Social Freezing

30 10 2014

„Suuuper Idee! ganz tolle Sache, das ist mindestens an die, ach was: noch mehr ist das wert – suuuper, das versetzt den Vorstand in Ekstase, und dann das Controlling erst! Die sind ja für Abbau immer zu haben. Sonst würden sie nicht immer diese Hirnschlagopfer bei uns entsorgen.

Das ist natürlich eine geniale Sache, so eine Zeitschrift so ganz ohne verwertbare Inhalte. Das ist echt voll total Kultur und so: nichts reinstecken, aber alles rausholen. Finde ich echt suuuper, das. Und wenn wir das jetzt noch durch alle Bereiche durchdeklinieren, dann kann man das echt zum Modellfall machen. Ist doch das, das liegt ja wohl voll total auf der Hand: keine Redakteure mehr, dann hat man keine Personalkosten mehr, und dann hat man auch nie wieder Personalprobleme! Das ist so voll suuuper, das wird viel besser als erwartet!

Ach so. Gut, wir hatten das schon bedacht. Der eine da, dieser Typ aus dem, nee, nicht aus dem Controlling, der hatte einen Schulabschluss. War wohl ein Praktikant. Der meinte dann so, wenn wir alle Redakteure rauswerfen, haben wir auch keine Redaktion mehr. Haben wir natürlich als linke Hetzpropaganda von Gewerkschaftstypen abgetan. Aber irgendwie müssen wir das transparent machen. Falls die Aktionäre kritische Fragen stellen, muss man doch vorbereitet sein.

Wir haben die Lösung, aber sie ist viel einfacher als erwartet – sage ich jetzt nur, weil das der Vorstand bei solchen Sachen auch immer sagt: wir kaufen die Texte einfach. Ist doch suuuper, was? Finde ich jedenfalls. Finden wir alle. Und das wird voll der Gewinn, weil: wenn man die Texte kauft, dann bestimmt der Markt den Preis! Das doch so suuuper, das ist schon echt voll total suuuper, oder? Oder!?

Das wagen die nicht. Das würden die echt nicht wagen, auf einmal alle arbeitslos zu sein. Ich meine, soziale Verantwortung, das ist keine Einbahnstraße. Nur weil wir diese Arschlöcher alle auf die Straße setzen, werden die doch nicht plötzlich arbeitslos. Das wagen die doch nicht! Ich meine, es gibt doch für alles einen Markt – aber doch nicht für Arbeiter, oder? Die können doch nicht alle arbeitslos sein und dann plötzlich ins Callcenter gehen oder zu Schlecker. Geld ist doch nicht alles im Leben, das müssen die doch wissen!

Wir haben ja schon mal geguckt, aber wo dieser Internet-Oettinger die wieder heißmacht mit dem Urheberrecht, wir werden uns die Texte echt irgendwie besorgen müssen. Schülerpraktika? Kann man machen. Da müssten wir die Rechtsabteilung fragen. Die wird nicht gekündigt, keine Angst. Ohne die wären wir echt aufgeschmissen!

Klar, wir wollen die Vielfalt und Kreativität des modernen Lifestyles irgendwie auch widerspiegeln, und das möglichst auch in medialen Inhalten. Aber das sagt ja noch nichts über die Produktion, da sind wir im Prinzip ja erstmal ohne Vorgaben, oder? Gut, die erwartete Umsatzsteigerung sollten wir nicht unbedingt um fünfzig Prozent unterschreiten, aber das kriegen wir schon hin. Mehr als vierzig, oder sagen wir mal: fünfundvierzig werden es nicht. Vorerst.

Aber suuuper, das machen wir doch sofort! Das mit den Leserreportern ist natürlich eine suuuper Idee, das greifen wir bei uns doch sofort auf! Was die reportieren sollen? Mir doch wumpe, Hauptsache ist doch: kostenlos! Es kostet nichts, das ist der Punkt!

Vielleicht mal eine Kooperation mit so einem Rezeptblog. Beauty. Was die moderne, emanzipierte Frau heute so interessiert. Schminken, Kochen, Schuhe, Kinder. Was man ohne große Aufbereitung halt so hinkriegt, damit es schon jetzt so aussieht wie der Qualitätsjournalismus von morgen.

Aber dafür wird ja die Führungsebene unseres Magazins aufgestockt! Ist das nicht eine Nachricht? Suuuper! Wir schaffen Topjobs im Mediensektor, und damit das klar ist: es liegt nicht am Geld, denn was diese paar Tussen da in der Redaktion nicht mehr reingesteckt kriegen, das reicht doch noch lange nicht, um die Spitzenmanager zu bezahlen, die ab sofort unser Magazin ganz nach vorn in den Auflagenzahlen der – Quote? Sind Sie noch ganz frisch in der Birne!? Wir holen uns doch keine Frauen in die Chefetage, was sollen wir denn mit denen anfangen? Social Freezing? so viele Eier kann man ja gar nicht einfrieren, und am Ende kommt noch eine von den Muttis auf die Idee und adoptiert am Arbeitsvertrag vorbei so ein afrikanisches Baby! Da kriege ich doch die Krätze!

Das ist unerlässlich – wir sind schließlich eine deutsche Zeitschrift. Auf einen Schreiber kommen dann zahlenmäßig zweieinhalb Vorstände. Damit wir eine gute Work-Life-Balance haben. Falls sich einer von denen um die Schreiber kümmern will. Wir sind ja jetzt bei Bertelsmann so sozial, wir stellen das so lange frei, bis wir aus Versehen eine Stiftung dafür gegründet haben. Die kümmert sich dann darum, dass die Honorare der Schreiber kontinuierlich minimiert werden, damit mehr von den Schreibern von ihrem steigenden Einkommen leben können. Suuuper Sache, aber das wollte ich Ihnen eigentlich noch gar nicht… –

Ich!? Aber ich bin doch seit fast zwanzig Jahren bei Ihnen… Sie können mich nicht einfach… Das glaube ich jetzt nicht! Nur, weil ich damals freiwillig die Leitung für das Online-Ressort übernommen habe, wollen Sie mich…“





Akte X

10 12 2013

„… geteilter Meinung gewesen. Sicher habe der Orkan Xaver für einige Medienöffentlichkeit gesorgt, insgesamt sei das Wettererereignis jedoch weit hinter die zuvor erhoffte Aufmerksamkeit…“

„… es keinen einzigen Toten gegeben habe. Deutschland konkurriere damit nicht einmal in einer Liga mit Stadionkrawallen, Regierungskundgebungen oder…“

„… müsse sich die Klimaforschung insgesamt fragen lassen, ob die Erderwärmung wirklich den im Vorweg prognostizierten Erfolg…“

„… zu katastrophalen Einschaltquoten geführt habe, da deutschlandweit kein einziges Todesopfer…“

„… sei ein Großteil der Börsenkurse aus irrationalen Gründen abgestürzt, einige Titel hätten jedoch auch wegen des…“

„… auch das damit verbundene Schneechaos nicht stattgefunden habe. BILD habe erst im letzten Moment eine Schlagzeile für den…“

„… in seiner Antrittsrede die designierte Große Koalition scharf angegriffen habe. Lindner sehe es als Ausdruck des Sozialismus der oppositionellen Bewegung, wenn Xaver nach Russland weiterziehe, in Deutschland aber keine Umsatzsteigerungen für die Versicherungskonzerne hinterlasse, so dass der Standort insgesamt nicht ausreichend…“

„… sich die GEZ-Medien aus dem Wetterbereich verabschieden wollten. Zwar müsse man aus vertragsrechtlichen Gründen weiterhin regionale Wettervorhersagen senden, wolle jedoch im Fall von Großereignissen generell an der Landesgrenze…“

„… mehr als eine Million Euro. Die T-Shirts mit Aufschriften wie I survived Xaver seien nun komplett unverkäuflich und müssten auf Kosten des…“

„… zu starken Umsatzeinbußen bei der Deutschen Bahn AG geführt, da die Verspätung der Züge nicht wie geplant durch das Blitzeis…“

„… die Programmstruktur umgeworfen, um vor einer Übernahme durch Springer keine falschen Erwartungen zu wecken. N24 wolle stattdessen nun die 48-teilige Serie über Hitlers Lieblingsmehlspeisen…“

„… habe auch Jogi Löw ein Interview zu den Sturmspitzen nicht mehr…“

„… teilweise unsauber gearbeitet worden sei. Es sei richtig, wie der Hessische Rundfunk berichtet habe, dass ein Camper von einem umgestürzten Baum in seinem Wohnwagen zerquetscht worden sei, allerdings habe der Moderator der Magazinsendung nicht darauf hingewiesen, dass es sich um einen Vorfall in Arkansas aus dem Jahre 1974 gehandelt…“

„… noch immer zu eklatanten Fehlwahrnehmungen führen könne. Der Liveticker zum Orkan sei so gut wie ohne schwere Meldungen, was eindeutig gegen das…“

„… habe die SPD die Unsicherheit deutscher Wettervorhersagen als Warnung genommen, unbedingt für den Koalitionsvertrag…“

„… zahlreiche Verletzte durch den Wirbelsturm zu beklagen seien. Nach Angaben des Bayerischen Rundfunks habe es sich in der Tat um Opfer eines angetrunkenen Geisterfahrers gehandelt, der den Alkohol nur konsumiert habe, da er vom Bayerischen Rundfunk vor niedrigem Luftdruck gewarnt worden sei, worauf der größere Mengen von Bier und…“

„… die Situation insgesamt eine unbefriedigende, da der Sturm Xaver nicht eine ausreichende Beteiligung für die Länder des Beitrittsgebiets vorgesehen und in der Erfüllung des Plans verwirklicht habe. Die deutsche Wiedervereinigung sei damit als nicht vollendet…“

„… deren Mitglieder daran glaubten, Jesus habe das Zweite Deutsche Fernsehen nur erfunden, um im Falle einer Apokalypse Bundesdeutsche zu retten, die weder homosexuell, arbeitslos noch jüdisch versippt seien. Kauder sehe die Inszenierung eines Gottesgerichtes nun wesentlich kritischer und wolle den Staatsvertrag nicht mehr ohne eine vorherige Diskussion…“

„… habe die ProSiebenSat.1 Media AG bereits eine Schadenersatzklage gegen Jörg Kachelmann…“

„… nur durch die sofortige Einführung einer anlasslosen Vorratsdatenspeicherung zu sichern sei. IM Friedrich habe betont, auch lebensgefährliche Situationen wie Nieselregen oder Vollmond, die zu erheblichen Gefährdungen für den…“

„… die gesamte Springerpresse im Misskredit gebracht. Man habe den Kometen Ison zwar als nicht ursächlich beteiligt, aber als maßgeblich…“

„… mehr als in den vergangenen Jahren. Damit dieser Aufschwung so bleibe, habe die Kanzlern auf dem kleinen CDU-Parteitag gefordert, noch mehr Wettervorhersagen…“

„… auch eine Frage der Finanzierung. Man könne nach den schweren Rückschlägen mit Orkanen nun keinen Brennpunkt mehr produzieren, wenn die NSA sich…“

„… schwer enttäuscht, dass eine objektive Berichterstattung in den deutschen Medien keine Chance mehr erhalte. Helmut Schmidt habe einen endgültigen Interviewboykott für Sturmfluten auf deutschem Boden…“





Die perfekte Welle

22 07 2013

„KW 31 bitte.“ „Okay, bis dahin sind wir mit der Überwachung erstmal durch, dann hätten wir wahlweise Spritpreise oder eine Promischeidung.“ „Poppt ja gar nicht.“ „Echt, ey!“ „Aber dafür…“ „Spritpreise sind total ausgelutscht.“ „Aber wir machen das doch jedes Jahr.“ „Eben.“ „Wollen wir nicht mal Gammelfleisch?“ „Mir egal, Kinder. Aber wir müssen uns heute noch entscheiden. Die Zeitungen warten nicht gerne.“

„Eine Woche Vorlauf für Promizeugs?“ „Echt, ey!“ „Da brauchen wir doch nicht mal einen O-Ton vom Minister.“ „Aber die Bildrechte müssen vorher abgeklärt werden, und die Verlage müssen sich darüber einigen, wer wen von beiden exklusiv hat.“ „Und wenn die sich einvernehmlich…“ „Dann hat’s doch keinen Nachrichtenwert, Sie Simpel.“ „Echt, ey!“ „Ich wäre ja für eine Dienstwagenaffäre.“ „Nicht opportun.“ „Wieso nicht? Das hat Sie bei Ulla Schmidt nicht gestört.“ „Die Geschäftsleitung hat entschieden, dass das nicht opportun ist. Außerdem kommt das jetzt zu spät, damit kann man de Maizière auch nicht mehr schaden.“ „Dann machen wir’s doch trotzdem, dann sieht der Wähler, dass der…“ „Nein. Außerdem ist der Mann nach der Wahl eh tot.“

„Vorschlag: KW 31 und 33 irgendwas mit der Türkei, und dazwischen vielleicht Deutschland im Aufschwung.“ „Was wollen Sie damit erreichen?“ „Eine Sensibilisierung des Publikums für die EU, für außenpolitische und geostrategische…“ „Hier: ‚So faul sind die Griechenschmarotzer wirklich.‘“ „Okay, sagen wir ‚Schmarotzergriechen‘, dann bin ich bei Ihnen.“ „Aber…“ „Wir müssen auch auf die Befindlichkeit der Anleger achten, die sind mit nationalistischer Hetze gegenüber aufstrebenden Wirtschaftsnationen nicht zufrieden.“ „Echt, ey!“ „Aber…“ „Außerdem passt das ganz gut zu einem kritischen Bericht über den Aufschwung.“ „Wir könnten ein Interview mit der Opposition machen.“ „Besser zwei. Und dann O-Ton Brüderle und warum Merkel doch die bessere Kanzlerin ist. Als einstündiges Feature.“ „Was ist daran dann bitte kritisch?“ „Wir werden ihre Hosenanzüge einer Stilanalyse unterziehen.“ „Wollen wir nicht mal Gammelfleisch?“ „Haben wir dann doch.“

„Dabei hat doch der Kollege ganz recht, uns fehlt hier Skandalisierungspotenzial.“ „Bei Merkel oder beim Gammelfleisch?“ „Wieso das denn?“ „Das Publikum will doch auch aufgeklärt werden, die pädagogische Note und so.“ „Deshalb macht so eine Promischeidung ja auch gar keinen Sinn, wenn sich beide einig sind.“ „Echt, ey!“ „Strompreis?“ „Hm. Kann man.“ „Ist politisch aktuell.“ „Hatten wir in…“ „Klingt gut. KW 32.“ „Aber das war doch schon so oft in den Schlagzeilen, was will man denn da noch schreiben?“ „Weiß ich nicht, müssen wir die Energieerzeuger fragen.“ „Warum eigentlich nicht KW 31?“ „Eine Woche reicht. Danach merken die Leser, dass Merkel eine Strompreisbremse nach der Wahl versprochen hat, und dann ist auch wieder gut.“ „Hat das nicht Steinbrück versprochen?“ „Wer hat das nicht getan?“ „Wo ist da der Skandal?“ „Echt, ey!“ „Ist doch auch egal, man regt sich eine Woche lang darüber auf, aber dann wird wieder nichts getan, und nach einer Woche ist dann alles vergessen.“ „Eben. Deshalb planen wir das ja auch im Wellenrhythmus.“ „Also eine Woche Strompreis und eine Woche Gammelfleisch…“ „Eben, wir sollten doch mal wieder…“ „… und eine Woche Merkel?“ „Richtig. Weil’s nach einer Woche eh keine Sau mehr kümmert.“

„Dann vielleicht für Zwischendurch mal etwas aus der Wirtschaft: Amazon.“ „Hatten wir das nicht erst neulich?“ „Nee, dies ist neu.“ „Also nicht, dass das jetzt eine Serie wird. Das ist gar nicht gut.“ „Für den Leser oder für den Verlag?“ „Für die Investoren.“ „Also doch für den Verlag.“ „Echt, ey!“ „Dann können wir mit Wiederholung und Variation arbeiten. KW 33 machen wir dann Mindestlohn oder Leiharbeit, und dann könnten wir auch etwas über den Fachkräftemangel…“ „Wieso das denn, da arbeiten doch jede Menge Südeuropäer als… ach so, verstehe schon.“ „So kurz vor der Wahl lassen wir uns doch nicht von Tatsachen beeindrucken, Kollege.“ „Dann können wir doch auch über Strompreise…“ „Zu spät, und ich möchte das auch nicht mehr hören.“ „Was ist eigentlich mit Gauck?“ „Wegen Gammelfleisch?“ „Den kann man doch auch mal befragen. Wegen Stasi und so.“ „Hallo, so kurz vor der Wahl?“ „Eben, das mag Merkel gar nicht.“ „Hätte aber einiges an Potenzial für einen neuen Skandal.“ „Eben deshalb will es ja Merkel auch nicht.“ „Fußball?“ „Dann können wir gleich was über den Verfassungsschutz bringen.“ „Echt ey!“ „Wenn wir zur Abwechslung doch mal innenpolitisch etwas machen?“ „Übertreiben Sie nicht gleich. Skandale ja, aber nur Skandal um seiner selbst willen, das ist kontraproduktiv.“ „Aber davon könnten wir ein Jahr lang überleben, und das quasi ohne Mehrkosten.“ „Eben, das wäre doch die perfekte Welle. Nie mehr herunterkommen, mehr geht nicht.“ „Vergessen Sie die journalistische Regel nie, dass wir Politik beurteilen, aber nicht machen.“ „Wo ist der Unterschied?“ „Wir machen den Lesern keine Angst, das überlassen wir der Politik.“ „Und das mit den Griechen?“ „Das ist doch, ich meine, wir sind, also das ist…“ „Aha.“ „Echt, ey!“ „Jetzt fehlt bloß noch, dass wir der Politik keine Angst machen dürfen.“ „Haha!“ „Sehr gut!“ „Bitte, ich meine nur, dass wir…“ „Leute, jetzt lassen Sie uns das doch…“ „Zu meiner Zeit, da war noch…“ „Unmöglich!“ „Das lassen Sie mal den Verlag hören, dann ist hier aber zappenduster.“ „Bitte, wir können das doch konstruktiv…“ „Wenn das die Aufgabe des Chefredakteurs ist, dann frage ich mich, warum nicht ich…“ „Gammelfleisch?“ „Okay, Gammelfleisch. KW 32 bitte.“





AusgeBILDet

21 06 2012

„… zum 60. Geburtstag die deutsche Öffentlichkeit noch einmal nachhaltig von der Qualität des Blattes zu überzeugen. Verlag und Redaktion von BILD hätten bereits…“

„… zur reibungslosen Durchführung das Projekt ausschließlich mit absolut zuverlässigen Kräften bestückt habe. Die konzerneigene Personalagentur habe zur Vorsicht nur Kräfte mit einem IQ-Ergebnis unterhalb von 85 in die sensiblen Bereiche der…“

„… enthalte die Jubiläumsaktion nicht nur Werbung, sondern auch ernsthafte journalistische Inhalte. Schirrmacher habe das außerordentlich begrüßt, er wünsche dem Blatt bei dieser Premiere eine erfolgreiche…“

„… aus Gründen des Umweltschutzes dazu entschlossen, das Format der Postwegwurfsendung einzuführen, um die…“

„… bereits auf Interesse im Bundesministerium des Innern. Friedrich wolle die Daten der Haushalte, die auf eine Auslieferung der Zeitung verzichteten, gerne zu Vergleichszwecken mit den Ergebnissen der aus dem Volkszählungsfragebogen erhobenen Personalstammdaten…“

„… insbesondere der Sportteil einer besonderen Beliebtheit. Dennoch sei eine Aufstellung der spannendsten Elfmeter der deutschen Fußballgeschichte unter der Überschrift BILD hat mitgeschossen zunächst auf geteilte…“

„… nicht bestätigt, dass die Jubiläumsausgabe auf speziellem Papier gedruckt werde. Auf Anfrage erklärte die Hakle-Kimberly GmbH, keinerlei…“

„… keine rechtliche Relevanz in Bezug auf ein Verteilungsverbot. Auch die Aufschrift Post von Wagner sei keine hinreichende Bezeichnung, um den Status einer Massendrucksache formaljuristisch zu…“

„… betonte von der Leyen, man werde den ALG-II-Empfängern die Bruttokosten für eine BILD-Ausgabe rückwirkend vom Regelsatz abziehen. Entscheidend sei nicht, ob die Zeitung ausgeliefert worden sei, sondern die Frage, ob sie in die Nähe einer Bedarfsgemeinschaft…“

„… sei an der Sammlung historischer Headlines die geistig-politische Geschichte der BRD ablesbar. Mit Schlagzeilen wie Papst gewuppt oder BILD gewulfft könne das sich wandelnde Bewusstsein nachvollziehbar in die…“

„… werde für die Zustellung der 4.400 Tonnen Papier nicht die PIN AG genutzt. Man umgehe so die Verpflichtung, die Boni für das erfolgreiche Management der Aktion aus den eigenen Gewinnen an die Vorstandsmitglieder zu…“

„… die Gruppe um den Aktivisten Danny J. (21) angekündigt, am 23. Juni den größten Papierschwalbenteppich der Welt über Köln zu…“

„… habe man sich für BILD gewulfft entschieden, da Wulff gebildet überdies nicht den Tatsachen…“

„… dass Günter Wallraff diesmal als Journalist, Anzeigenverkäufer, Packer und Spediteur an der Ausgabe mitgearbeitet…“

„… in der Jubiläumsausgabe durch originellen Qualitätscontent zu überzeugen. Diekmann habe versprochen, Deutschlands faulsten Raubmörder zu zeigen; dabei handele es sich um einen bis dahin nicht bekannten Bürger, der noch keinen einzigen Raubmord…“

„… habe das Thüringer Oberlandesgericht dem Fabrikanten Gero T. (53) untersagt, flächendeckend Bratwurstproben in deutsche Briefkästen zu stecken. Dies sei nach Ansicht der Jenaer Richter schon durch die technische Art des Absatzes ein Anzeichen der Verteilung minderwertiger Güter, die der Bürger nicht zu dulden…“

„… stehe eine weitere Rüge aus für die Vermischung von Werbung und redaktionellem Inhalt. Die von Springer und der Deutschen Bank angebotene Volks-Hedgefonds sei nicht ausreichend als…“

„… ob BILD widerrechtlich Fotos aus dem Privatbesitz von Rudi Dutschke verwendet habe. Döpfner habe dies jedoch im Sinne des Leistungsschutzes für Presseverlage als späte Wiedergutmachung bezeichnet, da Dutschke ja erst durch Springer wirklich populär…“

„… bei einer solchen Menge nur zu schaffen, wenn die Briefzusteller eine 48-stündige Dauerschicht ohne Versicherungsschutz und Mehraufwandsentschädigung beschlössen. Der Vorstand der Deutschen Post AG teile unterdessen mit, bundesweit hätten sich sämtliche Arbeitnehmer spontan zu einer solchen Maßnahme entschlossen, um ihrer großen Verbundenheit mit dem Qualitätsjournalismus Ausdruck zu…“

„… werde ein Teil der Auflage aus produktionstechnischen Gründen an den Standorten Izmir und Antalya gedruckt, daher habe man sich entschieden, keine übermäßige Kritik an der Türkei zu formulieren. Das Blatt bediene ausschließlich die üblichen ausländerfeindlichen…“

„… brüste sich der Konzern widerrechtlich, die Postwurfaktion für das Springer-Blatt erfunden zu haben. In einer Anzeige habe das Unternehmen außerdem damit geworben, genauso unbemerkt Altöl in Magerquark zu verklappen oder Sendungen mit Markus Lanz in gebührenfinanzierte…“

„… wolle man im Falle einer zu großen Anzahl an strafbewehrten Unterlassungsverfügungen jedoch davon Abstand nehmen, die Zeitung in den Fußgängerzonen zu verteilen. Das BKA sei mit der Beschattung von Salafisten bereits am Rande seiner intellektuellen Leistungsfähigkeit, man könne die Beamten nicht auch noch schulen, den Unterschied zwischen BILD und Koran in einem…“





Aktuelle Kamera

1 12 2011

Die Nachrichtensprecherin verzog keine Miene. Warum sollte sie auch. Es war ihr Job, keine Miene zu verziehen. Sie war halt Nachrichtensprecherin. „Sie hören die Wettervorhersage für Donnerstag, den 13. Juli 2017.“ Siebels grunzte befriedigt. „Sehr schön, das Mädel. Sie macht alles richtig.“ Ich schüttelte den Kopf. „Das verstehe ich nun wirklich nicht. Wie können Sie das nur als Aufzeichnung machen? Ist das nicht paradox?“ „Allerdings“, kicherte er. „Wegen der Planungssicherheit.“

Der TV-Macher hielt einen dicken Stapel Meldungen auf den Knien: Krieg gegen den Iran, Krieg gegen den Irak, Krieg gegen Pakistan, Krieg gegen Algerien, Krieg gegen die USA. „Man muss für alle Eventualitäten gerüstet sein“, belehrte er mich, „es ist wie mit den Nachrufen: man darf sie nicht erst schreiben, wenn jemand schon tot ist, sonst sind sie nicht aktuell und viel zu gefühlvoll.“ Ich warf einen Blick auf die Pressetexte. „Und Sie finden es tatsächlich angebracht, eine ganze Serie Nachrichten lesen zu lassen, wie viele Meter Manhattan und die Malediven unter dem Meeresspiegel versinken, und gleichzeitig verkünden zu lassen, die Klimaerwärmung sei nur eine Propagandalüge?“ „Flexibilität ist das A und O in der Branche.“ Er tastete hektisch nach seinen Zigaretten, fand sie und lehnte sich zurück. „Wir produzieren hier den Großteil der aktuellen Nachrichten.“ „Aktuell?“ Siebels nickte. „Aktuell. Allerdings nicht in dem Maß aktuell, wie Sie das heute noch verstehen. Wir sind schon über die zeitgebundene Komponente hinausgewachsen und produzieren zeitlos aktuellen Content.“

Der Automatenkaffee verhielt sich vorschriftsmäßig: er schmeckte nach Plastik. Die graue Eminenz des deutschen Fernsehens paffte. „Schauen Sie sich die Konkurrenz an. Was Sie da im Unterschichtenfernsehen erdulden müssen, hat doch mit Nachrichten auch nur streckenweise zu tun.“ „Sie meinen diese ständigen Kinowerbungen und die aus dem Internet zusammengeklaubten Nebensächlichkeiten, die die Sendezeit fast zur Hälfte füllen?“ Er lächelte. „Allerdings. Und natürlich diese billige Meinungsmache, die sich in den Schrottkanälen gar nicht mehr verhindern lässt, weil sie eine eindeutige politische Agenda fahren.“ „Das wäre mir neu“, wandte ich ein. „Die politische Agenda?“ Siebels warf seine Zigarette fort. „Die Tatsache, dass sie nur in den Billigsendern das Programm bestimmen würden.“

Inzwischen hatte der Nachrichtensprecher seine Sicht der europäischen Lage heruntergeschnurrt. Polen, die Ukraine und Weißrussland gewannen, verloren und führten gegeneinander wirtschaftliche Auseinandersetzungen, Russland kündigte die Gaslieferungen, Litauen, Eritrea und San Marino fusionierten. „Man muss auf alles vorbereitet sein. Haben Sie noch im Gedächtnis, wie die Welt vor dreißig Jahren für Sie aussah? Was war denn Litauen für Sie?“ Er wartete meine Antwort gar nicht erst ab. „Natürlich haben Sie sich gar nicht damit beschäftigt. Es war ja alles so schön einfach, nicht wahr? Sie wollten glauben, alles bliebe wie immer. Aber dann hätten Sie ja auch Westfernsehen anknipsen können.“ „Entschuldigen Sie mal“, begehrte ich auf. „Ich bin gelernter Wessi.“ „Um so schlimmer“, antwortete Siebels schnippisch.

Der Kommentator breitete sich seit Minuten über die Krise der chinesischen Währung aus, die offensichtlich die Entwicklungsländer Schweden, Finnland und Deutschland voll erwischt hatte. Die Mehrzahl der Zulieferbetriebe in Hessen und Bayern, das nach einer Phase als ausländerfreie Zone zurückkehrte und den Länderfinanzausgleich zur Staatsreligion erklärte, wurde nur noch von Analphabeten bewirtschaftet, aber das war ja nichts Neues. „Ich weigere mich, das zu glauben.“ Doch Siebels zog nur mit angedeuteter Ironie eine Braue empor. „Keiner zwingt Sie. Und kommen Sie mir auch nicht an, wenn Sie wieder Nachrichten aus dem Innenministerium lesen, wo die eine Hälfte der Fachkräfte die andere bei Straftaten bespitzelt und danach die Aufzeichnungen aus Sicherheitsgründen in den Schredder stopft.“

Ich tupfte mir den Schweiß von der Stirn, während der Anchorman des Nachrichtenmagazins mit entschiedener Betroffenheit nachfragte, wie das nur hatte passieren können – man habe schließlich, und das sei auch im internationalen Vergleich, mit dem man nicht leichtfertig, sondern erst nach langen Beratungen und einer Abstimmung in den Resten des Deutschen Bundestages, der noch vom Verfassungsgericht als unverzichtbarer Bestandteil der von den Banken erlaubten, und auch das war nicht sicher. Mich fröstelte. Sicherlich war es nur die Klimaanlage.

„Machen Sie sich nichts daraus“, tröstete mich Siebels und reichte mir einen Becher der düsteren Plörre aus der Studiokantine. „Ich bin ja auch nicht sonderlich begeistert von dieser Entwicklung, aber es ist doch besser als gar nichts, finden Sie nicht auch?“ Ich war entsetzt, doch er wiegelte ab. „Sehen Sie es positiv: wenn sich diese neoliberale Führungsschicht durchgesetzt hätte, wäre dieser Sender längst privatisiert worden – längere Arbeitszeiten bei drastisch gekürztem Gehalt, nur noch aus Tageszeitungen abgeschrieben, die der Praktikant morgens aus der U-Bahn mitbringt, und dafür kassiert der Sender eine horrende Gebühr und verklagt jeden, der abgeschriebene Beiträge von ihm abschreibt.“ Ich nickte stumm. „Qualitätsjournalismus.“ Siebels gab dem Sprecher ein Zeichen. „Guten Abend, meine Damen und Herren. Der Weltuntergang kam pünktlich.“





Breaking News

23 08 2011

„Ja, da sind Sie bei mir richtig, das ist hier die Nachrichtenredaktion. Aber ich kann Ihnen nicht weiterhelfen, ich bin bloß der Chefredakteur. Aber ob die hier arbeiten, kann ich Ihnen nicht sagen. Den Unterschied erkennt man inzwischen kaum.

Wir können doch nichts dafür, dass die Rebellen nachts einfach so in Tripolis einmarschieren. Stehen Sie nachts auf und gucken nach, was irgendwelche Regierungsgegner tun? Sie vielleicht, aber der Rest der Fernsehzuschauer ganz sicher nicht. Das sind ordentliche Leute, die tagsüber arbeiten und den Aufschwung produzieren, die müssen nicht zu nachtschlafenden Zeiten vor der Glotze hängen und sich gewaltsame Live-Übertragungen ansehen. Das ist doch auch geschmacklos, wer will denn das – wollen Sie das? Tut mir Leid, aber die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender sind nun mal nur für die Grundversorgung mit wichtigen Informationen da. Sie werden doch wohl nicht behaupten, dass so ein Staatsstreich außerhalb der Geschäftszeiten mit Ihren Gebühren abgedeckt sei?

Man kann sich doch nicht einfach so hinstellen und sagen: das war so und so, wir haben unsere Korrespondenten gefragt. Die waren ja teilweise noch beim Frühstück, manche sind momentan mit den Ereignissen an der Börse so überfordert, die wissen schon gar nicht mehr, in welchem Land sie sich gerade befinden. Haben Sie eine Ahnung, was Sie da verlangen? Experten? Vor acht Uhr? Wir wussten im noch gar nicht genug, das wäre nur gegangen bei einem Amoklauf.

’tschuldigung, ich muss eben – wir bräuchten Jubelbilder. Könnten wir sonst eventuell ein paar Sequenzen vom at-Tahrir nehmen? Ist da noch was da? Gut, dann blenden Sie das dazwischen, wenn wir – fragen Sie nach, ob wir nicht ein paar Leute finden, die wie Libyer aussehen und randalieren können. Das funktioniert sonst auch, wenn wir Palästinenser brauchen. Oder Neonazis.

Und denken Sie mal an diese ganzen schlimmen Bilder! Dass da in Berlin mittlerweile Kleinwagen brennen, das ist ja schon gefährlich genug, wollen Sie denn auch noch riskieren, dass wir uns davon anstecken lassen? Natürlich haben wir an den Jugendschutz gedacht. Sind wir ja auch verpflichtet, der Staatsvertrag. Und wenn Sie mal bedenken, was man Jugendlichen nicht zeigen sollte, das ist doch für Erwachsene erst recht nicht geeignet? Glauben Sie, dass Sie das alles vertragen, was unsere Jugend sich heute so antut? Na? Eben. Wobei das sowieso schwierig geworden wäre, vor zehn kann man das gar nicht zeigen, und wir machen ja schon kurz vor acht dicht.

Letztlich kann es Ihnen doch auch egal sein. Als qualitätsbewusster Staatsbürger werden Sie früh am Morgen aufstehen, Ihr Radio einschalten und – Frühstücksfernsehen? Morgenmagazin? Wir können doch die Bundesbürger nicht gleich mit solchen Horrormeldungen verschrecken! Was erwarten Sie denn? Man könnte vielleicht in einer Dauerschleife darauf hinweisen, dass das alles ganz gefährliche Muslime sind, lauter Ausländer in einem Land voll von Minaretten. Das ist zwar völlig egal, aber vielleicht kriegt der eine oder andere doch ein bisschen Angst. Kann jedenfalls nicht schaden.

Und dann? Man muss auch mal berücksichtigen, wenn es bei uns halb acht ist, dann ist das mit der Zeitverschiebung in Libyen, ich muss da mal eben – es ist nicht auszuschließen, dass diese Rebellen die Globalisierung ausnutzen, die machen ihre Revolution dann zu Tageszeiten, wo man im Land niemanden erreicht. Um sieben Uhr dreißig in Tripolis, glauben Sie, dass Sie da jemanden ans Telefon bekommen hätten? Das ist nämlich eine ganz abgefeimte Taktik, da darf der Westen sich auf keinen Fall einwickeln lassen!

Das Problem ist, die wichtigen Meldungen aus den internationalen Tageszeitungen haben wir frühestens am Dienstag gegen acht Uhr, dann ist erst mal Redaktionskonferenz, und dann kriegen wir die Sachen auch nicht vor der Tagesschau fertig. Mittags guckt wieder keiner, die Vorabend-Ausgabe ist nicht aktuell, weil die Privatsender schon alles wegberichtet haben, und den Rest kriegen wir erst ins Abendprogramm. Das ist nicht leicht, das weiß ich selbst! Und wenn Sie dazu noch – ich muss mal eben mit… – Ja, die Fresse voll aufziehen, links ist nichts, alles weg, und dann gucken Sie, dass Sie einen Hintergrund finden, wo er schön irre guckt. Sie kennen ihn doch, er ist ein paranoider Trottel, und dass Sie mir ja – wo waren wir? Richtig, die deutsche Außenpolitik.

Da sind wir eben immer auf Standby, einen Brennpunkt rauszuhauen, wo Westerwelle etwas Schwachsinn über die Erdölaktionäre absondert und warum es besser für ihn als FDP gewesen wäre, wenn die Bundeswehr die Rebellen beschossen hätte. Das ist ja nun keine Schwierigkeit. Das sind uns doch die besten Nachrichten. Da sind wir völlig schmerzfrei. Sie finden das zum Brechen? Sind ja auch Breaking News.

Sicher ist das alarmierend, was glauben Sie denn? Wir als deutsche Qualitätsmedien sehen zu, wie Al Jazeera und diese anderen mit unlauteren Methoden Zuschauer anlocken. Die senden einfach während der Sendezeit! Die halten sich nicht einmal an Ländergrenzen! Sie haben da doch Kontakte – wollen Sie etwa, dass bald Berlin brennt, und dann kommen diese Journalisten aus Staaten, die sich bei uns Waffen kaufen, und für uns bleibt nichts mehr zu berichten? Wollen Sie das? Sie haben doch Kontakte, sagen Sie mal, könnten Sie irgendwie dafür sorgen, dass Assad im Vorabendprogramm zurücktritt?“





Wissen ist Macht

25 07 2011

„… keine Besserung mehr in Sicht. Derartige Wolkenverhältnisse, so ZDF-Wetterexperte Hans Hulle, würden nicht sofort den Weltuntergang auslösen, wohl aber langfristig zum…“

„… nach dem Urteil des N24-Rechtsexperten Hans Hulle, dass man einen Bußgeldbescheid nur dann rechtsgültig unschädlich machen könne, wenn man ihn von einem staatlich anerkannten Voodoo-Beauftragten unter notarieller Aufsicht mit Nadeln aus mindestens 90%-igem…“

„… ein weit verbreitetes Fehlurteil – Hans Hulle, Börsenexperte des Hessischen Rundfunks, rechnet damit, dass viel mehr Aktien gekauft werden, als zum Verkauf an der…“

„… jedenfalls nach Meinung des ARD-Terrorexperten Hans Hulle, der live bei der Bombenexplosion dabei war – man könne schon vor der Detonation an der Stärke der Vermutung feststellen, ob sich terroristische Terroristen an der Tat beteiligt…“

„… stellte Hans Hulle, arte-Modeexperte und langjähriges Mitglied im Bundesverband blinder Analphabeten, an der aktuellen Winterkollektion von Pompom de Tüdelü eine gewisse Farbenfreude fest, deren…“

„… keine genaue Aussage zu treffen, richtig sei aber auch, betonte ADAC-Medienexperte Hans Hulle. dass bisher ein wissenschaftlicher Nachweis fehle, linksliberale Zeitungen zum Einwickeln von Frischfisch gefahrlos nutzen zu…“

„… dass die dümmsten Kartoffeln laut des epd-Landwirtschaftsexperten Hans Hulle zwar nicht automatisch den dicksten Bauern…“

„… die Qualität des Programms auf keinen Fall mit der Höhe der gebührenfinanzierten Einnahmen in Korrelation gesehen werden dürfe, dies sei schon aus Tradition noch nie der Fall gewesen. KIKA-Korruptionsexperte Hans Hulle wusste zwar nicht, ob und warum…“

„… sei der Norweger an sich, so RBB-Gartenexperte Hans Hulle, schon ein freundliches Völkchen, da sei es um so erstaunlicher, dass an einem Freitagnachmittag so plötzlich eine solche Explosion…“

„… könne man dem Sat.1-Ethikexperten Hans Hulle zufolge überhaupt noch nicht sagen, dass die Öffentlichkeit, die ja überhaupt noch nichts sagen könne, weil die Öffentlichkeit ja überhaupt noch nichts sagen könne, noch nichts sagen könne, da die Öffentlichkeit ja überhaupt noch nichts…“

„… den plötzlichen Anstieg der Getreidepreise nicht auf eine Missernte zurückzuführen sei, wie Bibel-TV-Ballettexperte Hans Hulle zu bedenken gab. Möglicherweise sei der Islam als solcher…“

„… es sich nach Urteil des n-tv-Filmexperten Hans Hulle keineswegs um Außerirdische handeln könne, da diese, wie aus zahlreichen Hollywood-Produktionen inzwischen bekannt, immer im Feierabendverkehr über New York landen, aber nie die Voralpenregion in einer…“

„… sei es nur durch einen Übermittlungsfehler zu der Aussage des WDR-Societyexperten Hans Hulle gekommen, die norwegischen Behörden vermuteten einen islamistischen Hintergrund. In Wahrheit sei es so gewesen, dass der Sender vermutet habe, die norwegischen Behörden würden bereits Vermutungen angestellt…“

„… nicht ausschließen, dass die Regierung noch in dieser Legislaturperiode umgebildet würde. Andererseits hielt PREMIERE-Comedy-Kernphysikexperte Hans Hulle sein eigenes Urteil für eine vollkommen abseitige Einzelmeinung, die kein vernünftiger Mensch…“

„… reihte Jamba!-TV-Afrikaexperte Hans Hulle die aktuelle Euro-Krise ein in die größten islamistischen Bedrohungen wie die Mondlandung, Stachelbeerkompott und das sozialistische…“

„… gab MTV-Ernährungsexperte Hans Hulle zu, er habe zwar überhaupt keine Ahnung von Geländewagen, dennoch sei bereits zu diesem Zeitpunkt anzusehen, dass es keinen besseren Gesprächspartner als ihn geben könne, wenn es um die Einflüsse der norddeutschen Backsteingotik auf die niederländischen…“

„… stellte 3sat-Infotainmentexperte Hans Hulle fest, hätte die deutsche Frauenfußballmannschaft das Viertelfinale der Weltmeisterschaft gewonnen, so wären Sie im Finale gegen Schweden siegreich gewesen – zwar erst in der Verlängerung mit dem Treffer zum 5:4, dies jedoch befände sich außerhalb jeglicher Spekulation, da es erwiesenermaßen nicht als unmöglich und ausgeschlossen zu…“

„… bekräftigte Super-RTL-Extremismus-Experte Hans Hulle seine Ansicht, die Ereignisse in Oslo könnten nur als Reaktion auf den dänischen Karikaturenstreit gewertet werden. In diesen Tagen seien wir schließlich alle Isländer und müssten daher die schwedische…“

„… man die Verschlechterung der Job-Chancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht allein der Wirtschaft anlasten dürfe, dies sei eine einseitige Berichterstattung, die zu Lasten der Leistungsträger in Steueroasen und Untersuchungsgefängnissen gehe. RTL-II-Bildungsexperte Hans Hulle forderte eine entschiedene Abkehr von den…“

„… für den Astro-TV-Verkehrsexperten Hans Hulle außer Frage, dass labile Menschen im Internet radikalisiert werden können, obwohl das Fernsehen dafür viel besser geeignet…“





Gernulf Olzheimer kommentiert (C): Kolumnisten

15 04 2011
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Bunt ist das Leben, abwechslungsreich das Geschäft mit dem geschriebenen Wort, noch immer gilt die Vermittlung des Aktuellen und Relevanten als hinlänglich bedeutend und der Schreiber als ein unverzichtbarer Kulturlieferant. Meist zurecht. Doch Woche für Woche, Jahr für Jahr, allenfalls unterbrochen von erwartbaren Zwischenfälle wie Wahlen, Weihnachten oder Michael Ballacks Syndesmosepatzern, rinnt aus den Spalten der Tageszeitungen ein abgestandener Quark, wie man ihn kaum im zurechnungsfähigen Zustand bestellt haben kann. Trötentöne aus dem Hobbykeller der philosophischen Bastelstube ritzen die Hirnrinde des geistig noch gesunden Medienschluckers, er naht sich, und nichts Gutes hat er im Gepäck, der Kolumnist mit der ewigen Wiederkehr des Banalen.

Kolumnisten verwüsten einen eng umgrenzten Raum, sie toben sich periodisch in einer einzelnen Spalte aus – ihr verquastes Weltbild schwiemeln sie konzentriert auf zwölf bis zwanzig Zentimeter in die zweidimensionale Fläche. Und doch, es bleibt die Privatmeinung eines einzelnen Subjektivisten, eine Solonummer im Ensembleprogramm, die ohne Dekoration und Kostüme auskommen muss, und so gerät sie denn auch: laut, gewöhnlich, belanglos. Denn man kauft den Kolumnisten nicht wegen seiner herausragenden Recherche, nicht für den investigativen Flair, mit dem er Skandale und Revolutionen wittert, man gibt ihm ein paar Finger breit, um das Unverfängliche Ereignis werden zu lassen. Nicht nach Vorbildung noch Intelligenz fragt man ihn, erst recht nicht nach einer gestandenen Expertise: jeder Wassersuppenkasper darf sein Gejodel ins Tal blöken und aufs Echo hoffen, um nicht im Hintergrundrauschen zu versuppen. Ein veritabler Missbrauch der Meinungsfreiheit, denn nicht das Gestammel diverser Egoleptiker ist das zu schützende Rechtsgut, sondern die Freiheit, jenes Verballaballa in Bausch und Bogen in die Tonne zu treten. Aber wer will das noch hören.

Schließlich giert die Öffentlichkeit nach großen Namen. Prominente liefern ihren geistlosen Sums ab und tun so, als dächten sie tatsächlich nach über Gott, die Welt und die angrenzenden Landesteile, während sie lediglich niedermolekular verklebte Reste einer Hirntätigkeit liefern, mit denen sie sich bei subkulturellen Bevölkerungsteilen anbiedern können. Filmstars sülzen über Politik, Sportler über Börsenkurse, Mannequins über Management, und alle zusammen über Geoökologie und Gesellschaft; hätten sie die Klappe gehalten, sie wären auch keine Philosophen geblieben, aber ungleich erträglicher. Noch schlimmer: indem sie ihren geistlosen Sums zu allen noch so überflüssigen Objekten des öffentlichen Desinteresses liefern, erschwafeln sich manche Dummschlümpfe erst ihre zweifelhafte C-und-abwärts-Prominenz.

Es ist jene billige Pointenhatz, die den Leser für blöd verkauft, weil ihre Knalleffekte höchstens ein rhetorisches Tischfeuerwerk entfesseln, selten erwähnenswert, meist nur Geplärr im Gegenwind. Woche für Woche wird vorhersagbares Geschwalle geliefert, weniger aktuell und stringent als der Leitartikel, für eine Glosse selten witzig genug, fürs Feuilleton zu flach, für die Masse der Volleulen gerade recht – meint der Kolumnist, der sich in der eigenen Hirnrissigkeit spiegelt. Seine Kunst ist schlicht: der Kommentar um des Kommentars willen, der Schreiber hat keine Ahnung, salbadert in der Gegend herum, sonnt sich im Blendglanz seiner eitlen Formulierungen (spätestens nach drei Ausgaben seiner Kommentarspalte kann man den Rest der aus Schlacke und Stilmus gepampten Wiedergängergrütze rückwärts herunterbeten, da sich die halbwegs tauglichen Formulierungen, die er in seiner Existenz als Imitator aufgeschnappt hat, während eines einzigen flüchtigen Blicks in ein Fremdwörterbuch in sein Hirn gefräst haben – mehr wäre seiner Denkfähigkeit ohnehin abträglich, wollte er nebenbei auch noch aufrecht gehen oder Messer und Gabel unterscheiden) und hinterlässt das unangenehme Gefühl, er habe das Geklingel bar jeglicher literarischen Erfahrung mit der linken Hand erzeugt, wahlweise in kompletter Verkennung seiner Beklopptheit oder, schlimmer, als höhnisch die Stumpfheit duldender Leser verlachender Filou, der dem Pöbel ausgekaute Schlauben einkübelt, Bildung und Potenz vorspiegelnd – mundus vult decipi, er aber verdient nicht schlecht damit.

Es mag ja gute Kolumnisten gegeben haben, die ihre gleichförmigen Stereotype herunternudeln, was die Kolumne zum vorhersagbaren und nur noch auf Verpackung beruhenden Produkt werden lässt, aber wer will sich an denen noch messen? Die terza pagina ist das Privileg des intellektuellen Adels, der sich vor der Fleischauslage im Qualitätstotholz zurückzieht, an vorderster Front schießt und näselt, was sich der Gnadenhofberichterstattung anschließt, argumentationslos, Fragen ohne Antwort, und bissfrei sich feiernd, wie man unter schweren Umständen gebissen hätte. Die Geschichte wartet nicht, bis sie vom Geschiebe zerschmirgelt sind, und behüte uns die Content-Mafia, dass sie das Zeug irgendwann auf Papier drucken, was der Typ vom Stapel lässt, dieser Gernulf Olzheimer!





Stille Post

10 11 2009

Die Äußerung am Rande des Landesparteitags wäre um ein Haar untergegangen, wenn nicht rein zufällig das Diktiergerät eines anderen Delegierten mitgelaufen wäre. So konnte der Wortlaut für die Nachwelt aufgezeichnet werden, was namentlich deshalb wichtig war, weil man nun wusste, dass es an der Basis durchaus Kräfte gab, die anders dachten als die Bundesvorsitzenden. Keine zehn Minuten dauerte es, bis das Zitat, aufgeteilt in drei Tweets, seinen Weg durch die Datenkanäle nahm; dass nur der zweite Teil gelesen wurde, machte die Sache nicht besser.

Während die meisten Empfänger noch über den Sinn der kryptischen Botschaft grübelten, schmiss BILD die Schlagzeile des kommenden Tages raus. Deutschland war nun nicht wegen der vielen wegfallenden Arbeitsplätze gerettet, sondern wieder ernsthaft in Gefahr. Man verlieh der Sorge ums Vaterland dreizehn Zentimeter hoch Ausdruck.

Die Unionsparteien reagierten prompt. Zwar wusste Ronald Pofalla noch nicht, wer da eigentlich was gesagt hatte, wies jedoch sämtliche Verantwortung der CDU-Fraktion entschieden zurück. Den Affront ließ die CSU nicht lange auf sich sitzen: in derber Gegenrede, gespickt mit bissigen Ausfällen auf die Schwesterpartei, bellte Horst Seehofer heraus, dass er Doppelzüngigkeiten des zwar christlichen, aber nicht sozialen Koalitionspartners nicht mehr toleriere. Der Bayernkurier druckte vorsichtshalber ein Dementi, aus dem klar hervorging, dass die Debatte nur geführt werde, um das Kruzifix-Verbot hoffähig zu machen.

Nach und nach schalteten sich die anderen Parteien in die Diskussion ein. Claudia Roth sagte, sie wisse es längst, Frank-Walter Steinmeier meinte, man hätte das wissen können. Oskar Lafontaine sagte, er habe es ja immer schon gesagt. Der DAX kippelte vorerst verhalten, aber entschieden fest.

An dieser Stelle schwappte die Welle in die Gesellschaft hinaus. Bundespräsident Horst Köhler rief zur Besonnenheit auf und ermahnte die Politik, ihrer Verantwortung für die Bürgerinnen und Bürger gerecht zu werden. Obwohl niemand es zur Kenntnis genommen und die Kanzlerin ihn noch nicht von der Leine gelassen hatte, knurrte Volker Kauder bereits in die Pressemikrofone, die Kritik an Angela Merkel in diesem Punkt sei mal wieder ein typisches Anzeichen dafür, dass die Opposition – im Wortlaut benutzte er hier eine ehrenrührige Formulierung – ausschließlich ehrenrührige Formulierungen zu benutzen geeignet sei. Auch dies rief keinerlei Resonanz hervor; die meisten Redakteure hielten es für die vorangegangene Attacke Kauders und deponierten sie im Archiv.

Zwischen zwei Osteuropa-Reisen fand Außenminister Westerwelle Zeit, sich entschieden gegen jede Kritik an der bürgerlichen Koalition zu verwahren. Der Chefliberale betonte, dies sei eine hirnverbrannte Neiddebatte, die nur darauf ziele, die Elite, die es indes überhaupt nicht gäbe, gegen die Leistungsträger auszuspielen. Dies sei jedoch ein Signal für mehr Freiheit und Privatisierung und möglicherweise auch für Steuererleichterungen.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ließ mitteilen, er ließe gar nichts mitteilen. Im Verteidigungsressort knobelte man noch, ob man es als Kriegszustand werten solle.

Die Talkshows wurden aufmerksam. Da das Panel bei Anne Will wie immer mit Hans-Werner Sinn, Bernd Raffelhüschen, Hans-Olaf Henkel und Günter Wallraff besetzt war, fiel es zunächst niemandem auf, dass das ursprüngliche Thema Land ohne Muttersprache – Braucht Deutschland Deutschkurse? nicht mehr passte; hastig einigte sich die Redaktion auf die Problematik Wie viele Seiten hat ein Kreis? und konnte eine Stunde angeregter Gespräche bieten, an deren Ende die überraschende Lösung stand: Deutschland sei übervölkert von Millionen Sozialschmarotzern, die nur deshalb keiner Erwerbsarbeit nachgingen, um nicht Einkommensteuer zahlen zu müssen. Erst mit der Einführung einer kapitalgedeckten Privatrente sei dem Untergang der Nation Paroli zu bieten.

Joachim Kardinal Meisner wetterte dagegen. In einem Hirtenbrief teilte er mit, er wisse nicht, ob sich Edmund Stoiber schon geäußert, und wenn ja, was er dazu gesagt habe, sei aber mit ihm grundsätzlich einer Meinung, wenngleich er dessen Wortwahl für zu lasch hielte. Der Zentralrat der Juden in Deutschland lehnte jegliche Debatte ab. Der ADAC rief zu Unterschriftenaktionen auf; Roland Koch sagte logistische Unterstützung zu.

Das Land war tief gespalten. Franz Josef Wagner setzte im täglichen Wechsel Briefe ab, in denen er bald zur Verteidigung, bald zur Ausrottung von Sozialstaat, parlamentarischer Demokratie, Baumschulen und Bierdeckelsammeln hetzte. Die Verlagsindustrie geiferte gegen die Leser, die die Frechheit besaßen, Zeitungen nach dem Erwerb tatsächlich zu lesen. Das BKA forderte mehr Gesetzeslücken, um andere zu schließen. Peter Sloterdijk entwarf einen ungeheuer geistreichen Kommentar mit einem hocheleganten Wortspiel, indem er die beiden Begriffe struktural und strukturell in einem einzigen Satz unterbrachte; der Beitrag hatte mit dem politischen Thema ansonsten nichts zu tun. Harald Schmidt riss daraus einen abgedroschenen Witz, über den keiner lachte, und Oliver Pocher blies den Kalauer zu einer neuen TV-Show auf, die wegen Erfolglosigkeit nur zwei Jahre lang lief, bis sie abgesetzt wurde. Es war, wie gesagt, nicht viel geschehen.





Die Summe der Teile

8 07 2009

„Du hast was getan!?“ Der junge Mann packte das Mädchen an den Schultern und schüttelte sie durch. „Ich liebe sie! Und Du wirst uns nicht auseinander bringen!“ Er stieß sie von sich weg. Mit Schwung warf sie sich in die Couch. „Klappe!“ „Gestorben!“ Und damit war die Szene im Kasten. Siebels kam aus dem Fundus und bemerkte, dass ich schon da war. Freundlich grüßend hob der Produzent seine Hand und wechselte ein Wort mit dem Regisseur, bevor er sich neben mich setzte.

„Und, wie fanden Sie den Pilotfilm?“ Ich war verwirrt gewesen, denn die DVD zeigte nicht weniger als 489 einzelne Szenen, mitunter wenige Sekunden lange Schnitte. Einige Cuts waren sogar nur durch minimale Änderungen zu unterscheiden; einmal warf Chantal den Müll aus dem Fenster und einmal sich selbst an die Brust des männlichen Hauptdarstellers. „Genau das ist unsere Strategie“, nickte der Macher, „um der Realität ins Auge zu sehen. Wir machen es besser.“ Dabei wusste ich ja, dass ein Film eigentlich erst am Schneidetisch entsteht – das Rohmaterial ist meist nicht mehr als Anregung durch den Regisseur, der sich einbildet, ein Drehbuch habe ihn dazu angeregt.

Aber Siebels widersprach mir. „Sie täuschen sich. Wir haben nicht die Verpackung neu erfunden, sondern das Produkt. Das, was die Zeitungen falsch machen und wofür sie die Verantwortung an die ach so dummen Leser weiterreichen. Im Gegensatz zu ihnen stellen wir uns der Debatte und geben dem Kunden eine Alternative. Wir handeln.“ Wie sollte das nun funktionieren? „Indem wir das Internet so nutzen, wie es gedacht war. Als mehrschichtiges Medium, das Feedback und Metakommunikation erlaubt. Das, was keine Zeitung kann.“ „Aber das ist doch nicht viel mehr als Video-on-Demand – man gibt den Zuschauern Puzzleteilchen und lässt sie damit die Realität nachspielen?“ Siebels sah mich über den Rand seiner Brille hinweg an. „Sie täuschen sich, ich sagte es bereits. Sie spielen nicht eine Realität – sie erschaffen ihre Realität. Jede Szene ist ein Teil ihrer Wirklichkeit, so oder so. Wir lassen sie vor dem Film einen Fragebogen ausfüllen und der Server kombiniert ihre Vorstellungen zum Produkt. Chacun à son goût. Jeder bekommt das, was er präferiert. Das Ende des medialen Diktats.“

Unterdessen hatte sich Chantal in die Kantine begeben und war durch Sabrina ersetzt worden. „Ich liebe sie“, röhrte der Junge, „und Du wirst uns nicht auseinander bringen!“ Sabrina flog aufs Sofa, wurde leicht abgepudert und ging wieder in ihre Ausgangsposition; das Licht hatte nicht gestimmt. „Aber das ist doch völlig unmöglich! Sie drehen hier eine Seifenserie ab, Zeugs mit simpler Story, und erwarten doch wohl von ihrem Publikum nicht, dass es über die Anschlussfehler lacht? Der Knabe hier legt erst die eine und dann die andere Dame auf den Rücken – was halten Sie von Logik, Siebels? Major Strasser verliert seine Schulterstücke, und Ihnen fallen solche Böcke nicht auf?“ Siebels war verärgert. „Denken Sie doch mal nach, bevor Sie reden! Er steht eben zwischen zwei Frauen. Das Ergebnis ist austauschbar, die Handlung ist egal. Der Gang der Handlung, das zählt. Haben Sie nie eine Zeile Brecht gelesen?“

Episches Theater im Vorabendprogramm. Ich begriff. „Nein, eben nicht“, stöhnte der Programm-Erfinder, „wir müssen eben die Zielgruppe direkt fragen, was sie erwartet – ihre Wirklichkeit besteht aus mehr als Fakten. Sie besteht aus Attitüden. Die Zeitungen glauben, man könne den Leser durch auktoriale Auswahl steuern; das geht in die Hose, denn sie leugnen, dass jedes Medium einen Markt hat. Alle halten ihr Blättchen für die einzige Zeitung auf Erden und denken, ein Erdbeben, das nicht auf ihrer Titelseite steht, habe gar nicht stattgefunden. Jeder schreibt es, das Ergebnis ist dasselbe. Aber die Haltung – man kann sich ja nur blamieren, wenn man in diesem Einheitsbrei mitschwimmt. Bis man eben absäuft.“ Mokant wies ich Siebels auf BILD, Blick und Krone hin. Doch das ließ ihn kalt. „Kakerlaken sind eben widerstandsfähiger als Rehe. Und Augenhöhe mit den Konsumenten heißt nicht zwangsläufig, freiwillig im Dreck zu liegen.“

Der Matte Painter spielte die Innenstadt von Erlangen ein. Das Rathaus, die Beton gewordene Kathedrale des schlechten Geschmacks, flirrte digital durch die Schaufenster eines Cafés. Köln folgte, Dresden und Potsdam und Bremerhaven. Der Protagonist warf wütend eine Tasse auf den Boden. Konstanz, Kiel, Kassel, ein ganzer Kasten Geschirr ging zu Bruch. „Die regionalen Aspekte werden ja auch vernachlässigt“, erläuterte Siebels, „natürlich sehen Sie die Sache mit ganz anderen Augen, wenn es in der Nachbarschaft spielt. Noch so ein Punkt, bei dem die Printmedien patzen. Wir machen das besser.“ „Und was bringt Ihnen das ein außer einem Riesenaufwand an Zeit und Kosten?“ Er lächelte nachsichtig. „Wir produzieren anders. Zielorientierter. Wir beteiligen die Schauspieler am Erfolg. Wer zum besten Darsteller des Monats gewählt wird, erhält einen Bonus. Das motiviert. Hier gibt es keine Fixkosten-Kalkulation, wo das Volk nach Jahrzehnten jede Woche vor der Glotze hockt und Mutter Beimer eine Embolie wünscht, um die alte Tante nicht mehr sehen zu müssen.“

Aber vielleicht hatte er Recht. Vielleicht hatten andere Medien zu wenig die Bodenhaftung gesucht. Der Jungspund war schon wieder im Dialog: „Ey, Panne oder was!? Isch mach Disch Messer!“