Kommando Feierabend

18 09 2012

„… es ein vermeidbarer Eklat gewesen wäre, hätte die Bundesregierung darauf verzichtet, Wolfgang Clement als Gastredner freie Hand zu lassen. Die Diskussionsveranstaltung habe sich offensiv für eine Euthanasie alter Arbeitnehmer ausgesprochen, wobei das Alter nach SPD-Tradition stufenweise in drei Schritten abgesenkt und…“

„… immer mehr Rentner sich dazu gezwungen sähen, mit geringfügigen Beschäftigungen ihren Lebensunterhalt aufzustocken. Wirtschaftsminister Rösler (FDP) begrüße daher die Absenkung eines Mindestlohns unter 2,40 Euro, da nur so eine höhere Anzahl an Arbeitsstunden geleistet werden könne, wodurch noch mehr Rentner in Minijobs…“

„… einen Ideenwettbewerb, der Uschi II – das ehemalige Hartz IV – durch Riester X zu…“

„… nun durch das Bundesverfassungsgericht geklärt. Die Regierung sei nun nicht mehr befugt, die Renten als sicher zu bezeichnen, wodurch…“

„… ein Generalstreik zwar verboten, wovon sich die Rentner jedoch nicht hätten beirren lassen. In ganz Berlin seien an diesem Morgen weder Brötchen noch Zeitungen des ausgeliefert worden, ganz zu schweigen von Straßenreinigung, Schulwachdienst sowie…“

„… dass die BILD-AktionIhr habt Deutschland im Stich gelassen sich versehentlich gegen den harten Kern der Leser richte. Der Springer-Konzern habe daher kurzfristig beschlossen, eine Hetzkampagne gegen…“

„… die Grauen Panther wiederzubeleben, zur Bundestagswahl anzutreten und als Protestpartei in die Opposition zu gelangen. Westerwelle habe ein Verbot gefordert, da die Neugründung von Parteien, die sich als verbraucht und überflüssig gezeigt hätten, nur ein Zeichen von spätrömischer…“

„… wolle der Bund Deutscher Kriminalbeamter präventiv die Bewegungsprofile aller verdächtigen Personen in den Konfliktgebieten aufzeichnen. Man habe nach mehrtägigem Betrachten von Google Earth jedoch kaum Veränderungen in den Straßenzügen festgestellt, so dass der BDK-Vorsitzende Schulz vorgeschlagen habe, die Rädelsführer, die größtenteils älter als 90 Jahre alt seien, mit Fußstreifen zu…“

„… habe Gabriel heftig dementiert, die SPD als Partei der Besserverdienenden bezeichnet zu haben. Sie sei die Partei der Aufsteiger, da sie sich in den vergangenen Jahren verjüngt und um…“

„… stehe die Forderung nach einer Garantierente noch immer im Raum. Die Besetzung der Seniorenresidenz im Regierungsviertel sei nur der erste Schritt, man werde noch zu Lebzeiten…“

„… die Führung der Aufständischen strikt zurückgewiesen. Kauders letztes Angebot, den Rentnern beim Besuch eines Kirchencafés einmal pro Monat ein Stück Bienenstich zum halben Preis zu verkaufen, sei nicht…“

„… ein kurzes, aber äußerst brutales Feuergefecht. Alle mutmaßlichen Täter besäßen Weltkriegserfahrungen, die generalstabsmäßige Planung der Entführung sei daher nur…“

„… im Kanzleramt eingegangen. Das mit Kommando Feierabend gezeichnete Bekennerschreiben der Rentner Armee Fraktion sei auf seine Echtheit geprüft und durch Spuren von Gebisseiniger als authentische…“

„… nie eine Chance bestanden, Heiner Geißler als Unterhändler zu…“

„… mit der Post ein erstes Lebenszeichen eingetroffen sein solle. Es handele sich um einen Finger der Arbeits- und Sozialministerin, der zwar mit chirurgischer Präzision abgetrennt…“

„… schwerer zu kontrollierende Einzelaktionen. Während Polizei und Verfassungsschutz eine große Anzahl von Pensionären erzeugt hätten, die sich schon am Tage ihres Ausscheidens nicht mehr für die Obliegenheiten ihres Dienstes interessierten, seien die bei Wasser- und Elektrizitätswerken, Bahn- und Busbetrieben beschäftigten Rentner noch immer in der Lage, mit ihrem Wissen innerhalb weniger Stunden ganz Deutschland…“

„… hätten der DGB erst jetzt Zeit gefunden, sich dahin gehend zu äußern, dass er sich nicht zu der aktuellen Lage äußere, um nicht im Falle einer plötzlichen Neuwahl die…“

„… habe der Verfasser der Flugblätter, Volker E. (97), bei seiner Ergreifung einen tödlichen Herzinfarkt erlitten. Die Gruppe Goldener Herbst habe neben kriminellen Forderungen wie der Beibehaltung des Rentenniveaus und der Korrektur der Arbeitslosenstatistik auch…“

„… in Deutschland ein Sympathisantensumpf gebildet, der beaufsichtigt und in Schutzhaft genommen werden müsse. IM Friedrich habe bei der Konferenz vorgeschlagen, jeden Bürger, der mutmaßliche Kontakte zu einem Rentenempfänger würde unterhalten haben können, mit der vollen Härte des…“

„… die Kanzlerin beschlossen, erst ab dem fünften Lebenszeichen von der Leyens einen Bundeswehreinsatz im Inneren zu…“

„… in aller Stille beigesetzt worden. Unter den Trauergästen habe nur Dieter H. (85) mit den Worten ‚Volker, der Kampf geht weiter!‘ am Grabe des Verblichenen eine…“

„… endlich zu einem fraktionsübergreifenden Kompromiss, die Zuverdienstgrenzen für Grundrentner nicht mehr als nötig herabzusetzen. Dadurch würden zusätzliche Anreize geschaffen, freiwillig Arbeitsplätze für andere Rentner…“

„… hätte es niemand für möglich gehalten, dass das gesamte Bundeskabinett auf einmal…“





Gernulf Olzheimer kommentiert (LXXXIX): Rentnerfernsehen

21 01 2011
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Früher, als alles noch so gut war, dass es schon fast von alleine besser wurde, da widmete sich die ältere Generation durchaus spannenden Dingen. Rosen- und Briefmarkenzucht, Akkordeon- und Lottospiel, Tanztee und Anschwärzen falsch parkender Kraftfahrzeugführer erfüllten das üppig bemessene Freizeitkontingent der nicht mehr am Arbeitsleben Teilnehmenden, man betrachtete wohl mit Herz und Wonne alte Fotografien aus der großen Zeit (und den folgenden Jahrzehnten, mit und ohne Trümmer), besuchte Museen und fuhr auf Heizdeckenverkaufstour ins Sauerland, kurz: die Tage zwischen Verrentung und Verrottung verliefen in froher Eile, hurtig und heiter, und nirgends kam dem rüstigen Rezipienten der Mattscheibenkleister in die Quere, mit dem sich heutige Senioren zu quälen haben. Es ist Wahnsinn, weil es Methode hat, dieses Rentnerfernsehen.

Denn wer würde sich widersetzen beim Anblick der öffentlich-rechtlichen Kukidentkanäle, die zur Spontanvergreisung aufrufen. Wer nach zwei Portionen Schnarchprogramm, Frühstücks- und Mittagsschläfchen- und Tanztee- und präseniles Bettfluchtfernsehen, wer nach dem Geblöke noch nicht leblos im Polstersessel hängt, scheint von Stalingrad gehärtet und duldet alles, was einem den reaktionären Realitätsaufguss mit der Brechstange in die Figur schwiemelt. Denn offensichtlich hält die Regie das Festival der Gebührenkrücken für intellektuell untertunnelbar baut im Fußraum der Medienmarmelade kräftig an. Zwei Gehhilfen des schlechten Geschmacks stützen das Gerümpel, Volksmusik und Schlager, kulturelles Surrogat für eine Generation auf Sozialentzug, weichgekaut und saccharinromantisch wie der perpetuierte Kitsch der Nachkriegsdumpfbacken, gegen jede Innovation geimpft. Gummigesinge in ästhetisch verkalkter Qualität quillt aus den Lautsprechern, debil grinsende Föhnwellenträger in unangenehmem Flitterfummel turnen die Zombieversion von 1970 auf dem 16:9-Plasma nach und legen sich ins Zeug, um auch geistig leistungsfähigen Endfünfzigern einen ungefähren Eindruck zu vermitteln, wie sich Demenz im Endstadium anfühlen wird.

Die quotenfixierte Nullinformationsschiene ist nicht die einzige Ausblutungsstelle eines Angebots, das den Guckreiz verloren hat. Süßliche Romantik blubbert aus dem Glottertal, versehentlich von drittklassigen Quizformaten unterbrochen, in denen die üblichen Verächtlichen ihr Grundschulniveau in Frage stellen. Dazu stoßen Operettenfilme als Wiederholungsschleife, exhumierte Duftproben aus einer Zeit, in denen Farbfilme noch modernistischer Schnickschnack waren.

Was man in der Langeweile des Krankenstandes nie über sich ergehen ließe, der übliche Polittalk scheint vor dem Grabkranzgeruch nicht gefeit. Wo lustige Mutanten und die Glatze vom Silbersee nicht hinkommen, da werden Generationskohorten von postapokalyptischen Springreitern im braunen Polyesteranzug hinweggerafft, spätkeynesianische Heißluftplauderer ohne Daseinsberechtigung, die das vermeintlich bereits im Rudelkoma liegende Pensionariat mit neoliberaler Weltsicht beschickt: wer sozialverträglich frühablebt, tut dem Vaterland einen Dienst, und bis dahin darf der Oldie Pappe lutschen und sich die intellektuelle Sterbehilfe aus der Jauchgrube unter die Kalotte kloppen.

Fragt sich, warum ausgerechnet zur schönsten Werbezeit die altersschwache Randgruppe bedient wird, statt sich der konsumorientierten Zuschauer bis 49 anzunehmen – die Prothesenprogramme bauen bereits vor für Rundfunkstaatsverträge, in denen sie das gerontologische Dauerfeuer mit Treppenlift- und Gebissreinigerreklame auffetten können, bis sich Schmonzetten von Schwarzwald und Traumschiff als Einsprengsel zwischen den Rentenversicherer-Spots verscherbeln lassen. Reicht denn die übliche Busfahrt mit koffeinfreier Plörre und Heizdeckenshow nicht mehr aus, um die Vorkriegsjahrgänge aus der Existenz zu graulen? Müssen wir mit Macht anschauen, was uns in wenigen Jahren droht, eine in Rosamunde-Pilcher-Kulisse abgenudelte Generalbelanglosigkeit aus säuerlicher Heimaterde und Trachtensülzwaren mit nationalbekiffter Musi, eingebettet in Kerner-Beckmann-Fliege-Schleim?

Eines Tages, und es wird nicht mehr lange dauern, fegen die Alten dies hippe Hirngestrüpp von der Rampe und rächen sich grausam. Für das Nachmittagsprogramm wird man einen veritablen Schulabschluss brauchen, für die Vorabendserien erweiterte humanistische Bildung, für die Abend- und Spätabendschiene gar Kultur im engeren Sinne. Die pseudopolitischen Wurstverkäufer werden im Massengrab gammeln, nicht besser als ihre billige Ware, der Schunkelzwang wird Geschichte sein und der Bildungsauftrag der Sendeanstalten wieder eine inhaltliche Kategorie. Einem Reich-Ranicki haben die TV-Brezeln standgehalten, unbeugsam wie Margarine, aber die Folgen werden kommen. Und eine Rentnergeneration, die Rosen züchtet, Bücher liest, Akkordeon spielt und die Glotze aus dem Fenster schmeißt, muss auch nicht schlecht sein.





Gernulf Olzheimer kommentiert (LXX): Ästhetische Katastrophen im Alter

13 08 2010
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Der Zustand der Materie ist das, was durch eine Veränderung Zeit sein lässt; so wenigstens definiert es der Physiker, während die Uneingeweihten das fundamentalontologische Gerüst eher andersherum bauen. Sein und Zeit betrachten sie so, dass der Verlauf von Uhr, Kalender und astronomischen Zyklen erst jene Prozesse fördert, die schließlich in die Allbezwingerin des Fleischlichen münden, in die Schwerkraft, die alles, Bindegewebe samt ornamentalem Fortsatz, irgendwann ergreift. Und so geht alles, was ist, irgendwann auch wieder in die majestätische Ruhe des Anorganischen über, zumindest in farblicher Hinsicht.

Das Ende der Welt, as we know it, es ist beige. Jener braungrüngrau in die Optik gehebelte Unfall ist eine Mixtur aus nassem Sand und morschem Brot, Körpersekret und Langeweile, die allem den Abstumpfungsgrad von Tapetenkleister verleiht. Was in diese Masse stolpert, wird aufgesogen, wie in ein Gravitationsfeld geschlürft, aus dem es kein Entrinnen gibt, weil der Ereignishorizont gleich Null ist: Senioren, von Kopf bis Fuß in klamme Klamotten verklammert, sind als Beiges Loch in der Existenz gefangen und ziehen gnadenlos ihre Altersgenossen in die Quadranten der Nichtfarbe, die jegliche Ästhetik ausradiert. Nicht nur, dass die Signalunfarbe in Menschenansammlungen von drei Einheiten aufwärts unwillkürlich Assoziationen mit einem weichen Ziel aufkeimen lässt, sie lässt die zu Popeline geronnene Scheußlichkeit magenkranker Schnittmustersadisten Wahrheit werden, jenes als Tarnkleidung gedachte Rentnerbeseitigungstextil, das den visuellen Teilchenstillstand symbolisiert, ein Nullschalter für die Entropie. Sobald sich die ästhetische Katastrophe in Eierschalenblassbraun ereignet, ruhen Kreislauf, Hirnströme und andere niedermolekulare Bewegungsmuster – würde der in Matschton geschwiemelte Ruheständler als zweiter Nijinsky durch die vollbelebte Innenstadt von Bad Harzburg hüpfen, es würde keiner Seele auffallen.

Beleidigender jedoch sind die Schnitte, mit denen sich das trübe Tuch gerissen als Mode tarnt. Viereckige Sackdarsteller mit angenagelten Ärmeln und mittig eingenietetem Reißverschluss ergeben die allseits beliebte Windjacke – eine nur in der Kleidergröße fortgesetzte Demütigung, wie sie das Kindergartenalter kannte, als die Blagen motorisch noch damit überfordert waren, sich die Joppe selbst zu schließen. Die Seitentaschen sind selbstredend so beschissen geschnitten, dass jeder noch so kurzarmige Bekloppte sich beide Ellenbogen amputieren lassen müsste, um einmal mit den Pfoten ins Futter zu kommen – doch wozu? der Thoraxfeudel, tunlichst kurz geschnitten, da im Lebensherbst ja überwiegend regungslos gesessen wird, ist nicht einmal geeignet, pro Seite ein Paket Papiertaschentücher aufzunehmen, von größeren Objekten einmal ganz zu schweigen. Genügsamkeit ist das Wesen dieser Gewandung. Als ob das senile Sediment in Sandstein-mit-Schimmelpilz-Uniform noch Bedürfnisse anmelden dürfte.

Geht es der Seniorin besser? Das Kittelett im Ich-war-eine-Schlafzimmergardine-Dekor deutet ein desolates Nein an, das die beiden verfügbaren Rocklängen – etwas zu kurz, unvorteilhaft lang – mit gehässiger Verve unterstreichen. Dazu ist das Schuhwerk wie geschaffen, die Geschichte der Jetztmenschen aus dem Urgrund der Savannenjäger zu erklären: formloses Geklumpe, das aussieht, als sei der Cro-Magnon ungeschickt in irgendeinen Beutelsäuger getreten und habe das Ding aus reiner Bequemlichkeit gleich an den Füßen gelassen.

Ist also Beige, prickelnd vor Langeweile und ein Generalangriff auf die arglose Netzhaut, nichts als eine Reminiszenz an die Urzeit des Hominiden, als man jene kurz vor dem Ausscheiden aus dem Sippenverband begriffenen Claninsassen hurtig in den Modder schmiss, um sie für Säbelzahntiger und Mammut unsichtbar zu machen, wie wir auch heute unsere Oldies ins soziale Hintergrundrauschen zurückdrücken, sobald uns bewusst wird, dass wir sie noch nicht legal losgeworden sind? Oder ist es der verzweifelte Versuch, uns vor einer Schar durchgeknallter Silberrücken zu bewahren, die in berufsjugendlichem Outfit die Zivilisation stürmen, in Sport- und Funktionskleidung, atmungsaktiven PU-Stoffen, jugendlichem Chic (oder wenigstens dem, was systemkritische Herrenschneider in Wochenendbeilagen unter Zuhilfenahme des Wortes modemutig dazu erklären) mit zehn Prozent Schafschurwolle und in Farben, die man in den Siebzigern noch für eine Ausgeburt von Drogen und Kommunismus hielt? So kleckert es ansatzlos aus brechreizaktiv gefederten Überlandbussen, wenn die halbe Einwohnerschaft von Rheinland-Pfalz zum Heizdeckenrodeo mit Pflaumenkuchen anrollt und in erbsengrünen Windjacken mit malve-taubenblau abgesteppten Kragenapplikationen zu weinroten Damenblousons aus Waschseide alle frei flottierenden Vorurteile schreiend bestätigt. Hie und da greift das lebensältere Personal schon zur Baseballkappe, und es wird eine Frage der Zeit sein, bis die Gesellschaft zum 90. Geburtstag im Kill-your-Idol-Shirt anrückt. Wir werden es aushalten. Hauptsache, das Ding ist nicht beige.