R.I.P. off

3 03 2011

„Liebe Gemeinde, so kommen wir denn zusammen, um Abschied zu nehmen – Abschied von einem, der uns so viel bedeutet hat, weil er zwar nicht einer von uns war, den Unterschied aber nicht bemerkte. Frohlocket mit Händen, alle Völker, und jauchzet Gott mit fröhlichem Schall! (Ps 47,2)

Hat er nicht, unser Bruder, der nun von uns gehen muss, hat nicht er uns gelehrt, dass es nicht darauf ankommt, was man sagt, sondern wie man es sagt? dass auch das Falsche, wenn man es nur im Brustton der Überzeugung von sich gibt, dass auch Dummheit und Ausflüchte in einem fröhlichen Herzen wohnen können, so man ihm nur alles glaubt? Ist’s nicht also? Wohlan, wer will mich Lügen strafen und bewähren, dass meine Rede nichts sei? (Hi 24,25) Ja, liebe Gemeinde, das hat er uns wohl gelehrt, dass Moral und Anstand und Ehre immer genau das sind, was man selbst daraus macht. Und auch wir, wie wir unter Moral stets das verstehen wollen, was wir von den anderen verlangen, ja auch wir dürfen uns freuen, denn wir haben einen, auf den wir nun alles werfen mögen an Schuld und Sünde. Doch weil Ihr habt angehoben, sehet auf mich, ob ich vor euch mit Lügen bestehen werde. (Hi 6,28) Denn auch wir, liebe Brüder und Schwestern, die wir nie müde werden, zu behaupten, alle anderen seien Lügner und Betrüger und genauso verworfen wie unser lieber Bruder, wir waschen ihn rein von aller Schuld, weil er nicht schlechter sein kann als wir, uns also waschen wir rein auch uns von unserer Schuld, weil er ja schon rein ist und wir nicht schlechter sein können als er, und ist demnach alles eine billige Hetzpropaganda von Journalisten und Kommunisten. Ich muss lügen, ob ich wohl Recht habe, und bin gequält von meinen Pfeilen, ob ich wohl nichts verschuldet habe. (Hi 34,6) Wahrlich, wahrlich, so ist er unschuldig, weil wir ihn dazu erklären, und uns auch, und wer das Gegenteil behauptet, ist ein Schwein.

Denn aus gutem Hause stammte unser Bruder, er wusste schon früh, dass er etwas Besseres war als die anderen. Und er hatte noch einen andern Traum, den erzählte er seinen Brüdern und sprach: Siehe, ich habe einen Traum gehabt: Mich deuchte, die Sonne und der Mond und elf Sterne neigten sich vor mir. (1Mo 37,9) Ich aber sage Euch, erkennet, wenn einer geboren ist zu Höherem. Siehe, der hat Böses im Sinn; mit Unglück ist er schwanger und wird Lüge gebären. (Ps 7,15) Dann fraget Euch, wenn Ihr sehet, was unser Bruder war unter uns Geringen, ob wir ihn überhaupt verdient haben. Was hat Dir das Volk getan, dass Du eine so große Sünde über sie gebracht hast? (2Mo 32,21) Hat sich das Volk, so unter ihm wandelte, tatsächlich erkenntlich gezeigt? Haben wir diesen unseren Bruder auch genug geliebt und ihm sofort und ohne Ansehen der Sache vollumfänglich alles verziehen, was er schon aus Gründen der Unmöglichkeit gar nicht getan haben kann? Auf zweier oder dreier Zeugen Mund soll sterben, wer des Todes wert ist; aber auf eines Zeugen soll er nicht sterben. (5Mo 17,6) Und ist nicht, liebe Gemeinde, wenn auch das Volk einmütig die reine Wahrheit spricht, gerade dies nur eine einzige Stimme, die unserem lieben Bruder nie hätte ein Leides antun dürfen?

Zwar hat unser lieber Bruder Fürwitz gezeigt; hier fuhr er mit Zöllnern und Sündern in die Wüste, dort machte er sich gemein mit der Springerpresse und zahlte viel Geldes für seine Eitelkeit. Wer Weisheit liebt, erfreut seinen Vater; wer aber mit Huren umgeht, kommt um sein Gut. (Spr 29,3) Denn ach, was nützte unserem lieben Bruder all sein Reichtum, dass er nicht einmal ein einfaches Gesetz sich kaufen konnte, weil die dreckigen Lumpen in der Opposition es nicht so wollten? Das aber unter die Dornen gesät ist, das ist, wenn jemand das Wort hört, und die Sorge dieser Welt und der Betrug des Reichtums erstickt das Wort, und er bringt nicht Frucht. (Mt 13,22) Aber noch, da hatte unser lieber Bruder einen trefflichen Freund, und ist dieser auch nie von Ehre und Anstand gewesen, so hat’s doch dafür gereicht, eine große Zeitung zu gewinnen, die sich die seelische Gefährdung, Lüge und Gehetz in alle Welt zu verbreiten, teuer bezahlen ließ – ich aber sage Euch, liebe Gemeinde, sie verbreiteten es in alle Welt, und wie sie es verbreiteten! Und denen, die von euch übrigbleiben will ich ein feiges Herz machen in ihrer Feinde Land, dass sie soll ein rauschend Blatt jagen, und soll fliehen davor, als jage sie ein Schwert, und fallen, da sie niemand jagt. (3Mo 26,36)

Hat unser lieber Bruder sich nun gemein gemacht mit den Sündern? Wer bei einem Vieh liegt, der soll des Todes sterben. (2Mo 22,18) Ja, denn er war ein Mann des Volkes, wie es INSM und Springer und Bertelsmann und die Waffenindustrie ihm auftrugen, und war er auch ein gehorsamer Sohn, der nicht abweicht von seinem Auftrage. Ich bin klüger denn die Alten; denn ich halte Deine Befehle. (Ps 119,100) Und so tat er manch Scherzens, vor allem mit Steuergeldern und vor dem bürgerlichen Pack, das da heißt Bundestag. Da huben sie an ein Geschrei, und hatte doch unser lieber Bruder gar nichts getan haben wollen und war also unschuldig, so drohten sie ihm doch, es gäbe ein Gesetz im Lande, dass er sich halten müsse an die Ordnung, auch wenn er gar nicht mit ihnen reden müsse, weil er so ein guter Mensch sei. Verflucht sei der Betrüger, der in seiner Herde ein Männlein hat, und wenn er ein Gelübde tut, opfert er dem Herrn ein untüchtiges. (Mal 1,14) Und siehe, sie haben schwer gesündigt und unserem lieben Bruder die Wahrheit ins Gesicht gesagt. Und da weinete er, dass frohlockten die Sünder, weil es so hübsch echt aussah, und waren frohen Mutes. Siehe, ich habe töricht und sehr unweise getan. (1Sam 26,21)

Ach, liebe Gemeinde, wie ungerecht ist doch die Welt! Der eine ist ein Frevler wider den Herrn und macht, was dem Herrn widerwärtig ist, Demokratie und noch viel schlimmere Dinge, und der andere, der anständig lügt und aus ehrlicher Gier betrügt, der darf nicht einmal Vergebung erfahren, obwohl er doch ausreichend gesündigt hat. Ein falscher Zeuge bleibt nicht ungestraft; und wer Lügen frech redet, wird nicht entrinnen. (Spr 19,5) Und also mussten wir das Schlimmste tun und unseren lieben Bruder in die Hände der Schächer geben, die da sind Oberstaatsanwälte und Landgerichtsdirektoren, und verurteilen nur im Namen des Volkes, wozu unser lieber Bruder gar nicht gehört, auch wenn er sich mit Fleiß und Eifer ihm angedienert hatte. Verhört Eure Brüder und richtet recht zwischen jedermann und seinem Bruder und dem Fremdlinge. (5Mo 1,16) Und schlimm stand es um ihn, da keiner sich finden ließ, der für ehrliches Schwarzgeld unserem lieben Bruder die Freiheit wieder verschaffte. Da nahm ihn sein Herr und legte ihn ins Gefängnis, darin des Königs Gefangene lagen; und er lag allda im Gefängnis. (1Mo 39,20) Da zürnete er wohl, doch wurde ihm gesandt ein Zeichen, dass er nicht plaudern möge, sonst geschähe ihm ein Übel, und gaben ihm eine Faustfeuerwaffe, Kaliber 9×19 Millimeter. Meine Hand hat mich erlöst. (Ri 7,2) Also stehen wir nun am Grabe unseres lieben Bruders, und wissen, dass er da nie wieder rauskommt, und so lasset uns frohlocken, liebe Gemeinde, denn wir sind unschuldig. Ja, unschuldig sind wir, denn keiner beweist uns das Gegenteil. So gehet hin und tut desgleichen.“





Augsburger Puppenkiste

14 04 2009

Der Prälat fand einfach seinen Taschenkalender nicht wieder. Hatte er die Tabletten denn nun schon geschluckt? Sicher ist sicher, dachte er sich, und warf gleich noch zwei hinterher, spülte sie auch verbotenerweise mit einem großen Schluck Kirsch hinunter. Und damit begann das Desaster.

Während noch der letzte Weihrauch durch das Kirchenschiff qualmte, tastete sich der Bischof ans Pult. Zudem hatte er die falsche Brille eingesteckt und stand nun in vollem Ornat vor einer misslichen Lage. Man erwartete gespannt seine Osterpredigt, doch seine Erinnerung war wie ausgelöscht – alle Erinnerungen, die er hatte. Er improvisierte und verlor ein paar Mal den Faden, hörte sich selbst beim Reden zu und schickte wohl auch manches Mal ein Stoßgebet gen Himmel, dass niemand es bemerken würde. Nach und nach wurde er warm und redete sich in Rage. Nur konnte er sich nach der Predigt an nichts mehr erinnern. Er wusste beim besten Willen nicht, was er gesagt hatte.

Dem Gesicht eines Vikars nach muss es eine Menge krauses Zeug gewesen sein. Der Gottesmann reichte ihm seine Brille und fragte ängstlich, ob er das alles auch tatsächlich so gemeint habe. Das mit dem Atheismus und mit den Massenmorden. Und dass die Nazis so gottlos gewesen seien. Das könne man doch gar nicht so sagen. Doch dem Bischof war ein wenig übel und er wollte schnell nach Hause.

Natürlich regte sich sofort heftiger Widerstand gegen die politisch brisanten Thesen. Richard Williamson verwahrte sich in aller Schärfe gegen die Behauptung, es habe während der Zeit des Nationalsozialismus nennenswerte Massenmorde gegeben. Und es sollte nicht die einzige deutliche Kritik an der Kanzelrede gewesen sein.

Vor den Abendnachrichten kommentierte der Radiosprecher bereits heftig die Einlassungen des Hirten, die Moscheen in den christlichen Ländern abzuschaffen und Muslimen im Analogieschluss die Daseinsberechtigung abzusprechen. Pater Aloysius hörte nur mit einem Ohr zu. Am anderen hielt er das Telefon und lauschte den Instruktionen des Kardinals, der dem Bischof striktes Stillschweigen befahl. Weitere Ausführungen zum Thema Kirche und Nationalsozialismus seien vor Pfingsten nicht mehr gestattet. Und kaum hatte die Eminenz das Gespräch abrupt beendet, da meldete sich der Päpstliche Rat für den Interreligiösen Dialog. Ratzinger höchstselbst war erzürnt gewesen und drohte dem Augsburger, ihn fortan nicht mehr in seinem Nachtgebet zu berücksichtigen, wenn er sich weiterhin erdreistete, die Israel-Reise des Pontifex zu torpedieren – noch dazu an Ostern.

Unterdessen war der Bischof damit beschäftigt, seinen Kalender zu finden. Wo hatte er ihn bloß so gut verstecken können, dass er ihn den ganzen Tag nicht mehr wieder fand?

In den Spätnachrichten wurde es haarig. Der Bundesvorstand der NPD ritt scharfe Attacken gegen den Kleriker. Von Wortbruch war die Rede und von Geschichtsklitterung, von undeutscher Feindpropaganda gar. Die braune Massenpartei pochte unerbittlich auf dem Festhalten am Reichskonkordat, dem einzigen immer noch gültigen Pakt, den der Führer unterzeichnet hatte. Streng verwahrten sich die Rechtsschwenker gegen Verunglimpfung von SS-Männern und der NSDAP überhaupt als gottloses Gesindel, schließlich war das Bekenntnis zum Atheismus in diesen Verbänden im Nationalsozialismus nicht erwünscht gewesen. Schließlich wies der Bundesvorsitzende persönlich auf die unverbrüchliche Treue des NS-Regimes zur katholischen Ideologie hin. Man habe die besten Ideen fix und fertig übernommen – der verhinderte Seminarist Dr. Joseph Goebbels hätte ein so praxiserprobtes System wie den katholischen Antisemitismus gar nicht selbst erfinden können.

Das Innenministerium fragte leise an, ob der Bischof denn tatsächlich alle, die nicht römisch-katholisch waren, als Atheisten bezeichnet hätte. Das Ordinariat wimmelte den angekündigten Hausbesuch schnell ab und verwies darauf, dies sei durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Der Ministeriumsmitarbeiter gab sich damit zufrieden; dennoch ärgerte er sich, dass er dem anonymen Hinweis auf verfassungsfeindliche Machenschaften nachgegangen und sich den Feiertag versaut hatte.

Als Ehrengabe schickte der Verband ehemaliger Wehrmachtsangehöriger ein original erhaltenes Koppelschloss. Man hatte es gut aufgearbeitet, das Hakenkreuz poliert und den Schriftzug Gott mit uns noch einmal nachgezogen. Dies auch als Dank, dass der Gröfaz bis zum Schluss Mitglied der katholischen Kirche und bis zum heutigen Tage nicht exkommuniziert worden war – verständlich, denn Hitler hatte nie den Holocaust geleugnet.

Spät am Abend fand der Bischof dann den Taschenkalender – er hatte ihn, wie er es eigentlich immer zu tun pflegte, in die Schreibtischschublade gelegt. Seine Brille jedoch war schon wieder weg, und so blätterte er mit der Nase im Buch die Seiten hin und her und konnte kaum etwas entziffern. Hatte er da nun ein Häkchen gesetzt? Am Tag zuvor entdeckte er auch keines. Er seufzte, griff nach dem Tablettenröhrchen und zählte eine, zwei, drei blassblaue Pillen in die Hand.