Gernulf Olzheimer kommentiert (XCV): Menschen im Einrichtungshaus

4 03 2011
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Sie sind alle, wie Mutter Natur sie gedacht hat. Der Borkenkäfer käfert hinter der Borke, der Wurm wurmt durch die kühle Erde, der Maulwurf häuft, wie sein Name andeutet, an der Oberfläche auf, was sein Hausbau abwirft, und keiner der drei wäre nur im Geringsten interessiert, ließe einer dieser merkwürdigen Zweibeiner seinen Starfighter aufs Feld schmaddern. Die intelligenten Arten leben im Einklang mit der Umwelt, nur die degenerierten Ausläufer der Hominiden klotzen mit Hilfe von Bausparverträgen und schlechtem Geschmack Hütten in die wehrlose Landschaft, Steinquader mit verglasten Löchern und trittfester Schlinge, die es zu füllen gilt, gründlich, hässlich und wie zum Beweis, dass das menschliche Dasein nicht zum Spaß geführt werden will. Sie quälen sich in die Zentren des zwanglosen Terrors, wo Frohsinn ein Fremdwort ist: Menschen im Einrichtungshaus.

Draußen auf dem Land, weitab der Zivilisation, buhlen betongraue Bunker mit Wellblechfassade und schriller Beschilderung um harmlose, aber selten zurechnungsfähige Schnitzelbieger, die sich von Werbeprospekten einlullen lassen, im Trend mitzupaddeln – sie ziehen alleine, meistens jedoch zu zweit in notdürftige Regenschutzlöcher, deren Wände mit geschmacksfreier Kunstdruckrepetition bekleistert jedem ästhetischen Feingefühl spottet, und wählen als Anlass für ihr vorläufiges Scheitern in der Lebensführung quadratmeterweise billiges Pressholz in Schockfarben, je nach Preiskategorie in Buche geflammt oder Krüppelkiefer abwaschbar. Fuderweise versägte Astlochrahmen, ab Werk verbogenes Gestänge aus drittklassigem Aluminium und sich selbsttätig ablösende Kunststoffschichten auf trittfestem Pressglas mit Anti-Flusen-Noppung komplettieren furios das Potpourri der Schmerzen, die den Bekloppten beim Betreten des Möbelbasars überfallen, als sei der Regionalverband der Roten Khmer zum Quartalsschlachtfest vorbeigekommen. Sich dagegen zu wehren ist ungefähr so sinnvoll wie der Versuch, in einer Autowaschstraße eine Kathedrale aus Paniermehl zu errichten.

Denn meist ist es das Beknacktenweibchen, das in einem Anfall von Nestbauparanoia das tragende Männchen ins Mobiliarmagazin schleppt. Seltsam gutturales Gegurgel ertönt bald nach dem Betreten, die Verhaltensgestörten lassen sich umgehend infizieren und lallen alsbald Knjalld oder Snørslbjårl nach, als hätte man sie schon vorab für derlei verschwiemelte Würgelaute konditioniert. Merkwürdig ist ihr Verhältnis zum Raum-Zeit-Kontinuum: während sie ihr Dasein in einer 30-Quadratmeter-Butze mit Dachschrägen fristen, die allenfalls den Erwerb eines einzelnen Klapphockers aushielte, marmeln sich die Synapsen beim Anblick einer Massivholzschrankwand in Schmalzbeige mit Hintergrundbeleuchtung und Messingbeschlägen ein Fußballfeld an Leerfläche zurecht – wahrscheinlich wäre es einfacher, die Wohnung in den Schrank zu stopfen als umgekehrt. Eitel Größenwahn packt den Beschränkten, wenn er Küchenutensilien und Badewannenbedarf, Hänge-, Schub- und Rollbehälter sieht, denn die Knallköpfe verlieren Maß und Mitte, so sie billig geschundertes Plastezeug in die Finger bekommen. Während in Kulturnationen von Rang brechgrün beschichtetes Blech für außenpolitische Konflikte mit dem produzierenden Staat sorgt, kaufen Mitteleuropide unbesehen den Garant für Netzhautablösung und posttraumatische Hörschäden. Und als sei das alles nicht genug, dräut der Möbelmacker mit der Massenvernichtungswaffe par excellence: Kruscht.

Nippes, Firlefanz, Killefit – zwei Personen sind mit unterschiedlicher Motivation beschäftigt, ihren Lebensabschnitt im Möbelhaus möglichst effektiv über die Bühne zu bringen, doch während es dem einen um das nackte Überleben geht, ist der andere auf Raubzug. Ohne Waschlappen im Doppelpack mit Entendruck, Teelichthalter in Zimt, Bordeaux oder Hellschwarz, Wandtattoo und Klemmlampen, ohne den Kissenbezug Snättibjur aus handgeflusten Kernbrennstäben verlässt das Paar nicht den Kleinteilbereich. Für den seltenen Fall, dass sich der vernünftige Hominide durchzusetzen droht, werden mit Harpunen ausgestattete Feldjäger ihn zur Strecke bringen und die Begleiterin mit der Naturkautschukbadematte Pladderfljär knebeln. Verlöbnisse, ja langjährige Ehen kriegt ein Sortiment aus funkelnden Glaskieseln (25 Stück, farbig sortiert, im transparenten Beutel) spielend kaputt, leichter, als das mutatis mutandis einem Schlagbohrhammer gelänge. Guantanamo ist nichts dagegen. Der wirkliche Horror ist hier.

Doch der Bekloppte braucht das Möbelhaus, es ist ihm lieb gewonnenes Samstagsritual, wo er im Paarlauf Stress aufbauen und Aggressionen züchten kann, als Hochleistungstraining für Schweißdrüsen und Misanthropie, als Schule des Lebens in einer Gesellschaft, die feucht vom Krieg träumt. Wer einmal die Runde im Einrichtungshaus überstanden hat, inbegriffen Teelichte und Fleischklopse unter Instantsauce, der weiß, was Not und Tod bedeuten. Das verbindet fürs Leben. In einem Haus, vollgestopft mit fragwürdigem Gerümpel aus dem Restearsenal, blöd und glücklich.





Røde Grøde

1 07 2010

Hildegard beäugte skeptisch die Regalböden. „Viel zu dünn. Einmal die großen Stücke einräumen, Suppenterrine und die Löwenkopftassen und die Pastateller und die große Fischplatte mit den Henkeln von Tante Elsbeth, dann brechen die Dir raus.“ In der Tat sahen diese Möbelstücke nicht besonders Vertrauen erweckend aus. „Buche furniert“, las ich auf dem kleinen Schildchen, das von der Hinterseite baumelte. „Dabei steht doch hier in dem Prospekt, dass sämtliche Schränke der Västernorrland-Serie entweder in Eiche natur oder in Weiß erhältlich sind?“

Insgesamt bot der skandinavische Möbelladen einen eher verwirrenden Anblick; zwar war die Fülle an Einrichtungsgegenständen nicht gerade eine Überraschung – wir befanden uns schließlich in einem Magazin voller Schränke und Stühle, Tische und Kommoden – aber die Aufstellung zeugte, wenn nicht von einem gewissen Humor, so doch von einer durchaus gelungenen Strategie, dem Besucher jegliche Orientierungsmöglichkeit zu nehmen. Zu unseren Häupten verkündete ein großes Hängeschild, dass wir uns in der Bettenabteilung befänden; einige der Geschirr- und Schuhschränke um uns herum reichten fast an die Unterkante des Wegweisers heran, während die Betten unterhalb der Tafel Bad und Sanitär noch gut zu sehen waren. „Vermutlich ist das ein interaktiver Irrgarten“, mutmaßte ich, „oder sie drehen den ganzen Fußboden alle drei Tage um 90 Grad, während die Deckenbeschilderung gleich bleibt.“ Hildegard schnaubte indigniert. „Blödsinn. Die sind hier alle nur vollkommen bekloppt.“

Ich erwischte den Verkäufer gerade noch am Arm, als er mit einem Stapel psychedelisch gemusterter Kissen auf die Gartengerätesektion zulief. „Ich suche eine…“ „Die Auskunft freut sich, Ihnen weiterzuhelfen“, strahlte er mich an, bevor er sich auf dem Absatz umdrehte. Ich hatte ihn immer noch am Arm und ließ nicht locker. „Und wo ist die Auskunft, wenn ich bitten darf?“ Ihn schien das gar nicht zu stören. „Da fragen Sie am besten bei der Auskunft“, tönte er mit freudigem Gesicht zurück, „die geben Ihnen immer sehr gerne Auskunft!“ „Hören Sie zu“, röhrte ich das Honigkuchenpferd an, „ich will jetzt sofort wissen, ob es diesen komischen Schrank da, Örmsbüld, auch in Weiß gibt.“ Wie aus der Pistole geschossen antwortete er. „Alle Schränke der Västernorrland-Serie sind in Eiche natur, Weiß oder mit Türen erhältlich. Sie erhalten die Serie in diesem Monat zu einem Vorzugspreis von nur…“ „Das weiß ich“, fiel ich ihm ins Wort, langsam doch um Gleichgewicht bemüht, denn er zerrte mich unermüdlich mit sich ins Gartensortiment, „aber ob es diesen Schrank da auch in Weiß gibt? Es steht nicht auf dem Schild!“ „Moment“, lächelte er verbindlich. „Darf ich Sie bitte bis zur Auskunft begleiten?“ Hildegard hielt mich fest, während er verängstigt das Weite suchte.

Auch mit dem nächsten Laden-Hüter war mir nur mäßiges Glück beschieden. „Ich möchte den Örmsbüld, aber es muss ihn doch in Weiß, und der da, der ist nicht, oder ist der in der Västernorrland-Serie, weil es die doch…“ „Selbstverständlich, das sagt ja auch unser monatlicher Prospekt“, dienerte der Möbelmann. „Aber es sollte Ihnen aufgefallen sein, dass dies nicht der Örmsbüld ist. Kann er auch gar nicht sein, weil er ist ja in Buche furniert. Da hätten Sie auch selbst drauf kommen können.“ Hildegard runzelte die Stirn; kein gutes Zeichen, missbilligt sie das Verhalten von Verkaufspersonal, so ist sie meist die letzte Kundin, die ein Verkäufer vor seiner fristlosen Kündigung sieht. „Das Modell Gulbrandsen gehört natürlich zu einer ganz anderen Serie“, fuhr er unbekümmert fort, „wie Sie ja selbst an den Schränken Eirik, Bringsvård und Jæly mit Rollverschluss sehen, sind alle diese Stücke nach Staatssekretären im norwegischen Postministerium benannt – Ihre Allgemeinbildung lässt nach.“

Während Hildegard seine Überreste in einer namenlosen Hängeschrank-Unterbau-Kombination für Eckküchen mit geringem Platzbedarf verstaute, die wohl nach einer grönländischen Bleistiftmarke benannt worden war, überlegte ich. „Das Beste wird es sein, wir schnappen uns irgendeinen Schrank und hauen so schnell wie möglich ab.“ Sie knirschte mit den Zähnen. „Das Beste wird es sein, Du fängst mir noch einen von diesen Volltrotteln. Ich werde sie nach und nach vernichten, bis uns keiner mehr in die Quere kommt mit pseudoskandinavischem Gefasel und bekloppten Schranknamen.“

In dem Augenblick hatte ich die rettende Idee. Der nächste Verkäufer sollte dran glauben. Es war ein langer, rothaariger Schlacks mit Schirmmütze, der hilfsbereit, aber ahnungslos in meine Fänge geriet. „Örmsbüld“, fragte ich, „Örmsbüld?“ Er zeigte auf die Regalreihen, da überfiel ich ihn mit einer heimtückischen Kanonade. „Örmsbüld hvar åmbror ikken snakkeblærd, hej? Er dekke øreflør inne knejdhulfsträlle, hvor hjælpsköldeninge nogen områder?“ Verstört blickte er mich an. „En äldsta av stadens tornets höjd är ett av världens lättmetall!“ Schweißtropfen sammelten sich auf seiner Stirn, während ich ihm langsam immer näher rückte. „Høyhastighetsbane kan ha større på målemetoder for mer informasjon, jahaa?“ Seine Oberlippe begann bereits ein bisschen zu zucken, doch ich kannte keine Gnade. „Den beskytte knællerbyten efter grænser dikke snørepladderne!“ Die ersten Tränen kullerten über sein jugendliches Gesicht. Offenbar war der Reiz skandinavischer Sprachen für ihn doch zu stark. „Örmsbüld är en och arterna“, sprach ich begütigend auf ihn ein, „ett är Örmsbüld, hej?“ Schluchzend wies er auf ein kniehohes Schränkchen in einer Seitengasse, weiß lackiert, die Türen mit formschönen Messingknäufen versehen. Das große Modell befand sich im Lager, war aber jederzeit und zum Vorzugspreis verfügbar.

Hildegard steckte zufrieden die Kreditkarte ins Portemonnaie zurück, während ich die Holzlatten in der Pappumhüllung schulterte. „Es ist doch schön, dass das heute möglich ist. Ich bin für Europa. Dieser Kontinent ist so ungemein vielfältig.“