Ehrenmorde

12 07 2018

„… zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt habe. Weiter hätte das Gericht die besondere Schwere der Schuld festgestellt, so dass eine Entlassung nicht eher als…“

„… es nun keinen Schlussstrich geben dürfe. Seehofer sei fest davon überzeugt, dass man auch in seinem neuen Lebensjahr weiterhin willkürliche Abschiebungen und Diskriminierung gegenüber muslimischen und…“

„… nicht von einem Endsieg sprechen könne. Gauland habe betont, dass das Gericht wenigstens einen der Angeklagten aus der Haft entlassen werde, was natürlich für die Unschuld des…“

„… es sich laut Scheuer um den Großen Unbekannten handeln müsse, der auch diverse Steuerhinterziehungsskandale innerhalb der CSU zu verantworten habe. Da man nun nach einem Urteil alle Ermittlungen einstellen dürfe, sei für die Partei nun endlich eine…“

„… es sich im Wesentlichen nur um Unterstützer der beiden Straftäter gehandelt habe. Meuthen beklage, dass gerade die deutsche Tugend der Hilfsbereitschaft gegenüber den eigenen Landsleuten durch dieses nicht vom Volk legitimierte Gericht so sträflich…“

„… der AfD-Abgeordnete Pasemann die Kosten von etwa dreißig Millionen Euro für viel zu hoch ansehe. Als indirekte Flüchtlingshilfe habe der Prozess eine sehr schlechte…“

„… das Leben einer möglicherweise nicht schuldigen Frau zu zerstören, nur weil sie sich nicht zwischen zwei Männern habe entscheiden können. Das Gericht habe nach Weidels Ansicht weit über seine Kompetenzen als…“

„… es mit der Kreuzpflicht sicher keine NSU-Morde gegeben hätte, da die Attentäter als gute Deutsche angesichts eines christlichen Symbols in der Öffentlichkeit niemals derartige…“

„… die Taten als nationale Notwehr bezeichnet habe. Höcke wolle in den nächsten Tagen den Antrag stellen, der Verurteilten das Großkreuz des Verdienstordens der…“

„… bereits in der Bezeichnung als NSU die sozialistische Idee fest verankert sei. Steinbach fordere nun noch mehr entschiedene Maßnahmen gegen den linksgrünen Terror, der eine echte Sicherheitsgefahr in der deutschen…“

„… habe sich gezeigt, dass die Gewalttaten im Ausländermilieu trotz der Inhaftierung der Angeklagten nicht aufgehört hätten. Gauland lehne die Debatte um ein Anwachsen der rechten Gewalt kategorisch ab, da die Angeklagte aus ihrer Haft heraus nicht verantwortlich gemacht werden könne für Straftaten, die ohne ihr Wissen oder ihre Billigung…“

„… die Ergebnisse des Prozesses sehr unbefriedigend ausfallen würden. Das Bundesamt für Verfassungsschutz habe nun keine ausreichende Planungssicherheit mehr, insbesondere eine gute Personaldecke sei unter diesen Voraussetzungen so gut wie nicht mehr…“

„… die Verurteilte nicht der Gefahr eines feigen Mordanschlags durch antifaschistische Untermenschen aussetzen dürfe. Dobrindt fordere eine humane Unterbringung in einem gut gesicherten Umfeld, beispielsweise in Spandau, um die Sicherheit der Leistungsträger nicht mehr als…“

„… die mediale Darstellung der vermeintlichen Täterin scharf kritisiert habe. Gauland befürchte, dass niemand sie mehr in seiner Nachbarschaft…“

„… dass als Lehre aus dem Prozess die Waffengesetze wesentlich gelockert werden sollten. Die möglicherweise unschuldigen Opfer der beiden deutschen politischen Polizeiopfer und ihrer Freundin seien nicht mit legalen Waffen getötet worden, deshalb dürfe man den Reichsbürgern nun auch nicht verbieten, immer mehr Waffen zu…“

„… könne man die Taten, die sich gegen die Umvolkung Deutschlands gerichtet und die Ehre des deutschen Blutes verteidigt hätten, durchaus als Ehrenmorde im Sinne eines…“

„… es sich nicht um eine Mordserie gehandelt habe. Es seien laut Verteidigung neun bedauerliche Einzelfälle, die schließlich wegen eines stark zwangsislamisierten Aussehens einer deutschen Staatsbürgerin zum technischen Versagen des…“

„… sich in 120 Jahren keiner mehr für die Vorgänge interessieren werde. Steinbach rechne fest damit, dass dann keiner mehr in der Bundesrepublik lebe, der ausreichend Deutsch verstehe, um die Ermittlungsakten zu…“

„… müsse die Rehabilitation von Terroristen, die sich von ihren Taten distanzierten, viel schneller in die Wege geleitet werden. Die AfD habe dies bei der RAF, die Deutschland international isoliert und an den Rand eines neuen Weltkrieges gebracht hätte, noch akzeptiert, wolle aber jetzt eine ganz andere Regelung des…“

„… zeige sich in der Folge der Dönermorde, dass die Bundesrepublik Deutschland kein sicheres Herkunftsland mehr sei für Personen mit Migrationshintergrund. Seehofer werde das Grundrecht dieser Wirtschaftsflüchtlinge auf mehr Sicherheit durch verstärkte Abschiebemaßnahmen und eine noch mehr am…“





Sekt oder Selters

2 02 2016

05:45 – Durch das kriegsverdunkelte Schlafzimmer im Haus Frühlingsstraße 26 schmettert schmackig das Horst-Wessel-Lied. Ruckartig reißt Beate Zschäpe die verquollenen Augen auf. „Ich bin unschuldig“, murmelt sie, hebt den rechten Arm und tastet nach dem Wecker. Ab morgen, das schwört sie sich, wird sie aber so was von zurückschießen.

05:50 – Nach einer kurzen Selbstfindungsphase, zu der sie das Glas auf ihrem Nachttisch leert, schlurft Zschäpe ins Bad. Sie findet die Tür verschlossen vor. Der Mitbewohner Uwe Mundlos stylt seinen Oberlippenbartwuchs. Aus dem Nebenraum ertönt eine Reichsparteitagsrede.

06:01 – Etwas hastig, da leicht verspätet, erscheint auch Uwe Böhnhardt zum Morgenappell in der Küche. Zschäpe rügt ihn, da er sein Braunhemd wieder nicht ordentlich in die Jogginghose gestopft hat. Sie spuckt auf ihr Taschentuch und reibt ihm einen Zahnpastafleck aus dem Gesicht.

06:23 – Während Böhnhardt schon wieder an der Playstation hockt und Hitleropoly spielt, räumt die gute Hausfrau die Utensilien des deutschen Frühstücks zurück. Verärgert bemerkt sie, dass in der Besteckschublade schon wieder ein Schalldämpfer liegt.

06:46 – Ein Krachen zerreißt die morgendliche Stille in der nationalen Notgemeinschaft. Mundlos wirft sich mannhaft unter den Küchentisch. Zschäpe entnimmt dem Eimer unter der Küchenspüle einen Feudel. Zwanzig Minuten Kühlschrank sind für deutschen Schaumwein offenbar nicht genug.

07:12 – Es klingelt. Die beiden Uwes ziehen sich rasch Sturmhauben über den Kopf, während Beate mit Sonnenbrille, Skimütze und falschem Bart getarnt zur Tür geht. Sie stellt sich als Arthur Zulu N’Dongibele vor. Während ihr der Bart verrutscht, drückt der Paketbote ihr wortlos einen Karton in die Hand. Endlich Frühstücksbrötchen.

07:29 – Zschäpe schmiert sich zum zweiten Frühstück ein Schrippchen mit Maurermarmelade. Erfreut stellt sie fest, der Senderido-Bote hat noch ein paar Schachteln Senf der Marke 7,65 mm Browning beigelegt. Das muss sie gleich den Uwes zeigen.

08:19 – Die vaterländische Gesinnung des Volksgenossen scheint zu schwinden. Mit Eifer notiert Böhnhardt die Standorte rassefremder Imbisskaschemmen und misst auf der Karte des besetzten Reiches in den Grenzen von 1949 die erforderlichen Einsatzradien ab. Jegliche Hilfe wird von ihm zurückgewiesen. So kümmert sich die Mitbewohnerin wieder um das Mädelmagazin mit den identitären Stricktipps.

08:35 – Mundlos hat wieder ein bisschen an seinem selbst gebauten Computer gesessen. Stolz zeigt er den anderen, dass Paulchen Panther jetzt den Hitlergruß machen und mit sächsischem Akzent „Sieg Heil!“ sagen kann. Darauf muss Beate erstmal einen Magenbitter kippen.

08:58 – Die beiden Uwes eröffnen ihrer Freundin, dass sie mal eben zur Sparkasse müssten. Hastig packen sie schwarze Sturmhauben, fabrikneue Kunstlederjacken und Handschuhe in eine Tasche. Sie schärfen ihr ein, dass sie beide nur zu einer längeren Landpartie aufgebrochen seien. Für den Fall, dass sie innerhalb von zwölf Stunden nicht wieder zu Hause zurückkehren, weisen sie Zschäpe an, nach Leipzig zu fahren. Sie ist verwirrt und weist die beiden nicht einmal darauf hin, dass sie ihre Schreckschusspistolen auf dem Küchentisch vergessen haben.

09:00 – Mundlos hat wieder kein Bier mitgebracht. Dann eben Kirschwasser.

09:13 – Ein Anruf schreckt die zurückgelassene Frau in der Küche auf. Eine männliche Stimme stellt sich als Kommando Kanakentod vor und gibt eine geheime Botschaft durch: Der Döner explodiert um Mitternacht. Sie notiert die Nachricht zur Vorsicht auf einem Zettel, solange die Feinmotorik noch zum Schreiben reicht.

09:45 – Die Vormittagsseifenoper fängt an. Zschäpe steht vor einer existenziellen Entscheidung: Sekt oder Selters? Zum Glück muss sie nicht an den Kühlschrank, auf dem Wohnzimmertisch steht noch eine angebrochene Flasche Pfefferminzlikör.

10:11 – Kater Dolfi erbricht sich auf den Teppich vor dem Fernseher. Gut, dass in der Küche noch ein Rest Wodka lagert, um den unangenehmen Geruch zu überlagern. Beate holt bei der Gelegenheit gleich Spülmittel gegen die Hinterlassenschaft des Haustiers.

10:40 – In der Wohnungstür wird der Schlüssel umgedreht. Sofort ist die züchtige Hausfrau zur Stelle und schimpft ihre Männer aus, weil sie schon wieder nicht ihre Schuhe vor der Tür ausgezogen haben. Sie schwingt den Schrubber. In ihrer Wohnung soll es ja nicht aussehen wie bei Türken.

10:53 – Die Uwes sind verdrossen. Erst beim Betreten der Sparkasse fiel ihnen auf, dass die Hälfte der Ausrüstung noch zu Hause lag. Sie sind sich jedoch sicher, dass ihre Ausrede mit dem Sonnenbrand auf der Nase gezogen hat – schließlich mussten sie mit Masken im Gesicht ihre Miete einzahlen.

11:11 – Böhnhardt zieht sich in sein Zimmer zurück, um ein bisschen zu meditieren. Die beiden anderen bekommen allmählich Hunger. Mundlos schaut in sein Adressbuch: der nächste Gemüsehändler ist zu weit weg. Sie einigen sich auf Pizza. Das passt auch zu der angebrochenen Flasche Rotwein, die neben Zschäpes Bett steht.

11:55 – Der Pizzabote kommt. Es gibt enorme Schwierigkeiten, als Beate die Lieferung nur mit einem 500-Euro-Schein aus ihrem Portemonnaie bezahlen kann. Sie einigen sich darauf, dass die Pizza im nächsten Monat umsonst kommt.

12:04 – Auf Böhnhardts Mobiltelefon geht eine SMS ein. Das Landesamt für Verfassungsschutz stellt fest, dass die beiden maskierten Täter am Vormittag sehr auffällige Schuhe getragen hätten. Der Referatsleiter ordnet deren umgehende Entsorgung auf einer Mülldeponie an.

12:29 – Eine Tonbandkassette war hinter die Küchensitzbank gerutscht. Mundlos schien sich mit italienischer Musik auszukennen. Jedenfalls beschließt Zschäpe, bei Gelegenheit auch mal ein paar Lieder von diesem Corelli zu hören.

12:38 – Die Rumrosinenschokolade aus dem Supermarkt war der richtige Nachtisch, auch wenn der Ouzo darauf ein bisschen stark kontrastiert.

12:53 – Der Modekatalog mit den neuen Sportklamotten war in der Post. Beate guckt, ob es diese Kapuzenshirts mit den einen Meter langen Zipfelmützen auch in braun gibt. Weiß wird bei ihr immer so schnell fleckig.

13:08 – Uwe B. ist fertig mit den Vorbereitungen für den – wie er selbst sagt – nächsten Wochenendausflug. Er hat ein schwarzes Pulver zusammengemischt, das er am Wohnzimmertisch in kleine Kunststoffbeutel abfüllt. Aus Versehen hat er die Sporttasche im Auto vergessen. Unter dem Sofa findet er noch eine unbenutzte Blechdose mit der Aufschrift Dresdner Butter-Stollen. Das sollte erstmal reichen.

13:19 – Jetzt muss Zschäpe doch in den Keller: der Sektnachschub fehlt. Sie steckt den Schlüssel ein und nimmt die Taschenlampe aus dem Flurschrank mit. Das Leuchtgerät summt beim Einschalten, bleibt ansonsten aber dunkel. Kein Wunder, dass diese beiden Männer im Leben noch nichts Großes auf die Beine gestellt haben.

13:23 – Als Zschäpe die Kellertreppe hinaufsteigt, bemerkt sie einen Mann mit Schlapphut, der sich unauffällig vor den Briefkästen aufhält. Er drückt ihr wortlos einen Einkaufsbeutel mit mehreren Granaten in die Hand. Sie wundert sich nicht darüber. Gefährliche Dinge hätte sie zur Sicherheit auch nicht mit der Paketpost verschickt.

13:24 – Kaum ist sie wieder in der Wohnung, muss sie sich Vorhaltungen von Uwe M. anhören. Sie hat, wie schon öfter, den Gasherd nicht abgestellt. Der Wohn- und Volksgenosse ist wütend. Er wirft ihr vor, sie werde irgendwann noch das ganze Haus in die Luft sprengen.

13:29 – Böhnhardt gehen die lauten Streitereien auf den Geist. Er möchte in Ruhe eine Dokumentation über Hitlers Topfpflanzen sehen. Mundlos schreit ihn an, er werde ihn bei nächster Gelegenheit abknallen.

14:02 – Das Telefon klingelt. Zschäpe ist zunächst etwas perplex, da sich die ältere Dame am anderen Ende als RAF-Mitglied vorstellt, verspricht dann aber, ihr behilflich zu sein. Sie gibt ihr einige Adressen von Banken durch, die die beiden Uwes noch nicht besucht haben.

14:40 – Der Sekt ist jetzt angenehm kühl. Beate stellt ihren Cognacschwenker auf die Spüle und hebelt den Korken aus der Flasche.

14:56 – Mundlos erkundigt sich telefonisch beim Fundbüro, wann die nächste Versteigerung stattfinden wird. Er zeigt sich außerordentlich zufrieden, dass Fahrräder ohne Mengenbegrenzung abgegeben werden. Schnell ruft er noch seinen Kumpel an, ob dieser ihm für den Transport sein Wohnmobil leiht.

15:15 – Langsam wird es Kaffeezeit. Zschäpe gießt sich schon mal Marillenlikör ein.

15:44 – Beate Z. fällt es wie Schuppen von den Augen: sie hat den ganzen Tag noch nicht daran gedacht, Kater Dolfi zu füttern. Sie erinnert sich dunkel daran, dass auch Katze Eva irgendwo in der Wohnung sein muss. Sie fühlt sich in diesem Augenblick zu unschuldig und schwach, um die Küche zu verlassen.

16:12 – Kumpel Ralf ruft an und lädt die drei zu einem Kameraden ein, der neu nach Thüringen gezogen ist und seine Haftentlassung feiert. Bei einem weiteren Glas Schaumwein sprechen sich die drei kurz ab, ob Zschäpe diesmal die Schwester des einen Uwes ist und die Verlobte des anderen, oder aber andersherum. Sie können sich nicht einigen. Mundlos kramt drei Granatensicherungsstifte aus dem Besteckkasten. Böhnhardt zieht den Kürzeren.

16:35 – Es gibt Probleme mit Uwe B.s Freundin Mandy, und diesmal ist es endgültig. Eine Trennung lässt sich nicht mehr vermeiden, denn neben Mandys Ventil ist ein Loch. Eine von Uwe M. mit dem Fahrradflickzeug improvisierte Notoperation bringt nicht den gewünschten Erfolg.

17:20 – Beate hat den Trennungsprozess bei einer dreiviertel Flasche Weinbrand verkraftet; jetzt wird sie aktiv. Sie verstaut die löcherigen Überreste der Freizeitpartnerin in einen Schuhkarton und will sie in der Mülltonne entsorgen, doch Böhnhardt rät davon ab. Leiche sei Leiche, sagt er, und will auf Nummer sicher gehen.

17:28 – Gemeinsam mit dem Karton sowie einer Luftpumpe verlassen M. und B. die gemeinsame Wohnung. Sie haben sich zuvor kurz abgesprochen, eine Autobahnbrücke an der A4 auf der Karte ausfindig gemacht und beschlossen, die Puppe von einer Brücke abzuseilen. Es wird ein langer Abend.

18:00 – Die Abendnachrichten beginnen. Bei einem Gläschen Erdbeerwein vernimmt Zschäpe, dass am Vormittag die Zwickauer Sparkasse Ziel eines versuchten Raubüberfalls geworden war. Sie macht sich Vorwürfe, dass sie ihre beiden Freunde einfach so in die Gefahr geschickt hat – was da alles hätte passieren können!

18:19 – Jetzt fällt ihr auf, dass sie den ganzen Tag noch nicht dazu gekommen war, die Post zu erledigen. Zwölf Briefumschläge müssen mit Schwarzpulver präpariert, an diverse Redaktionen der Lügenpresse adressiert und abgeschickt werden. Beate Z. ist so deprimiert, dass sie die Briefe in die Umschläge steckt, ohne sie vorher zu lesen. Die beiden Uwes werden schon das Rechte geschrieben haben, denkt sie sich.

19:08 – Ein rhythmisches Würgen verrät es: Eva ist im Wohnzimmer. Jetzt erbricht sich das braune Tier auf den Teppich. Zeit für einen Himbeergeist.

19:26 – In der Tüte mit den Handgranaten befindet sich ein Schreiben. Der Verfassungsschutz fragt an, ob sie im Falle eines gewaltsamen Umsturzes gemeinsam mit der Polizei gegen die Bundesregierung vorgehen würden. Sie trennt die untere Hälfte ab, füllt das Antwortformular aus und steckt es ebenfalls in einen Briefumschlag.

19:33 – Z. überlegt einen kurzen Moment, ob sie das Schreiben in der Küchenspüle verbrennen soll. Sie sucht eine Kunststoffflasche mit Benzin, die üblicherweise unter der Spüle steht, doch sie findet nur mehrere Metallrohre, die an beiden Enden mit Draht versehen sind.

19:45 – Der deutsche Whisky ist auch schon fast leer. Zeit für eine neue Flasche Sekt.

20:08 – Die Tagesschau verläuft für Zschäpe enttäuschend. Den ganzen Tag lag wurden keine Ausländer erschossen, es gab nirgends in Deutschland Bombenangriffe, nur zwei Idioten wurden gesichtet, die den Verkehr auf der A4 mit einer herabhängenden Puppe für mehr als eine Stunde lahmgelegt haben.

20:35 – Müde und verschwitzt kehren die beiden Männer zurück. Sie haben auf dem Weg noch schnell einen Supermarkt besucht, um ein paar Kleinigkeiten (zehn Flaschen Sekt, eine Tüte Kartoffelchips, einen Beutel Feinschnitt, 20.000 Euro in kleinen Scheinen) zu besorgen.

20:38 – Nach einer längeren Diskussion willigt Zschäpe ein, noch eine Flasche Sekt zu öffnen. Sie sagt, sie wolle nicht von den Aktionen der beiden Männer profitieren, worauf sie ihr zu verstehen geben, sie solle sich dann doch bitte in Zukunft aus ihren Angelegenheiten auch komplett raushalten.

21:55 – Es ist spät geworden. Beate kriegt den Korken nicht mehr in die Flasche, andererseits lohnt es sich auch nicht mehr, das bisschen Sekt aufzuheben. Mundlos liegt bereits im Bett, Böhnhardt putzt noch eben schnell die Fingerabdrücke von der Česká und deponiert sie im Brotkasten.

22:13 – Von einem gewaltigen Knall geweckt fährt Mundlos im Bett hoch – es war nur Zschäpe, die mit der Kornflasche gegen die Tür gepoltert war. Nur noch wenige Augenblicke, dann liegt auch sie auf der Matratze. Ein sonores Schnarchen verkündet, dass auch sie eingeschlafen ist. Eva und Dolfi blicken sich stumm an. Gemessenen Schrittes gehen sie ins Wohnzimmer. Endlich Ruhe.





Schuld und Bühne

14 12 2015

„Kein Stress, machen Sie sich bloß keinen Stress! Wir wollen ja nicht, dass Ihnen nach der emotional so schwierigen Aussage jetzt eine posttraumatische Belastungsstörung droht. Das müssen auch die Anwälte der Personen aus den Fremdvölkern mal einsehen, dass wir so nicht weiterkommen. Dann wären nämlich die schuld, wenn dieser Prozess ohne Ergebnis bleibt, und nicht Sie.

Sie dürfen auf gar keinen Fall Schuldgefühle entwickeln. Wenn sich Ausländer hier erschießen lassen, dann muss man zuerst bei ihnen nach der Schuld suchen, das haben auch profilierte Politiker christlicher Parteien immer wieder betont. Wenn so ein Ausländer nicht hierherkommt, dann kann er hier auch nicht erschossen werden. Vergessen Sie das bitte niemals: Sie haben keine Schuld. Sie sind das Opfer.

Sie müssen sich auch immer vor Augen führen, dass wir hier quasi auf verlorenem Posten stehen. Wenn man mal von Deutschland absieht, dann gibt es ja quasi nur Ausländer. Überall Ausländer! sogar hier in Europa! Und dann wollen sie uns auch noch unsere nationale Identität wegnehmen und erzählen uns, dass diese ganzen Ausländer Europa sind und wir dazugehören! Fühlen Sie sich da nicht total depressiv? nicht? Gut, daran müssen wir dann auch noch arbeiten.

Natürlich sind Sie dumm, das steht außer Frage. Und wenn ich so aussehen würde wie Sie, ich meine, da können Sie schon froh sein, wenn Sie überhaupt einen Mann abkriegen. Oder zwei. Aber Sie dürfen da jetzt keine Schuldgefühle aufbauen. Dafür sind die Ausländer verantwortlich. Und natürlich die vielen Gutmenschen, die solche Ausländer teilweise wie Menschen behandeln. Sie müssen das nämlich im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang sehen. Die vielen Gutmenschen sind so furchtbar intelligent, und deshalb erst sind Sie im Vergleich so unglaublich blöd. Das dürfen Sie nicht vergessen, letztlich sind die Ausländer an allem schuld!

Das mit dem Sprengstoff in der Garage müssen Sie auch ganz schnell wieder verdrängen. Nicht vergessen, das geht ja leider nicht, wie bei der Geschichte, aber verdrängen, das kann man. Sie schaffen das ganz bestimmt. Sie werden sich irgendwann sagen, Sie hätten das mal am Rande mitgekriegt, dass Ihre beiden Uwes da ein paar Fremdrassige weggebombt haben, und da sei Ihnen wieder eingefallen, dass der Sprengstoff in der Garage nicht mehr da war, aber dann lernen Sie es zu verdrängen. Da ist dann in Ihrer Erinnerung der Sprengstoff… nein, anders: Sie haben gar keine Erinnerungen mehr an den Sprengstoff in der Garage, und deshalb können Sie gar nicht an die Bombenattentate gedacht haben. Logisch, oder? Und wenn Sie sich das jetzt fragen lassen müssen, warum Sie von den Anschlägen nichts wussten – na? Sehr gut, Sie haben das Prinzip begriffen!

Vor allem die vielen Einschränkungen der Meinungsfreiheit dürfen Sie nicht persönlich nehmen. Dass man zum Beispiel in Deutschland nicht einmal in einer Menge von Gleichgesinnten einen Hitlergruß zeigen darf, das sollte nicht dazu führen, dass Sie sich davon persönlich unterdrückt fühlen. Mehr so als Teil des Systems. Und naja, unterdrückt schon, aber jetzt nicht im Sinne von Schuldgefühlen, weil das ja gleichzeitig bedeuten würde, dass ein Hitlergruß falsch wäre.

Doch, ein bisschen Kreativität müssen Sie schon entwickeln. Das mit den Ausländern in Europa, das hatten wir ja schon. Denken Sie mal ein bisschen weiter. Richtig, Europa ist nicht deutsch. Da haben uns die bösen Ausländer alles weggenommen, was wir damals erobern wollten. Das müssen Sie dann richtig auf sich wirken lassen! Nein, das mit dem Holocaust vergessen Sie mal ganz schnell wieder, das macht nur juristischen Ärger, und die meisten Deutschen leugnen den auch nicht. Sie müssen das aus der anderen Perspektive sehen: die Juden wollen Deutschland nur unterdrücken, denen kam Auschwitz schon ganz recht.

So ganz ohne die Paradoxien, wie man sie aus religiösen Glaubenssystemen kennt, werden Sie leider nicht auskommen. Deutschland ist eben die einzig wahre Nation mit einer Herrenrasse, die die anderen Untermenschen wegbombt und vergast und abschlachtet, und darum ist Deutschland auch so schwach und schutzlos und wird von den anderen minderwertigen Kulturen am Boden zertreten. Das muss man eben glauben. Aber Sie schaffen das, für Logik sind Sie ja glücklicherweise zu dämlich.

Sie entwickeln also Schuldgefühle, die sie aber nicht auf sich beziehen dürfen. Damit können Sie dann auch als Nazi auftreten und gleichzeitig die, die Ihnen Rechtsextremismus vorwerfen, als Nazis bezeichnen. Sind Sie eventuell auch vertrieben? Wissen Sie nicht? Dann würde ich das jetzt mal nicht ausschließen. Die meisten Volksgenossen mussten ja irgendwann mal Krieg und Vertreibung erdulden und waren dann gezwungen, in endlosen Flüchtlingstrecks quer über den ganzen Kontinent zu ziehen, und dann hat man sie wegen ihrer Volkszugehörigkeit nicht aufnehmen wollen und hat sie beschimpft, diskriminiert und als Schmarotzer bezeichnet, die an ihrem Schicksal schließlich selbst schuld gewesen sind, weil sie zwar nichts dafür können, wenn ihre Diktatoren einen sinnlosen Krieg anfangen, aber irgendwer muss es dann ja ausbaden, oder?

Dann haben wir es auch schon wieder geschafft. Sie machen wieder Ihre Entspannungsübungen, und dann sehen wir uns nächste Woche wieder, ja? Gut, Sie finden selbst hinaus, nein, die hier. Ganz rechts. Da kommt schon der nächste Patient. Haben Sie Ihre Fahne dabei? Den braunen Sessel, Herr Höcke, und machen Sie sich bloß keinen Stress.“





Bambiland

10 12 2015

„Und, wie war Dein Tag?“ „Das willst Du doch gar nicht wissen.“ „Entschuldige mal, aber das ist doch eine billige Entschuldigung!“ „Ich wollte doch nur sagen, dass…“ „Ihr haltet mich hier wohl für blöd, aber da habt Ihr Euch…“ „Jetzt hör doch mal, das ist doch alles ein…“ „Alle drei, vier Tage dasselbe Theater, Ihr glaubt wohl, Ihr könnt Euch hier alles erlauben?“ „Beate, bitte!“

„Das ist doch wohl die Höhe! Ich sitze hier Tage und Wochen alleine zu Hause und warte, und Ihr habt nichts Besseres zu tun, als mir die Tankquittungen auf den Schreibtisch zu schmeißen und die Hosen auf die Waschmaschine. Überhaupt, wie kriege ich denn die ganzen Blutflecken wieder raus? Müsst Ihr Euch immer an der Tür vom Raststättenklo stoßen?“ „Beate, es ist da draußen eben gefährlich. Da ist es doch besser, es redet keiner mit Dir.“

„Und überhaupt, wo wir beim Thema…“ „Ja, ich weiß, aber wir müssen diese ganzen Belege nun mal sammeln und dann bei der Oberfinanzdirektion einreichen für die Einkommensteuer. Wir sind doch nicht die Reichsbürger!“ „Meine Fresse, jetzt hör mir doch mal einer zu! Ich kriege hier eine Quittung aus Köln, ‚Diverse Metalle: 128 Euro‘. Wollt Ihr mich verarschen!?“ „Das ist doch von nationalem Interesse, da muss man eben…“ „Ich bin doch nicht Euer Finanzministerium!“ „Naja, ’ne schwarze Null könntest Du schon spielen.“ „Frechheit!“

„Die Nachbarn haben sich auch schon wieder beschwert.“ „Diese negroiden Kulturbereicherer von gegenüber, was?“ „Nee, der Szczymanski aus dem Erdgeschoss. Es riecht nach Katzenpisse.“ „Dann soll der alte Sack halt nicht so viel koksen.“ „Es stinkt hier, klar!?“ „Aber…“ „Und was kommt jetzt als Entschuldigung? dass Du Dir hier täglich anderthalb Pullen Korn reinballerst, anstatt mal die Katzenklos zu leeren?“ „Wir haben zwei?“ „Was ist das für eine bescheuerte Antwort!?“ „Hör mal, ich versuche hier mühsam das Bild des unverschuldet in die Asozialität abgedrängten Volksgenossen zu kultivieren, aber…“ „Dann sauf doch wenigstens Prosecco, Du blöde Schlampe!“ „Dies volksfremde Zeug kommt mir nicht ins Haus!“ „Reiß Dich verdammt noch mal zusammen, oder soll ich Dir die Katzen wegnehmen?“ „Nein! Ich bin doch sonst so alleine.“

„Sag mal, wo sind eigentlich die beiden Wummen hin?“ „Die was?“ „Die Lochgeräte. Du weißt schon.“ „Ach die. Im Wohnzimmerschrank, unten bei den Blumenvasen. Aber nicht anrühren!“ „Wieso nicht?“ „Die sind aus Metall, und wenn man damit gegen die Vasen kommt, die sind doch auf Porzellan und…“ „Beate, lass es mich einfach so sagen: Du bist blöd.“ „Im Gegenteil, die sind auch aus Glas und teilweise…“ „Halt doch einfach mal die Fresse, ja?“

„Und hier, diese DVD.“ „Was ist denn damit?“ „Ich soll die an so einen Ötzfötz schicken.“ „Sollst Du das?“ „Ja.“ „Dann sollst Du das.“ „Aber…“ „Wer ist hier eigentlich die Frau im Haus?“ „Ich kann doch nicht alles alleine machen, der Uwe…“ „Ja?“ „Schielt die Alte, oder hat einer die Null gedrückt!?“ „Ich wollte doch nur…“ „Schnauze!“

„Beate, wir müssen das besser organisieren.“ „Da bin ich ja ganz bei Euch, Wir brauchen hier mehr Organisation.“ „Vor allem die…“ „… die finanziellen Belange, wir können doch nicht alle paar Monate mal eine Bareinzahlung von ein paar zehntausend Euro verzeichnen, und dann verdienst Du mit Deiner Vollzeitstelle höchstens…“ „Mist, das Telefon!“ „Warte – Nationalsozialistischer Untergrund, Zschäpe?“

„Bist Du eigentlich total bescheuert!?“ „Wieso denn, Ihr meldet Euch am Handy doch auch immer mit dem…“ „Aber Du bist doch kein Mitglied! Was, wenn das ein nicht eingeweihter Mitarbeiter vom Verfassungsschutz gewesen wäre?“ „Hör mal, uns findet doch keiner, haben die gesagt. Wir leben im Untergrund, haben die gesagt.“

„So, und jetzt könntest Du bitte mal unsere Klamotten in die…“ „Aber sicher doch – haben die Herren noch einen Sonderwunsch? Blaskapelle dazu?“ „Beate, es ist nicht so, wie Du denkst!“ „Seit drei Monaten versuche ich diese Flecke aus den Jeansjacken zu kriegen, Ihr seid doch nicht ganz frisch! War das wieder so eine Prügelei mit nichtarischem Menschenmüll?“ „Das war Mord.“ „Nee, klar – Ihr seid die tapferen Massenmörder gegen die Überfremdung Deutschlands. Ich bin ja so was von schockiert.“

„Sag mal, wollen wir nicht diesen Sommer mal ein paar Wochen Urlaub machen?“ „Müsst Ihr wieder irgendwo hin?“ „Quatsch, ich meine wirklich Urlaub.“ „Und wo? Schrebergarten?“ „Nee, jetzt wirklich. Wir könnten zum Beispiel ins Blaue und da in der Natur den…“ „Mit dem Zug? lass mal stecken.“ „Ich dachte, wir holen uns ein Wohnmobil. Da können wir alle…“ „Definitiv nicht, so wie ich Euch beide kenne, Ihr bringt Euch doch gegenseitig um.“ „Jetzt übertreib mal nicht.“ „Gar nicht, ich kenne Euch doch!“ „Und was war das letzte Woche, Du kannst nicht mehr ohne uns leben?“ „Können schon, aber von Wollen muss doch nicht gleich die Rede sein.“ „Also sag mal, das ist doch die …“ „Meine Güte, jetzt reißt Euch doch zusammen!“ „Aber…“ „Aber, aber – und am Ende will’s dann wieder keiner gewesen sein!“





Und unerwartet

1 04 2015

„Krampfanfälle. Ja, ganz plötzlich. Sie wurde angefahren, dann hatte sie eine Lungenembolie, denn durch den Verkehrsunfall – man hat das übersehen, es handelte sich wie gesagt um eine Bagatelle, da schaut man schon mal darüber hinweg – gab eine Art Komplikation, und dann war sie auf einmal tot. Wir konnten sie nicht einmal mehr fragen, ob sie sich an etwas erinnert.

Der Polizist, der das aufgenommen hat? Ach so, ja. Feiner Kerl, wirklich. Wir werden ihn in guter Erinnerung – doch, das konnte keiner wissen, aber Sie müssen mir glauben, der Feuerwehrwagen kam von links, und die Straße war abschüssig, und der Beamte hatte gerade ein wichtiges Telefonat mit seinem Vorgesetzten, und Sie können sich vorstellen, da ist man besonders aufmerksam und… Nein, wir hatten keine Augenzeugen. Einen, aber der hat sich so aufgeregt, dass er auf dem Weg in die Klinik… –

Der andere Zeuge hatte eine Tetanusvergiftung. Wir haben ihm die Vorladung extra in einem Umschlag aus Recyclingpapier geschickt, aber Sie wissen ja, wenn es passieren soll… –

Nein, Schnittverletzung. Ja, auch an einem Papier, aber nicht am Briefumschlag. Es war der Haftbefehl, verstehen Sie? Er wollte den Haftbefehl unbedingt sehen, und dann hat er zugefasst, und der Polizist hat sich möglicherweise etwas ungeschickt verhalten, auf jeden Fall ist er in der Folge… –

Aber doch nicht an einer Sepsis! Sie verwechseln das sicher mit dem anderen Kollegen, der kam aber nicht von der Dienststelle. Der hier ist einfach so verblutet. Wir haben das auch erst einen Tag später gemerkt, er hat ja noch die ganze Nachtschicht gemacht, verstehen Sie, Polizisten sind da eisern, und dann hat er beim Umziehen auf einmal gemerkt, dass sein ganzes Hemd… –

Allergische Reaktion. Was für eine ungünstige Fügung, nicht wahr? Da verblutet ein Kriminalhauptkommissar., und der Bedienstete in der Wäscherei, und dabei war die JVA turnusmäßig in der Woche nicht einmal dran, und dann war’s letztlich ein Missverständnis, weil gar nicht er unter der Lebensmittelunverträglichkeit gelitten hatte, sondern sein… –

Ganz schnell. Auch der andere Zeuge. Das waren ja mal Brüder, oder nein: der V-Mann war derselbe. Und die Zeugen hatten beide eine Rot-Grün-Sehschwäche. Und da ist er mit einem frisierten Elektrofahrrad auf dem Gehweg mit mehr als 140 Kilometern in der Stunde… –

Das müssen Sie einfach mal glauben. Der Gerichtsmediziner hat das ausgerechnet. Der Gerichtsmediziner hat gesagt, wenn einer im Handstand auf einem Fahrrad, und das wäre theoretisch möglich bergab und mit sehr viel Rückenwind, und dann hat dieses Taxi eine Masse wie ein Dreißigtonner, der durch reines Stehen und die daraus resultierende Erdanziehung in alle Richtungen ein Drehmoment von… –

Jedenfalls war da nichts mehr zu identifizieren. Die Klingel hatte so komische Kratzspuren, die können aber auch vom Aufprall mit mehr als dreihundert Kilometern pro Stunde – das müssen Sie parallel rechnen und proportional, weil sie sich bei dem Auffahrunfall ganz an der Seite befand, es war ja eine Kollision von rechts, auf jeden Fall für den Fahrer von dem Auto von vorne, und der war auch nur wenige Straßen weiter in einem… –

Nein, das würde ich gar nicht als merkwürdig bezeichnen. Das kommt schon mal vor. Sehen Sie, in diesen rechtsradikalen Kreisen haben die Leute jahrelang immer den Arm zum deutschen Gruß gehoben, also hatten sie ständig Muskelkater, und wenn einer jetzt einen Herzinfarkt erlitten hat, dann merkt er das vielleicht gar nicht. Der Arzt jedenfalls ist auch… –

Beim Golfen. Wie Ärzte halt so sterben. Nein, aber wir haben keinen Täter. Es war ja am Wochenende, und wenn da in unmittelbarer Nähe mit einem Luftgewehr geschossen wird, dann evakuiert man natürlich nicht den ganzen… –

Wobei der zufällig – ich weiß, Sie glauben nicht an Zufälle, aber warum hat dann seine Schwester überlebt, obwohl sie vor zehn Jahren auch bei der einen Anwältin war, die jetzt in der Kanzlei arbeitet, die als Verteidigerin… –

Also ja, der Mann von ihr war Gerichtsdiener. Zwar nicht ausschließlich in diesem Prozess, wobei ihn das auch schon sehr mitnahm, weil diese Polizistin, die mit einer Dienstwaffe erschossen worden war, die war mal seine… –

Ich bitte Sie, jetzt keine Verschwörungstheorien. Der Mann hatte Flecktyphus, da ist es völlig normal, wenn man einen Schwächeanfall kriegt und aus dem Fenster stürzt. Was der Mann am Feierabend auf einem Hochhausdach zu suchen hat? Das dürfen Sie mich nicht fragen, aber er hat keinen Abschiedsbrief hinterlassen, also können wir sicher von einem tragischen Unfall… –

Nein, der saß in dem Auto auf dem Zebrastreifen. Die Staatsanwaltschaft hat errechnet, dass sich ein Fahrrad mit mehr als dreihundert Stundenkilometern von rechts genähert haben musste, und dabei hat sich der Tankinhalt entzündet und den ganzen Wagen einschließlich der Wohnung im Nachbarhaus, zweiter Stock, Hinterhaus, das dritte Fenster von… –

Das wird Ihnen so keiner bestätigen können. Sie werden die Aussage natürlich prüfen können, aber ohne zuverlässige Zeugenaussage mache ich Ihnen da wenig Hoffnung. Dann müssen Sie den Antrag in der Verhandlung einbringen, da kann ich Ihnen nicht helfen. Zschäpe? Ach so, Sie wussten das gar nicht? Die hat ganz plötzlich…“





Kurzer Prozess

2 05 2013

„… durchaus für Zufriedenheit gesorgt hätten. Das Oberlandesgericht erwarte ein konzentriert und sachlich ablaufendes Verfahren voller…“

„… die Stühle sehr unbequem seien. Die Korrespondentin des Svenska Dagbladet habe vorgeschlagen, das Mobiliar durch moderne skandinavische Sitzmöbel zu…“

„… müsse die Nachverlosung des Presseplatzes möglicherweise im Stehen stattfinden. Die Sprecherin habe zugegeben, dass das OLG nicht über ausreichend viele Stühle im…“

„… nur als Beleidigung gewertet werden könne. Desgleichen fordere das Personal der dpa English Services das Gericht auf, einen Tee in den Automaten anzubieten, der nicht nach Kunststoff schmecke und…“

„… dass überhaupt seriöse Printmedien wie FAZ, Zeit oder Titanic keine ausreichenden…“

„… der Niederländische Rundfunk die Sachlage verkenne. Da es sich um Tribünenplätze handle, sei der Korrespondent davon ausgegangen, die Kostümierung mit Fanschal, orangefarbener Perücke und Vuvuzela sei eine völlig normale…“

„… immer wieder zu Streitigkeiten gekommen sei. Die türkischen Journalisten hätten es ebenso abgelehnt, Streichhölzer zu ziehen, wer neben dem griechischen…“

„… sich Die Grünen dafür ausgesprochen hätten, kurzen Prozess zu machen und die Presseplätze mit Hilfe eines Rotationsverfahrens…“

„… RTL II eine offizielle Rüge erhalten habe, da der Sender versuche, für eine Folge Frauentausch die mutmaßliche Terroristin mit einer Hausfrau aus…“

„… durch die Ankündigung, die Zschäpe-Tagebücher in der neuen Ausgabe des…“

„… nicht mit den Sicherheitsanforderungen zu vereinbarten. Trotzdem beharre BILD darauf, an jedem dritten Prozesstag den ihr zugelosten Platz durch einen Leserreporter zu…“

„… offensichtlich um ein Missverständnis gehandelt haben müsse. Die Redaktion des Spiegel habe von ihrem aktuellen quotenmäßig mit Hitler bedruckten Titelblatt geschlossen, es handle sich um das Reenactment der Nürnberger Prozesse mit Hilfe der…“

„… auf Wunsch von kabel 1 eine Tageszusammenfassung einzuführen, die jeweils kurz vor den Nachrichtenformaten von der Bundesanwaltschaft…“

„… keine ausreichenden Simultanübersetzungen anböten. Die Sächsische Zeitung habe daher Protest bei…“

„… ob etwas dagegen spreche, die Plätze nicht nur einmal zu verlosen, sondern sie täglich neu…“

„… lehne das Gericht strikt den Vorschlag von Al Jazeera ab, die Verhandlung zu den vorschriftsmäßigen Gebetszeiten zu…“

„… die polnischen Kollegen nicht mehr gesehen worden sein sollten. Gleichzeitig habe man das Fehlen der beiden vorderen Stuhlreihen…“

„… zu Tauschaktionen, da die Anträge der Nebenklage nicht so beliebt seien wie die Befragung der mutmaßlichen…“

„… wenngleich Radio Lotte Weimar bereits versucht habe, alle zehn Minuten eine Liveschalte in den Gerichtssaal legen zu lassen. Das vorherige Abspielen des Jingles sei nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts eine nicht zumutbare…“

„… dass nach dem Verlassen des Gerichtssaales aus Sicherheitsgründen kein Wiedereintritt mehr möglich sei. Der medizinische Betreuer der Landshuter Zeitung habe die aus der Geriatrie entlehnte Lösung für Mobilkatheter im…“

„… die polnische Redaktion von Radio Lora den Schwarzmarkt mit NSU-Tickets bereits voll im Griff…“

„… habe Sonntag Aktuell bereits zweimal versucht, Kollegen aus dem Print-Bereich zu einer Kooperation zu bringen. Das von ihnen vorgeschlagene Leserquiz, bei dem das Strafmaß zu erraten sei, stoße bei den anderen Berichterstattern auf heftigen…“

„… nicht ausreichend berücksichtigt habe, dass auch Blogger die Öffentlichkeit informieren wollten. Das OLG sei jedoch der Meinung, man könne wegen der Größe des Saales nicht das komplette Internet in die…“

„… widerspreche die Ablehnung des Eilantrages auf Videoübertragung nicht der Pressefreiheit. Das Landgericht habe bereits genug getan, um den Prozess möglichst pressefrei zu…“

„… sich Bundespräsident Gauck nach vielen Schlagzeilen, in denen die Unzufriedenheit mit der Presseakkreditierung thematisiert worden sei, in einem Interview geäußert habe, er sehe eine Unzufriedenheit mit der Presseakkreditierung, weshalb er als Bundespräsident unzufrieden mit der Presseakkreditierung…“

„… auch RTL II ein Zuschauerquiz anbieten wolle, allerdings mit der Frage, wer den Prozess gewinne, a) der NSU oder b) die…“

„… sich Brigitte nicht nur für Stylingtipps interessiere. Vielmehr wolle die Zeitschrift ein eindringliches Porträt einer jungen, berufstätigen Singlefrau geben, die zwischen Job und Attentat immer noch Zeit für hautstraffenden Sport und kalorienarme Sommersalate mit…“

„… von IM Friedrich sehr begrüßt worden sei. Er habe sich zustimmend geäußert, dass zu viele Videokameras nie geeignet seien, die Sicherheit in einem…“

„… müsse die Ziehung wiederholt werden. Es habe sich durch einen Lichtreflex unbemerkt eine der Kugeln…“





Torgefährlich

14 01 2013

„Woran man unsere Mitarbeiter erkennt? Wir legen Wert auf ein einwandfreies Erscheinungsbild. Unsere V-Leute gehen nie ohne einen ordentlichen Haarschnitt ins Stadion. Und nie ohne bengalische Fackeln.

Sehen Sie, man muss heute überall für höchste Sicherheit sorgen. Das ist eine Herausforderung für erfahrene Profis, die ihr Handwerk wirklich verstehen. Trotzdem beteiligt sich das Bundesamt für Verfassungsschutz an den Aufgaben. Wir wollen die Kollegen ja nicht im Regen stehen lassen.

Das entstand eher so durch Synergieeffekte. Im Bundesinnenministerium arbeiten die Abteilungen meist recht eng zusammen, und für Randbereiche wie Sport und Extremismusbekämpfung – die kümmern sich jetzt gemeinsam um die Ruderer, wussten Sie schon? – gab’s nur einen gemeinsamen Papierkorb. Da kommt man sich halt rasch näher, und dann erkundigt man sich, was der andere so tut, und aus den Erkundigungen entsteht eine lockere Zusammenarbeit, dann werden Stellen gestrichen, und dann kümmern sich Leute um Dinge, die sie vorher nur aus dem Mülleimer kannten.

Sicher, das ist schon ein schwieriger Bereich. Das mit dem Fußball ist ja auf Dauer torgefährlich. Nein, anders. Gefährlich, weil hier jede Menge Toren herumlaufen. Aber wir sehen das positiv. Wenn wir V-Leute als Fußballfans einsetzen, dann haben wir sie wenigstens aus dem Nazisumpf herausgeholt. Das ist doch auch schon ganz schön.

Außerdem erfordert das ein gewisses Maß an Logistik. Schauen Sie, Klopapier, Feuerzeuge, das muss ja alles irgendwie ins Stadion gebracht werden. Die Feinabstimmung, wer jetzt sein Bier trinken darf und wer laut Spielplan den Becher als Wurfgeschoss zur Verfügung zu stellen hat – das erfordert eine lückenlose Dokumentation, und das muss ja ordentlich mit den anderen Behörden abgesprochen werden. Stellen Sie sich mal vor, da wird ein Becher nicht abgegeben, das Pfand wird nicht wieder ausgezahlt, und dann kann der V-Mann keinen steuerlich absetzbaren Eigenbeleg vorweisen, weil ihm die Quittung aus Versehen in den Schredder gefallen ist! Unhaltbare Zustände! Da gehen Ihnen, da gehen dem Steuerzahler zwei Euro einfach so verloren! Und dann regen sich alle wieder auf, dass wir die Krise nicht in den Griff kriegen!

Natürlich der enge Kontakt zu den Vereinen, der ist da schon auch sehr wichtig. Das erfordert dann ein gewisses Fingerspitzengefühl, man muss da sehr sensibel sein. Wenn der Trainer da den Spieler rausnimmt, und der stellt einen Neger auf den Platz, da muss man doch auch Bananen vorrätig haben. Deshalb müssen wir ja im Vorfeld sehr genaue erkennungsdienstliche Maßnahmen zur Durchführung bringen, damit wir die Zusammensetzung des Kaders observieren können. Wenn da Gomez aufläuft und einer wirft dem Apfelsinen zu, das wird doch peinlich!

Es ist auch nicht immer so einfach, wie Sie sich das vorstellen. Natürlich der Schichtdienst. Man ist ja nicht immer nur bei den Bayern oder in Fürth, man wird auch manchmal nach Dresden geschickt. Für V-Männer ist das zwar nicht ganz so schlimm, die haben da halt auch so immer mal wieder zu tun, aber schön ist da ja trotzdem nicht.

Wie Ballack damals den Syndesmosebandanriss hatte, das war ja ’ne ganz harte Nummer. Klar, es passieren schon mal Fehler im Arbeitsalltag. Da observieren sich zwei Leute gegenseitig, und der Mitarbeiter im Bundesamt merkt das erst nach zehn Jahren. Oder Sie stellen einen ein, der sich als Nazi zu erkennen gibt, und dann stellen Sie irgendwann fest, der ist ja tatsächlich einer. Das ist richtig schiefgelaufen, und wir haben uns bis heute nicht einmal entschuldigen können. Sie wissen schon.

Das mit den Wetten waren wir aber nicht. Mit Führungszirkeln haben wir so unsere Probleme, müssen Sie wissen. Organisiertes Verbrechen erkennen, das hat bis jetzt immer noch irgendwie geklappt. Manchmal schon nach wenigen Jahren. Aber man muss ja genug Personal haben, um diese verbrecherischen Organisationen auch komplett unterwandern zu können. Wir hatten die Wahl: NPD oder DFB. Naja, hinterher ist man immer schlauer.

Wir müssen uns kontinuierlich verbessern. Die Qualitätskontrolle wird immer wichtiger, deshalb können wir uns nicht mehr so viele Fehler leisten. Pannen? Von den meisten Pannen haben Sie gar nichts erfahren, weil es gar keine Pannen gab. Beispielsweise die Akten über Fußballspieler. Es hat da nie ein Outing gegeben, und das lag daran, dass die Akten, die gar nicht existiert haben, nun an einem sicheren Ort lagern und so gut wie nicht mehr aufzufinden sind. Wir wissen jedenfalls nicht, wo die sich befinden. Und wir kriegen sonst alles raus. Aber Sie müssen deshalb nicht jeden kleinen Zwischenfall auf den Verfassungsschutz schieben. Wir sind hier doch nicht beim TuS Celle.

Spezialaufgaben, so würde ich das nennen. Im weiteren Sinne. Wenn Sie rausfinden wollen, wer wem die Cornflakes gedopt hat. Oder wenn Sie wollen, dass wir jemandem die Cornflakes dopen. Weil wir das meistens auch irgendwann rausfinden. Oder wenn Theo Zwanziger wieder ein Buch schreibt. Das sind Herausforderungen, denen wir uns stellen. Da sind wir gut. Ultragut. Wie, dass Schalke Meister wird? Also hören Sie mal – alles können wir ja nun auch nicht!“





Zerreißprobe

25 10 2012

„Und Sie haben noch einen ganzen Koffer voll Erinnerungen Ihres seligen Herrn Vaters an die große Zeit? Kein Problem. Wir haben das in fünf Minuten erledigt. Das Entsorgungsunternehmen de Maizière ist nicht unbedingt schnell, aber sehr gründlich. Wir schaffen das.

Man muss sich auch mal von alten Dingen trennen können. Oder bewahren Sie alles auf? Das kommt doch sonst auch bloß in falsche Hände. Und dann haben Sie plötzlich keine Karrierechancen mehr. Oder Ihre Promotion ist futsch. Oder Ihr Bundestagsmandat. Nein, man muss ab und zu mal entrümpeln. Alle Sorgen loswerden. Von Neuem anfangen, wenn man merkt, dass sich das Alte nicht mehr lohnt. Schlussstriche ziehen. Nicht jede Vergangenheit ist es auch wert, bewältigt zu werden, nicht wahr? Es gibt da manche, die will man lieber sofort vergessen. Und sehen Sie, genau dafür ist unser Unternehmen da.

Sie haben geerbt? Das ist doch nicht schlimm, das kann ja jedem mal passieren – Ihre Regierung sorgt schließlich dafür, dass das nur Sie etwas angeht und nicht auch noch Ihre Nachbarn. Oder den Fiskus. Biedermeiersekretär? Schöne Geldanlage, jedenfalls höher als der Brennwert. Unser Chef war nur sehr kurz Innenminister, der hat von Kultur so gut wie keine Ahnung. Da müssen Sie sich an den jetzigen – nein, lassen Sie’s besser. Also wie gesagt, das Geheimfach. Wir holen da rückstandsfrei sämtliche Informationen raus, speichern sie ab, und dann vernichten wir sämtliche Quellen. Natürlich vernichten wir die, das stand doch so im Prospekt. Quellenschutz ist bei uns nicht vorgesehen.

Wir können uns nicht beklagen. Kann sein, dass das mit der Gesinnungslage zusammenhängt, aber die Auftragsbücher sind bei uns seit Monaten nicht leer zu kriegen. Man hat schon den Eindruck, je mehr Transparenz da gefordert wird, desto mehr kommt auch ans Licht – oder könnte, wenn es das wäre, das noch nicht ans Licht gekommen ist, so ans Licht kommen, dass es besser wäre, es wäre eben besser nicht ans Licht gekommen. Und dann gibt’s ja auch so Sachen, wo man weiß, das wäre für Sie nicht unbedingt schlimm, Sie waren ja auch nur Parteigenosse, aber die durchführenden Organe, die waren natürlich in der Lage, Unrecht zu erkennen, und müssen deshalb heute mit der vollen Härte des Gesetzes – Celler Loch? Ich dachte eher an die Mauerschützen.

Wir setzen vor allem auf regionales Wachstum. Deshalb haben wir uns auch besonders stark gemacht, wo wir die besten Standortvorteile sehen. Beispielsweise in Thüringen. Das ist doch ein schmuckes Fleckchen Erde – ganz naturbelassen, keine Verfassungsschützer, da darf man noch offen gegen Neger und Türken demonstrieren, Reizklima, und unsere Freunde von der NPD haben ihre anfängliche Scheu längst abgelegt. Wir unsere übrigens auch, aber das nur nebenbei.

Kaderakten? Müssten wir mal schauen. Wir haben da schon eine ganze Menge vernichtet, aber es findet sich ja immer wieder etwas. Wir sind gründlich. Sagen Sie Ihrem Rechtsanwalt, dass wir nichts unversucht lassen – wir setzen Sie auch gerne von unseren Funden in Kenntnis. Immer vorausgesetzt, es betrifft nicht Sie.

Unsere Verbindungen zum Militär sind ja nicht zufällig. Wir brauchten tatkräftige Männer, gerne mit einschlägiger Erfahrung und blütenreiner Weste. Gut, ist jetzt nicht so häufig, aber man fragt ja mal. Deshalb unser, sagen wir mal: Ordnungs- und Entrümpelungsdienst. Es gibt Leute, die finden Sachen, die haben andere nicht einmal gesucht. Journalisten. Staatsanwälte. Gelichter halt, so Zeugs ohne Regierungsnähe. Da muss man einschreiten, wenn die zu aktiv werden. Und deshalb schicken wir die alle in einen Raum, in dem wir einen Reißwolf aufgebaut haben. Was da drin passiert, ist uns vollkommen unbekannt, wir lassen uns nicht damit in Verbindung bringen und werden jeden verklagen, der behauptet, hier könne jeder für eine hübsche Summe belastende Akten gegen ihn in Papierschnee verwandeln. Das stimmt natürlich nicht. Für Parteifreunde machen wir das nämlich auch umsonst.

Sie haben belastendes Bildmaterial? Kinder? Wie alt? Das ist gut, wir sind immer froh, wenn wir mal neuen Stoff hier sehen – man kann sonst der Öffentlichkeit nicht mehr erzählen, dass wir wissen, was sich in der Szene tut. Wir schnipseln das gerne für Sie, aber zur Sicherheit machen wir vorher eine Kopie. Nur zur Sicherheit. Falls wir das mal brauchen sollten – natürlich ohne Zusammenhang zu Ihnen. Man ist ja kein Unmensch.

Entsorgung ist Vertrauenssache. Oder wissen Sie, wer da alles weiß, was Sie wissen, aber wovon Sie nicht wissen, wer das weiß, obwohl Sie das nicht wüssten? Wir bieten Ihnen deshalb den Rundumservice an. Alles bombensicher. Was wir in die Finger kriegen, wird zu Konfetti. Wenn es sein muss, vernichten wir komplette Archive. Oder auch Akten, die eigentlich noch für den Dienstgebrauch sind, aber sich derzeit so in Verkehr befinden, dass man sie da leicht rausziehen kann. Wir bieten Ihnen das Beste an. Stellen Sie uns auf die Zerreißprobe.

Referenzen? Gerne. Ich nehme an, die Frau Bundeskanzlerin wird ein gutes Wort für uns einlegen. Sie weiß schon, warum.“





Ausschussware

20 09 2012

„Können Sie sich noch erinnern?“ „Ich weiß nicht.“ „Also können Sie sich nicht mehr erinnern?“ „Das habe ich nicht gesagt.“ „Aber Sie sagen doch, Sie wissen nichts mehr.“ „Das habe ich nicht gesagt, ich habe gesagt: ich weiß nicht.“ „Aber das heißt doch, wenn Sie nichts mehr wissen, dann können Sie sich auch nicht mehr erinnern.“ „Nein, das heißt nur, dass ich nicht weiß, ob ich mich noch erinnern kann.“ „Aber wenn Sie das nicht mehr wissen, dann heißt das doch, Sie haben keine Erinnerungen mehr, dann können Sie sich also nicht mehr erinnern.“ „Das habe ich nicht gesagt.“ „Aber Fakt ist doch, Sie können sich eben nicht mehr erinnern.“ „Ich weiß nicht.“

„War Ihnen klar, dass Sie etwas wussten?“ „Ich weiß nicht.“ „Es geht auch nicht darum, ob Sie etwas wissen…“ „Das weiß ich ja auch nicht.“ „… sondern ob Sie etwas gewusst haben.“ „Das wusste ich nicht.“ „Wussten Sie nichts?“ „Ich habe nicht gewusst.“ „Dass Sie etwas wissen sollten?“ „Ich hatte nicht gewusst.“ „Also wussten Sie es dann später?“ „Das habe ich nicht gesagt.“ „Oder war Ihnen gar nicht klar, dass Sie etwas wussten?“ „Weiß ich nicht.“ „Und dass Sie es hätten wissen können?“ „Ich wusste nicht, ob ich etwas hätte wissen sollen.“ „Und ob Sie etwas hätten wissen wollen?“ „Ich weiß nicht.“ „Wussten Sie es nicht?“ „Ich wusste doch nicht, ob ich etwas hätte wissen wollen, sonst hätte ich es ja wissen müssen.“ „Und Sie hätten das auch nicht wissen können?“ „Das konnte ich nicht wissen.“ „Wollten Sie nicht?“ „Ich weiß nicht.“ „Also sollten Sie nicht wollen.“ „Das habe ich nicht gesagt.“ „Sollten Sie denn?“ „Ich weiß nicht.“ „Und Sie wussten auch nichts.“ „Das habe ich nicht gesagt.“

„War Ihnen klar, dass Sie eventuell nicht die Wahrheit sagen würden?“ „Ich weiß nicht.“ „Ist Ihnen klar, dass Sie möglicherweise damit eine Falschaussage machen?“ „Ich weiß nicht.“ „Also wissen Sie nicht, ob Sie die Wahrheit sagen?“ „Das habe ich nicht gesagt.“ „Ist es denn wahr, was Sie aussagen?“ „Ich weiß nicht.“ „Und wissen Sie, dass es unter Umständen nicht der Wahrheit entspricht?“ „Woher soll ich das wissen?“ „Wenn Sie die Wahrheit sagen, müssen Sie doch wissen, was wahr ist.“ „Ich weiß nicht.“ „Also sagen Sie – wie Sie es sagen – die Wahrheit, ohne zu wissen, ob es die Wahrheit ist?“ „Weiß ich nicht.“ „Ohne zu wissen, was überhaupt die Wahrheit ist.“ „Das habe ich nicht gesagt.“ „Und Sie wissen auch, dass Sie damit nicht die Wahrheit sagen.“ „Ich weiß nicht.“ „Wissen Sie denn die Wahrheit?“ „Ich weiß nicht.“ „Also wissen Sie sie nicht.“ „Das habe ich nicht gesagt.“ „Sondern?“ „Dass ich es nicht weiß. Ich hatte ja nicht alleine Verantwortung, nur für die semantischen Informationspannen.“

„Also musste bei Ihnen doch jemand gewusst haben, was die Wahrheit ist.“ „Weiß ich nicht.“ „Es muss jemand gewusst haben, denn sonst wäre Ihre Darstellung keine Informationspanne.“ „Ich bezog mich nur auf die Semantik.“ „Wie darf ich das denn verstehen?“ „Ich weiß nicht.“ „Wollen Sie mich veralbern?“ „Das habe ich nicht gesagt.“ „Was denn!?“ „Ich weiß nicht.“ „Wenn das hier nur eine Informationspanne gewesen sein sollte, dann hätte doch einer wissen müssen, was die Wahrheit ist.“ „Ich weiß nicht.“ „Er hätte es wenigstens wissen können.“ „Ich weiß nicht.“ „Und sicherlich hätte er das wissen sollen.“ „Weiß ich auch nicht.“

„Hatten Sie von den Akten gewusst?“ „Ich weiß nicht.“ „Sie werden doch wohl heute wissen, ob Sie vor heute von den Akten in Kenntnis gesetzt worden sind!“ „Ich – nein, ich hatte sie nicht gesehen.“ „Von innen?“ „Ich weiß nicht, wie ich sie nicht gesehen hatte.“ „Von außen haben Sie sie gesehen?“ „Nein.“ „Von innen?“ „Ich weiß nicht.“ „Sie wussten also von diesen Akten gar nichts.“ „Ich weiß nicht.“ „Und Sie haben sie auch nicht gelesen oder zur Kenntnis genommen oder sogar selbst gesehen?“ „Das habe ich nicht gesagt.“ „Dann haben Sie sie also zur Kenntnis genommen.“ „Das habe ich nicht gesagt.“ „Sie haben diese Akten nicht zur Kenntnis genommen? „Ich weiß nicht.“

„Wer wusste davon?“ „Wovon?“ „Dass Sie nicht wussten.“ „Ich weiß doch nicht, was ich nicht wusste. Wenn ich das hätte wissen können, wüsste ich es doch.“ „Hätten Sie es wissen können?“ „Das habe ich nicht gesagt.“ „Wollten Sie denn?“ „Es sagen?“ „Es wissen.“ „Das weiß ich nicht.“ „Und wenn Sie es hätten sagen wollen?“ „Das hätte ich nicht gewusst.“ „Also wissen Sie es jetzt?“ „Ich weiß nicht.“ „Sie wussten es also später.“ „Weiß nicht.“ „Und Sie sagen, Sie wissen es jetzt nicht mehr?“ „Das habe ich nicht gesagt.“ „Sie wissen, was Sie wussten, da Sie es hätten wissen müssen?“ „Ich hatte es aber nicht wissen können.“ „Weil Sie es nicht hatten wissen wollen.“ „Das – ich weiß nicht.“ „Und Sie wussten nichts?“ „Wir wussten nur, dass wir nicht wussten.“ „Weil keiner wusste, was die anderen hätten wissen sollen?“ „Das haben wir nicht wissen können.“

„Haben Sie dann jetzt die Unwahrheit gesagt?“ „Weiß ich nicht.“ „Sie haben also nichts als die Wahrheit gesagt.“ „Das habe ich nicht gesagt.“ „Nichts als die Wahrheit?“ „Das sage ich doch die ganze Zeit.“ „Gut, dann habe ich auch keine weiteren Fragen mehr.“ „Ich weiß.“





Der letzte Versuch

11 07 2012

„Und für die Kinder wird gar nichts getan?“ „Wir wollten ja die Netzzensur, aber es ging nicht.“ „Und die Urheber haben auch das Nachsehen?“ „ACTA ging einfach nicht. Aussichtslos.“ „Und vor diesen Neonazis müssen wir auch klein beigeben?“ „Aber nicht doch – dafür haben wir jetzt eine Warndatei.“

„Und das funktioniert?“ „Diesmal bestimmt.“ „Weil es vorher ja nie funktioniert hatte?“ „Die Tücke des Objekts. Der Wald vor lauter Bäumen.“ „Der Verfassungsschutz hat also ganze zwanzig Jahre gebraucht, um den organisierten Nazismus zu entdecken?“ „Neonazismus, bitte.“ „Egal – diese Verfassungsschützer haben seit Michael Kühnen im Tiefschlaf gelegen?“ „Man sollte historische Fakten nicht zu schnell bewerten wollen. Das braucht seine Zeit.“ „Hoyerswerda?“ „Das war der Volkszorn.“ „Die Münchener Synagoge?“ „Wissen Sie, diese moderne Architektur…“ „Wenn aber der Verfassungsschutz nicht mehr in der Lage ist, unseren freiheitlichen Rechtsstaat vor den Gefahren des Extremismus und des Terrorismus zu schützen?“ „Dann werden wir knallharte Konsequenzen ziehen müssen.“ „Beim Verfassungsschutz?“ „Wir fangen da bürgernah an, nach Möglichkeit bei Personen, die wegen ihrer Hautfarbe oder Religion nicht in den deutschen Volkskörper zu integrieren sind.“

„Ist der Inlandsgeheimdienst überhaupt noch reformierbar?“ „Bitte nicht dieses reißerische Wort, ich kann das schon nicht mehr hören.“ „Dass es ein Geheimdienst ist?“ „Dass Sie uns mit Reformen kommen. Genauso können Sie vom Auswärtigen Amt verlangen, Ribbentrops Dienstanweisungen außer Kraft zu setzen.“ „Sind Ihnen denn die Schlapphüte lieber, wenn sie ohne einen Ansatz zur Reform wie bisher weitermachen?“ „Ich würde sie eher nach dem Modell des Außenministeriums betreiben.“ „Als Brutstätte der Korruption?“ „Das mag ein angenehmer Nebeneffekt sein, vor allem sollten wir sie als extralegalen Abenteuerspielplatz betrachten und künftig in Ruhe lassen.“

„Was nützt es uns denn, eine Warndatei mit Neonazis einzurichten?“ „Wir sind gewarnt. Und was noch wichtiger ist, wir haben eine Datei.“ „Also Material, das zur erkennungsdienstlichen Behandlung mit anderen Datensätzen abgeglichen werden kann, legal oder nicht.“ „Wir sehen diese Datei vor allem als eine Datei, damit wir eine Datei haben. Sollte es nochmals zu einem oder mehreren Anschlägen kommen, bei denen ein eindeutig nazistischer Hintergrund trotz intensiver Tätigkeit der Ermittlungsbehörden nicht zu leugnen ist, werden wir spätestens nach der Verhaftung der Täter sofort sagen können, ob sie in der Datei erfasst worden waren.“ „Und wenn nicht?“ „Dann sind die deutschen Sicherheitsbehörden ihrem Ruf gerecht geworden und haben neben der Regierung dieses Landes noch einen Moment Zeit gefunden, einen so nicht vorhersehbaren Ermittlungserfolg zu erzielen, der für die Qualität der deutschen Polizei spricht und unter der Zuhilfenahme von Vorratsdatenspeicherung und Trojanern noch viel schneller gelungen wäre.“

„Die aktuellen Ermittlungspannen sind doch wohl nicht als taktische Fouls zu deuten?“ „Warum nicht? Moral schießt keine Tore.“ „Es handelt sich also um gezielte Straftaten, denen…“ „Wieder diese harten Worte – es waren absichtliche Verfehlungen, das muss man nicht auch noch gezielt falsch darstellen wollen.“ „… gezielte und vorsätzlich begangene Straftaten, um die Arbeit des Verfassungsschutzes zu torpedieren?“ „Ihnen ist sicher nicht fremd, dass auch wir den Gesetzen des Arbeitsmarktes unterworfen sind. Nur sind wir im Gegensatz zu Politikern nicht durch Ruhegehalt und Ehrensold angesichert, wir müssen für unsere Bezüge knallhart und konsequent Ergebnisse liefern. Da bleibt viel hängen. Nennen wir es ein Stockholm-Syndrom. Ohne die enge Kooperation mit den Feinden unserer Verfassung wüssten wir gar nicht mehr, was wir für unser Geld noch tun sollten.“ „Sie wissen es wirklich nicht?“ „Ja, was denn? Etwa die NPD auflösen?“

„Manchmal frage ich mich, warum wir uns nach den Erfahrungen unserer Geschichte einen solchen Polizeistaat überhaupt leisten.“ „Weil wir es können – die Investitionen sind jedenfalls sicherer als bei ein paar Oppositionellen, die uns mit Demokratie auf die Nerven gehen.“ „Da irren Sie sich. Wir sind gerade als Deutsche besonders verpflichtet, uns für die Einhaltung von demokratischen Standards einzusetzen, beispielsweise in China.“ „Sie sind es, der sich irrt. Wir sind dank unserer Regierung in der Lage, uns einen Dreck um Menschenrechte kümmern zu müssen. Beispielsweise in China.“

„Es führt kein Weg daran vorbei. Dies ist der letzte Versuch.“ „Für Sie vielleicht, bevor die parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten endgültig im Abgrund verschwinden.“ „Dafür werden Sie und Ihre Behörde geradestehen.“ „Aus Erfahrung: nein. Wir haben erst alles über linken Terrorismus gesammelt, aber nichts über Neonazis. Jetzt haben wir den Islamismus als Ausrede, nichts gegen Rechts zu tun. Was hindert uns, genau so weiterzumachen wie bisher?“ „Die Öffentlichkeit wird sich für Ihre Nazidatei interessieren:“ „Die wird auch wieder nur ein Feigenblatt sein, um unseren Anspruch auf lückenlose Überwachung zu rechtfertigen. Gegen Nazis und die anderen Oppositionellen hilft nur eine umfassende Vorratsdatenspeicherung.“ „Damit müsste Ihre Behörde jedoch zugeben, dass es sich bei den Neonazis um Terror handelt. Sonst greifen am Ende die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts nicht, um eine Überwachung zu installieren.“ „Ach was, das klappt schon.“ „Sie meinen, diesmal klappt das tatsächlich. Falls…“ „Was?“ „Falls wir nicht wieder aus Versehen alles löschen.“