Der böse Hirte

25 02 2010

„Weil nämlich die Chinesen auch so gelbe Haut haben, nicht wahr, und das weiß doch auch ein jedes Kind, gell? Dann danke ich recht schön für Ihr Interesse, gnädige Frau – setzen Sie sich da hinten hin, aber stoßen Sie mir die Aktenordner da nicht um, hören Sie? Wir machen diesen Schmarren hier nicht zum Spaß, damit Sie’s wissen, wir denken uns etwas dabei, und das kommt dann letztlich über die staatsbürgerliche… also wenn Sie das vom Staat her aus betrachten tun wollen, dann haben Sie da auch eine Betrachtungsweise, nicht wahr. Und jetzt lassen Sie mich gefälligst in Ruhe, ja, ich habe hier genug zu tun!

Katholische Beratungsstelle für unchristliches und anderweitig widernatürliches Gedankengut, Ketzinger am Apparat, womit kann ich Sie auf den Pfad der Tugend – um Gottes Willen! Haben Sie schon einmal daran gedacht, dass Sie Ihren Buben in ärztliche Behandlung geben? Verstehen Sie mich nicht falsch, Frau Kreuzpointner, so war doch der Name, manche Menschen im Ausland, also da, wo man nicht primär der katholischen, also überhaupt keiner vernünftigen Glaubensform nicht anhängt, da finden sie, dass das als eine Übergangsphase im Leben mit Schmerzen, mit Zähneknirschen, ja mit einer gewissen Toleranz für diese Verirrung – Sie wissen, was das ist? Toleranz? wenn nicht, sagen’s das nur frei heraus, die komplizierteren Begriffe erkläre ich gerne noch mal gründlich, damit hier auch ja kein Missverständnis entsteht – also dass das geduldet werden muss. Man muss das dann gemeinsam durchstehen. In der Familie, mit leichtem Druck von Seiten der Arbeitsstelle, etwas größerer Belastung vielleicht durch Ihren Herrn Pfarrer, das ist jetzt… also Psychoterror würde ich es jetzt nun nicht direkt nennen, aber Sie wissen ja, weil der Gottlose Übermut treibt, muss der Elende leiden, Psalm 10, Vers 2, da sind wir schon vor, das soll’s bei uns gar nicht erst geben. Also sagen’s nur Bescheid, wenn Ihr Bub wieder auf den Gedanken kommen sollte, etwas anderes als die CSU zu wählen, wir sind dann natürlich für Sie da, Frau Kreuzpointner – Heberbachstraße 23, ist recht? Ja, sehen Sie mal, was wir alles wissen. Wiederhören!

Erlauben Sie mal, ich muss mir doch von Ihnen nicht in mein Weltbild hineinreden lassen! Das ist ja wohl die Höhe! Was wollen Sie eigentlich, einen gottlosen Sozialismus? Das hätte man sich ja denken können – alle, die mich hassen, raunen miteinander wider mich und denken Böses über mich. Psalm 41, Vers 8. Wenn’s Ihnen etwas…

Katholische Beratungsstelle für unchristliches und anderweitig widernatürliches Gedankengut, Ketzinger am Apparat, womit kann ich… diese vielen Verirrungen, dass man die kleinen Knaben – nein, das sehen Sie falsch, das geht ja anatomisch nicht, man muss die schon in den… also ja, das ist, ääh, das ist die so genannte sexuelle Revolution, in deren Verlauf von progressiven Moralkritikern…

Natürlich, das ist vollkommen unbedenklich. Wir haben unser Weltbild rechtzeitig strafrechtlich schützen lassen. Wir dürfen das.

Katholische Beratungsstelle für unchristliches und anderweitig widernatürliches Gedankengut, Ketzinger – nein, hängen Sie freitags bloß keine Wäsche im Freien auf, das könnte die Heiligen erzürnen, und dann haben Sie einen Typhus in der Verwandtschaft. Oder Schweinegrippe. Da müsste ich erst im Erzbischöflichen Ordinariat nachfragen, was gerade gilt. Nichts zu danken.

Ach, und das wollen Sie jetzt auch anprangern? wenn wir uns nicht mehr gefallen lassen, dass solche Schweinereien der Jugend vorgeführt werden? Shakespeare und Goethe und Heine und wie diese ganzen Teufelsanbeter heißen, Sie, das ist mir egal, der Shakespeare soll ja noch nicht einmal einen Nobelpreis gewonnen haben! Wenn Sie immer alles wissen wollen, anstatt mal daran zu glauben, was wir Ihnen hier sagen, dann muss es Sie doch auch nicht wundern, wenn Sie irgendwann überheblich werden und ein Fanatiker!

Katholische Beratungsstelle für unchristliches und anderweitig widernatürliches… Bitte bewahren Sie jetzt Ruhe, es muss noch nicht zu spät sein. Eine schwarze Katze ist natürlich prinzipiell vom Teufel besessen, Sie können den Schadzauber aber bannen, indem Sie das Tier in einen Haushalt verbringen, in dem entweder Protestanten oder ähnlich gottloses Volk haust, oder Sie suchen jemanden, der jemanden in der Familie hat oder wenigstens in der Nähe wohnt von jemandem, der einen kennt, der vielleicht sozialdemokratisch gewählt haben könnte. Das ist genauso schlimm. Und dann natürlich Finger waschen. Falls Sie den Sozialdemokraten angefasst haben.

Was wollen Sie denn eigentlich? Können Sie mir das vielleicht mal sagen? Gott hat die Menschen nicht als Heilige geschaffen, sondern mit einem freien Willen. Jeder Mensch kann sich deshalb zwischen Gut und Böse entscheiden und hat persönlich für die Konsequenzen seines Handelns gerade zu stehen. Sie spielen natürlich nur auf die eine Sache an – die Täter versündigen sich an der Psyche ihrer Opfer und sie versündigen sich auch gegen die Kirche. Und wie Sie wissen, sind wir ja dafür bekannt, dass wir Sünden stets schnell und unbürokratisch vergeben. Katholische Beratungsstelle für unchristliches und anderweitig widernatürliches Gedankengut, Ketzinger am Apparat, womit kann ich Sie auf den Pfad der Tugend zurückbringen?“





Augsburger Puppenkiste

14 04 2009

Der Prälat fand einfach seinen Taschenkalender nicht wieder. Hatte er die Tabletten denn nun schon geschluckt? Sicher ist sicher, dachte er sich, und warf gleich noch zwei hinterher, spülte sie auch verbotenerweise mit einem großen Schluck Kirsch hinunter. Und damit begann das Desaster.

Während noch der letzte Weihrauch durch das Kirchenschiff qualmte, tastete sich der Bischof ans Pult. Zudem hatte er die falsche Brille eingesteckt und stand nun in vollem Ornat vor einer misslichen Lage. Man erwartete gespannt seine Osterpredigt, doch seine Erinnerung war wie ausgelöscht – alle Erinnerungen, die er hatte. Er improvisierte und verlor ein paar Mal den Faden, hörte sich selbst beim Reden zu und schickte wohl auch manches Mal ein Stoßgebet gen Himmel, dass niemand es bemerken würde. Nach und nach wurde er warm und redete sich in Rage. Nur konnte er sich nach der Predigt an nichts mehr erinnern. Er wusste beim besten Willen nicht, was er gesagt hatte.

Dem Gesicht eines Vikars nach muss es eine Menge krauses Zeug gewesen sein. Der Gottesmann reichte ihm seine Brille und fragte ängstlich, ob er das alles auch tatsächlich so gemeint habe. Das mit dem Atheismus und mit den Massenmorden. Und dass die Nazis so gottlos gewesen seien. Das könne man doch gar nicht so sagen. Doch dem Bischof war ein wenig übel und er wollte schnell nach Hause.

Natürlich regte sich sofort heftiger Widerstand gegen die politisch brisanten Thesen. Richard Williamson verwahrte sich in aller Schärfe gegen die Behauptung, es habe während der Zeit des Nationalsozialismus nennenswerte Massenmorde gegeben. Und es sollte nicht die einzige deutliche Kritik an der Kanzelrede gewesen sein.

Vor den Abendnachrichten kommentierte der Radiosprecher bereits heftig die Einlassungen des Hirten, die Moscheen in den christlichen Ländern abzuschaffen und Muslimen im Analogieschluss die Daseinsberechtigung abzusprechen. Pater Aloysius hörte nur mit einem Ohr zu. Am anderen hielt er das Telefon und lauschte den Instruktionen des Kardinals, der dem Bischof striktes Stillschweigen befahl. Weitere Ausführungen zum Thema Kirche und Nationalsozialismus seien vor Pfingsten nicht mehr gestattet. Und kaum hatte die Eminenz das Gespräch abrupt beendet, da meldete sich der Päpstliche Rat für den Interreligiösen Dialog. Ratzinger höchstselbst war erzürnt gewesen und drohte dem Augsburger, ihn fortan nicht mehr in seinem Nachtgebet zu berücksichtigen, wenn er sich weiterhin erdreistete, die Israel-Reise des Pontifex zu torpedieren – noch dazu an Ostern.

Unterdessen war der Bischof damit beschäftigt, seinen Kalender zu finden. Wo hatte er ihn bloß so gut verstecken können, dass er ihn den ganzen Tag nicht mehr wieder fand?

In den Spätnachrichten wurde es haarig. Der Bundesvorstand der NPD ritt scharfe Attacken gegen den Kleriker. Von Wortbruch war die Rede und von Geschichtsklitterung, von undeutscher Feindpropaganda gar. Die braune Massenpartei pochte unerbittlich auf dem Festhalten am Reichskonkordat, dem einzigen immer noch gültigen Pakt, den der Führer unterzeichnet hatte. Streng verwahrten sich die Rechtsschwenker gegen Verunglimpfung von SS-Männern und der NSDAP überhaupt als gottloses Gesindel, schließlich war das Bekenntnis zum Atheismus in diesen Verbänden im Nationalsozialismus nicht erwünscht gewesen. Schließlich wies der Bundesvorsitzende persönlich auf die unverbrüchliche Treue des NS-Regimes zur katholischen Ideologie hin. Man habe die besten Ideen fix und fertig übernommen – der verhinderte Seminarist Dr. Joseph Goebbels hätte ein so praxiserprobtes System wie den katholischen Antisemitismus gar nicht selbst erfinden können.

Das Innenministerium fragte leise an, ob der Bischof denn tatsächlich alle, die nicht römisch-katholisch waren, als Atheisten bezeichnet hätte. Das Ordinariat wimmelte den angekündigten Hausbesuch schnell ab und verwies darauf, dies sei durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Der Ministeriumsmitarbeiter gab sich damit zufrieden; dennoch ärgerte er sich, dass er dem anonymen Hinweis auf verfassungsfeindliche Machenschaften nachgegangen und sich den Feiertag versaut hatte.

Als Ehrengabe schickte der Verband ehemaliger Wehrmachtsangehöriger ein original erhaltenes Koppelschloss. Man hatte es gut aufgearbeitet, das Hakenkreuz poliert und den Schriftzug Gott mit uns noch einmal nachgezogen. Dies auch als Dank, dass der Gröfaz bis zum Schluss Mitglied der katholischen Kirche und bis zum heutigen Tage nicht exkommuniziert worden war – verständlich, denn Hitler hatte nie den Holocaust geleugnet.

Spät am Abend fand der Bischof dann den Taschenkalender – er hatte ihn, wie er es eigentlich immer zu tun pflegte, in die Schreibtischschublade gelegt. Seine Brille jedoch war schon wieder weg, und so blätterte er mit der Nase im Buch die Seiten hin und her und konnte kaum etwas entziffern. Hatte er da nun ein Häkchen gesetzt? Am Tag zuvor entdeckte er auch keines. Er seufzte, griff nach dem Tablettenröhrchen und zählte eine, zwei, drei blassblaue Pillen in die Hand.