jagd dem Mammut zu begegnen und den Kürzeren zu ziehen. Noch hat der Homo erectus keine Ahnung, was Hiroshima, Seveso und die flächendeckende Verbreitung des volkstümlichen Schlagers an Grauen auf diesem Planeten verbreiten sollten. Hätte er geahnt, dass sich künftige Generationen wegen einer Eurokrise ins Hemd machen, er hätte Bammel gehabt bis zum Erbrechen. Noch gab es keinen narrativen Horror, die Kultur hätte ihm auch nicht viel genützt, denn sie bliebe im luftleeren Raum. Aber es gab die Angst als natürlichen Reflex, und sie bleibt bis heute. Bis in unsere Angstgesellschaft.

Heute haben wir genug Ängste für alle, der Bekloppte pickt sich aus Vogelgrippe und EHEC, Terror und Klimawandel, gelber Gefahr und roten Socken sein passendes Nervenzerrüttungszubehör zusammen. Die Gefahren müssen nicht einmal real, die Bedrohungen nicht einmal so groß sein wie die Wahrscheinlichkeit, im Lotto zu gewinnen, die Furcht vor der Furcht kompensiert das, was an unserer Existenz zu schön ist. Was auch immer hinter einen durchschnittlichen Horizont passt, die nächste mordende Nazibande oder der lineare Preisanstieg von Diesel bis 2025, was der Beknackte nicht sieht, kann sich nicht seiner Vorstellung entziehen und wird dadurch nicht unwahrscheinlicher.

Es ist nicht der anheimelnde Grusel, der einen bei Ein Zombie hing am Glockenseil oder in der ersten Reihe beim Florian-Silbereisen-Konzert umweht, nicht jene aus Sensationslust gesuchte Übelkeit, die im Kettenkarussell oder beim FDP-Parteitag die Magenwände effektvoll angreift, es ist die Ahnung, dass sich der Schrecken in jedem Augenblick zur realen Bedrohung wandeln könnte. Plötzlich merken sie, dass Weichmacher in Plastikbembeln tatsächlich das Genom anknabbern, während nur noch ein Promill derer, die sich überhaupt noch an SARS erinnern, die Krankheit für mehr als einen verpatzten Gag der Pharmalobby halten. Wir werden alle sterben, das ist nicht mehr originell, aber offensichtlich eignet sich nur eine verdammt spitze Zielgruppe der Angstmacher für eine zünftige Panik, die mit geradezu religiöser Inbrunst und massenkompatibler Hysterie zur paranoiden Folklore taugt, und es ist nicht einmal immer die, die uns von Medien und Politik ins Hirn zu schwiemeln versucht wird. Mittelstreckenraketen und Radioaktivität waren ja von den Guten, haben aber für Jahrzehnte die Adrenalinreserven kritisch bewegter Bürger aufgesogen. Ist es vitalisierende Urfurcht, die dem Hominiden, dem ersten um seine Vergänglichkeit wissenden Ichling, innerhalb der Seinsgrenzen Wege zum erfüllten Leben aufzeigt? Ist es jene humane Kraft, die Schwenkgrill, Fußball und Flaschenbier erfand, Sofa und Schachspiel, Tanztheater und Podiumsdiskussionen über männliche Beziehungsarbeit in der zweiten Lebenshälfte? Nebbich.

Was wäre der Behämmerte, wenn er nicht auch der drohenden Katastrophe noch eine angenehme Seite abgewönne, die er sich gemütlich vermiesen kann, um sich darüber schwarz zu ärgern. Die Vorstellung, durch Dioxin im Frühstücksei über die Wupper geschnippt zu werden, macht ihn ja deshalb so rasend, weil er es durch etwas Synapsentätigkeit mindestens mittelfristig beseitigen könnte. Dass die treudeutsche Mülltrennerei als staatlich anerkannte Nationalpsychose durch Millionen verballerter Autobahnkilometer für überflüssige Transporte mehr Schaden anrichtet als der Umwelt nützt, wird keinen interessieren – Hauptsache, man kann eine Panikattacke steuerlich geltend machen, wenn die Nachbarin eine nicht löffelrein ausgekratzte Fischsalatpackung ins Altglas schlonzt. Die manische Wut, das Unvermeidliche nicht wenigstens durch Wille und Vorstellung zu verhindern gewusst zu haben, das macht uns fertig.

Mit Recht übrigens. Und wir wollen es auch gar nicht anders. Die Angstgesellschaft hat sich in ihrer Negativität häuslich eingerichtet, die Phobien auf Kante gelegt, nach Farbe geordnet und abgeheftet, und auf dieser Art ins Fundament eingelassen hockt der freischaffende Seppel in der Landschaft. Da schmilzt ein Gletscher! Egal, das bisschen Eis ist relativ piepe, wenn man den Grönländischen Eisschild damit vergleicht. Sie lauschen Propheten, die das Ende der Welt vollmundig verkünden, gerne auch mehreren, die sich mit dem Datum nicht einig werden konnten. Sie lassen BILD das Geheimnis lüften, dass nur die Sozen Armageddon erfunden haben können, stellen den Wecker für den großen Crash, gucken in die Röhre, nach Kometen und schließlich doof aus der Wäsche, weil am Stichtag alles weitergeht, ohne kosmischen Knall, ohne Ragnarök und Omegapunkt. Sie hatten so schön Angst und können nicht mal jemanden auf Schadenersatz verklagen. Was, für sie wenigstens, auch schon ein Weltuntergang ist. Fast.





Gernulf Olzheimer kommentiert (XXXII): Selbstverwirklichung

6 11 2009
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Zwei Dinge sind es, welche die Grenzen der Menschheit im Wesentlichen abstecken: einerseits die Endlichkeit des Möglichen, andererseits die Notwendigkeit, mit dem Gegebenen zu leben. Alle, ob Chefarzt, Bordellpianist oder aus Düsseldorf gebürtig, sind darin gleich, dass sie Bedürfnisse und Wertvorstellungen in Einklang zu bringen haben: erst kommt das Poppen, dann kommt die Moral. Allseits beschränkt wurstelt sich der Primatenkönig durchs Dasein, und als wäre Gleichheit innerhalb der Demarkationslinie nicht schon übel genug, verfällt der Nappel auf den hirnrissigen Gedanken, sich in der Spanne zwischen Presswehen und Madenbrunch eine Art Individualität zu basteln. Dazu bedarf es einiger geistiger Basics; wie es der Zufall will, strebt gerade die Vollbrezel unter den Inkarnationsmustern dies Ziel an.

Der Behämmerte gerät alsbald zwischen die Fronten, wenn sich sein übersteigerter Egoismus und eine Selbstüberschätzung von psychiatrisch interessantem Ausmaß brüderlich die Hand reichen. Meistens geht die Sache gut aus; zahlreiche Honks verlassen den Genpool mit Hilfe trendgerechter Sportgeräte, klatschen an senkrechte Felswände oder auf horizontal angebrachten Waschbeton und treten ab, bevor sie ihrer Umwelt über Gebühr auf die Plomben gehen konnten. Bisweilen jedoch, vor allem dann, wenn der Trottel sich Talent zumisst, wird die Sache unangenehm. Der Bekloppte wähnt sich schon in höheren Sphären, glaubt sich mit Charisma ausgestattet und belästigt ganze Scharen argloser Artgenossen mit eigenwilliger Auslegung dessen, was ausschließlich er selbst für Gesang, Tanz oder ästhetisch vertretbaren Körperwuchs hält. Davon leben ganze Fernsehsender.

Wäre dies noch zu ertragen, da man den intellektuellen Zahnbelag auf Mattscheiben und Zeitschriftentiteln schmerzfrei ausblenden kann, der entfesselte Egoismus zeigt noch weit widerlichere Formen, wenn er sich mit gefährlicherem Wahn paart: mit der absurden Vorstellung, die Historie dieses beschissenen Planeten sei auf das Auftreten dieses einen Nudelbiegers zurechtgeschwiemelt. Der Beknackte entdeckt eines Tages in sich die fixe Idee, im höheren Auftrage zu handeln, und beschließt folgerichtig, Politiker zu werden.

In jener Larve torkelt der Grützkopf quer durch die Gesellschaft, salbadert krude Thesen zur Weltrettung oder sondert gefährlichen Schwachsinn ab, nur um sein Gesichtsübungsfeld irgendwann auf Wahlplakaten mit Schuhbürstenbärtchen verziert zu entdecken. Mag er für die Machtübernahme oder die Ausrottung der internationalen Arbeiterschaft angetreten sein, immer verwechselt er seine rücksichtslose Ichliebe mit der Mission, die die Stimmen in seinen Hohlschädel schwafeln – eine unangenehme Erkrankung, die ihm doch jederzeit erlaubt, Ziele und Mittel auszutauschen, um sich bei den Mitdeppen kuschelig anzuwanzen.

Die reinste Form sinnbefreiten Handelns jedoch fördert das Gute, wenn es in falsche Hände gerät; aus der Existenzenge eines Hauptschulpädagogen oder anderswie lebensqualitativ Herausgeforderten führt ihn das Wirken im höheren Auftrage des ethisch Notwendigen. Exemplare von zarterer Raumkrümmung unter der Kalotte bevorzugen Bürgerinitiativen zur Rettung des Trauersteinschmätzers gegen den Individualverkehr. Wer’s robuster braucht, lebt als Gegenpol zur Sinnlosigkeit des Menschseins Mülltrennung als Religionsersatz aus. Hauptsache, man kann den Schmadder als Rationalisierung benutzen, und wenn es schief geht, gibt es immer noch die örtliche Selbsthilfegruppe für Betroffenheitsartikulation.

Manchmal bedarf es nicht einmal wirklicher Herausforderungen, um die Seele zu finden. Um nicht gleich Heim und Kinder zu verlassen, greift vorwiegend die Querköpfin auf das inzwischen industriell vorgefertigte Sortiment an Sedierungen zurück, welche die Talentsuche als Weg zum Ziel feilbieten: meditatives Makramee, therapeutisches Tantratöpfern und ganzheitliches Gabelhäkeln als angstfreie Alternativen zur Hirnbenutzung, gerne verbunden mit dem solidarischen Verscherbeln repressionsfrei geklöppelter Freundschaftsbänder auf dem Gutmenschenbasar im Frauenzentrum, damit ein paar afrikanische Militärdiktatoren mit dem Ausbau der Konzentrationslager schneller vorankommen und sich vom Rest der Kohle die Enddarmöffnung pudern können, statt sie für Schulen und Infrastruktur zu verbraten. Der Rest endet als Tussen vor dem Zerrspiegel, aufgerieben zwischen netzhautschädigendem Styling und dem dazu erforderlichen Powerkonsum an Kosmetik und Klamotten. Allein hier ist der Grad des Möglichen beliebig viel größer bemessen, als es die selbsteste Verwirklichung je erfordern könnte, und so sieht es auch aus: feudal getünchtes Elend, ein Brechmittel für die Betrachter des Bescheuerten.

Alles das, vom Modeopfer über den Moralisten bis hinab zur Ministerette, ließe sich bereits mit halbwegs von Vernunft getragener Berufswahl plus einem sinnvollen Hobby erledigen, wozu der Trottel tief in sein Inneres lauschen müsste. Doch wo nichts ist, was sollte da je werden?