Gernulf Olzheimer kommentiert (CCXXIX): Das Kind im Wattepanzer

14 02 2014
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Seit Generationen waren sie am östlichen Seeufer barfuß über die Geröllhalde gelaufen, schon deshalb, weil Schuhe erst ein paar Jahrtausende später erfunden wurden. Sie hatten sich die Knie eingehauen, waren aufgestanden, vor den Büffeln davongelaufen, waren in den See gesprungen, haben Fische mit der bloßen Hand gefangen, in die Höhle geschleppt, mit Feuersteinmessern aufgeschlitzt und gebraten, und wenn das mit den Wollnashörner nicht gut ausging, kamen von den zehn nur neun zurück. Sie hatten nicht einmal ein Dosentelefon oder einen Zettel, auf dem stand, dass sie regelmäßig trinken sollten da draußen in der Wildnis. Und sie haben es ihren Kindern und Kindeskindern erspart, wie auch die ihren Blagen. Nur wir denken, wir müssten unsere Sprösslinge in den Wattepanzer stopfen. Gewaltfrei natürlich.

Die Hysterie, mit der die Beknackten heute an den dräuenden Untergang für jedes Kind denken, wie er bereits in Gestalt eines Puschelhäschens lauern könnte, diese Wahnvorstellung wird mit einer Intensität durch sämtliche Schichten dieser unserer Gesellschaft dekliniert, mit der normale Menschen Konzerne gründen. Wir schleifen die Rotznasen im zartesten Alter zum Turnen, in die Chinesisch- oder Geigenstunde und laden sie zu arrangierten Zeiten bei ausgewählten Spielgefährten ab, um vom Start an die besten Sozialkontakte zu unterhalten. Wir drücken ihnen ungefragt die Wasserflasche ins Gesicht, schwiemeln ihnen zuckerfreien, fettarmen und geschmacksneutralen Pomps in den Stoffwechsel und stopfen sie in mundgehäkelte, genderneutrale Säcke mit Knopf und Faden, bis sie mit tödlicher Sicherheit psychotische Vollklopse sind, Abbilder ihrer geistig erodierten Erzeuger.

Denn die wollten ja einfach nur das Beste für ihre Stöpsel, und das ist das Problem. Die Kohorte der heutigen Fortpflanzer ist mehr denn je gegen die Wand gelaufen, schlimmer als alle zuvor. Was als Individualisierung innerhalb der vergangenen Jahrzehnte herhalten musste, weckt heute nur noch ein müdes Lächeln. Punk? in diesem Jahrtausend tragen sie Vollbart, die Nonkonformistenuniform des Spätkapitalismus, dazu Brillen, die aus jeder Durchschnittsphysiognomie einen Knalldeppen zaubern. Das bisschen Einzigartigkeit, wenn sie morgens Kevin auf die Sojaplörre pinseln, kann man sich auch schenken. Sie gehen alle unter; vielleicht ist das nicht einmal schlecht, weil von der Evolution so vorgesehen, aber es löst diese dumpfe Urangst vor der Vernichtung aus. Die Einschläge kommen näher. Sie haben sich mit letzter Kraft reproduziert. Und das soll jetzt alles gewesen sein?

Vor dem Hintergrund der eigenen Nichtigkeit plustern sie ihre genetische Hinterlassenschaft auf und projizieren ihre Besessenheit auf das wehrlose Wesen. Die obsessive Jagd nach Unverletzlichkeit, nach der perfekten und makellosen Imago treibt ihre Sumpfblüten. Wie eine Puppe inszeniert der teilzeitintelligente Teil der Erlebnisgesellschaft seinen Abkömmling, steril und unantastbar, schon ab Empfängnis reizstoffarm gepuffert und ab der Geburt quasi im Schutzhelm geparkt, vegan und laktosefrei mit Mozart zugekleistert, damit nichts das gepamperte Glück der Leibesfrucht stören möge. Und das alles nur, weil eine Rotte völlig verseifter Dummklumpen aus der bröselnden Mittelschicht den Gong zur letzten Runde nicht gehört hat.

Kriegt der Neubürger dadurch die Klimakatastrophe in den Griff, dass er erst mit zehn unter Aufsicht ein Fahrrad mit Stützrollen fahren darf? Erledigen wir die NSA und den Hunger in der Welt, den Nahostkonflikt und die Vogelgrippe, indem wir männlichen Flugpassagieren verbieten, neben fremden, wahlweise auch neben ihren eigenen Kindern zu sitzen? Wird die Finanzkrise, wird die Arbeitslosigkeit, werden Rassismus und soziale Ungerechtigkeit dadurch entschärft, dass nach einer narkosefreien Hirnverödung Eltern ihre Schutzbefohlenen in Klarsichtfolie einschweißen, um sie vor dem Kontakt mit gleichaltrigen Kita-Kommilitonen zu schützen? Der Windmühlen sind viele, aber der Kampf hat ja auch erst begonnen.

Die Ängstlichen. Sie haben derartige Furcht vor dem Abnippeln, dass sie sie auf ihre Erben werfen, und die reflektieren sie in ihrer Schwäche strikt zurück. Lauert irgendwo der Untergang? dann ist es besser, sie balsamieren ihre Kurzen nicht erst post mortem ein, sie erledigen sie jetzt schon und nehmen sie dem Leben, statt ihnen das Leben nehmen zu müssen.

Was fehlt, sind Bungeekurse auf Krankenschein. Für manche mag es der bessere Weg sein, sich ordentlich die Gräten auszurenken, als das für Jahrzehnte an einem wehrlosen Wesen zu unternehmen. Und die Kampfhubschraubereltern gehen ja nicht nur ihren Kindern auf die Plomben. Wahrlich nicht.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CCXXV): Das optimierte Kind

17 01 2014
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Das waren noch Zeiten, als flachgekämmte Väter ihre präsumptiven Erben an der Schulter packten, ihnen Klinkerbude, Stall und Schrankwand zeigten, um mit bebender Stimme zu verlautbaren, dass alles das einmal ihnen gehören werde. Ob derart große Gesten immer angebracht sind, sei dahingestellt, immerhin zeigt es noch eine klare Sicht auf die Tradition: was der Abkömmling ererben würde von seinem Alten, erwerben müsse er es, um es zu besitzen, und dann würde es ihm auch besser gehen als den Ahnen. Möglicherweise. Sie haben alle eine realistische Perspektive auf den weiteren Wuchs des Stammbaums gehabt, die Altvorderen. Und sie wussten, dass die Knirpse den ganzen Quark namens Leben selbst über die Bühne zu bringen hatten. Alles andere wäre Faulheit gewesen. Denn irgendwann sollten sie aufhören, ihre Füße unter den elterlichen Tisch zu strecken. Jahrhunderte und Jahrhunderte kamen so junge Menschen zustande, die ein langweiliges Dasein geführt haben müssen. Wenige von ihnen hatten Plüsch im Kopf oder Burnout.

Mit dem Trend zur Individualisierung – jene leicht verschwiemelte Geisteshaltung, die sich selbst für geistig hält – haben vor allem die Macken an Gewicht gewonnen. Keine Mittelschichtmuddi würde ihren Ruben-Jonas, wahlweise: ihre Marie-Melissa übermäßig normal erziehen, um sie dem Durchschnitt anheimzustellen, der Schicht, die nicht glutenallergisch ist, Industriezucker ohne Ekzeme verkraftet, Hausschuhe tragen kann, ohne Sehnenscheidenentzündungen im Vorderfuß zu erleiden und sich nicht für hochbegabt hält, weil in der Familie alle ihren Namen auswendig schreiben können. Überhaupt die Hochbegabung, sie scheint das Schicksal ganzer Landstriche zu sein, die sich zufällig mit gentrifizierten Altbaugebieten deckt, wo nur in Ausnahmefällen ein Kind mit einem IQ unter 150 durch den Kaiserschnitt gezerrt wird. Natürlich werden die Blagen mit laktosefreier Milch hochgepäppelt, weil das Muttertier in der Evolution falsch abgebogen ist und ihr Gesäuge nur mit herkömmlicher Brustplempe dienen kann. Macht aber nix, seinen Schaden bekommt der Wechselbalg, sobald die Verziehungsberechtigte ihn in die mehrsprachige Krabbelgruppe schleppt. Spätestens nach sechs Wochen, wenn die Leibesfrucht weder selbsttätig sitzen noch mit deutlichem Mandarin-Akzent lallen kann, lässt die Alte ihren Frust an dem Kurzen aus und schafft eine neue Generation psychotischer Arschlochmonster.

Längst wird der Nachwuchs aber nicht mehr nur von chronisch Bekloppten drangsaliert, die ihre Kollateralbekinderung als ideologisch korrektes Accessoire am Gängelband neben sich tippeln lassen wie einen Modehund. Die wahren Stammhalternazis geben sich wie blöde die Sporen, ihren Söhnen und Töchtern vom ersten Augenblick an das Leben so gründlich zu versauen, dass es kein Zurück mehr gibt. Sie wählen die Tunnelvision der Hölle und optimieren die Folgegeneration zu Tode.

Das Inferno ist nicht die autoritäre Erziehung. Es ist ein von Foucault entwickeltes Zwangssystem der omnipräsenten, klebrigen Liebe, die mit stumpfen Nadeln unter die Haut gegraben wird. Die helikopternden Elterntiere kriechen mit jedem guten Ratschlag zur absolut passenden Zeit aus der Brotdose mit der ökologisch korrekten Dinkelstulle plus Biosalatblatt, die sich der Vierzehnjährige im Schmollwinkel reinpfeifen muss, während die mental noch nicht verrümpelten Klassenkameraden das Ende ihrer Pubertät bereits zur Kenntnis genommen haben. Der mit einem unsichtbaren Ganzkörperfahrradhelm gegen die böse Realität ausgestattete Schnösel (er kann nichts dafür, ist aber trotzdem einer) bleibt ein emotionaler Nichtschwimmer, das ist eine Seite der Medaille.

Auf der anderen Seite steht der Narzissmus, der den Teilzeitgescheiterten die schärfste Waffe in die Hand gibt, Liebesentzug, mit dem sich jedes intakte Kind in eine von Lemuren getriebene Kreatur verwandeln lässt. Die für eine Zukunft mit erhöhter Weltuntergangsgefahr getrimmten Nesthäkchen tun das alles nur, um die Zuneigung ihrer Erzeuger zu sichern, die ansonsten in das umschlüge, was die eigentliche Haltung ihnen gegenüber ist: blanke Ignoranz, aus der die Verwahrlosung spricht, die sie der folgenden Schicht im Gemenge der Generationen gerne aufdrücken würden. So peitschen sie ihre Experimentierembryonen mit Lust in die Mühle, die die Funktionstüchtigen durchlässt, damit sie sich ein Leben lang aufreiben können, um eine Gesellschaft zu stützen, die sie vergiftet. Sie taumeln von einem Double Bind ins nächste, wenn die Eltern sie zum Konzertgeiger gedrillt um die Welt jagen, ihnen aber aus lauter Fürsorge nicht erlauben, sich selbst die Schnürsenkel zu binden. Diese Hölle hat keinen Notausgang.

Immerhin gibt es eine legitime Art der Rache, wie sie vor einem Jahrhundert oder zwei noch nicht möglich war. Die effizienzverseuchten Bambini wählen in naher Zukunft das Pflegeheim aus, wo ihre Eltern den Löffel abgeben werden. Da sind sie, die Arschlochmonster. Viel Spaß noch.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CLXXVIII): Waldorfschulen

4 01 2013
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Von einigen Ausnahmen abgesehen kommt der Hominide geistig einigermaßen gebrauchsfertig auf diese Welt, lernt die Ein- und Austrittsöffnungen des Verdauungstrakts zu kontrollieren, überwindet seinen Ödipus und kommt manuell klar mit den Objekten des täglichen Gebrauchs. Latent lauert die Gefahr im Dickicht der Dumpfdüsen; kahlrasierte Blödbirnen, Suffköppe und Schweinepriester sind ihm auf den Fersen, doch mit etwas Schneid und der richtigen Bildung kriegt er das Zeug aus dem Pelz, eignet sich die Gebrauchsanweisung der Hirnrinde an und verbringt eine sinnvolle Existenz im Sinne des Erfinders. Das Risiko zu minimieren ist nicht zuletzt Sache der vernünftigen Erziehung. Dumm nur, sollte eine Waldorfschule sie ersetzen.

Kündete ein bekiffter Guru, kurz vor dem Urknall hätte das große Lalulā die Schwerkraft in Borneo und Hessen abgeschafft, um weibliche Personen vor dem Verschimmeln zu bewahren, man schickte ihn luftdicht verpackt an den Absender. Käme eine sozialpädagogisch vorgewaschene Trulla auf den Gedanken, nur durch Mitklatschen ließe sich genug Bewusstsein für Bruchrechnung erzeugen, sie wäre schnell wieder auf der Flucht. Kommt jedoch ein mehrmals mit der Birne gegen den Okkultismus gekloppter Heckenpenner auf die Idee, zwei parallel gelebt habende Jesusse hätten ihm die Offenbarung fürs hernach abgesoffene Atlantis ins Bügelfaltengesicht gefaselt, dann wird der Sperrmüll vermittelst Kultusbehörde in den Rang einer offiziell geduldeten Lehrmeinung befördert, der man unversehrten Nachwuchs in den Rachen schwiemeln darf. Hat man sich bei staatlich approbiertem Unfug, vulgo Religion, schon daran gewöhnt, den Wahnideen eines Frühverkalkten mit hysterischer Realitätsverweigerung folgt man nur mit Mühe und sieht nicht ein, warum sie mit der Brechstange in den Kanon der Regelverdeppung gedrückt werden soll. Trauriger ist, dass noch weniger Bekloppte einsehen, was an dem Schmu so falsch sein soll. Es geht den Kurzen ja gut.

Denn Waldorfschüler werden repressionsfrei herangezüchtet. Sie lernen nichts, dürfen sich beim nach Geschlechtern getrennten Namentanzen (Rudolf Maria mit zweimal Ärmchen hoch, hühüpf ruff-dadda-duff) ihre Angstneurose aufpusten und brauchen ansonsten keine Sorge zu haben vor dem da draußen, das aus Zensuren und Vernunft besteht.

Das Niveau der als Geschichtsunterricht getarnten Frontallappenkirmes ist im unteren Bereich dehnbar. Bis Anno 3573 noch wird der germanische Kulturkreis die aktuelle Evolution fortführen – ethnische Stereotypen olé, so ähnlich muss Kreationismus für Braunbrunzer aussehen – und da bleiben ja noch gut anderthalb Jahrtausende, um sich gegen die störenden Einflüsse von Slawen und Juden durchzusetzen, degenerierten Abarten, die noch nicht von der zentralen Bedeutung des Deutschtums für diese Spiralgalaxie überzeugt sind. Wenn es denn die Kinder glauben, ist ja alles gut.

Bis zum vollendeten siebten Lebensjahr gilt das Balg als physische Verfügungsmasse, es reicht ihm statt zu reflektieren sieben Jahre lang Nachahmung. Kaum wächst dem Kinde ein Ätherleib, darf es Nachfolge und Autorität verinnerlichen, denn was wäre der Teutone ohne diese als erste Bürgerpflicht. Entsprechend ist das für Waldorfpimpfe und Steinerjugend vorgesehene Programm, das die Stammesgeschichte des Menschen gemäß wirrer Orakelschriften deutet: erst sind die Affen, dann die Indianer, dann die Arier aus dem Stamm der Atlantier gekommen, nur der Neger darf als genetisch verhunzte Spielart der Lemuren noch ein bisschen Universalhistorie mitspielen, bis er nach Osten geht, sich zu viel dem Weltenall angliedert und schließlich ausstirbt. Wer diesen Wurzelrassenwahn in unbeschmutzte Kinderschädel pfropft, tut es nicht absichtslos. Wahnsinn und Methode entsprechen einander, sie dienen einem Ziel: der Nachzucht stramm sabbernder Nachfasler. Der Waldorfschüler ist die Avantgarde der Hominisation. Er ist vom Schicksal auserwählt. Wer die schizoide Psychose findet, darf sie behalten.

Einen Webfehler hat diese Masche. Gab es durchaus signifikante Schnittmengen zwischen den Waldorftrotteln und den Schranzen des braunauer Bettnässers, der NS-Staat wollte sie damals wie heute nicht, und heute wie damals aus demselben Grund. Schon damals erkannte man das mystische Maulheldentum der Magieflaschen als komplett unverträglich mit dem Wehrsportgruppenzwang der Kanonenfuttermittelproduzenten. Und so kamen die Anhänger zweier arbeitsscheuer Soziopathen nie auf einen rechten Nenner. Geschenkt, dass die Anthroposophen ihr vergebliches Werben um die Gunst der Völkermörder zum antifaschistischen Widerstand umschminken.

Und so kann man in diesem Lande mit Singen und Klatschen, Farbenlehre und Antisemitismus eine täuschend echte Kopie von Allgemeinbildung erhalten. Man sollte dafür Sorge tragen, dass sich bis zur amerikanischen Epoche (ab 5733) die intellektuellen Rückwärtsjodler ihr Astralleibchen nur gegenseitig zur Verfügung stellen. Was durch Inzucht entartet, wird aus dem Genpool entfernt. Der Nazi glaubt daran, der Anthroposoph auch. Endlich mal ein Untergang, der allen Spaß macht. Wie Atlantis.





Gernulf Olzheimer kommentiert (XIV): Progressive Eltern

3 07 2009

Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer


Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Die Welt tickte noch sauber, als Mütter und Väter noch das waren, als was sie von der Natur und den Ansätzen diverser gründlich missratener Zivilisationsversuche vorgesehen sind: Mütter. Und Väter. Teils Laktationsautomat und Maschine zum Windelwechseln, teils der bärtige Teilnehmer am ordnungsgemäß absolvierten Ödipuskonflikt, der in letzter Sekunde vor dem Abtanzball demonstrieren darf, wie man sich einen Strick unter den Kragen nudelt. Andere Kulturtechniken wie Bierflaschen öffnen, Bierflaschen leeren, Bierflaschen in der Landschaft verstreuen eignet sich der Jungspund lieber durch teilnehmende Beobachtung im Kreise der Gleichaltrigen an. Gehen die ersten Versuche von Komasaufen, erotischer Annäherung oder akrobatischen Übungen auf dem Zweirad gründlich in die Hose, so ist es dem Adoleszenten immer noch lieber, sich in Anwesenheit der Klassenkameraden schlagartig bewusst zu werden, dass ein Abgrund gähnt zwischen dem Realen und dem unter der Schädeldecke köchelnden Schwachfug, der sich nach und nach an den Tatsachen abschmirgelt. Er zieht sich gerne zurück ins Elternhaus, wo ihm die dumpfe Heile-Welt-Spießigkeit zwar voll auf die Plomben geht, doch weiß er, dass er aus dieser Zwangslage spätestens am nächsten Wochenende wieder entwischen wird und dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis er als Volljähriger den Ort seiner Gefangenschaft endgültig verlassen kann.

Nicht so der progressiv gehegte Halbwüchsige. Wo prügelnde Megären und dauerbesoffene Nulpen mit ihrem Latein am Ende sind, die folgende Generation für das eigene sinnlose Dasein büßen zu lassen, da fallen die Behämmerten par excellence ins weite Feld der Bevormundung ein, marodierend und verbrannte Erde hinter sich lassend. Es sind progressive Eltern, die sich an den Stammhalter ungefragt heranwanzen, als hätte der noch nicht genug Katastrophen am Hals. Mama und Papa als Kumpeltypen – ein Weltuntergangsszenario aus dem Bilderbuch für Grenzdebile.

Zunächst haben die Erziehungsberechtigten einen solchen Vorrat an Verständnisinnigkeit, dass es dem Sprössling graut. Er sucht sich mühsam seine Chancen zur Rebellion zusammen, vergiftet ein Rudel Kois in Daddys Gartenteich und nagelt Mammis Prada-Sammlung zwölfzöllig ans Cabrio. Die Altvorderen analysieren es kritisch und sehen, dass der Bankert durchaus nachvollziehbar handelt. Väterchen findet auch gar nichts dabei, er wollte den Sportwagen ohnehin abwracken, weil er denkt, dass ein Motorrad zu einem modernen Mann mit Kind ohnedies besser passt. Dass die Chrommühle nur angeschafft wird, damit er seinen Erben damit entspannt zur Engtanzfete kutschieren kann, steht auf einem anderen Blatt. Dass der Knabe vor dem anwesenden Damenflor lieber erektile Dysfunktion zugäbe als die Anwesenheit seines Erzeugers, steht für letzteren gar nicht zur Debatte. Er meint es gut, und genau das ist das Problem.

Mehr noch, die Erziehungsberechtigten maßen sich an, jedes noch so intime Detail ihrer Brut in sämtlichen Erscheinungsweisen mit dem klebrigen Überzug ihres Einfühlungsvermögens zu beschmieren. Wer weiß, wie Pubertierende ticken und dass eine Auseinandersetzung unter kleinen Mädchen – Chantal mag nicht mehr neben Jacqueline sitzen – die klassische Vorstellung von Harmageddon dagegen in ein minder schweres Kaffeekränzchen verwandelt, kann sich ausmalen, wie es die Blagen empfinden, wenn Mutti ihren eigenen missratenen Reifungsprozess als Parallele zu Töchterleins ersten zarten Erfahrungen auf dem Rücksitz eines Personenkraftwagens heranzieht. Sie hätte vielleicht gleich eine tiefenpsychologische Interpretation des Tagebuchs anfertigen sollen, um aus dem Mädel eine Portion Leibesfruchtsalat zu basteln. Die Hauptsache ist, es geht den Alten gut. Sie genießen nicht das Leiden ihrer Abkömmlinge, sie bemerken es nicht einmal.

Peinlichkeit ist ihre zweite Natur. Subfontanell unmöbliert wie sie sind, treiben sie glühende Krampen unter die Nägel ihrer kleinen Schatzis, indem sie sich als deren beste Freunde bezeichnen, öffentlich und ungefragt. Hatte der Rebellionsdrang schon keine Chance, so wird das Seelenleben der Jugendlichen hiermit endgültig in die Grütze geritten, denn die Gruftis kapieren nicht, dass man sich Freunde im Gegensatz zur Familie aussucht – jede Sozialisation der gesellschaftlichen Debütanten ist damit ausgeschlossen, die Bande wächst zu einem Haufen Psychoarschlöcher heran, die sich nur durch grobe Gewalteinwirkung von den Tentakeln der Mutterliebe und des Vaterstolzes lösen können.

Nach schweren Träumen kommt es dem Sohn mal wieder so vor, als hockte Pappi auf der Bettkante und gäbe seinen Sermon von sich. Die Sicherung brennt durch, und während die Nachbarn schon auf das Sondereinsatzkommando warten, verarbeitet das Kind seinen Schnödipus mit Hilfe der Laubsäge in handliche Päckchen. Alle sind fassungslos. Wo doch seine Eltern immer so viel Verständnis für ihn gezeigt hatten.





Noblesse oblige

24 03 2009

„Kommen Sie am besten gleich zur ersten Sendung“, hatte mir Siebels geraten, „Sie werden staunen, wie authentisch das Format ist!“ Also fuhr ich ins Studio. Bisher war auf den alten Fernseh-Fuchs noch immer Verlass gewesen.

Annegret Noble kam gerade aus der Maske und setzte sich auf die Designercouch. Wo war der alberne Strohhut? Warum steckte die Therapeutin auf einmal im Hosenanzug und trug kostspieliges italienisches Schuhwerk? War sie am Ende selbst Opfer eines erlebnistherapeutischen Experiments geworden? „Wir passen uns dem Publikum an“, klärte mich Siebels auf, „die gepflegte Maske ist Teil der Strategie für das Premium-Publikum.“

Und schon schlurfte die erste Verhaltensgestörte rein. Wie ich dem Sendeprotokoll entnahm, war Noée-Shaleena (16) mehrmals volltrunken im Wagen ihrer Mutter aufgegriffen worden. Sie hatte mit dem Springmesser einen Polizeibeamten verletzt und schließlich ihren kleinen Bruder vom Balkon auf den Kiesweg geworfen; der Dreijährige liegt seit Monaten im Wachkoma.

Zunächst war alles normal. Das halbwüchsige Ding mit den zahlreichen Piercings und den Klamotten, denen man nicht sofort ansah, ob sie aus der Edelboutique oder doch von der Mülldeponie stammten, pöbelte die brünette Störungsstelle an, hörte nicht auf ihre Beschwichtigungsversuche und benahm sich überhaupt so, wie man es von ihr erwarten konnte: gar nicht. Plötzlich eskalierte die Situation. Das Mädchen hatte eine goldene Kreditkarte aus der Handtasche gezogen und versuchte, Annegret Noble die Arme aufzuschlitzen. Erst drei hinter der Sitzbank hervorhechtende Bodyguards rangen die blondierte Furie zu Boden. „Das büßt Du mir“, schrie sie, „das sag ich meinem Pappi! Der macht Dich fertig, Du blöde Sau! Du landest im Knast!“

Einigermaßen konsterniert blickte ich Siebels an. „Was geht denn hier ab? Pappi? Knast? Normalerweise droht man doch mit Schlägern?“ Er schlug sich vor die Stirn. „Ach so, Sie hatten ja das Exposé nicht bekommen! Hier geht’s ausschließlich um Kinder aus der Oberschicht. Die drohen natürlich mit dem Rechtsanwalt.“ Zwischendurch wurde Mandy (15) ins Studio geführt. Gefährliche Körperverletzung, Einbruchdiebstahl, dazu mehrere Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz. „Ich gebe zu“, flüsterte Siebels, „wir verlangen dem Zuschauer einiges ab.“ Ich war ganz seiner Ansicht. „Nein, Sie verstehen das falsch. Ich meine nicht diese ungehobelte Sprache, die Gewaltbereitschaft, ich meine damit, dass wir der Gesellschaft so schonungslos den Spiegel vorhalten.“ Ob das nicht auch die anderen Sendungen täten? „Ach was! Schauen Sie sich doch mal diesen Kram an, da wird die so genannte Unterschicht stilisiert, der unterste Rand, damit sich der Zuschauer darüber erheben kann. Ein total verkorkstes Modell von V-Effekt. Wir arbeiten mit der medialen Widerspiegelung. Das Publikum sieht, dass die Probleme aus den Umständen seiner eigenen Schicht entstehen, und begreift, dass es selbst daran Schuld ist. Die alten Mechanismen, Verdrängung, die Suche nach dem Sündenbock, das geht nicht mehr.“ „Sündenbock?“ „Sicher. Die angebliche Machtelite kann sich doch nur konstituieren, wenn sie für ihr Versagen die Unterschicht verantwortlich macht. Sie lenkt von ihrer eigenen Unfähigkeit ab, indem sie die Schuld für ihr Versagen nach unten abschiebt.“ Derweil agierte Mandy wie vorhergesehen ihre Aggression an der Sozialklempnerin aus.

„Außerdem“, fügte Siebels hinzu, „ist unser sozialpädagogisches Konzept viel wirksamer.“ Ich verstand nicht gleich. „Wir sehen es am familiären Umfeld. Seelisch verroht, Moralvorstellungen sind nicht mehr vorhanden oder werden nicht realisiert, manche wären dem Gymnasialbesuch zum Trotz eher für die Sonderschule geeignet, zu allem noch diverse Suchterkrankungen. Die Kinder sind dementsprechend.“ Ich zuckte zusammen. „Was haben denn Sie jetzt gedacht? Das Problem sind die Eltern. Man sieht es doch, selten mal Menschen- oder Waffenhändler, der überwiegende Teil stammt aus dem höheren Bankmanagement.“ Ich tupfte mir den Schweiß ab.

Kevin (17) betrat die Szene. Nach erfolgreicher Kokserkarriere schulte er derzeit auf Zuhälter um. Offenbar wies sein Elternhaus eine leichte soziale Mobilität auf, wofür auch das gerade anhängige Verfahren wegen Sprengstoffbasteleien sprach. „Wir haben einen bildungspolitischen Auftrag. Indem wir die Jugendlichen davon abhalten, die Biografien ihrer Eltern nachzuleben, werden wir unserer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht. Denn nichts ist verhängnisvoller, als die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen.“

Etwas unterschied Kevin von den anderen. War es sein Fluchen? Dass er der Psycholorette die Brille zerknickte? Immerhin blieb die ihrer eigenen Predigt treu und hielt die Fehler ihrer Patienten aus. Sicherlich ließ sie sich auch nur aus Schafsgeduld ins Gesicht spucken.

Da stürmte der Schlacks auch schon auf uns zu. Siebels trat er so heftig in den Unterleib, dass der sich auf dem Boden krümmte. „Weg da, Du Schwuchtel“, brüllte mich der Grünschnabel an, „oder Du bist gleich tot!“ Ich muss ihn beim Ausholen ein wenig unglücklich erwischt haben. Er drehte sich, während er einige Meter weit in die Türme aus Stapelstühlen flog. Mit zitternden Fingern tastete er sein Gesicht ab, da stand ich auch schon über ihm. „Pass mal gut auf, Milchgesicht“, säuselte ich sanft, „das war Ernst. Und wir wollen doch beide nicht, dass der Onkel jetzt gute Laune kriegt, oder?“

Als ich Siebels aus der Klinik abholte – er war eine Nacht zur Beobachtung dort geblieben – frohlockte der Produzent. „Wir haben einen neuen Sponsor! Kevins Vater hat ein hübsches Sümmchen springen lassen. Sein Sohn ist noch am selben Tag zum Vorstellungsgespräch als Altenpflegehelfer angetreten. Freiwillig übrigens.“