Anschlussverendung

14 08 2012

„… jetzt in großer Zahl entlassen würden. Da die großen Bankhäuser sich entschlossen hätten, ihre Spekulationsgeschäfte weit gehend einzustellen, seien die Investmentbanker ohne Chance auf…“

„… liege nicht an den schlecht gehenden Geschäften der Investmentbanken, vielmehr hätten die Anleger durch Handel mit toxischen Papieren so viel von ihren Vermögen verloren, dass sich Investmentbanker nicht mehr…“

„… warnte ein Unternehmenssprecher vor nicht absehbaren Folgeschäden bei der Zulieferindustrie. Allein durch Entlassungen in Frankfurter würden neben dem Straßenstrich zahlreiche Anwälte, Drogenhändler und…“

„… zeige sich Schäuble tief befriedigt. Die Sparbemühungen seien damit messbar erfolgreich, wenn es innerhalb kurzer Zeit zu einer derart hohen Anzahl an Kündigungen komme. Ähnlich wie in Griechenland verspreche dies eine erfolgreiche…“

„… eine sozialverträgliche Lösung zu suchen. Es bestehe bei der Commerzbank ein Bedarf an bis zu 50 Investmentbankern, man habe daher beschlossen, die 3200 Mann starke Abteilung auf ungefähr 1800 Kräfte zu…“

„… schlage von der Leyen vor, ausländische Fachkräfte anzuwerben, um sie als Arbeitssuchende zu beschäftigen, die an Stelle der Banker die…“

„… müsse sich auch an die gesetzlichen Rahmenbedingungen halten. So warne der Verband vor weiteren Stellenstreichungen, wenn die Anti-Korruptions-Richtlinie…“

„… offenbar kein Interesse mehr an Investment-Kräften. Rösler erklärte, der Mittelstand gehöre für ihn ohnehin nur dann zur Wirtschaft, wenn er sich als Argument gegen Steuererhöhungen…“

„… ein großer Teil der Jobs in Deutschland von ausländischen Arbeitgebern gestrichen würden. Darüber habe Arbeitgeberpräsident Hundt sich empört gezeigt, da es ein deutsches Vorrecht sei, in Niedriglohnländern Arbeitskräfte nach Gusto vor die Tür…“

„… im Prinzip schon eine ausreichende Anzahl an Aufsichtsratsposten und Frühstücksdirektoren in den börsennotierten Unternehmen vorhanden, jedoch müsse man längerfristige Verpflichtungen beim baldigen Ausscheiden der FDP aus dem parlamentarischen…“

„… liege nicht an den völlig falschen Anschuldigungen an die Investmentbanken, dass Staatsanleihen auch fallen könnten, vielmehr hätten durch die tatsächlich fallenden Staatsanleihen die Renditen derart eingebüßt, dass Investmentbanker überflüssig…“

„… für düstere Prognosen unter den Beschäftigten der Deutschen Bank gesorgt habe. Die Volkswirte hätten die Entlassungen als normale Konjunkturdelle interpretiert, was gemessen an der Treffsicherheit ihrer bisherigen Prognosen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit falsch…“

„… könne man die reibungslose Eingliederung der Investmentbanker in den Arbeitsmarkt erst dann erwarten, wenn der Arbeitsmarkt so entspannt sei, dass er auch ganz ohne Investmentbanker…“

„… sei die Mafia ein reiner Familienbetrieb. Man könne dem Bundesverband nicht zumuten, Lehrstellen zu schaffen, um Investmentbanker zu qualifizieren, wenn gleichzeitig durch den gezielten Zuzug ausländischer Fachkräfte eine bessere…“

„… dass die wegen Unfähigkeit und Korruption gescheiterten Investmentbanker einfach die Stellen der Fondsmanager und Börsenmakler einnehmen könnten, die von den Bankhäusern wegen Korruption und Unfähigkeit vor die Tür…“

„… oft im esoterischen Markt wiedergefunden hätten. Neue Dienstleistungsberufe wie Wahrsager, Rutengänger oder Gesundbeter seien für die freigesetzten Mitarbeiter ohne Schwierigkeiten…“

„… auch nicht in der Bundeswehr. Die Gefahr, dass sich die branchenfremden Kräfte aus reiner Gewohnheit im Verteidigungsfall überhaupt nicht um Befehle kümmern würden, sei eine viel zu…“

„… als Gastarbeiter außerhalb der EU. Die Bundesagentur empfehle neben der Schweiz vor allem Singapur und die…“

„… in der Automobilindustrie auf Skepsis. Das Argument, dass auch die Kfz-Bauer ständig von der Pleite bedroht seien und staatlichen Finanzhilfen ihre Existenz verdanken würden, könne so nicht…“

„… führe Stellenabbau im Investmentgeschäft immer zu geringerem Risiko. Dies aber sei, so Hans-Werner Sinn, mit dem Selbstverständnis eines Bankhauses ebenso wenig zu vereinbaren wie Ehrlichkeit mit der Politik, Intelligenz mit Wirtschaftswissenschaften oder…“

„… habe sich mit Hilfe eines befreundeten Personalchefs immer wieder neu anstellen lassen, um bei einer erneuten Kündigung eine Abfindung zu kassieren. Er sei erst aufgeflogen, als die Bank wegen des Bedarfs an goldenen Handschlägen neue Staatsgelder beantragt habe. Die FDP habe ihn anschließend für eine Vortragsreise gebucht, da dies Rentenmodell durchaus im Sinne…“

„… der im Prinzip ohne jede Ausbildung und von jedem ausgeübt werden könne. Trotzdem dürfe man aus rechtlichen Gründen den Job des Bundespräsidenten nur mit jeweils einer Person…“

„… eine Verwendung als Erzieher vollkommen ausgeschlossen…“

„… habe Ackermann empfohlen, sich einfach informell zum Abendessen mit der Kanzlerin zu…“

„… den meisten Investmentbankern ein Jahr lang das Arbeitslosengeld I, bevor sie ihre Anschlussverendung…“





Billiger Jakob

25 07 2012

„Ist er eigentlich schon auf diesen Occupy-Demos gesichtet worden?“ „Nicht, dass ich wüsste.“ „Und es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass sich Sigmar Gabriel um eine rasche Heiligsprechung bemüht?“ „Mir ist nichts bekannt.“ „Warum will er ausgerechnet jetzt die Banken regulieren?“ „Will er ja gar nicht.“ „Aber er ist doch der Ansicht, dass das jetzt schleunigst zu geschehen habe.“ „Also erstens ist das Wahlkampf – oder wird vielleicht mal welcher, wenn sie ihn lassen.“ „Und zweitens?“ „Zweitens hat er die Forderung erhoben. In der SPD bedeutet das regelmäßig, dass eine Sache in der Ecke liegt, bis man vor Schimmel nichts mehr sieht.“

„Finden Sie Ihre eigene Argumentation nicht ein bisschen sehr populistisch?“ „So populistisch wie Gabriel?“ „Was wollen Sie, er bemüht sich jetzt um eine praktische Umsetzung.“ „Da braucht’s dann ja nicht auch noch theoretische Kenntnisse. Übrigens habe ich diese Art der Entschlossenheit vermisst, als die Kohle für spanische Banken vom Bundestag bewilligt wurde. Die praktische Umsetzung seiner jetzigen Einsichten wäre da durchaus nicht verkehrt gewesen.“

„Im Grunde hat Gabriel doch Recht.“ „Das schon.“ „Man muss doch die Finanzbranche und die Versicherungen jetzt an die Kette legen.“ „Sehe ich auch so.“ „Und für Aufsicht sorgen, am besten auf internationaler Ebene.“ „Vollkommen richtig.“ „Sehr begeistert scheinen Sie nicht zu sein.“ „Wer hat denn diese neoliberale Geisterfahrt begonnen?“ „Aber er hat den Banken unanständige Gehälter vorgeworfen!“ „Ach, wie edelmütig. Zahlen denn diese Banken in der Chefetage nicht mehr als drei Euro fünfzig die Stunde?“ „Wie kommen Sie auf drei Euro fünfzig?“ „Weil das die unanständigen Gehälter sind, die das Land gerade schädigen.“

„Ist es nicht putzig, wenn ausgerechnet der Schubladenminister Schäuble ihm vorwirft, dass er die Bankenregulierung an der Verfassung vorbei in die Grütze geritten hat?“ „Durchaus berechtigt, finde ich. Als Innenminister war Schäuble ja für die Verfassung zuständig, meistens sogar dafür, dass sie ausgehebelt werden konnte.“ „Und das mit der Deregulierung?“ „Das war Sache der SPD, das ist auch richtig. Wenn das die SPD nicht gemacht hätte, würde Schäuble seinen Schattenhaushalt nie so gut hinbekommen haben.“ „Was versteht denn Schäuble eigentlich vom Bankwesen?“ „Nicht so besonders viel. Aber er erkennt Exzesse und Fehlverhalten, auch wenn sie für ihn zum normalen Geschäft zu gehören scheinen.“

„Warum hat eigentlich die SPD dem Rettungsschirm so begeistert zugestimmt? und dem Fiskalpakt?“ „Beim ESM könnte es sein, dass sie nicht so genau wussten, worum es dabei im Grunde ging. Beim Fiskalpakt bin ich mir aber nicht so sicher.“ „Das heißt, sie stimmen einer Maßnahme zu, deren Tragweite sie nicht überblicken?“ „Das war jetzt nur auf den ESM bezogen.“ „Und sie hebeln bei vollem Bewusstsein das Parlament aus?“ „Ich sagte doch, das gilt nur für den ESM!“ „Und sie beschließen, den Banken noch mehr Steuergeld ohne jede Gegenleistung in den Rachen zu schmeißen, damit die weiterzocken können? Ohne auch nur einen Gedanken an die Regulierung der Finanzbranche zu verschwenden?“ „Das verstehen Sie nicht. Es handelt sich um Wachstumsimpulse.“ „Der deutsche Arbeitnehmer hat doch gar nichts davon, mal ganz abgesehen von den deutschen Steuerzahlern.“ „Aber die Guthaben der finanziellen Oberschicht wachsen ein kleines bisschen schneller als erwartet. Meinen Sie nicht, wir sollten alle etwas mehr Dankbarkeit zeigen, wenn es Deutschland mit sozialdemokratischer Hilfe besser geht?“

„Warum macht er das?“ „Schauen Sie mal auf den Kalender.“ „25. Juli?“ „Billiger Jakob. Alles muss raus.“ „Dabei verschachert man doch als Sozialdemokrat sonst immer nur seine Ideale.“ „In Krisenzeiten muss man eben auch ins Schaufenster legen, was man gerade gar nicht auf Lager hat.“

„Als nächstes werden Sie mir sicher erklären, dass das alles ein abgekartetes Spiel ist, damit sich Merkel in ihrer dritten Amtszeit endgültig den Hals bricht.“ „Sagen Sie das ja nicht weiter!“ „Wie, das ist eine…“ „Erzählen Sie das niemandem – sonst werden Sie erschossen.“ „Also bitte, Sie reden ja nur…“ „Ich kann Ihnen nicht mehr verraten, aber die Liberalen sind längst umzingelt.“ „Was soll denn das heißen?“ „Der Seeheimer Kreis spaltet sich ab.“ „Dann wäre die SPD ja am Ende wieder sozialdemokratisch.“ „Es kommt noch besser – sie fusionieren mit der FDP!“ „Das kann doch nicht gut gehen, Merkel würde doch sofort eine Koalition mit denen… – Halt mal, das ist ja genial!“ „Eben. Einen plappernden Milchbubi als Vizekanzler kann man in Kauf nehmen, wenn man selbst nicht viel zu bieten hat. Aber eine solche Ansammlung an Knalltüten? Mutti wird ihrem Namen alle Ehre machen, die erste Sozialdemokratin in der CDU zu sein.“

„Man muss sich nur fragen, was eigentlich die Banken von Gabriels Verhalten denken sollen?“ „Sie meinen, ob der Bundesverband Öffentlicher Banken Deutschlands am Lachkrampf verstirbt? Die werden es gelassen hinnehmen.“ „Weil sie wissen, dass Gabriel sowieso nicht der nächste Kanzler wird?“ „Einmal das, und abgesehen davon, dass er sicher nicht Finanzminister in der nächsten Regierung sein wird, ist das für sie ein Signal, dass die SPD auf friedliche Koexistenz aus ist.“ „Weil sie gar nicht erst eine Kanzlerschaft anstrebt?“ „Weil sie im Wahlkampf bereits derart überzogene Forderungen aufstellen, dass es den Wählern klar ist, wenn gar nichts davon übrig bleibt.“

„Wäre es dann nicht ehrlicher gewesen, Gabriel hätte es mit einem Mea culpa begonnen?“ „Warum das denn?“ „Wer hat denn die Finanzmärkte bis zum Anschlag dereguliert und sich dafür auch noch von den Banken lobpreisen lassen? Wer hat den Sozialstaat in seine Bestandteile zerlegt? Wer hat jahrelang das beschleunigte Auseinanderklaffen der Volkswirtschaften in Europa nach Kräften gefördert und den Bürgern erzählt, das sei alles gar nicht so schlimm, solange es noch zwanzig Prozent Rendite auf Hedgefonds gibt und einträgliche Wetten gegen den Euro?“ „Was erwarten Sie denn von dem Mann – der kann doch nicht so einfach die Hosen herunterlassen?“ „Ich verlange einfach, dass dieser Fettsack glaubwürdig ist!“ „Ausgeschlossen.“ „Weil er sonst in der nächsten großen Koalition nichts zu melden hat?“ „Quatsch.“ „Stimmt ja, er kommt auch aus Hannover.“ „Ach was, denken Sie doch mal nach.“ „Ich komme nicht darauf.“ „Glaubwürdigkeit – Sie sind doch nicht mehr ganz bei Trost.“ „Warum denn nicht? Für einen richtigen Kanzler?“ „Der Mann ist Sozialdemokrat!“





Die Trümmerfrau

12 06 2010

Die Pferde: scheu, das Volk: verhetzt,
der Karren: an die Wand gesetzt.
Das Volk sei schuld! der Kutscher flucht
und eilig er das Weite sucht.
Die Garde aber, Mann für Mann,
lässt keinen an den Dieb heran,
und schon ist Deutschland – Schuft, nun lauf! –
    im Ausverkauf.

Die Armen hat man vorgeknöpft,
dass man Gewinn und Vorteil schöpft.
Man presst das Volk. Man senkt den Lohn,
man schüttet Spott aus, Hieb und Hohn,
denn wieder zahlt nur, wer nichts hat,
und macht die faulen Hunde satt,
auch wenn das Land – wie Ihr es seht –
    schon Pleite geht.

Die Blase wächst, Kredit! Kredit!
Wer schuldig war, der rennt und flieht.
Nur eine bleibt, schon angezählt,
da sich der Michel glatt verwählt.
Sie schmeißt das Geld zum Fenster raus,
sie lädt Vasallen sich zum Schmaus
und leugnet tapfer – hört nur hin! –
    noch den Ruin.

Schon kehrt das wieder, samtverhüllt
samt Pack, das sich den Beutel füllt.
Verpflichtung? Haftung? Schuldigkeit?
Die Herrschaft hat dafür kaum Zeit.
Wo andre mutig geradestehn:
blasiertes, eitles Prahlgetön
als Festmusik – Tschinell, Fagott –
    zum Staatsbankrott.

Da sah sie zu, die Kanzlerin,
nahm alles kuhgesichtig hin,
worum sich keiner kümmerte,
bis man den Rest zertrümmerte.
Ja schau, die Bonzenrotte lacht,
wie unser Muttchen Männchen macht
und hüpft im Takt – wenn man sie lässt –
    zum letzten Rest.





Schlossallee

8 10 2009

Ich fand Siebels hinten im Transporter, den man zu einem Regiewagen umgebaut hatte. Er reichte mir einen Kopfhörer und einen Becher Kaffee. Ich zog den Kopf ein und krabbelte auf den Sitz neben ihm. „Unsere Begleiterin, Frau Bornekamp-Wienstroth, Sie haben sich sicher bei der Vorbesprechung kennen gelernt.“ Auf dem Monitor verfolgte ich, wie die junge Sozialpädagogin durch die Gänge einer Einkaufspassage irrte. Ein Kamerateam begleitete sie und ihren Schützling unauffällig.

„Und jetzt Halbtotale“, befahl der TV-Macher. Die Kamera zoomte heran und ich sah, wie ein junger Mann in abgetragener Jeansjacke aus dem Geschäft kam. Was Marcel Möhrlich – die eingesuperte Bauchbinde teilte mir nicht nur seinen Namen mit, sondern auch die Tatsache, dass er Investmentbanker war – nicht bemerkte, waren die Verkäuferinnen, die ihn argwöhnisch, aber sehr dezent bis knapp vor die Ladentür begleitet hatten. Bornekamp-Wienstroth nahm ihn in Empfang. „Was meinen Sie“, schnöselte der Kohlearbeiter, „kleines Schampüsschen? Ich lade Sie ein. Sollen ja auch nicht leben wie eine Beamtin.“ „Ich dachte, Sie setzen hier Manager und Anwälte und Bänker auf Hartz IV?“ „Genau das“, bestätigte Siebels, „sie bekommen den Regelsatz und sollen sehen, wie sie fertig werden.“ Möhrlich ließ an der Fressgasse die Korken knallen. Die Bedienung blickte etwas pikiert, servierte aber anstandslos zwei Gläser Schaumwein. Nur das übrige Publikum, Anzüge in der Mittagspause, drehte sich angewidert um. „Und wie bezahlt dieser Schmierlappen Champagner von seinem Regelsatz?“ „Das ist nicht mein Problem“, kicherte der Regisseur, „er hätte eben besser aufpassen müssen. Wir haben ihm gesagt, dass er mit dem Geld einen ganzen Monat lang überleben soll. Wenn er es in einer Stunde verprasst, hat er halt Pech gehabt.“

Das zweite Team fing eben den CEO eines Großhandelskonzerns ein, der sich der nächsten Pflichtaufgabe stellen musste. Er sollte den Wocheneinkauf für eine dreiköpfige Familie erledigen. Geduldig nahm ihm der Coach Pfifferlinge und tiefgekühlte Wachtelbrüstchen wieder aus dem Wagen. „Und das soll zeigen, dass diese Großverdiener kein Verhältnis mehr zum Preisgefüge haben?“ „Das soll zeigen, dass sie die Bodenhaftung verloren haben“, replizierte Siebels trocken. „Ein Kilo Pfifferlinge für drei Personen – er wird die Hälfte wegwerfen müssen, und diese Standpauke wird ihm die Hauswirtschaftslehrerin am Ausgang halten.“

Inzwischen hatte Möhrlich die Blicke um ihn und auf ihn bemerkt. Er wollte den letzten Rest des Regelsatzes in ein italienisches Edeljackett anlegen. Bornekamp-Wienstroth seufzte. Sie erklärte ihm nochmals die Spielregeln, aber der Geldverbrater hörte ihr einfach nicht zu. „Sie meinen also, das sei besonders einfallsreich?“ Siebels stutzte. „Warum denn nicht? Wir haben selten ein derart simples Format produziert. Es ist derart durchsichtig, dass man sich schon fast schämen muss. Jeder kapiert es. Nun ja, fast jeder. Die Hauptdarsteller nicht.“ „Sie schleppen Banker und Manager“, sagte ich, „die sich sonst mit einem 500-Euro Schein den Hintern abwischen, für einen Tag lang in die Welt eines sozial Benachteiligten, und machen ihn damit zum Gespött, weil solche Leute die Bodenhaftung verloren haben. Was, Siebels, ist daran neu?“ „Dass diese Typen das Geld ausgeben, als wenn es nachwüchse, das erwartet der Zuschauer ohnehin“, antwortete er, „das haben wir noch nicht einmal berücksichtigt. Es trägt die Storyline ein bisschen weiter, aber erheblich ist es nicht. Viel wichtiger ist der Umstand, wie sie es tun. Sie bekommen das Geld anderer Menschen in die Finger und verjuxen es sofort. Sie schmeißen es einfach weg. Es ist ein Spiel, verstehen Sie?“ Ich sah ihn bitter an. „Um das herauszufinden, müssen Sie diese Sendung produzieren? Das hätte ich Ihnen vorher sagen können.“ „Schauen Sie, es geht auf.“

In der Tat hatte Möhrlich einfach weiter in der Luxusboutique herumgesucht und allerlei an die Kasse mitgenommen, Schuhe, eine Seidenkrawatte, einen Schlangenledergürtel, Manschettenknöpfe, einen Mantel, einen sandfarbenen Kaschmirschal. Er ließ die irritierte Verkäuferin alles abziehen und verwies dann auf die Sozialkindergärtnerin. Doch die weigerte sich einfach. „Sehen Sie genau zu. Er wird aggressiv. Es ist ein Spiel, aber er hat die Regeln nicht begriffen. Und jetzt will er sie nach seinen Vorstellungen ändern.“ „Siebels, Sie wissen so gut wie ich, dass das ganze Experiment in ein paar Minuten vorbei ist. Er hat die Kohle verprasst und sich ein bisschen blamiert, aber das wär’s für ihn dann auch gewesen. Wo bleibt die Moral?“

Er lehnte sich zurück und betrachtete ganz genüsslich, wie Bornekamp-Wienstroth den sauren Geldhai aus dem Laden führte. „Der pädagogische Effekt setzt ein, wenn man die Geschichte vom Ende her betrachtet.“ „Sie meinen, der Zuschauer würde erst jetzt…“ „Ach was“, unterbrach er mich, „was hat denn der Zuschauer damit zu tun?“ Die Sozialnanny zog ein Papier aus der Tasche und gab es Möhrlich. Der lachte und versuchte einen Witz. Dann erstarb sein schmieriges Grinsen. Er zitterte. Schließlich brach er in Tränen aus. „Was hat das zu bedeuten?“ „Der pädagogische Effekt, wie ich Ihnen bereits sagte. Hier sehen Sie ihn.“ „Das war nicht das Ende?“ „Wie man’s nimmt“, lächelte Siebels und gab dem Kameramann ein Zeichen, „wie man’s nimmt. Er hat soeben seine fristlose Kündigung bekommen.“





Am Bettelstab

31 03 2009

Schnee, Eis und Hagel überwehten die Republik. Ein Mitglied aus dem Millionenheer der nicht in den Erwerbsprozess Integrierten hatte die Initiative ergriffen und sich vor einen Supermarkt gesetzt. Bei Wind und Wetter harrte er der Besucher des Konsumtempels. Mancher von ihnen hatte ein freundliches Wort übrig, mancher gab verstohlen Pfandbons. So kam mancher Cent zusammen, den der Bettler aus der Blechdose klaubte. Und es war nur logisch, dass ein Bediensteter der Wohlfahrt, die Mittagsstunden an der frischen Luft der sozialen Kälte nutzend, den Almosenempfänger aufmerksam betrachtete. Nach grober Schätzung der Büchse eilte er in seine karg möblierte Amtsstube und rechnete für den Rest des Tages hoch, bis seine Ärmelschoner glühten. 120 Euro im Monat kamen zusammen. Die kürzte der Sachbearbeiter von des Bettlers Stützgeld. Und hatte damit Schlimmeres verhindert durch reine Gewissenhaftigkeit.

Natürlich habe das keiner gewollt. Dies sei, wand sich der Sprecher der Stadtverwaltung, eine bedauerliche Einzelfallentscheidung, die keinesfalls Kreise ziehen dürfte. Man einigte sich gütlich, dass nur ein Teilbetrag zu verrechnen sei, da für eine andere Berechnung die Gesetzesgrundlage fehle.

Vorerst. Denn in der Stadt, die Wissen schafft, war nun guter Rat teuer. Fieberhaft überlegte die Behörde am Hiroshimaplatz, wie man die Kunst des Abzwackens perfektionieren könne. Zwar fand der Vorschlag der befreundeten Unternehmensberatung, die Lichtenberg-Statue aus Gründen der Moral als Altmetall in Zahlung zu geben, zunächst einigen Beifall, konnte sich aber nicht durchsetzen; kaum einer wusste, wer Lichtenberg war. Man beschloss, eine Arbeitsgruppe einzurichten. Ihre Ergebnisse konnten sich sehen lassen.

Man tat sich schwer mit der Abwrackprämie – vornehmlich konnte man nicht davon ausgehen, wie Sozialhilfeempfänger flächendeckend zum Erwerb von Neuwagen überredet werden sollten – und verwarf auch, die Bezüge des Prekariats ganz auf Flaschenpfand umzustellen. Doch bald ergaben sich Ansätze aus der Neudefinition des Einkommens. So schlug man zunächst vor, Lotteriegewinne unter die Lupe zu nehmen. Zur Maximierung des Geldsegens führte man als Nebenerwerb für Erwerbsunfähige das Lottospiel ein. Zwangsweise. Die Tippgebühren freilich konnte man den Nutznießern der sozialen Hängematte nicht auch noch erstatten. Dies sei, so der Tenor der Rechtsprechung, letztlich auch eine Frage der Eigeninitiative.

Die Unionsparteien griffen die Sache alsbald auf, um auch Preisausschreiben als Verdienstquelle zu aktivieren. In den Zeiten der Rezession gab es nun kaum noch Gewinnspiele, doch seien Hartz-IV-Empfänger aus der Bewerbungspraxis längst an das aussichtlose Verschicken zahlreicher Postsendungen gewöhnt, so dass ihnen diese zwar unsinnige, dabei doch höchst motivierende Aktion zumutbar sei. Ausgenommen waren Spirituosen und Tabakwaren, deren Hersteller man keinesfalls noch weiter ins Blickfeld gewisser Element rücken wolle, wie Philipp Mißfelder verkündete; man bringe mit derart sozialer Marktwirtschaft das Land noch an den Bettelstab.

Ein weiterer Vorstoß kam aus dem Paritätischen Wohlfahrtsverband, hatten die Sozialdienstleister doch über die Anzahl von Suppenküchenbesuchern geklagt. Bei einem üppigen Arbeitsessen tüftelte die Arge unter Beratung zweier Sterne-Köche und des Ernährungswissenschaftlers Thilo Sarrazin aus, dass eine Portion Erbseneintopf nicht unter sieben Euro zu bewerkstelligen sei. Diese Naturalleistung sei auf die Wohltätigkeiten anzurechnen.

Aber es blieb die leidige Frage der Kontrolle. Zwar war dies keine Frage des Arbeitsaufkommens, da die Dienststelle sich bis dato nur nebenbei um ihre Aufgaben gekümmert hatte, doch man war auch in der Not, Arbeitsplätze zu schaffen. So ersann die Kommission den Ein-Euro-Job des Betteleikontrolleurs. Überdies wurde auch dieser eine Euro auf die Regelsätze angerechnet, so dass keine weiteren Kosten zu befürchten waren.

Auf seiner Vorwahlkampftour nutzte der Vorsitzende der Neoliberalen die Gunst der Stunde, um ein markiges Wort zur Gesellschaftspolitik zu äußern: Transferleistung müsse sich wieder lohnen. Auch Schmarotzer, so sprach der Säulenheilige des Turbokapitalismus, hätten ein Recht darauf, Abgaben zu leisten. Die Investmentbanker gaben ihm Recht; schließlich hatte er sie nicht auf der Abgabenseite erwähnt. Die Bundespolitik sah das Beharrungsvermögen der Behörde mit Wohlwollen. Die Zahlen besserten sich; seit Monaten gab es Hoffnungen auf Ermäßigung von Erbschafts- und Spitzensteuersätzen. Auch die Vermögenssteuer war nun vom Tisch. Und nicht länger mussten verarmte Manager ihre Boni vom Vorjahr anbrechen, um dem Hungertod standesgemäß zu entgehen.

Günter Wallraffs lang erwartetes Opus Ganz am Arsch stieg schnell in den Bestsellerlisten. Für seine Undercover-Berichte hatte sich der Reporter ein gerichtspsychologisches Gutachten besorgt, das ihm eine abnorme Persönlichkeit bescheinigte. So fand er Einlass bei der Arge und konnte monatelang im orangefarbenen Häkelpullover hinter seinem Schreibtisch Anträge ablehnen, ohne in der Verwaltung aufzufallen.

Und dann traf es den Verursacher. War der Sachbearbeiter doch bei einer kleinen Unredlichkeit ertappt worden, als er die Barspende, die er seiner Nichte zum Geburtstag hatte zukommen lassen, nicht ordnungsgemäß in ihrer ALG-II-Akte vermerkte. Die Prozesskosten fraßen den Rest seines Vermögens, das nach dem Verkauf des Einfamilienhäuschens entstanden war. Bei seiner Qualifikation war an eine Eingliederung in den regulären Arbeitsmarkt nicht zu denken. Seine Pensionsansprüche hatte er verwirkt. So musste er schweren Herzens den Gang zu seinen ehemaligen Kollegen antreten.

An einem milden Frühlingstag – er hatte sein Gewerbe als Bettler ordnungsgemäß angemeldet und ins Register eintragen lassen, die Umsatzsteuervorauszahlung auf planbare und kontinuierliche Einkünfte aus der Bettelei bereits für ein Jahr im Voraus geleistet, die Terminanfrage für die Steuerprüfung lief, die Buchführungsbeihilfe war ihm allerdings nicht gewährt worden, obschon er eine achtmonatige Existenzgründungsberatung absolviert hatte – legte ihm der Sachgebietsleiter eine Liste mit offiziellen Stellen vor, wo der gute Mann hinfort milde Gaben, Kleider, Speise und Unterschlupf zu gewärtigen habe, und händigte ihm einen Bescheid über 976,65 Euro im Monat ein. Da er dabei übersah, dass die Differenz aus Hartz IV und den mutmaßlichen Mildtätigkeiten ein Negativbetrag war, geriet er schon Wochen später ins Visier der Steuerfahndung. Man sah ihn dann vor einem Discounter, mit einem Pappbecher in der Hand. Er ließe sich, so eine Nachbarin aus besseren Zeiten, letztens doch etwas gehen.





Vertrauen gegen Vertrauen

5 03 2009

Zwei Pfandbons. Nur 1,30 Euro hatten die ganze Öffentlichkeit in Aufruhr versetzt. Dass so was von so was käme, sagten die einen. Die anderen sagten das auch, meinten es aber ein bisschen anders.

Die nationale Vertrauenskrise drohte. Denn uneingeschränktes Vertrauen sei einer Supermarkt-Kette nicht mehr zuzumuten, wenn der Verdacht bestünde, dass es sich bei der Verdächtigung um einen Verdacht handelte; dies sah das Gericht als erwiesen an, und um mehr ginge es auch nicht, ließ es verlauten. Eine strafrechtliche Würdigung wäre ohnedies nicht zu erwarten, da der Streitwert zu vernachlässigen sei angesichts des 30-jährigen Arbeitsverhältnisses.

So begann die öffentliche Debatte zunächst auch durchaus moderat in justizinternen Kreisen. Nach einem Essay, den Franz Josef Wagner, das moralische Gewissen der Bundesrepublik, publiziert hatte, wurde allerdings die Frage laut, ob dies einen im Rechtsdenken nicht erlaubten Analogieschluss darstelle. Die Juristen verwahrten sich: die Formel Wer lügt, stiehlt auch sei in keiner Sache zum Tragen gekommen. Im Gegenteil sei erwiesen, dass, wer zwar nicht gelogen habe, doch verdächtig sei, des Stehlens verdächtigt werden zu können.

Der neue Straftatbestand wurde demnach als Vertrauensbruch bezeichnet. Nach allgemeiner Lehre war der Versuch dann gegeben, wenn die Vornahme des Vertrauensbruchs unmittelbar einseitig angesetzt wurde. Einen Aspekt der Strafrechtslehre beleuchtete der international bekannte Jurist Franz Josef Wagner mit seiner Arbeit über die moralische Würdigung des Betruges. Sie sei nicht gegeben, gleich doppelt nicht, wenn ein Betrug gar nicht nachgewiesen werden könne.

Keine drei Tage später schwoll die Diskussion an. Der Auslöser waren Ermittlungen gegen zahlreiche Banken, darunter auch Landesbanken, deren Management vorgeworfen wurde, Gelder veruntreut zu haben. Ein zähes Ringen begann. Der verhältnismäßig hohe Streitwert ließ strafrechtliche Schritte erwarten – arbeitsrechtliche Konsequenzen stellte die Rechtsprechung ins Ermessen der Bankvorstände, denen aus bisher nicht geklärten Umständen Beweisstücke für einen Verdacht wegen Vertrauensbruchs abhanden kamen. Ein weiterer Schritt zu Ordnung und Frieden im gesunden Rechtsempfinden war damit unternommen.

Natürlich waren die linkspopulistischen Kräfte nicht zufrieden und strengten eine Untersuchung der Tatumstände an. Der Streitwert, der immerhin der gesamten Weltbevölkerung gehöre, auf mehrere zukünftige Generationen hochgerechnet, sei doch eher gering, urteilte die Justiz. Der international bekannte Wirtschaftswissenschaftler Franz Josef Wagner kommentierte dies als ethisch vertretbare Lösung. Immerhin, so Wagner, sei Besitzwahrung kein Privileg der Privatwirtschaft; auch die unter staatlicher Kontrolle stehenden Banken besäßen das Recht, die Fehler des Kapitalismus zu begehen.

Ein launiges Intermezzo lieferten sich Peer Steinbrück und die Linke. Die Beschuldigung gegen den Bundesfinanzminister lautete, dieser habe weite Teile des Etats veruntreut und durch unvorhergesehene Kreditaufnahmen das Vertrauen missbraucht. Noch am selben Tag sprang die Kanzlerin ihrem Minister in die Seite, indem sie ihm vor aller Welt das Vertrauen entzog – da ein nunmehr nicht mehr vorhandenes Vertrauen auch nicht gebrochen werden konnte, war Steinbrück aus dem Schneider. Die Koalition rieb sich die Hände. Und verfuhr weiter wie bisher.

Doch auch vom rechten Rand kam Kritik. Das Geld sei nicht Eigentum der Banken, sondern Volksvermögen. Die Expertenkommission arbeitete den Fall noch einmal durch und befand, dies sei vor dem Emmely-Präzedenzfall eine klare und verlässliche Aussage. Da auch die Pfandbons nicht der Kassiererin gehört hatten – und nicht einmal dem Einzelhandelskonzern selbst, sondern dem unbekannten Pfandgeldeigner – könne man hier die strafrechtliche Verfolgung ausschließen.

Die Wogen glätteten sich, als feststand, dass den Bankmanagern eine Nähe zur Gewerkschaft nicht nachgewiesen werden konnte. Keiner von ihnen hatte einem Betriebsrat angehört. Zur Beruhigung bezahlten die Bankhäuser sie mehr und mehr mit Pfandboni.

Der international bekannte Ontologe Franz Josef Wagner unterstrich in seinem Vortrag, den er anlässlich der Gründung der von Tengelmann ins Leben gerufenen Stiftung für Menschenrechte hielt, die Unterschiede von Pfandbons und Bankkrediten. Als materielles Gut sei ein Bon nicht mehr in der Zuhandenheit, das Geld aber mitnichten weg. Es sei nur umverteilt worden. Schlüssiger hatte bislang kein international bekannter Paläobiologe Heidegger erleuchtet. Sogar Klaus Zumwinkel bekannte, sein Vertrauen in die rechte Hälfte des Staates sei nun wiederhergestellt.

Allein die Zweifel blieben in Kaiser’s neuen Kleidern hängen. Man zögerte. Vor allem von Umverteilung sprach man nicht gern. Einen sozialistischen Anstrich wollte man sich nur ungern geben. Der international bekannte Fußballexperte rehabilitierte sich angesichts eines Urteils, das einen arbeitslosen Schwarzfahrer mit einer empfindlichen Strafe belegte. Dies sei kein Sonderfall, so der international bekannte Kirchenhistoriker, sondern nur eine juristische Fußnote; dennoch sei ein Beförderungserschleicher kräftig anzupacken – wer auf Volkes Kosten Omnibus fahre, schädige im Gegensatz zu den Banken die Allgemeinheit und könne gar nicht genug Härte zu spüren bekommen. Der Vertrauensverlust war überwunden. Unbedingte Ehrlichkeit hatte einmal mehr gesiegt über die moralischen Konstruktionen einer Öffentlichkeit, die sich nur auf Kontrolle verlassen wollte.

Wäre da nicht der Bon über acht Cent gewesen, den Wagner im Flaschenrückgabeautomaten gefunden und in die Tasche gesteckt hatte. Das Überwachungsvideo dokumentierte es lückenlos. Der Vertrauensbruch ließ sich nicht mehr kitten, denn es blieb nicht bei einem Versuch – von der Kasse weg wurde der international bekannte Menschenrechtsaktivist abgeführt.

Noch schwelt der Rechtsstreit. Der Staatsanwalt forderte bereits, das Opfer in die Schlagzeilen zu bringen. Lebenslänglich. Auf Bewährung.





Krisenfinanzierung

23 01 2009

Das ist der Herr Breschke. Herr Breschke macht sich Sorgen. Er macht sich große Sorgen um Deutschland. Sein tief umwölktes Gesicht hatte mich bereits seit Tagen beunruhigt, jetzt hielt ich es einfach nicht mehr aus und stellte ihn zur Rede.

Es ist sein Garten, der Herrn Breschke vor eine schwere Entscheidung stellt. Auch ich hatte schon bei Grillwurst und Bier auf Breschkes Terrasse gesessen und über so vieles geplaudert, Schalke 04 und die Anatomie des Dr. Tulp, Webtypografie und Messtechnik. Worüber man sich so unterhält mit einem pensionierten Finanzbeamten. Nun wird die Abgrenzung morsch, man könnte behaupten: Herr Breschke hat nicht mehr alle Latten am Zaun.

Der anständige Deutsche, der sich zuallererst um die Außenwirkung seines Anwesens sorgt, wird nicht zögern, ins Gartencenter fahren und ein paar Meter Holz kaufen, um die Schranke zwischen öffentlichem Grund und der eigenen Scholle wieder nachdrücklich zu markieren. Denn Eigentum verpflichtet, und zwar zunächst zu Schutz und Trutz gegenüber Dackeln und Radfahrern. Der anständige Deutsche in der Finanzkrise allerdings blickt weiter, behält dabei die Volkswirtschaft im Auge und stellt die Frage: darf man das jetzt überhaupt? Wo kämen wir denn da hin, wenn das jeder täte?

Jägerzäune sind hin und wieder völlig umsonst, aber selten gratis. So ist das nun mal für uns Kapitalistenknechte. Kaum erblickst Du Blumentopf, Schießgewehr oder eine gut erhaltene Sitzgruppe, Neo-Biedermeier, Buche geflammt, leichte Lackschäden, schon musst Du ablaschen. Sonst reißt sich Dein Nächster die Ware unter den Nagel und Du gehst leer aus.

Finanzielle Gründe dürften es nicht sein. So bescheiden ist eine Finanzbeamtenpension nun auch wieder nicht, dass man sich neben zwei Urlaubsreisen pro Jahr und einem Jahreswagen auf achtzehn Monate kein Gatter mehr leisten könnte. Ist nicht der Fiskus seit jeher die Heimstatt des Kopfrechnens? Nein, Herr Breschke hatte alles längst durchschaut. Mit dem Erwerb von Zaunpfählen winkte uns der Untergang. Der monetäre Kollaps stand unmittelbar bevor, weil die Konjunkturblasen sich zu einem nationalökonomischen Urknall verdichten würden.

Um einen Zaun zu kaufen, braucht man Geld. Um über Geld zu verfügen, braucht man eine Bank. Schlagartig wurde mir klar, was den wahren Schrecken dieser Vorstellung ausmacht. Stellen Sie sich mal vor, wir alle – Herr Breschke, mein Ohrenarzt, Omi Müller, Angela Merkel und die Wrestling-Nationalmannschaft der Damen – wir alle gingen jetzt auf einmal zu den bitterste Not leidenden Banken und wollten unser Geld abheben, um Jägerzäune und Schleckeis zu kaufen. Alles auf einmal. Dann wäre spätestens innerhalb von drei Tagen gar nichts mehr da.

Stellen Sie sich das mal vor. (Also nur, wenn Sie wirklich dem Grauen ins Auge blicken wollen.) Die Supermärkte wären gesteckt voll, Tiefkühlspinat und Alpenrahmschokolade würden in den Auslagen verseifen, weil keine Sau mehr die Rücklagen hätte, um einzukaufen. (Verschonen Sie mich bitte an dieser Stelle mit irgendwelchen sozialromantischen Kommentaren, die Distributoren schmissen irgendwann aus reinem Mitgefühl Kuchen unters darbende Volk – so goldig kann’s dem Einzelhandel gar nicht gehen, dass sie Umsatzeinbußen bejammern, ohne vorher auch nur die Bilanz gegengerechnet zu haben.) Die Spirale dreht sich weiter abwärts, binnen weniger Wochen sitzen alle Verkäufer auf der Straße, weil sich ein Supermarkt ohne Kundschaft Personalkosten einfach nicht erlauben kann. Was das den Sozialstaat kostet, wollen Sie gar nicht wissen.

Und vergessen wir nicht die fatale Gruppendynamik. Herr Breschke kauft sich einen Jägerzaun. Gabelsteins von nebenan holen sich einen Carport. Doktor Finkel, frisch mit seiner Freundin von den Malediven zurück, ist samt Gattin bei Gabelsteins eingeladen, sieht den Jägerzaun, und tags darauf kontert der Parvenü mit einem fabrikneuen Konzertflügel. Herr Humbolt wird die Schweizer Franken aus dem Safe im Gartenteich kratzen und seiner Tochter ein zweites Reitpferd spendieren – doppelt frevlerisch, dass er einen Araber ordert und damit Devisen aus der EU schafft. Omi Müller hat auch noch nichts gemerkt und bringt Frau Humbolt ein paar Äpfel mit, damit sich die Industriellengattin zwischen ihren Guccitäschchen nicht zu Tode langweilt – der Supermarkt ist leer wie ein ägyptisches Grab nach dem Einfall der Archäologen, eine inzwischen vollbärtige, in abgerissene Kittelfetzen gehüllte Lagerkraft zeigt ihr den Weg zu den Obstresten – und gleich noch eine Dose Katzenfutter für Minka. Noch einmal zittert der Boden unter unseren Füßen, dann birst das dünne Eis.

Neiddebatte? Die Totalimplosion schaffen wir aus eigener Kraft. Sie haben es nicht anders gewollt. Aus den verwaisten Banken schauen Sie große, traurige Augen durch beschlagene Scheiben an, weil Sie keine Kredite mehr aufnehmen. Finanzminister schmeißen Aktien in ein brennendes Ölfass, um sich die Hände im Steuerwinter zu wärmen. Josef Ackermann wird in der Fußgängerzone sitzen und Sie um eine Million anschnorren. Wollen wir das wirklich?

Dank Herrn Breschke habe ich es nun endlich kapiert. Ich bin ja nicht blöd. Ich bin Deutschland.