Gernulf Olzheimer kommentiert (CCXXII): Vertriebene

6 12 2013
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Mitleid, jene halbwegs unverdiente Regung, die jede Knalltüte für sich zu beanspruchen glaubt, wenn sie sich nur episch genug auf die Gesichtsreste gepackt hat; Verständnis, das heißt, sein sinnfernes Gewinsel unter Auslassung der Wirklichkeit an den Mann zu bringen; Solidarität, nicht zu sagen: die kritiklose Übernahme sämtlicher politischer Konstrukte in die ansonsten eher dünn besiedelte Landschaft der geistigen Gefilde, alles das erwartet der selbst ernannte Paria von der Gesellschaft, die ihn erduldet, wie man Dorfdeppen aushält, als fragwürdige Bereicherung des sozialen Randes, nicht aber als plärrende Kinder, die für ihren Willen die restliche Umwelt terrorisieren. Wir haben an ihnen zu lange gelitten, es wird Zeit, dass wir sie vertreiben, die Vertriebenen.

Jedes Mitleid, jedes Verständnis, der Ansatz von Solidarität wäre für die Tonne, die Messe ist gelesen. Seitdem der Boden für die Täter wieder begehbar ist, holen sie ihre Krücken raus, um dekoratives Kampfhumpeln zu zelebrieren, die Trolle mit dem Opferabo, und der mittig ausblutende Rechtsrand des Spektrums lässt sich willfährig Blumenkohl an die Backe plästern von den Schreihälsen. Sie wurden aus dem Banat entfernt? Dann muss man ja nicht zugeben, dass genug Exilanten wieder in dem Landstrich leben und ansonsten eine komplette Diktatur lang zu den Jubeltuten gehört haben. Die Krabbelgruppe Weichsel-Warthe greint nach Aufmerksamkeit? Das Land ist längst frei, wir sind gekommen, um ihnen mitzuteilen, dass ihre Ausreise nur noch eine Frage der Zeit ist.

Oder des Kalküls. Die Durchtriebenen-Clans haben sich nach dem Heim-ins-Reich-Geturne reich ins Heim abgesetzt, generös gestopft von der jungen Westrepublik, die ihren Radaubrüdern gerne eins mit dem Geldsack überzog, um ihre Ruhe zu haben. Für Feld, Wald und Wiese gab es satte Entschädigungen, die ihnen nicht selten gute Startbedingungen im Wirtschaftswunderland verschafft haben. Sie hocken auf den Zinsen und greinen den Butt an, dass sie immer noch nicht Papst sind – das Vorbild einer antidemokratischen Elite, die ihre unsinnigen Forderungen nach Restitution nicht stellt, um sie erfüllen zu lassen, sondern um sich diffuses rechtes Protestpotenzial zu schwiemeln für künftige antieuropäische Ressentiments. Sie lassen sich noch damit feiern, dass sie offiziell auf Rache und Vergeltung verzichten – als wäre Artikel 26 eine Fußnote und für sie nicht gültig, die ein Recht hätten, die Blödheit einer ganzen Generation nachzuahmen. Vermutlich schlagen sie sich demnächst gegenseitig für den Friedensnobelpreis vor, weil noch keiner von ihnen vorhatte, Polen zu annektieren oder Arbeitslager zu errichten.

Die Nachgeburten lassen sich scheint’s gerne instrumentalisieren: ein Gutteil der historiografisch Behinderten ist deutlich jünger als dreißig und hatte statt der Muttermilch Doppelkorn im Nuckel, anders ließe sich diese Reprise des Dämlichen hardwaretechnisch nicht deuten. Das fährt im Urlaub gerne in die vom Bettnässer aus Braunau besetzten Länder und tönt ansonsten, wie sehr sie Schlesier wären, finden es aber ohne Blindenhund nicht auf der Karte und plädieren als (sic) Deutsche, alles ohne Blutsnachweis aus den Grenzen von 1990 zu treten. Wir sollten aufpassen, dass die Schweine sie nicht beißen, ganze Generationen von Schnitzeln wären kontaminiert. Inzwischen wollen sie einen Gedenktag, legen aber großen Wert auf die Tatsache, dass ihnen keine wissenschaftliche Aufarbeitung in die Quere kommt – wie sollten diese Dumpfklumpen demonstrieren für ein Antieuropa als Relikt einer Nationalkleinstaaterei, die es so nie gab, wenn am Ende rauskommt, dass sie bereits zu Kriegszeiten verjagt wurden und der Führer sie im Stich gelassen hat.

Der Grad der sozialen Intelligenz zeigt sich bei den geschichtlich Verseiften schon im Auftreten; das verlangt von Ausländern Integration bis zur hyperkorrekten Assimilation in die angebliche Leitkultur, stapft aber nicht ohne ostpreußische Hochzeitstracht an die Mülltonne. Man sollte ihnen einen Gedenktag reindrücken und ihn auf den 1. September legen, und falls sie je die Geschichte zurückdrehen sollten, werden sie hoffentlich überrannt von rassereinen, bis an die Zähne bewaffneten Germanen mit gründlich gestörter Impulskontrolle, die ihnen eins auf die Mütze geben und Transparente entrollen, um zu zeigen, worum es hie wirklich geht: 1400 Jahre Vertreibung reichen – die Landsmannschaft der Westgoten fordert: die Ukraine ist unser! Wer weiß, wie ewig die Gestrigen noch werden.





Polnische Suppe

19 11 2009

„Nein, kommen Sie ruhig herein. Wir bauen zwar gerade mal wieder um, aber davon brauchen Sie sich nicht stören zu lassen. Treten Sie nur nicht unbedingt in die Pfützen. Das braune Zeugs kriegen Sie nie wieder von den Schuhsohlen.

Das? Das sind die Kisten von Frau Steinbach. Wird diese Woche noch abgeholt. Ja, wir gehen davon aus. Natürlich hat man uns noch keinen genauen Termin genannt. Aber das wird schon werden. Bis jetzt haben sie es ja auch sehr gut ohne eine Chefin hinbekommen. Wenn das Schule machen würde… Da haben Sie Recht, in der CDU ist das allerdings nichts Neues.

Aber ja doch! Das ist eine historisch durchaus wichtige Aufgabe. Wir arbeiten ja seit Jahren daran, die Geschichte des 20. Jahrhunderts einmal objektiv zu durchleuchten und die vielen Befindlichkeiten unter einen Hut zu bekommen. Endlich mal wieder einen wirklich sinnvollen Dialog führen können mit unseren europäischen Nachbarn, wäre das nicht wunderbar? Was uns davon abhält? Lassen Sie mich überlegen – die europäischen Nachbarn? Oder dass längst keiner mehr weiß, was ein Dialog ist?

Das da wird unsere neue Rathenau-Ausstellung. Schauen Sie mal – Originalkostüme! Hübsch, nicht wahr? Ja, ganz schön teuer. Man muss das ja schließlich gut versichern. Schauen Sie, in dem Stresemann hat damals… Sie, die Stellwand da hinten hin! Neben die Tafeln mit… wie heißt er noch… der Typ, der sich für Westerwelle hält…

Ja Herrgott, dann hat sie eben nicht für die deutsch-polnische Grenze gestimmt. Haben Sie eine Ahnung, wie viele nationalistische Wirrköpfe im Sejm das auch nicht getan haben? Sie denken doch nicht, da drüben sei jetzt auf einmal die große, europabegeisterte Demokratiewelle über das Land hereingebrochen? Ach wo! Wir werden doch hier keinen internationalen Konflikt heraufbeschwören. Dazu sehen wir einander doch auch viel zu ähnlich. In Deutschland sind es revanchistische Dummköpfe und Neonazis, in Polen eben Neonazis und revanchistische Dummköpfe. Wundert es Sie? dass man Pole und Revisionist sein kann?

Wo wir gerade beim Sejm waren, nehmen Sie sich ein Beispiel an der Polnischen Partei der Bier-Freunde. Die verfolgt zwei Ziele: die Brauereien zu stärken – und den Alkoholkonsum abzuschaffen. Und mit dieser Logik wollen Sie Europapolitik machen? Das ist nicht Ihr Ernst!

Ich weiß ja auch nicht, warum sich der Westerwelle da hinstellt, freiwillig übrigens, es hat ihn keiner gezwungen, das wird er erst in ein paar Jahren behaupten, dass er sich da also hinstellt und dann sagt: ‚Das hier ist Deutschland.‘ Ich weiß ja auch nicht, was das bedeuten sollte. Vielleicht, dass er sich in alles einmischt, wovon er keine Ahnung hat? oder dass er schon Deutschland ist und damit Deutschland auch so eine Chimäre wird wie er, der schwatzt und keine eigene Meinung hat? Das müssen Sie doch aber sagen, eine eigene Meinung hat doch der Westerwelle nicht, der ist doch eine Sprechpuppe der Industrie, und da musste er sich in seinem neuen Amt gar nicht groß… Sie, nicht zu weit nach rechts damit, ich muss das nachher wieder wegtragen! Meinetwegen, stellen Sie’s an die Wand. Ich kümmere mich später darum.

Es ist doch merkwürdig. Väterchen Stalin griff begierig in den großen vaterländischen Krieg ein und radierte ein schönes Stückchen Osteuropa von der Landkarte, um die Grenze ein bisschen kürzer zu machen und nach dem Kriege den Ostblock besser unter Kontrolle zu haben. Die polnische Exilregierung hat diese Vertreibungen entschieden gefordert; die tschechoslowakische übrigens auch. Beschwert sich jemand heute bei den Russen? beispielsweise die Nachfahren der Polen, die bei der Befreiung durch die Rote Armee gleich mit umgesiedelt wurden?

Und letzte Woche hatten wir Sudetendeutsche hier. Nachwuchskräfte, verstehen Sie? Frisch von der Schulbank, noch nichts vom Leben gesehen. Und wie sie gegen die Polen waren! Am liebsten hätten sie Polen gleich wieder annektiert, für ihre Heimat, die sie nie gesehen haben.

Ist das nicht schreiend komisch? Eine Funktionärin, die sich auf Kosten des Außenministers profiliert, der sich auf Kosten von Vertriebenen profiliert, die sich profilieren, weil es sie nichts kostet. Ganz großartig. Hoffen wir, dass die Kanzlerin nicht zu schnell das Spiel beendet.

Der Stiftungsbeirat? Bisher sind da keine sichtbaren Zeichen. Gegen Vertreibungen? Warum nennt man es nicht gleich offiziell Zentrum für Verdrängung, das wäre mal überraschend ehrlich. Und wenn sich dann auch noch die Herren Beckstein und Schäuble zur Integration der Vertriebenen sowie ihrer gesellschaftlichen Rezeption in der Bundesrepublik Deutschland nach den mit Hilfe von deutschem Kapital in besondere, fast kriegsähnliche Situationen überführten Heimatländern einbringen könnten, dann hätten wir etwas, das an historische Aufarbeitung grenzte. Ach was, die wird den Mund halten. Schließlich will sie es sich mit den paar richtigen Nazis in ihrer Partei nicht ganz verscherzen.

Bitte hier herüber, nebenan wird gerade der Balkankonflikt schöngeredet. Ja, Herr Stoiber wird eine schöne Eröffnungsrede halten. Er wird auch nachweisen, dass Srebrenica gar nicht so schlimm war. Und das ist für unseren Workshop. Die Leute haben schon mal ihre Transparente mitgebracht. 1800 Jahre Vertreibung reichen – die Landsmannschaft der Ostgoten fordert: Die Ukraine ist unser!