Deutsche im Urlaub

31 07 2016

Hurra! das Volk bricht los und stürmt die Fremden,
die zwar im Ausland liegen, aber endlich
mit Sonne, Strand und kauderwelschverständlich
Kulisse sind für Ärmelkrempelhemden.

Hier ist man gern gesehen wie Vandalen,
die ihre Mordlust nur aus Zeitnot zügeln,
denn zwischendurch muss man die Hemden bügeln,
sonst passt ja nichts zu Socken und Sandalen.

Sie wollen von den Weinen und den Mosten,
von allerbesten Früchten prächtig naschen
was nur hineinpasst in die Leinentaschen,
vorausgesetzt, es wird sie das nichts kosten.

Das zieht durchs Land wie in enthemmter Sause.
Es ist ja schön, was ihm den Bauch erheitert,
woran beständig ihm sein Frohsinn scheitert,
weiß er genau: gut ist es nur zu Hause.





Kartengrüße

16 08 2015

für Kurt Tuchosky

Hammelmeyer und Consorten,
ach, was hasst man die Durchtriebnen!
Doch sie denken aller Orten
stets an die daheim Gebliebnen,
schicken Karten, bunt mit Bildern,
Schweiz und Schweden, Malediven,
um den Urlaub Dir zu schildern,
den wir just zu Haus verschliefen,
dass man ihn wie sie genieße…
  Kartengrüße!
    Kartengrüße!

Schönstes Wetter, fernste Ferne,
der Patron sich laut erdreistet,
fett zu sein – das hat man gerne,
weil man es sich selbst nicht leistet.
Sonnenschein und laue Lüfte,
ach! sein Paradies quillt über,
Blumen, Papageien, Düfte,
nie war ihm das Leben lieber
als in jener Sommersüße –
  Kartengrüße!
    Kartengrüße!

Und in Wahrheit? Hans und Hilde
legen das Hotel in Trümmer,
zwei recht ungezogne Wilde,
nur der Hund allein ist dümmer.
Dazu greint Frau Hammelmeyer,
ohne Sekt wird ihr’s schnell fade,
dies zu billig, das zu teuer.
Ihm ist um die Ferien schade,
Hans tritt Scherben in die Füße.
  Kartengrüße,
    Kartengrüße.





Traumurlaub

12 12 2013

Das also war das Reisebüro. „Unsere Spezialität“, betonte Fettcke. „Sie werden sich auf unseren Touren zu Hause fühlen, absolut zu Hause. Was daran liegt, dass Sie zu Hause sind.“

Mandy Schwidarski und mein sehr geschätzter Kollege Minnichkeit von Trends & Friends hatten mir den Hinweis gegeben, genauer gesagt: der Travel-Experte Maxim, der so viel reisen musste, dass er zu den Feiertagen nicht mehr reisen wollte. „Jeder reist zu den Feiertagen“, hatte Mandy gestöhnt, „weil die anderen zu den Feiertagen reisen, und die reisen, weil die anderen immer jammern, dass das Reisen an den Feiertagen so anstrengend ist, jedenfalls anstrengender als die Feiertage.“ So fasste ich den Plan, zum kommenden Weihnachtsfest zu verreisen. Oder auch nicht. „Wir verreisen Sie“, lächelte Fettcke. „Warum sollten Sie in einem schlechten, überfüllten Hotel genervt unter Genervten hocken, wenn Sie es sich doch auch auf dem Sofa gemütlich machen könnten?“ Natürlich spielte der Preisvorteil eine Rolle, andererseits war es schon verlockend, den Daheimgebliebenen zu zeigen, dass man gerade in der großen weiten Welt unterwegs war.

„Wenn Sie sich unser Sortiment anschauen möchten? London, Paris, die Malediven, Gnützburg an der Schlippe.“ Ich war beeindruckt. „Vielleicht nehme ich tatsächlich etwas Kleines, anderthalb Wochen im Hotel Royal dort dürften meinen finanziellen Möglichkeiten am ehesten entsprechen. Das wirkt sehr glaubwürdig.“ Fettcke faltete die Mappe auf. „Die Beschreibungen sind erstens sehr genau und werden ständig aktualisiert – hier sehen Sie beispielsweise einen Bildbericht über die Baustelle gegenüber des Landrat-Wübbepeter-Springbrunnens, die wie erwartet nicht in wenigen Tagen beendet war, sondern im kommenden Frühjahr ihr Silberjubiläum feiert, und der zweite Vorzug sind die ausführlichen Leitfäden, die Sie an die Hand bekommen.“ Man musste sich also nicht mehr auf die Reiseführer verlassen, die ja ohnehin einer vom anderen abschrieben, was das Zeug hielt, es gab Originalmaterial in Hülle und Fülle. „Das ist der Zoologische Garten“, stellte ich fest. Fettcke bestätigte es nach einem kurzen Blick. „Und da sehen Sie auch schon die Beschreibung der Müllkörbe, hier ist eine genaue Aufschlüsselung der Imbissbude am Bärengehege, einschließlich der einzelnen Mitarbeiter am Souvenirstand. Ihre Reiseberichte werden außergewöhnlich authentisch sein. Besser, als seien Sie selbst dorthin gefahren.“

Er reichte mir eine Checkliste. „Wenn Sie diese Formalitäten vielleicht erledigen würden? Das macht die Sache erheblich besser.“ Das allerdings verwirrt mich doch. Wozu musste ich meine Kamera abgeben und ein Telefon? „Ihre Lieben werden natürlich eine versehentlich abgesetzte SMS am Weihnachtsabend erhalten. Sie ordern ein Taxi, drücken aber irrtümlich auf die falsche Nummer – und wenn sie alle unter dem Weihnachtsbaum sitzen, werden sie den Querschläger lesen und an Sie denken. Sie aber haben nach Ihrer Rückkehr eine Geschichte zu erzählen.“ Fettcke schmunzelte. Ich begriff. „Wie beiläufig lasse ich ins Gespräch einfließen, dass ich eine Stunde auf meinen Wagen gewartet habe, und sie werden wissen, warum. Fettcke, Sie sind ja ein Genie!“ „Och“, errötete er, „man macht sich so seine Gedanken.“

Das mit der Kamera war schnell erklärt. „Wir drücken sie vertrauenswürdigen Touristen, die sich bei unserer Agentur ein kleines Zubrot zu den Reisekosten verdienen, in die Hand.“ „Dann knipsen die mit meinem Apparat sicher sämtliche Sehenswürdigkeiten“, schloss ich messerscharf, „genauso verwackelt und unscharf wie die billige Kamera, die man ihnen dalässt.“ „Und Sie haben eine Garantie“, erläuterte Fettcke, „dass Sie nicht die üblichen Postkartenansichten in perfekter Beleuchtung bekommen. Wir liefern Ihnen wirklich hundsmiserable Schnappschüsse mit unterirdischer Beleuchtung bei schlechtem Wetter. “ Ich händigte ihm die Kamera bereitwillig ein.

„À propos Postkarten.“ Fettcke schob mir einen Stapel über den Tisch. „Schreiben Sie schon einmal ein Dutzend, unsere Gewährsleute werden sie vor Ort einstecken. Sozusagen eine frankierende Maßnahme.“ „Ihr Service ist beeindruckend“, lobte ich. „Sie denken aber auch an alles!“ Einige Trinkgelder würden das Ihre tun; sollten Gäste nach mir fragen, das Hotelpersonal wüsste sofort, dass ich abends Kaffee trinke und öfters Opernkarten an die Rezeption senden lasse. Alles würde passen, ich bekäme ein lückenloses Alibi.

Er quittierte mir den Betrag und schob die Unterlagen über den Tisch. „Sie werden sehr zufrieden sein“, versprach Fettcke, „das ist eine gute Wahl.“ Über die Weihnachtstage würde ich einfach zu Hause bleiben, das Telefon stumm stellen und auf nichts reagieren. Morgen würde die imaginäre Fahrt beginnen, ich hatte also noch Zeit für einen kurzen Abstecher ins Kaufhaus, um Geschenkpapier zu besorgen. Sicher würde Hildegard nach ihrer Rückkehr eine Kleinigkeit zu schätzen wissen; gut, dass Minnichkeit beizeiten eine Flasche Parfum aus Mailand mitgebracht hatte. Da surrte plötzlich das Telefon in meiner Tasche. „75 Rue Saint-Louis en l’Île. Taxi, SVP.“ Sollte Sie etwa – ?





Gernulf Olzheimer kommentiert (CXCIX): Sightseeing

7 06 2013
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Es wird auf der Völkerwanderung begonnen haben. Die römischen Gastwirte hatten die Tische vor die Tür gestellt, der Duft von Rosmarin und Wein hing in der Luft, als zack! Horden von Hunnen das Imperium pulverisierten. Keiner wusste, woher sie gekommen waren, keiner konnte die fremdartigen Sitten und Gebräuche dieser Stämme einordnen. Sie überfielen ohne Warnung Thermen und pflasterten alles mit Handtüchern. Sie trugen unförmige Socken mit farbigen Streifen zu offenem Schuhwerk, pflegten heimatländisches Liedgut in den Tempeln der ewigen Stadt, ja viel schlimmer noch: sie drückten sich um Kolosseum und Janusbogen herum, sie tanzten Ringelpiez um die Engelsburg. Kein öffentlicher Platz war vor ihnen sicher. Die Unart des Sightseeing hatte ihren Lauf genommen.

Sightseeing ist der weit verbreitete Irrtum, eine Rotte Aliens würde auf mitgeführten Schildern verkünden, sie käme in Frieden – und würde es auch so meinen. Sie vermeiden maximal ein blitzkriegsartiges Szenario, ansonsten assimilieren sie den Raum. Die Besucher, aus aller Herren Länder an den Ort gekarrt, hatten sich das alles auch ganz anders vorgestellt. War im Reiseführer zwischen Dom und Stadtpark nur knapp ein Fingerbreit auf der Karte, so wächst São Paulo im Maßstab 1:1 rasch zu einem nicht unmittelbar überschaubaren Konglomerat der Dinge, die man an sich gerne zu Hause gelassen hätte.

Es ist nicht die Tatsache, dass Menschen fremde Länder aufsuchen, um allerlei Zeugnisse von Bau- und Kriegskunst, Politik und Plattentektonik zu betrachten und zu fotografieren. Es ist die Tatsache, dass sie dies in beknackter Geschwindigkeit tun. Es ist die Tatsache, dass sie es in überdimensionalen Rudeln absolvieren, die man ohne touristische Aktivitäten als nicht minder störend begriffe.

Ein Tempolimit braucht die Invasion fremder Übernachtungsarmeen als letztes. Wie Blattläuse regnen sie überall hernieder, wo man Zeugen der Geschichte geballt und atmosphärisch verdichtet sieht, in Heidelberg und Paris, Neapel und New York. Wer schon dem irrigen Glauben anhängt, ein Londoner hätte sämtliche Ecken seiner Stadt bis in die kleinste Verwinkelung gesehen, studiert und für überlebenswert befunden, der meint auch, man könne im Überholspurmodus eine Metropole an einem Wochenende komplett besichtigen, begreifen und bewerten, was seitens der Reiseveranstalter – einer Spezies übler Betrüger, die für ihr Prospektmaterial ganze Paralleluniversen aus Schmierseife kneten – meist mit höherem Wahnsinn gekontert wird. Da reichen Eiffelturm, Notre Dame und Louvre, sonntags Pont Neuf und Place de la Concorde kostenlos dazu, und erster Klasse gibt es Sacré-Cœur plus Fahrt mit der Metro bis zum Restaurant mit dem goldenen M, und wer das gesehen hat, hat Paris gesehen. Meint der Depp, der schon Moskau und Madrid an einem Mittwoch und den Schwarzwald im Sprungwurf hinter sich gebracht hat. In letzter Konsequenz prügelt sich der Reisende aus purem Guckreiz Europa in einer Viertelstunde in die Birne und prallt, hyperschnell wie er ist, mit dem Kopf gegen Sachen, die gerne im Weg stehen. Es ginge kaum Substanz verloren.

Zweitens die Masse Mensch. Wenn ein manisch klickerndes Geräusch amorphe Gebilde durch die Korridore der Pinakothek glibbern lässt, dann weiß der geplagte Anrainer, dass in Kniehöhe mit vermehrtem Aufkommen asiatischer Honks zu rechnen ist, die ihre Erinnerungen an Europa im Schnellfeuer erledigen: alles abgelichtet, alles in Hochauflösung gefilmt, konserviert und in jeder Facette porentief abgetastet, damit in zehn Jahren die Familie in Yokohama entdecken kann, dass sie außer in Australien auch in Germany war. Jodelnd fallen amerikanische Bataillone ein und glotzen wie in Trance die Weißwurst vom Teller. Lautstark und ohne Hemmungen schranzen sich französische Fraktionen durch das meditative Halbdunkel gotischer Kathedralen. Sie tun so, als wären sie dort zu Hause. Zumindest benehmen sie sich so.

Was der Bekloppte davon hat, in einer Menschenschlange an der Sixtinischen Madonna vorbeigeschoben zu werden, verbirgt sich dem gesunden Menschenverstand. Im Reiseführer hätte man mehr als anderthalb Sekunden gehabt, das Bild zu betrachten, abgesehen von einer Aura, die größtenteils aus Schweiß und Bohnerwachs besteht. Im Zweifel fängt sich der Sightseer ein solides Stendhal-Syndrom ein; eine affektive Störung als Souvenir ist immerhin nicht zu verachten.

Inzwischen schwiemelt man Touristen in Großraumbusse, gerne doppelstöckig, um das Gefrett netzhautschonend durchs Ambiente zu karren. Die getönten Scheiben machen es leichter, die Contenance zu wahren – wer will schon die in Beige broschierten Pensionäre sehen, die der Fremdenverkehr täglich in die Städte kübelt. Kritiker mögen einwenden, dass der zahlende Gast nicht mehr viel von der Umgebung zu Gesicht bekommt, Kenner der Angelegenheit wissen, dass das auch vorher selten der Fall war. Zwar walzt sich die Kolonne von Menschencontainern am täglichen Feierabendstau vorbei, aber was ist das schon gegen die Aussicht, das rundfahrende Volk maximal aus den Augenwinkeln wahrnehmen zu müssen. Sie haben es immerhin nicht schlechter als ihre mühsam wandernden Landsleute, denn sie sehen wenig bis nichts, aber sie sehen es immerhin im Sitzen und voll klimatisiert. Was sich eigentlich für die Lektüre eines ordentlichen Reiseführers auch anbieten würde.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CLV): Jugendherbergen

22 06 2012
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Womit nicht findet sich der Mensch ab, zumal dann, wenn er heimatfernes Gelände erkundet. Die billigste Kaschemme ist ihm malerisch, schmierige Ungezieferzuchtanlagen nimmt er als Imbissbude mit Lokalkolorit in Kauf, 360-Grad-Bewässerung mit mangelndem Lärmschutz preist er als Freiheit, die nur der Campingplatz verspricht – noch eine Null-Sterne-Grabkammer mit Originalmistkäfern und historischem Deckenmodder macht ihn zum begeisterten Freizeitägyptologen. Klaglos duldet er Frühstücksbüfetts, die als Mülldeponie ernsthafte Chancen hätten, vor der Asse zu laden. Kein Personal ist ihm peinlich. Seltsame Blüten treibt diese Anpassungsfähigkeit an die Widrigkeit der Lebensumstände, denn der Beknackte wurde so früh wie nachhaltig sozialisiert. Er durchlief in seiner Schulzeit die Jugendherberge.

In die Landschaft geklotzte Störversuche aus Waschbeton und Besenginster laden den auf der Durchreise gestrandeten Zaungast zum Betreten: wer sich innen aufhält, muss das Elend wenigstens nicht von draußen ansehen. Muff quillt aus den Fugen, sobald man die Eingangstür hinter sich gelassen hat – farbig markierte Gänge, für Deppen im Vollsuff geeignete Zimmersuchsysteme im rustikalen Charme einer geschlossenen Anstalt und die visuelle Anmutung eines Holzverschnittlagers prägen das Erscheinungsbild der Bettenburg. Ihren Zweck impft sie sofort ein, wem dieser Anblick einmal zuteil wurde: wer das sieht, flieht. Alles ekelt gezielt durch in Gelsenkirchener Spätbarock plastinierte Tristesse den zahlenden Gast aus dem Haus, damit die Angestellten ihrer ordnenden Pflicht nicht nachzukommen brauchen. Und genau so ist es in heimischen Hotels, wo um halb neun der Reisende rüde vor die Tür getreten wird, um in Wanderstiefeln und Gebirgshütlein die Museen der Metropole zu erkunden, Hauptsache weg und raus und nicht mehr im Zimmer, wo kommen wir denn da hin. Dass in der Zwischenzeit der vertraglich festgelegte Nassfeudelvorgang nur auf dem Papier stattfindet, ist ein Zeichen besonderer Tradition.

Zahlreiche Kriege haben diesen Kontinent verwüstet, aus irgendeinem muss immer irgendein Doppelstockbett samt Spindwand und Spiegel übrig geblieben sein, wie er die Kasernenästhetik der Herberge prägt. Depressives Braun, Schimmelgrau, Verwesungstöne schwiemeln sich in die Netzhaut, wo keine Hoffnung schimmert, dass ein Blick aus dem Fenster den Aufenthalt irgendwie erträglicher gestalten könnte. Und doch birgt dieser Raum die Erfüllung, spiegelt er doch zutiefst die Sehnsucht aller Zwangsreisenden wider, die Suche nach einer miefigen Heimat, der man doch gerade erst mit knapper Not entkommen war. So mag uns noch die hinterletzte Pension ein Zuhause vortäuschen, wir sehen es in der ästhetisch zweifelhaftesten Variante.

Der Aufenthaltsraum, meist mit einer maroden Tischtennisplatte ohne Netz samt Stapelstühlen und einem Fernsehempfangsgerät ausgestattet, treibt die Insassen pfeilschnell wieder auf die Flure, deren Bodenbelag für paläoanthropologische Seminare ein gefundenes Objekt darstellte. Durchgelegene Matratzen, staubiges Mobiliar, Vorhänge im Wehrmachtsdesign, nichts lässt den Behämmerten süßer in Melancholie verfallen als der Gedanke an die hospizähnlichen Mahlzeiten. Bröselndes Graubrot, körperwarmer Hibiskustee, Kunsthonig sowie zu Wurstscheiben geronnenes Restspeckfett verdecken die Resopal gewordene Bitterkeit des Speisesaals mit dürftigen Mitteln. Hier wurde die pappige Nudel erfunden, von der Küchenhilfe aus der Therme in den Servierkübel gespachtelt. Die Hauptzutaten haben Bismarck noch persönlich gekannt, inzwischen ein Studium der Soziologie und Kunstgeschichte absolviert und züchten Mais auf dem Fensterbrett. Der Verschickte drückt sich die Analogkäsesemmel hinters Zäpfchen und leiert im Sinne der großen Touristikkonzerne sein Feingefühl aus – später wird der Urlauber mit Lust nur da meckern, wo ihm die dreistöckige Schokoladentorte eine Spur zu langsam serviert wird; er will auf hohem Niveau schlechte Laune verbreiten, sonst nähme man ihm, dem Socken-und-Sandalenträger, seine weltläufige Nonchalance ja nie richtig ab. Natürlich hätte man ihn auch gleich in den Knast stecken können, doch trotz Freigang und Aussicht auf zügige Rückkehr nimmt der Jugendliche in seiner sensiblen Phase die Prägung schneller an; wo es nicht primär Strafe ist, erkennt der Bescheuerte leichter die Lust an der Unterordnung an, wie sie ihm ein despotisches Ferienlager oder ein Bootcamp reinwürgt. Um zehn werden die Türen verrammelt, um halb elf das Licht gelöscht, nachts belfern Bluthunde im Vorhof, damit nicht aus Versehen jemand aus dem Fenster stiege, die Landschaft zu erkunden. Man erträgt das nicht nur, weil man sowieso freiwillig dort ist, man fühlt sich nur um so freier, weil man eigentlich gehen könnte. Sofort. Wenn man nur diese verdammte Tür von innen aufbekäme.

Eines Tages wird es soweit sein. Dann hat die Krise das Land zerstört, der Chinese hat noch einmal den Hobel angesetzt, die Oberschicht prahlt mit Monatslöhnen knapp an der Armutsgrenze, und die anderen richten sich in den Sammelunterkünften ein, wo sie in der Ausschussware der für Taiwan produzierten Schlichtmöbel schichtweise hausen und Fensterkitt lutschen, um sich für den großen Krieg zu rüsten. Alle werden sie vergeblich darauf hoffen, dass wenigstens die Weihnachtsansprache der Kanzlerin abgeschafft wird, aber alle werden sie doch froh bekennen, so übel wie seinerzeit in der Jugendherberge ist es noch nicht.





Gernulf Olzheimer kommentiert (XLIX): Urlaubsreisende

19 03 2010
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Urlaubszeit. Die eine Hälfte der Ausreißer übt auf dem Hautkrebszuchtgelände den Totstellreflex, während die andere hektisch nach Gelegenheiten sucht, sich beim Freeclimbing am griechischen Bambusgerüst die Gräten zu brechen oder in der Braunalgenpopulation des kenianischen Pools ein unterhaltsames Potpourri exotischer Dermatosen zuzulegen. Folkloristische Verarbeitungsformen toter Tiere kitzeln zunächst den Eingang des Verdauungstraktes, später dessen Ausgang. Mit Hilfe digitalen Spielzeugs macht der Bekloppte das Ferienerlebnis dauerhaft haltbar, um sich auch zehn Jahr später noch an die lustigen handtellergroßen Achtbeiner auf den Liegestühlen zu erinnern und schmunzelnd der landestypischen Empörung zu gedenken, als er, der Pauschaleuropäer, sich nach zwei Litern Flüssigkeitsverzehr auf dem Innenhof der Kultstätte direkt neben dem Götzenstandbild erleichterte.

Wäre nur alles so nachgerade friedlich; denn offensichtlich steigt die Mehrzahl der Urlauber aus dem Kessel der deutlich zu heiß Gebadeten und praktiziert in den schönsten Wochen des Jahres eine intellektuelle Raumkrümmung, die ihresgleichen sucht. Es beginnt mit der Wahl des Quartiers, das laut Prospekt durch hervorragende Anbindung an die jüngst achtspurig ausgebaute Schnellstraße gewinnt, was sich per Satellitenbild auch unschwer verifizieren lässt: die frisch überdachte Baustelle am Rande des Betonmonsters verfügt über eine eigenständige Zufahrt nebst Parkplatz für eine fünfstellige Anzahl von Spähpanzern und gleißt durch die Abwesenheit von Lärmschutzwänden und ähnlichen Zeichen zivilisatorischer Denkprozesse. Dass das Adjektiv strandnah kein leeres Versprechen ist, versteht sich von selbst – immer vorausgesetzt, dass man unter Nähe die Wegstrecke versteht, die ein austrainierter 100-Meter-Läufer nach vier Stunden bewältigt hätte, störte ihn nicht die Grenze zum theokratischen Terrorstaat, die ungefähr in der Mitte verläuft. Man hätte es vorher wissen können.

Genau das aber ist das eigentliche Elixier des Urlaubers: Stress. Gerichtsnotorisch sind die Hirn- und Faustverrenkungen, mit denen der im zivilen Leben hündisch zahme Bescheuerte den Räubern und Dieben aller Herren Länder seine Harke zeigen will. Da plärrt der Nichtfrühstücker, der selbst am Nachmittag nur Brühmaschinenkaffee schlürft, vom Liftboy bis zum Manager die komplette Herberge zusammen, um sich über den Mangel an Teebeuteln zu beschweren. Da schreit der Hirnverdübelte, dass die in der Werbung sich hübsch ausnehmende Baumblüte nicht ganzjährig vor dem Fenster in der fünften Etage sich abkaspert, damit er sie gnädig zur Kenntnis nehmen könnte. Da spielen kleine Kreaturen in Perth den Parvenü, um nicht merken zu lassen, dass sie in Peine bloß Piefkes sind.

Der Beknackte aber lässt überall raushängen, dass er im Grunde viel zu fein ist für Fünf-Sterne-Bruchbuden und sich daheim gar nie zwischen Whirlpool, Wellnesskeller und Wäschereiservice entscheiden kann; dass er zum Nachtmahl nichts anderes akzeptiert als internationale Cuisine auf höherem Niveau; dass er Toilettenpapier nur mit handgeknickten Ecken kennt. Er ist das Fleisch gewordene Vorurteil, dass man als Dummbratze europider Provenienz schon unangenehm auffällt, wenn man seine Anwesenheit nicht als Versehen betrachtet. Demut, Laissez-faire, im Zweifel: guter Geschmack ist der Freizeitnervensäge so fremd wie der Stock im Arsch festgewachsen, das verkrümmte Rückgrat der Gesellschaft buckelt nur zu Hause, wo er einträchtig mit Moralnazis, Spaßvollbremsern und Lenkradbeißern aus dem Bildungsbiedertum das Abendland vor den großen Verheerungen des drohenden Fortschritts rettet. Nickelige Nölsusen gehen inzwischen so weit, das Offensichtliche als persönliche Beleidigung zu werten: dass im Urlaubsland die Eingeborenen noch frei laufen und ohne Vorwarnung sichtbar sind, dass das Meer sich bewegt, dass sich die klimatischen Bedingungen nicht mit der Fernbedienung regeln lassen. Irgendeine blöde Begründung schwiemelt sich der Unterliga-Tourist zurecht, für Richter und Reisebüros spannend wie ein leerer Pappkarton, um aus dem verspäteten Sonnenuntergang post festum die Erstattung des Reisepreises rauszuleiern. Was wäre der distinguierten Schicht nicht daran gelegen, diese Halbfettbrezeln auf der Hirnkirmes billig zu entsorgen oder sie wenigstens im öligen Sand eines Bettenbunkers zum Sonnenstich heranreifen zu lassen und mit industriell konfektioniertem Zucker-Alkohol-Surrogat die letzten Synapsen auf Error 99 zu schalten, damit man nicht durch das Sein an sich die Furcht vor dem Furor teutonicus triggert. Man kann dem Trottelgeschwader nur entgehen, wenn man taktisch ungünstige Ziele weiträumig umreist: Spannbetonabsteigen in weitgehend kulturbefreitem Umfeld, das ohne Kenntnisse der Landessprache betreten werden kann, wo man nicht als Fremder auffällt, weil alle mehr oder weniger fremd sind – touristisches Herzland, wo man den Bekloppten als Laune der Natur und wirtschaftlich nützlichen Idioten ansieht. Was er ja auch ist. Höchstens.





Aus dem Koffer

16 05 2009

für Kurt Tucholsky

Und endlich bist Du im Hotel.
Zwei Wochen werden’s. Halbpension.
Ins Bett nur. Also packst Du schnell
den Koffer aus. Es dämmert schon.

Und plötzlich bist Du noch nicht da,
wo Du jetzt bist. Du legst die Krägen
ins Schubfach. Der Rasierer war
ganz unten. Schon der Schuhe wegen.

Die Socken riechen nach zu Haus.
Das Hemd den Knitterwurf vergisst.
Du denkst bei Dir: jetzt pack ich aus,
    was Heimat ist.

Die Wochen ziehn. Die Reise lief
im Ganzen schön, bisweilen nett.
Dein Arm ist noch vom Tragen schief.
Der Koffer wartet auf dem Bett.

Die Hemden, Schlipse, Hosen ruhn
ganz kreuz und quer und schief geknüllt.
Die Socken, alt und knittrig nun,
sind in die Schuhe eingefüllt.

Und tief sich in die Kleider schmiegt
der Sand. Dann wird Dir sonderbar.
Du denkst bei Dir: darinnen liegt,
    was Heimat war.





Meeresfrüchte

2 02 2009

Warum sie nun ausgerechnet nach London gezogen war, hatte mir Karen nicht gleich verraten. Nicht ohne Ausflüchte. Sie ist nicht nur anglophil, spricht die englische Sprache besser als mancher Brite (woran man sie auf der Insel auch innerhalb kürzester Zeit als Kontinentaleuropäerin enttarnt) und hegt eine große Liebe für die Hauptstadt des Vereinigten Königreichs. Nein, Karen ging so weit, dass sie meinte, lieber Putzfrau in Hoxton sein zu wollen als Grundschullehrerin in Köln-Sülz. Nun ist Köln-Sülz ja nicht gerade als Metropole mit Anziehungskraft für weltoffene Charaktere berühmt. Kein Linksverkehr, kein eigenes Königshaus, und finden Sie da nach Einbruch der Dunkelheit mal eine vernünftige Curry-Bude.

Doktor Klengel unterdessen erläuterte mir die Sache vom physiologischen Standpunkt aus. Es sei letztlich alles nur eine Angelegenheit des Histaminspiegels. Schweine und Löwen nämlich würden so gut wie nie seekrank. Bei Schweinen, die als lebendiger Vorrat auf Schiffen mitführen, hätte man nie Anfälle von Schwindel und Übelkeit bemerkt. Auch asthmatische Ferkel seien bislang nicht gesichtet worden. Diese Arten fräßen Aas, die Histaminbombe schlechthin, und bauten das Zeug innerhalb kürzester Zeit wieder ab. Alles, was ich zu besorgen hätte, wäre eine geeignete Prophylaxe, um meinen Histaminspiegel wieder auf ein verträgliches Maß zu bringen, und schon könnte ich die Weiten des Ozeans genüsslich auf mich wirken lassen.

Nun hat mein Hausarzt als Allgemeinmediziner einen derart reichen Erfahrungsschatz, dass ihm sein Pharmavertreter bereits die dritte Karl-Marx-Gesamtausgabe (Halbband, Goldschnitt) verschafft hat. Man kann ihm vertrauen. Ein Marx ist so gut wie unberührt, die beiden anderen sogar noch originalverschweißt.

Histamin, so Doktor Klengel, sei beispielsweise in Rotwein und Schokolade reichlich vorhanden. Und in Tomaten. Man könne bereits vorbeugen, indem man an Bord auf solche Nahrungsmittel verzichte. Das klang nun aber doch einleuchtend. Ich hatte neulich zur Feier des Tages – Hildegard hatte mir fernmündlich eröffnet, dass sie einen derart unbürgerlichen Chaoten wie mich niemals zu ehelichen gedächte – nach einem Stück Ochsenfilet in Schalottenbutter nebst gratinierter Tomate große Mengen von Mousse au chocolat in mich hineingelöffelt. Noch dazu hatten wir, Jonas und ich, die drei Flaschen 1996er Château La Dominique im brüderlichen Doppel gleich an Ort und Stelle gekippt. Also, das heißt eigentlich, Jonas war dann schon vor dem Essen wieder gegangen. Aber Drehschwindel und Sodbrennen können nur biochemische Ursachen gehabt haben.

Man könne mit zwei recht einfachen Mitteln der Sache Herr werden, so Doktor Klengel. Mit Schlaf. Und viel Vitamin C. Am besten solle ich mich vorab schon reichlich mit Orangen eindecken.

Meeresstille und glückliche Fahrt. Da lag ich Versuchskaninchen nun auf einer Nussschale, die über den Kanal zu schippern anhub. Und noch 34 Kilometer bis Buffalo. An Schlaf war nicht zu denken. Jetzt ein Stück Obst.

Warum ich nicht einfach den Tunnel genommen habe? Noch verhasster als Nickachsengependel in Luft- und Wasserfahrzeugen ist mir der Gedanke, in einem übermäßig gefederten Reisebus zu sitzen, der mich bereits im Überlandverkehr bei jeder Talsenke in den Schleudergang versetzt, so dass ich unwillkürlich nachschmecken muss, ob noch etwas vom Frühstück übrig geblieben ist. Außerdem lehne ich es ab, inmitten der Touristenhorde an einer ordinären Rauchvergiftung zu verscheiden. Ich ziehe das personalisierte Ableben vor. Notfalls durch Ertrinken kurz nach Calais. Da bin ich Individualist und durchaus ein ganzer Mann.

Auch Horatio Nelson, seines Zeichens britischer Nationalheld zur See, litt heftig unter Reiseübelkeit. Und der hatte es immerhin bis zum Admiral gebracht sowie zur Verwirklichung eines Kindheitstraums: einmal in einem Schnapsfass unterzutauchen. Dummerweise hatte man ihn erst ganzkörperalkoholisiert, als es galt, seine sterbliche Hülle einigermaßen originalgetreu in die Heimat zu verschiffen. Ob daher der Ausdruck „Marinade“ stammt?

Meinethalben, sollen sie mich eben in Spiritus einlegen. Der Gedanke an so einen Tod schien mir gar nicht mehr so unfreundlich, wenn es sich nur endlich, endlich um den Tod handelt. Einfach mal so daliegen und zuschauen, wie sich nichts mehr bewegt. Keine Ahnung, warum man Schweine auf Schiffen mitfahren lässt. Mit einem Löwen hätte ich jetzt gerne die Sanitätskabine geteilt. Die Unterhaltung wäre kurz, aber für beide Seiten durchaus geschmackvoll gewesen.

Verdammt, die Leute sollten viel öfter Marx lesen. Im real existierenden Sozialismus gab es so gut wie keine Südfrüchte, da hätte ich mich auf das Experiment gar nicht erst einlassen müssen.

Kenneth, mit dem Karen demnächst (in Köln-Sülz übrigens) zusammenziehen wird, holte mich mit dem Auto in Dover ab und war ein bisschen pikiert. Er meinte nicht meinen sandfarbenen Sommeranzug, der vielleicht etwas altmodisch geschnitten ist. Er meinte die rotbraunen Flecken auf dem Hemd. Man solle, so Kenneth, vor einer Schiffsreise stets mit seinem Hausarzt sprechen. Wegen der Seekrankheit.