Parzival und Jeschûte. Drei kleine Variationen Wolframs von Eschenbach (III): Eheliches Missverständnis oder Lücken der Versicherung

9 03 2014

(aus: Eugen Blaumann, Menschen im Mittelalter)

Ein Mensch, der spät sonst kommt nach Haus,
kommt früher heut. Wie sieht’s da aus!
Es scheint zur rechten Zeit zu sein,
denn kaum tritt er zur Tür herein,
da sagt die Menschin, dass ein Narr
vorhin bei ihr gewesen war.
Er hätt’ ihr ohne groß Geschrei
den Ehering geraubt und sei
auch übers Rebhuhn hergefallen.
Das mocht dem Menschen nicht gefallen,
ist Rebhuhn auf französ’sche Weise
doch seine Leib- und Magenspeise.
Bis dahin fasst er’s halb noch heiter,
die Menschin aber beichtet weiter,
der Junge hätt’ zum Überfluss
ihr auch geraubt noch einen Kuss.
Da reißt dem Menschen die Geduld,
er gibt allein der Menschin Schuld.
Denn Mundraub, auch wenn’s Rebhuhn sei,
gehört als Raub der Polizei
berichtet, ebenso der Ring.
Der Kuss ist doch ein andres Ding,
den könne niemand ihm ersetzen.
Das tat ihn doch zu sehr verletzen,
und fortan grollt er seinem Weibe
ob dieser Schädigung am Leibe.
Und für den Rest der Ehetage
quält er sich über einer Frage:
Versicherungen, wenn sie hatten
die Absicht, Dinge zu erstatten,
die ganz abstrakt, zum Beispiel: Küsse,
wie man die wohl bezahlen müsse.





Parzival und Jeschûte. Drei kleine Variationen Wolframs von Eschenbach (II): Wie bei Muttern

23 02 2014

(Chanson für Jeschute Valetti von Theobald Hauser, erschienen in der Bühnenwelt)

Ja, das möchtste…

Dass alle Fraun wie Marzipan
sich schlafend stelln, und Du kommst bei,
so rot der Mund und weiß der Zahn,
und kein Justizrat dreht was dran:
kaum haste Hunger, gibt es was zu futtern –
wie bei Muttern.

Ja, das möchtste…

Dass sie Dir auch noch ihren Ring
aus lauter Dankbarkeit vermacht,
nachdem Dein Arm sie sanft umfing,
und auch kein Zensor kippt das Ding:
kaum haste Hunger, gibt es was zu futtern –
wie bei Muttern.

Ja, das möchtste…

Dass Du zuletzt noch Hühnerklein
an ihrer Seite schmausen kannst,
kein Gatte kommt zur Tür herein
und kein Verleger schreit Dir drein:
kaum haste Hunger, gibt es was zu futtern –
wie bei Muttern.

Ja, das möchtste…

Doch merk Dir gut, ob Schmuck, ob Schmaus,
ob Kuss, ob Geld, eins kannst Du nur.
Du lebst. Und also suchst Du aus.
Nimm alles. Aber mach was draus.
Hast mal Hunger, nimm Dir was zu futtern –
wie bei Muttern.





Parzival und Jeschûte. Drei kleine Variationen Wolframs von Eschenbach (I): Paddelwal im Hotel oder Verlobung mit Folgen

9 02 2014

(aus: Joachim Blindschleich, Kuddel Paddelwal)

So gegen zehn an der Pier von Le Haver,
da jumpte Paddel, stocknüchtern auf Ehre, aufs feste Land.
Er roch noch ein bisschen streng wie Haifischkadaver,
doch das kam von der See und war ihm bekannt.
Also trank er einige Grogs zum Gin
und schlenderte langsam zur dicken Jenny hin
(nicht die Jenny, die andre, das war seine feste Braut),
doch da hatten sie jetzt ein Hotel hingebaut.
Noch im letzten Jahr, da kam er von Hawaii,
da hatte er bei der dicken Jenny alles entzwei
gehaun. Und statt der alten Bretterbude
stand da nun der noble Schuppen: „Chez Jeschûte“.
Man los und man rein, rauf auf den Kutter,
das hatte Old Sailorboy Paddel von seiner lieben Mutter.
Er hievte seinen Seesack mitten auf den Tresen rauf
und läutete erstmal die kleine Klingel dazu.
Die Rechnung dafür, die setzte man ihm gleich zum andern drauf.
Das war er so gewohnt seit seiner Mutter in Anjou.
Die Dame des Hauses, die sagte: „Nun müssen Sie bitte hier unterschreiben.“
Donnerwetter, dachte sich Paddel, das ist mal ein Weib!
„Wie viele Nächte wollen Sie denn in unserem Hause bleiben?“
„Ich dachte“, sprach Paddel verlegen, „dass ich fürs Erste mal bei Ihnen bleib.“
Und setzte sich neben den Tresen aufs Zobelkanapee.
Dazwischen geriet ihm sein Seesack mit den beiden Kohlenzangen.
Das tat ihm aber eigentlich nicht so richtig weh,
und so tat er sehr nett und höflich zu plaudern anfangen.
Dass er grad von Pernambuco käme und weiter wollte nach Schanghai,
und er hätte so lange gewartet auf seine liebe Braut,
und dass sie ihm diesmal sicher die Kiemen einhaut,
denn er hätte zur Verlobung wieder nichts Richtiges dabei.
Zum Schenken nämlich. Das wär doch so Sitte.
Und dann schielte er nach der Frau Wirtin Mitte.
Das war sicher der schwedische Köm nach dem Grog, der ging
dem Paddelwal ganz gut hinein in den Schädel.
Da fing er an: „Hör mal zu, altes Mädel,
was hältst Du davon, wenn ich Dir was schenk für den Ring?
Pass mal auf, da wirst Du Augen wie Seeigel machen!“
Paddel kramte im Sack nach Sachen,
die gar nicht gut aussahn und merkwürdig rochen.
Eine Schnupftabakdose aus Walfischknochen,
eine Salbe, die wirkte vorzüglich bei Krätze,
ein Notizbuch, sechs Wanzen und andere Schätze.
(Oho, das Buch, das war außerhalb
voll und ganz bezogen mit tätowiertem Eskimoskalp!)
Das schätzte die Dame eher noch geringer.
Paddel zog ihr den Ring aber einfach vom Finger
und strahlte: „Na bitte, was soll das schlechte Leben!
Und nun lass uns den Tausch begießen, min Deern, und zusammen einen heben!“
Er fegte noch rasch eine Vase fort, die sich vor ihm befand,
und fluchte: „Ach bladdi merde!“ So zeigte er, dass er auch Französisch verstand.
Da fiel Paddel sein Blick aufs Büfett,
und plötzlich sah er auf silberner Platte
ein Rebhuhn und noch eins, „Na besser als Ratte!“
schmatzte Paddel und fraß es weg. Dann kam er wieder aufs Kanapee.
„Ach weißt Du, ich schenk Dir die Kohlenzange
aus Rio, und noch das Japangeschirr
aus Dings, aus Kiautschau, und Du gibst mir die Spange
für meine Braut als Hochzeitsgeschenk dafür!“
Das fand die Dame dann doch zu vertraut.
Sie rückte zur Seite und fing an zu schwitzen,
doch Paddel, der wollte partu für die Braut
etwas Schönes von Silber aus Frankreich besitzen.
„Nu zier Dich man nicht, kriegst auch einen Kuss!“
Schon kletterte Paddel bei ihr in die Brassen,
da tat sich die Tür auf. Rein kam Herr Orilus,
der räusperte sich: „Ich muss Sie doch bitten, die Dame nicht anzufassen!
Das hat ja nun gar nichts von Politesse!“
Paddel schwankte, weil er keine Reling fand.
Er lallte noch: „Sanoffebitsch, halt die Fresse!“
Und flog, Bug voran, aus dem Haus von Laland.
Für Jenny, die Braut nämlich, kaufte er froh
am Hafen ein Jäckchen aus Rentierhaar
von einem Matrosen aus Mexiko.
Das bracht er ihr mit aus Afrika.





Codename: Tortilla Flat (IV)

22 07 2009

„Also jetzt noch mal langsam, Minnie: er häckselt da unten vergifteten Mais?“ Senior Special Agent Jeremiah Tipps hatte einige Dinge noch nicht ganz begriffen. Hermina Castafiore erklärte es ihm ganz langsam. „Er hackt Teile des Gencodes von Vögeln in eine Maschine“, erläuterte sie, „und baut daraus künstliche Maispflanzen. Sie dienen der indischen Terrorgruppe Chapati Freedom zur Koordination.“ „Und was wollen diese Typen?“ „Sie sind extremistische Hindus, die den Verzehr von Rindfleisch stoppen wollen. Also baut Cuthbert Suyabaram in die Maispflanze auch Vogelcode ein, damit…“ „Vogelkot?“ „Code, Tipps, Code. Er löst allergische Reaktionen aus, so dass die Tiere auf den südamerikanischen Zuchtfarmen sterben. Es wird keine Hamburger mehr geben. Keine Steaks. Und dann kann diese Bande die ganze Welt platt machen wie ein Fladenbrot, da sie den Weizenpreis kontrollieren. Nur eins verstehe ich noch nicht – warum muss man alle Rinder töten, um sie zu retten?“ „Religiöse Fundamentalisten gehen weder logisch vor noch nehmen sie Rücksicht“, antwortete Tipps, „für sie gibt es nur eine Macht: Geld.“

„Nimmermehr!“ Der ganze Raum war von unzähligen Vogelkäfigen umsäumt. Opalracke und Dollarvogel, Schwarzrückenschwalm und Zwergflamingo, Wundersylphe, Bountyscharbe und ein glänzend schwarzer Kolkrabe flatterten, keckerten, hockten in den Volieren. Er gab den Ton an. „Nimmermehr!“ „Noch ein Ton von dieser Nervensäge, und ich drehe ihm den Hals um!“ Officer Zina Davidowa war sichtlich angespannt. „Ruhig“, flüsterte Francesco DiNatro, „wir müssen zuerst Suyabaram ausschalten, bevor wir etwas unternehmen.“ Mit gezogenen Waffen schlichen sie die oberste der vier Emporen entlang, an denen die Drahtverschläge lagen.

„Frank!“ Charles McBoo flüsterte aus dem Knopf im Ohr des Agents. „Ihr müsst vorsichtig sein – er hat ein Sicherungssystem eingebaut, das alle 24 Stunden betätigt werden muss.“ „Und was passiert sonst, Bambino?“ „Er wird eine Explosion auslösen, die den Planeten erschüttert.“ „Geht’s nicht eine Nummer kleiner, McWeltuntergang?“ „Frank, hör zu: Ihr befindet Euch da, wo die Nordamerikanische und die Eurasische Platte zusammenstoßen, genauer: über der Bruchzone des Mittelatlantischen Rückens. Eine Vulkanzone, falls Du es vergessen haben solltest. Wenn Lystigarður Akureyrar in die Luft fliegt, werden wir es merken, weil kurze Zeit später ein Tsunami die Vereinigten Staaten von Amerika überrollt.“ Frank schluckte.

„Was machen Sie hier?“ Cuthbert Suyabaram wartete die Antwort gar nicht erst ab; er rannte in Richtung Einstiegsluke. Doch er hatte nicht mit Zina gerechnet, die ihm den Weg abschnitt. „Bleiben Sie stehen! Es hat keinen Zweck.“ Der Inder hatte die Wendeltreppe fast erreicht, als ihn Davidowa mit einem gezielten Handkantenschlag außer Gefecht setzte. Er brach zusammen.

Die Käfigtüren öffneten sich. Ein Gewirr von Vögeln schwirrte in den Raum, während sich ein Gitter über das Schaltpult der Maschine schob. „Hervorragend“, ätzte Frank, „er ist bewusstlos und wir haben noch genau drei Minuten Zeit, die Welt zu retten.“ „Glaubst Du, Du schaffst es noch rechtzeitig?“ „Nimmermehr!“ Der Rabe stolzierte um den Kasten und hob neugierig den Kopf. „Ach, halt doch den Schnabel!“ DiNatro suchte die Empore ab. „Wir importieren die Vögel aus Indien.“ „Was redest Du da?“ „Alfred Hitchcock, Die Vögel. Tippi Hedren, Suzanne Pleshette, Rod Taylor. Jetzt sag nicht, dass Du diesen Klassiker nicht kennst!“ „Offensichtlich hat er hier mit Maispflanzen experimentiert.“ Zina lachte bitter. „Ein Säckchen Saatgut. Wenn das hier in die Luft geht, haben wir wenigstens in der letzten Sekunde noch genug Popcorn, um…“ „Halt! Sagtest Du: Popcorn?“ Frank hatte die rettende Idee. Er griff in den Sack und angelte sich eine Handvoll Körner, die er durch die Gitterstäbe schnippte. Sie landeten zielgenau vor dem Raben, der sie sofort aufpickte. „Wo hast Du das so gut gelernt?“ „Beim Profi-Basketball, Zina.“ Sie blickte ihn erstaunt an. „Du hast mal in der Profiliga gespielt? Wow, das wusste ich nicht!“ „Genauer gesagt, ich habe mit Popcorn auf den Papierkorb gezielt, wenn mir langweilig war. Dabei lief dann meistens Basketball im Fernsehen.“

Der Rabe folgte der Maisspur. Er flatterte auf den Sessel, auf das Pult, und als Frank ein Maiskorn direkt auf den rot leuchtenden Taster schnellte, hackte der Raubvogel darauf. Das Aggregat fuhr herunter. „Boss? Wir haben das Ding gestoppt. Zina hat Suyabaram erledigt. Aber wir wissen noch nicht, wie wir an die Maschine rankommen sollen. Hier muss irgendwo ein Hebel sein oder eine Fernbedienung oder…“ „Such weiter.“ Das Licht flackerte auf und verlosch. Die Gittertüren der Käfige schlossen sich scheppernd. Der Schutzrost fuhr zurück. „Was zum…“ „Darf ich den Notausknopf drücken“, fragte Zina trocken, „oder verstößt das gegen die Vorschrift?“

„Glückwunsch, Frank. Gut gemacht, Zina. Ich erwarte Euch heute noch zurück. Und ich hoffe, Ihr bringt uns ein bisschen Popcorn mit.“ Minnie drängte Tipps beiseite. „Ein sprechender Rabe? Cool! Ihr müsst den für mich… ich meine, er ist ein Beweismittel und ich will ihn sofort hier in meinem Labor haben, Special Agent DiNatro!“ Der Rabe hüpfte auf das Notebook und pickte nach der Kamera. „Nimmermehr!“

Teil I

Teil II

Teil III





Codename: Tortilla Flat (III)

20 07 2009

Doktor Lawrence Sweetbay zog den Mundschutz ab. „Unser Marine wollte uns den entscheidenden Hinweis schon geben, er lag ihm sozusagen auf der Zunge. Dies, Jeremiah, ist der Calamus der Feder eines Raben.“ „Sehr gut, Lawreau“, lobte Tipps, „wir wissen jetzt, dass wir es mit einem echten Unglücksvogel zu tun haben.“ „Gute Arbeit braucht eben Sorgfalt und Zeit“, gab der Gerichtsmediziner geschmeichelt zurück. Sein Assistent Johnny Talker warf sich in die Brust. „Ich erledige meine Aufgaben immer so schnell wie möglich.“ Doktor Sweetbay grinste in sich hinein. „Wusstest Du, dass ‚Kalamität‘ eigentlich calamitas, also den Misswuchs von Getreide bedeutet? Vielleicht kein Zufall, wo doch Mais im Spiel ist.“

Special Agent Francesco DiNatro grübelte. „Auf der einen Seite wissen wir jetzt, dass wir nach einem Raben suchen müssen. Aber wenn hier kein Maisfeld mehr… Zina, was machst Du da?“ Officer Davidowa suchte das Ufer ab. „Ich suche diese Schnur. Wenn ich jetzt nichts finde, habe ich einen Beweis.“ „Lass das und komm her! Ich bin hier der Boss, Du bist weisungsgebunden!“ „Was mich an Dir stört, ist, dass es mich schon nicht mehr stört“, fauchte sie zurück. Da flog Frank in die Blümchen. „Was soll das werden?“ „Ich sichere Beweismittel“, knurrte DiNatro, „an diesem Faden muss etwas hängen.“ Und er watete in den See, der zu seiner Überraschung bis zur Mitte kaum knietief war. „Ich hab’s!“ An der Schnur baumelte ein Päckchen: ein flaches, metallenes Kästchen. Vakuumverpackt.

„Wie soll das ich in der kurzen Zeit via Satellit hierher kriegen“, stöhnte Charlie, „das ist technisch unmöglich.“ „Dann beeil Dich, McBoo.“ „Tipps, es sind gut ein Terabyte Daten auf der Platte. Ich kann nicht die Lichtgeschwindigkeit neu erfinden.“ Hermina Castafiore blickte besorgt. „Er weiß nicht genau, was ein Terabyte ist?“ „Schlimmer“, ächzte Charlie, „er hat keinen blassen Schimmer, was eine Festplatte ist.“

„Treffer! Treffer! Treffer!“ Minnie hüpfte wie ein Gummiball auf Speed durchs Labor. „Wir haben den Entschlüsselungsalgorithmus! Jetzt kommen wir an alle Daten ran!“ Frank betrachtete skeptisch den Laptop. „Was ist das? CAT ATTACCA AT TAG – das ergibt doch alles keinen Sinn!“ „Nicht, wenn man es nicht versteht“, gab McBoo genüsslich zurück, „aber wir wissen jetzt, wer unser Mann ist. Er heißt Cuthbert…“ „… Suyabaram und hat einen kanadischen Akzent?“ „Richtig. Allerdings besitzt er nach wie vor die indische Staatsbürgerschaft. Ein Ornithologe und ehemaliger Stipendiat der Edinburgh Medical School.“ „Er war Jahrgangsbester“, ergänzte Lawreau, „und hat ein Aufbaustudium in Mikrobiologie.“ „Was ist sein Plan?“ „Er nutzt den Genmais tatsächlich auf zwei Arten, wie wir angenommen hatten. Einerseits für die Spionage, andererseits lösen die von ihm erdachten Genmanipulationen spezifische Defekte aus. Unser unglücklicher Marine starb an einem Mokassinotterschock, jetzt baut er Sequenzen von Vögeln ein.“ „Wozu soll das gut sein?“ „Wir wissen es nicht. Vielleicht eine Massenvernichtungswaffe auf der Grundlage von Vogelgrippe.“

„Ich will Beweise. Frank, Tatortskizzen. Ich will wissen, wo es in Akureyri einen geeigneten Ort für dieses Verbrechen geben könnte.“ Zina war irritiert. „Aber wir haben doch jeden einzelnen Winkel hier fotografiert. Du musst die Fotos längst haben, Boss.“ „Ich habe schon bessere Bilder von einem Ufo gesehen“, knurrte Tipps, „sucht weiter.“

„Lass uns logisch vorgehen, Zina.“ Er sondierte das Gelände. „Das Orchideenhaus ist ungefährlich. Aber dieser Teich kommt mir irgendwie merkwürdig vor. Die Geschichte mit der Insel kann nicht stimmen, und Paddelboote hat es hier auch nie gegeben. Der Schlüssel muss hier liegen.“ „Aber was willst Du in dieser Pfütze verstecken“, entgegnete Zina, „sie ist viel zu flach.“ „Vielleicht unter der Cafeteria? Denk an die Polenta-Taler, wo es die gibt, ist auch Maismehl nicht weit.“

„Ich glaube, so könnte es gehen. Ja, das muss es einfach sein.“ Charlie blickte auf die Buchstaben, die kolonnenweise den Monitor herunter ratterten. „Ich habe einen heuristischen Suchalgorithmus geschrieben, mit dem wir die Schlüsselbegriffe aus dieser Datenhalde herausfiltern werden. Dann werden wir wissen, wonach wir gesucht haben.“ Talker verstand nichts. „Du willst diese ganze Festplatte durchsuchen?“ McBoo drehte genervt den Kopf. „Nein, nur zur Hälfte. Danach habe ich vermutlich keine Lust mehr.“ Genau in diesem Moment meldete sich Akureyrarkaupstaður. „Los, Spongebob! Sag uns, warum wir immer noch hier sind!“ „Es kommt gerade rein. Ihr sucht einen großen Raum mit einer Deckenhöhe von sieben Metern. Er heißt Tortilla Flat.“ „Aber das ist doch absurd, überall sind ein- und zweigeschossige Häuser. Nicht mal mit einem Keller wäre das Orchideenhaus so groß.“ „Sagtest Du: Keller?“ Zina war aufmerksam geworden. „Der Raum könnte doch unterirdisch liegen.“ „Dann müsste er hier in der Nähe des Sees sein.“ Sie umrundeten das Gewässer mehrmals in jeder Richtung. Plötzlich entdeckte Frank einen silbrigen Schatten auf dem Grund. „Das sieht nach einer Luke aus.“ Er sprang ins Wasser und watete zu der glänzenden Stelle. Auf einmal blieb er an einem Hebel hängen. Ein schlürfender, schmatzender Laut ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Verblüfft sahen die beiden Agents, wie sich Wirbel bildeten. Gurgelnd strudelte das Wasser in einen Abfluss. Zina gewann als erste die Fassung wieder. „Tipps? Frank hat den Stöpsel gezogen!“

Fortsetzung folgt.

Teil I

Teil II

Teil IV





Codename: Tortilla Flat (II)

15 07 2009

„Lystigarður Akureyrar“, buchstabierte Francesco DiNatro, „wer denkt sich solche Namen aus?“ „Die Isländer. Die meisten sprechen Isländisch – im Gegensatz zu Dir, Frank.“ Special Agent Charles McBoo lächelte nachsichtig. Immerhin war es ihm zu verdanken, dass er den Standort der speziellen Tomate so schnell ausfindig gemacht hatte; die Tomatensauce konnte nur von den drei Pflanzen stammen, die im Botanischen Garten von Akureyri standen. Der Rest war Routine. Das Telefon piepte. Tipps horchte angestrengt und legte wieder auf. „Minnie hat etwas für uns. Los, kommt mit.“

„Genau genommen ist es ein Stückchen tRNA, das spiegelverkehrt in den Mais eingesetzt wurde“, erläuterte Hermina Castafiore, „etwas Gencode von Corvus corax.“ Zina Davidowa blickte erstaunt. „Ein Rabe? So ein schwarzer Vogel? Wie bei Poe?“ „Ah, ich verstehe!“ Charlie hatte die genetische Sequenz überflogen. „Es ist eine monographische polyalphabetische monopartite Substitution, die Enigma-Maschine hat einen ganz ähnlichen…“ Der Boss nagelte ihn mit einem Blick an die Wand. Minnie half ein. „In Tipps-Sprache: es ist ein Geheimcode im Genmais.“ Frank grübelte. „Geniale Idee. Sie bauen Mais, der den Code transportiert und als Killerwaffe funktioniert.“ Er grinste. „Und wer den Burrito nach dem Lesen isst, verwischt aus Versehen gleich alle Spuren. Ich schlage vor, ich fliege nach Island und nehme sofort die Ermittlungen vor Ort auf.“ Tipps schlug ihm mit der flachen Hand auf den Hinterkopf. „Regel Nummer 15.“

Akureyrarkaupstaður zeigte sich von seiner besten Seite. Der Frühdunst mündete übergangslos in Hochnebel. Zina und Frank waren seit einer Stunde im Botanischen Garten unterwegs und wussten noch immer nicht, wonach sie suchten. „Wir rennen hier ewig im Kreis und finden nichts!“ „Das kommt Dir nur so vor“, belehrte Frank sie, „eins Deiner Beine ist kürzer, deshalb denkst Du, dass Du im Kreis herumlaufen würdest.“ Sie fuhr aus der Haut. „Ich kriege Kreisverkehrsstörungen!“ „Du meinst Kreislaufstörungen, aber das ist etwas ganz anderes.“ „Warum müsst Ihr in Eurer Sprache auch so furchtbar komplizierte Wörter haben!“

Die beiden hatten die Tomate rasch geortet. Sie stand in einem Zierpflanzenhain mit Gurken und Knoblauch. Doch wo war der Mais? „Das Feld befindet sich ungefähr hundert Meter weiter östlich“, wies McBoo über den Sender an, „Ihr lauft direkt darauf zu.“ Zina checkte mit einem kurzen Blick die Lage. „Er meint sicher ein Reisfeld. In fünfzig Metern geht es bergab und dann kommt so eine Art Goldfischbassin.“ „Tipps, ich habe da eine Befürchtung.“ Die Forensikerin war in den Videokonferenzraum getreten. „Es ist etwas in dem Code. Es ist irgendwie unheimlich, aber weil es heimlich hinein geschrieben wurde, ist es natürlich unheimlich heimlich, obwohl ich es eher heimlich unheimlich finde, und dann ist es auch wieder unheimlich unheimlich, allerdings…“ „Minnie!“ „Irgendwie verstehe ich nicht, wie diese ganze Pflanze überhaupt existieren konnte, denn quasi die komplette Gensequenz ist eine verschlüsselte Information.“ „Boss, der Typ muss einen Gen-Hack durchgeführt haben, wir könnten die Basentripel höchstens in Polynomialzeit…“ „McBoo, kannst Du das auch so sagen, dass ich es heute noch kapiere?“ „Äh, das Ding da ist verdammt gut verschlüsselt. Vielleicht haben wir eine Chance, wenn wir es durch den Roadrunner im Los Alamos National laufen lassen, dann…“ „Fein, McBoo. Du hast drei Stunden.“

Das Satellitenbild flackerte, aber das Gras zeigte eine deutlich andere Grünfärbung am Ostrand des Tümpels. „Der Rasen muss erst kürzlich ausgesät worden sein, oder es ist eine andere Sorte.“ „Finde heraus, warum.“ „Tipps, Rasen, Gänseblümchen, was…“ „Ah, ich verstehe, DiNatro. Beim NCIS interessieren uns nur Beweise, die uns gefallen.“

Plötzlich schlug Zina der Länge nach ins Gras. „Verdammt, pass doch auf“, schimpfte Frank, „oder binde Dir wenigstens einmal am Tag die Schuhe richtig zu.“ „Da war etwas.“ „Wenn da etwas war, wird es entweder jetzt immer noch da sein, oder es ist nichts da, dann war da auch nichts.“ Tatsächlich lief ein dünner Nylonfaden von dem Zaunpfahl in die Uferböschung. „Es könnte sein, dass der Untergrund vorher planiert oder mit Holzbohlen ausgelegt war.“ „Dann war das eine Platzanlage?“ „Du meinst: ein Anlegeplatz.“ „Warum muss diese verdammte Sprache immer so schwierig sein!“

„Was haben Sie hier zu suchen?“ Der Wächter war wie aus dem Nichts aufgetaucht. Er richtete die Waffe auf die beiden. „Bundesagenten! Special Agent Francesco DiNatro, Officer Zina Davidowa. Wir ermitteln hier in einem Mordfall.“ „Dann entschuldigen Sie bitte die harsche Ansprache“, gab der Mann zurück, „ich bin Cuthbert Suyabaram, der Kustos des Naturhistorischen Instituts. Kann ich Ihnen helfen?“ Frank verstaute den Ausweis in seiner Jackentasche. „War das hier einmal ein befestigter Weg?“ „Bis vor kurzem war das der Anlegeplatz für die Paddelboote. Aber nachdem die künstliche Insel für den Süßgrasgarten immer unterging, haben wir auch die Boote verkauft.“ „Gibt es hier ein Maisfeld?“ „Bedaure, nicht mehr. Wir haben es für das neuen Orchideenhaus gerodet. Haben Sie noch weitere Fragen? Darf ich Sie zu mir ins Institut einladen? Wir könnten dort beim Essen alles besprechen. Es gibt heute Schweinemedaillons mit Polenta-Talern.“ Zina schüttelte sich. „Ich hoffe, ich kann mir etwas anderes bestellen.“ DiNatro grinste. „Man kann nicht bestellen. Man isst, was auf den Tisch kommt, und lächelt. Genau wie in einer Ehe.“

Fortsetzung folgt.

Teil I

Teil III

Teil IV





Codename: Tortilla Flat (I)

13 07 2009

„Ah, ich habe einen Bärenhunger!“ Petty Officer Sean Toad sprang von der Pritsche des Lasters und hielt Ausschau nach der Verpflegung. Der Staff Sergeant winkte ab. „Der Alte hat angeordnet, dass die Unterkünfte geputzt werden“, knurrte er, „und zwar wie immer mit der Zahnbürste.“ Der Regen setzte wieder ein. Annapolis lag seit Wochen unter Tiefausläufern, was die Laune der Mannschaft auch nicht gerade zu verbessern half. Murrend machten sie sich auf den Weg ins Haus, als Fred Chan das kleine Päckchen in Aluminiumfolie entdeckte. „Da liegt ein…“ „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“, grinste Sean und wickelte das runde Ding auf. „Ein Burrito! Und noch warm! Und ich spüre es, wie er sich wehren will – Leute, ich werde ihn beißen müssen, daran führt jetzt kein Weg vorbei!“ Der Unteroffizier hieb die Zähne in den Maisfladen. „Avocado – ich liebe Avocado!“ Sprach’s, verdrehte die Augen und fiel wie ein Stein zu Boden. „Hey, was ist los? Sag doch etwas!“ Die Männer rüttelten ihn an den Schultern. Doch er war schon tot.

„Warum sollte ich einen Goldhamster haben?“ Special Agent Charles McBoo war genervt. „Du hast die ganze Nacht nicht geschlafen, Bambino“, triezte ihn Francesco DiNatro, „und Du willst uns doch nicht erzählen, dass eine Frau daran Schuld war.“ „Natürlich war es so! Ich kenne Claire noch vom MIT, wir sind uns in einer Bar begegnet, ich habe sie eingeladen, und dann wurde es spät.“ „Er rückt nicht mit der Wahrheit raus?“ Officer Zina Davidowa zog mokant eine Braue hoch. „Bei uns würde man…“ „… ihm die Finger einzeln brechen, ich weiß“, fiel Frank ein. „Ich werde Dir jeden doppelt brechen, DiNatro. Charlie, die Ausrüstung. Frank, den Truck. Ein toter Marine in Maryland.“

„Ich sehe keine Anzeichen von äußerer Gewalt, Jeremiah. Er könnte vergiftet worden sein, er hat leichte Einblutungen und postmortale Mydriasis.“ Doktor Lawrence Sweetbay kratzte sich am Kopf. „Ich hatte einmal so einen Fall in Essex bei einem Fischhändler, einem jungen Mann, der übrigens…“ „Lawreau“, mahnte der Boss. „Du erfährst die Todesursache, sobald ich ihn zu Hause auf dem Tisch habe.“ Zina äugte um sich. „Es scheint leichte Spannungen zu geben.“ „Sie hatten seit dem Frühstück nichts zu essen“, erklärte Frank und fotografierte, „aber das rechtfertigt noch keinen Mord.“ „Du würdest für einen Burrito einen Mord begehen – dabei fällt mir ein, dass Du mir noch dreißig Dollars schuldest.“ „Die kriegst Du von Charlie“, grinste DiNatro, „ich habe mit ihm gewettet, dass Du Dich nicht mehr erinnerst.“

„Bring das zu Minnie.“ Sweetbay ließ einen Brocken des Burrito, den er aus Sean Toads Magen gekratzt hatte, ins Probenglas fallen. Johnny Talker pfropfte das Behältnis zu und lief sofort zum Fahrstuhl. Doch das forensische Labor war leer. Wo war Minnie? Ein Paar Stiefel ragte unter dem Tisch hervor. „Gleich geht es Dir besser!“ „Ääh… warum?“ Hermina Castafiore rollte mit Schwung unter dem Massenspektrometer hervor. „Stör mich jetzt nicht! Ich rede mit meinem Baby!“ „Ich habe hier einen Burrito“, brachte sich Talker in Erinnerung. Minnie blickte skeptisch auf das Reagenzglas mit dem Krümelchen. „Das nennst Du einen Burrito? Ich wusste es, man soll mit Männern nicht über die Größe diskutieren.“

Unterdessen ermittelte das Team fieberhaft, was es über den Petty Officer zu wissen gab. „Ein Strafzettel wegen Falschparkens“, las McBoo in den Akten, „und einen Rüffel, weil er sich bei der Parade die Krawatte nicht richtig gebunden hatte. Ansonsten…“ „… hätte sich unser Bambino die Akte ganz durchgelesen und herausgefunden, dass es bereits ein schwarzes Schaf in dieser Einheit gab. Staff Sergeant Dick Tator. Unehrenhafte Entlassung aus der Truppe. Er wurde angeklagt.“ „Weshalb?“ „Derselbe Grund, weshalb ich auch in den Knast komme, wenn Frank nicht gleich verschwunden ist.“ Tipps hatte sich leise von hinten genähert und setzte sich ungerührt an seinen Schreibtisch. „Zina, Neues von der Heimatschutzbehörde?“ „Nein, sie haben alles geprüft. Keine Spuren deuten darauf hin, dass der Burrito Verbindungen zu einer terroristischen Organisation haben könnte.“

Aus dem Labor dröhnte ohrenbetäubender Krach. Elektrisch verstärkte Kettensägen frästen sich durch Stahlbeton. Darunter wummerten rhythmische Bohrhämmer. „Mach das aus!“ Nichts passierte. „Mach das gefälligst aus!“ Mit einem Knopfdruck erstarb die Kakophonie. „Das kannst Du nicht machen! Das war die Neue von Plastique & The Surgeons!“ „Du wirst den plastischen Chirurgen brauchen, wenn Du nicht fertig bist.“ Minnie schlug die Hacken zusammen. „Ich habe zwei Substanzen aus dem Burrito von Lawreau isoliert, willst Du wissen, was es ist, Boss?“ „Nenn mich nicht Boss.“ „Es ist Tomatensauce aus einer Tomate…“ „Was Du nicht sagst!“ „… aus einer Tomate aus Island! Und es ist eine veränderte DNA-Struktur, Boss!“ „Nenn mich nicht Boss!“ „Zu Befehl, Ma’am!“ „Minnie!“ „Eine Tomate, auf Isländisch: Tómatur. Das klingt wie Latein, aber tomare gibt es nicht oder tomari, und das klingt wie Tamari, und das ist eine japanische…“ Er hielt ihr den Mund zu. „Das Massenspektrometer hat da noch etwas entdeckt. Calloselasma rhodostoma.“ Er sah Minnie fragend an. „Die Malayische Mokassinotter. Sie war in der Gensequenz des Maismehls.“ „Der Burrito war vergiftet?“ „Nicht der Burrito“, druckste Minnie, „der Mais. Der Mais von der Population von der Plantage von dem Feld von der Pflanze von dem Kolben von dem Maismehl, aus dem der Burrito… Du verstehst?“ „Massenvernichtungswaffen?“ „Ja, Tipps. Diesmal wirklich.“

Fortsetzung folgt.

Teil II

Teil III

Teil IV





Herzblut. Zwölf halbwegs lyrische Variationen

1 03 2009

Thema

Ich öffne nachts den Kühlschrank, um mir ein Bier zu holen, wobei ich mir die Tür an den Zeh haue.

I. Andreas Gryphius: Des Seeligkeits-Durstigen Tränen-Fluß

Wie eises-kalt der Schranck / und heiß doch Höllen-Schmertzen
Wie finster wird die Nacht / wenn sich die Pforte schleußt
Und Eis / so bald gefror / sich nicht mehr niedergeußt
Und wär doch Linderung / dem Fuß / und auch dem Hertzen.

II. Friedrich von Schiller: Distichon

Achte, Mensch, zur Nachtzeit Deines tückischen Weges.
Reißt Du rasch an der Tür, stößt Du Dir schmerzvoll den Zeh.

III. Friedrich Hölderlin: Schwermut der Erden

Genien! dürstende Herzen! Ihr wandelt,
  Frei und voll Hoffnung zu ewiger Klarheit,
    Daß eins nicht Nacht sei, das sich verschlöße,
      Blindlings sich stieße und peinvoller gehet.

IV. Eduard Mörike: Auf einen Kühlschrank

Warum nur, spricht der Schrank,
Warum bist Du gestoßen
Mit Deinem Fuß, dem bloßen,
An mich? Wo ist Dein Dank?

Kühlt ich nicht immerdar,
Zur Nachtzeit und an Tagen?
’s ist wahr, ach ja, ’s ist wahr.
Drum hör jetzt auf zu fragen.

V. Heinrich Heine: Deutschland. Ein Nachtmährchen

Die Deutschen, sie haben erfunden nichts
Bis auf die gezipfelten Mützen;
Und tragen sie Mützen, was brauchen sie Lichts,
Es würde ja ihnen nichts nützen.

Viel lieber im Dunkeln, zum Mitternachtsmahl,
So sieht man die Geister gehen.
Von Geist sprach man nicht, und es sind ideal
Die preußisch blauen Zehen.

VI. August Stramm: Nachtwache

Tür gähnt jäh
Dürstend Flüche
Schleichen
Schläge prallen
Prellend
Fuß verzeht
Kreischen
Aua!

VII. Rainer Maria Rilke: Sonette an Bacchus

Und wie sich die Verhüllung
in Innenraum und Gänze
als Tanz von Licht und Grenze
der sehnenden Erfüllung
eröffnet, meint mein Bleiben
im Fuß-Sein, dass die Leuchte
das Tränende: das Feuchte
im Auge will beschreiben.

VIII. Stefan George: Der Kelch des Bundes

Es schreitet in die nacht der lasse dichter
Auf marmor erz und holz zum trank von hopfen
Wo er kein feind der früh gelöschten lichter
Am zehe fand des kalten blutes tropfen.

IX. Gottfried Benn: Statische Erinnerungen

Und wenn ich heute zurückdenke
denn wir hatten damals keinen Kühlschrank
mein Vater erzählte von Eiskästen
von Eiskellern da unten
Landhäuser, brandenburgische Erde
heute alles ein einziger Friedhof
woran soll man sich da die Füße stoßen.

X. Peter Handke: Publikumsentnervung

Ich habe mir den Fuß gestoßen. Ich habe mir den Fuß am Kühlschrank gestoßen. In meiner Küche habe ich mir am Kühlschrank den Fuß gestoßen. An meinem Kühlschrank habe ich mir meinen Fuß in meiner Küche gestoßen. Ich habe mir in meiner Küche den Zeh gestoßen von meinem Fuß. Meinen Zeh habe ich mir in meiner Küche gestoßen. An meinem Kühlschrank habe ich mir meinen Zeh gestoßen. Ich habe am Kühlschrank, in meiner Küche, wo der Kühlschrank steht, mein Kühlschrank, mir den Zeh gestoßen, der an meinem Fuß ist, der in der Küche steht, in dem auch mein Kühlschrank…

XI. Kristiane Allert-Wybranietz: Verrenktexte

„Nee Du, lass mal! Ist schon okay so!“
sagte ich,
als ich die Blutlache
vor dem Kühlschrank
auffeudelte.

Dabei hast Du
gar nicht verinnerlicht,
dass ich mich dabei
irgendwie auch ein Stück weit
für meine Verletzlichkeit
sensibilisierte.

XII. Robert Gernhardt: Folgen der Schwanksucht

Seht ihn an, das bee.
Trinkt es, ach herrje!
Nicht ganz dicht. Im Dauerlauf.
Nur sein Kühlschrank, der hat’s drauf!