„Wir sind die Guten, vergessen Sie das nicht. Ich muss wohl nicht betonen, wie sehr ich es bedauere, Sie hier wieder in irgendein Land zu schicken, das unter Umständen gar nicht Ihr Herkunftsland ist, in dem Sie nicht Staatsbürger sind, niemanden kennen und nicht einmal die Sprache verstehen. Aber ich mache auch nicht die Regeln, deshalb habe ich kein Problem damit, es trotzdem zu tun.
Schauen Sie, ich finde die Situation auch nicht befriedigend. Diese Asylzentren sind Unfug, was man schon daran merkt, dass es eine deutsche Idee war. Wenn Sie nicht alle Unterlagen bei sich haben, weil Ihr Heimatland beispielsweise gar keine Pässe ausstellt, ordne ich eine Rückführung an. Wenn Sie alle Unterlagen bei sich haben, kommt mir das sehr verdächtig vor, weil Sie sich offenbar zu gründlich auf Ihre Flucht vorbereiten konnten. Dann muss ich nach einem Grund für die Rückführung suchen, die möglicherweise nicht legal ist, aber wenn sie erst einmal erfolgt ist, steht hier in einer Akte ihr Name, was dafür sorgt, dass Sie Klage vor einem Gericht erheben könnten, wozu Sie aber erst einmal nicht kommen werden. Die Hauptsache für mich ist, dass es eine Akte gibt, die in diesem Asylzentrum liegt, von niemandem je wieder benutzt wird, aber es gibt eine Akte. Damit hat sich Deutschland durchgesetzt und für Rechtssicherheit gesorgt.
Doch, wir sind wirklich die Guten. Sie haben so gut wie keine Chance, bei einem positiven Bescheid in die EU einzuwandern, weil sich manche Staaten weigern, Sie aufzunehmen – das können sich die anderen nicht bieten lassen, deshalb nehmen die Sie auch nicht auf. Sollten Sie einen Anspruch auf Asyl haben, dann dürfen Sie sich damit moralisch im Recht fühlen. Wir sind da ganz bei Ihnen, moralisch natürlich nur. So, wie wir uns moralisch für die gute Sache einsetzen und ansonsten kein Problem damit haben, das Gegenteil zu tun, wenn es politisch gute Gründe dafür gibt.
Natürlich ist Asyl ein Menschenrecht, Sie haben gut aufgepasst. Oder falls Ihnen das ein Schleuser erzählt haben sollte, ohne Ihnen zu erklären, dass das eher theoretisch gemeint ist. Menschenrechte sind für alle gedacht, die wir als Menschen sehen, und das hängt von sehr vielen einzelnen Faktoren ab. Deshalb haben wir sie in unseren Verfassungen verankert, die jeweils nur in einem einzigen Staat gültig sind. Für Sie zum Beispiel hat das deutsche Grundgesetz hier gerade keine Bedeutung, weil es keine Verfassung der Europäischen Union gibt. Sie dürfen gerne einen educated guess anstellen, woran das wohl liegen könnte.
Etwa vier Fünftel meiner Landsleute sind der Ansicht, dass man Personen wie Sie an der Grenze registrieren, erfassen und identifizieren sollte. Gut, in der Umfrage haben wir nichts von Lagern gesagt, aber das hat seine Gründe. Von Lagern erfahren wir Deutschen immer gerne erst hinterher. Dass es sie bereits gibt, ist kein Geheimnis, und dass sie nicht funktionieren, ist leider auch keins, dabei mögen wir es gerne effizient. Das bleibt jetzt leider an den Sachbearbeitern vor Ort hängen, also an mir. Und ich muss Ihnen ja nicht sagen, dass alle im Rahmen der Gesetze arbeiten, die so gestaltet wurden, dass sie entweder das Problem nicht lösen oder aber gar nicht für einen zielführenden Prozess geeignet sind.
Es ist ein systemtheoretisches Problem, wenn Sie wissen, was ich meine. Wenn Sie die meisten in sich geschlossenen Ordnungen betrachten, die so vor sich hinexistieren, dann könnte man meinen, sie hätten einen vernünftigen Grund dazu. Aber wenn man genau hinschaut, versteht man, dass dem nicht so ist. Schulen sind dazu da, Schüler zu erziehen, Krankenhäuser produzieren Kranke. Am schnellsten sehen Sie es, wenn Sie sich die Bundesagentur für Arbeit ansehen. Die verwalten etwas, was es gar nicht gibt, wenigstens kümmern sie sich nicht um Arbeitslose, weil sie sonst irgendwann selbst keinen Job mehr hätten. Und jetzt kommen wir ins Spiel: ich befolge Gesetze, die nichts mit der Realität zu tun haben, denn man kann die Realität auch an den Gesetzen vorbei so verändern, dass es vollkommen gleichgültig ist, ob man sich an die Gesetze hält.
Wenn es wirklich eine Asylindustrie gibt, dann sind das wir, indem wir dafür sorgen, dass es immer genug Asylbewerber gibt. Es tut mir leid, aber man kann es nicht einfacher sagen. Es geht der Politik ohnehin nicht darum, die Fluchtgründe zu beheben, und es geht erst recht nicht um eine juristische Erleichterung des Asylverfahrens. Es geht darum, dass es immer möglichst viele Asylsuchende an den Außengrenzen der Europäischen Union gibt, damit die Politik ganz entsetzt schreien kann: da sind viel zu viele Asylsuchende an den Außengrenzen der Europäischen Union. Welche Schlüsse man daraus zieht, das hängt von den einzelnen Staaten ab. Wir Deutschen sind immer etwas vorsichtiger, von den bekennenden Nationalsozialisten einmal abgesehen, aber in anderen Staaten würde man die traditionelle Methode bevorzugen, Asylsuchende wie Sie in die Wüste begleiten und mit einem Kopfschuss aus dem weg räumen. Leider gibt es hier am Mittelmeer so wenig Wüste, deshalb hat sich die Politik für die bürokratische Methode entschieden.
Vielleicht probieren Sie es ja mal mit Migration als gesuchte Fachkraft, wobei ich jetzt nicht genau weiß, wann es dafür eine Rechtsgrundlage geben wird. Wenn Sie Pech haben, dann wir man es Ihnen nicht positiv anrechnen, dass Sie trotz qualifizierter Ausbildung einfach zuwandern wollten, weil man Ihre Familie wegen des falschen Namens foltert und abschlachtet. Ich suche Ihnen demnächst mal die Formulare raus. Vergessen Sie nicht: wir sind die Guten.“
Satzspiegel