Heiligs Blechle

12 05 2009

Der Internationale Gerichtshof hielt sich vorerst bedeckt. Nachdem bekannt geworden war, dass die beiden israelischen Rechtsextremisten Barutsch Marsel und Itamar Ben Gvir Klage gegen die römisch-katholische Kirche eingereicht hatten, weil General Titus im Jahr 70 anlässlich der Zerstörung des Jerusalemer Tempels einen siebenarmigen Kerzenleuchter aus Gold gestohlen haben solle, lag das Interesse der Weltöffentlichkeit auf der Frage, ob der Fall überhaupt angenommen würde und, wenn ja, ob eine Restitution herbeizuführen sei. Das oberste israelische Gericht hatte die Sache zuvor abgelehnt. Man habe, hieß es in Jerusalem, bereits genug Zores.

Der Prozessverlauf gestaltete sich schwierig. Zunächst riefen die Ultraorthodoxen neben zwei Rabbinern auch Gott als Zeugen an. Denselben jedoch zur Einvernahme zu bestellen, lehnten sie entschieden ab. Im Übrigen lehnten die Siedler jede Einmischung des Gerichts in eine juristische Entscheidung ab. Eine Anfrage beim Jerusalemer Oberrabbinat blieb ebenfalls fruchtlos; die Behörde teilte mit, man lehne es ab, sich um Meschuggene zu kümmern.

Doch die Rechtssache machte rascher Furore, als man erwartet hatte. Es galt an vielen Fronten, historische Altlasten aufzuarbeiten. Maßgeblich zur Verschärfung der internationalen Konfliktlage trug die Landsmannschaft der Westgoten bei, die ihre Forderungen vor dem Europäischen Parlament zu Gehör brachte. Vor Spruchbändern mit blutroter Aufschrift 1700 Jahre Vertreibung reichen – Siebenbürgen bleibt unser demonstrierten die ehedem Entwurzelten, dass ihre Ansprüche ohne Zweifel berechtigt seien. Die Landsmannschaften der Siebenbürger Sachsen sowie der Dobrudscha- und Bulgariendeutschen bezeichneten den Vorstoß als absurdes Spektakel und distanzierten sich als erste Vertriebenenorganisation von dem Dekret, das die Ostgermanen eigenmächtig im Namen der anderen Vereine erlassen hatten. Trotzdem widmete das Zentrum gegen Vertreibungen der westgotischen Thematik eine aufwändig gestaltete Ausstellung; Steuergelder waren dafür vorhanden.

Für Irritationen sorgte der Fund einer Versicherungspolice aus dem Hause Herodes, die nachwies, dass die damalige Tempelanlage – der Verkehrswert des Altbaus war vollkommen korrekt mit 1000 Euro angegeben – gegen Brand versichert gewesen war. War die These, die Juden selbst hätten den Tempel in Flammen gesetzt, um der drohenden Entweihung zuvorzukommen, bislang noch eine in revisionistischen Kreisen gepflegte Annahme, so gerieten die Klageführer nun gewaltig unter Druck. Einschließlich der inflationsbereinigt auf zwei Prozent festgesetzten Zinsen belief sich die Summe, die im Falle eines Versicherungsbetrugs zu erstatten war, nun auf 47,39 Trillionen Euro, eine Geldbuße nicht eingerechnet. Der Finanzminister frohlockte; als Rechtsnachfolger von Herodes sah er bereits die Sanierung des Staatshaushaltes, abgesehen vom lang ersehnten Ausgleich des Außenhandelsdefizits.

Weitere Verwicklungen folgten. So setzte der Gesamtverband der Jebusiter, die gegen 1230 vor Christus während der Landnahme Kanaans von den Israeliten den Verlust einer städtebaulich relevanten Befestigungsmauer in Jericho zu beklagen hatten, eine Sammelklage durch. Auch andere Betroffene meldeten sich zu Wort. Die Moabiter pochten auf nachträgliche Einhaltung des Antidiskriminierungs-Gesetzes, da für Jahrhunderte insbesondere ihre weiblichen Nachkommen benachteiligt worden seien – ungeachtet der Tatsache, dass mit König David auch ein Regierungsmitglied moabitische Wurzeln gehabt habe. Eine UNO-Resolution, die die Landnahme Kanaans als vorsätzlichen Genozid bezeichnete, bezeichneten die Klageführer als plumpe antizionistische Propaganda.

Dies stieß dem Internationalen Gerichtshof sauer auf; möglicherweise kam er darum zu der Feststellung, aus der Tatsache, dass die römisch-katholische Kirche weite Teile des römischen Rechtssystems als Grundlage der frühchristlichen Theologie übernommen habe, ließe sich nicht ohne weiteres eine Rechtsnachfolge konstruieren. In diesem Fall müssten die Orthodoxen, die sich als alleinige Nachfolger der historischen Israeliten ansähen, sich auch sämtlichen Ansprüchen stellen, die seit der Bronzezeit aufgelaufen seien.

Der Oberrabbiner war unterdessen nicht für eine Stellungnahme erreichbar. Er weilte gerade in Venedig, das nach zähen Verhandlungen mit der EU seine Unabhängigkeit durchgeboxt hatte und nun in einem feierlichen Akt den Neuanfang als souveräne Republik beging. Gemeinsam mit dem Dogen Massimo Cacciari besprach er die außenpolitische Problematik, dass auch Genua die Autonomie anstrebe; daneben nahm er an diplomatischen Verhandlungen teil, denn einerseits trieb in Wien der Nationalrat den Anschluss an Deutschland voran, andererseits hatte das ungarische Parlament für die Wiedereingliederung Österreichs in eine k.u.k.-Monarchie gestimmt – diesmal natürlich unter magyarischer Führung.

Das Corpus delicti fand sich eher zufällig in einem Kellerraum in den Vatikanischen Museen. Es war 1529 aus dem Privatbesitz eines osmanischen Sammlers in das Magazin des Kunsthauses gelangt. Einer Rückführung stand nun nichts mehr im Weg. Allerdings winkte der Oberrabbiner nach einer ersten Augenscheinnahme in Rom ab. Dies sei nicht der besagte Leuchter; der echte sei so gut wie neu gewesen. Man danke herzlich für die Bemühungen, müsse aber in Israel nicht jeden Tinnef haben.





Augsburger Puppenkiste

14 04 2009

Der Prälat fand einfach seinen Taschenkalender nicht wieder. Hatte er die Tabletten denn nun schon geschluckt? Sicher ist sicher, dachte er sich, und warf gleich noch zwei hinterher, spülte sie auch verbotenerweise mit einem großen Schluck Kirsch hinunter. Und damit begann das Desaster.

Während noch der letzte Weihrauch durch das Kirchenschiff qualmte, tastete sich der Bischof ans Pult. Zudem hatte er die falsche Brille eingesteckt und stand nun in vollem Ornat vor einer misslichen Lage. Man erwartete gespannt seine Osterpredigt, doch seine Erinnerung war wie ausgelöscht – alle Erinnerungen, die er hatte. Er improvisierte und verlor ein paar Mal den Faden, hörte sich selbst beim Reden zu und schickte wohl auch manches Mal ein Stoßgebet gen Himmel, dass niemand es bemerken würde. Nach und nach wurde er warm und redete sich in Rage. Nur konnte er sich nach der Predigt an nichts mehr erinnern. Er wusste beim besten Willen nicht, was er gesagt hatte.

Dem Gesicht eines Vikars nach muss es eine Menge krauses Zeug gewesen sein. Der Gottesmann reichte ihm seine Brille und fragte ängstlich, ob er das alles auch tatsächlich so gemeint habe. Das mit dem Atheismus und mit den Massenmorden. Und dass die Nazis so gottlos gewesen seien. Das könne man doch gar nicht so sagen. Doch dem Bischof war ein wenig übel und er wollte schnell nach Hause.

Natürlich regte sich sofort heftiger Widerstand gegen die politisch brisanten Thesen. Richard Williamson verwahrte sich in aller Schärfe gegen die Behauptung, es habe während der Zeit des Nationalsozialismus nennenswerte Massenmorde gegeben. Und es sollte nicht die einzige deutliche Kritik an der Kanzelrede gewesen sein.

Vor den Abendnachrichten kommentierte der Radiosprecher bereits heftig die Einlassungen des Hirten, die Moscheen in den christlichen Ländern abzuschaffen und Muslimen im Analogieschluss die Daseinsberechtigung abzusprechen. Pater Aloysius hörte nur mit einem Ohr zu. Am anderen hielt er das Telefon und lauschte den Instruktionen des Kardinals, der dem Bischof striktes Stillschweigen befahl. Weitere Ausführungen zum Thema Kirche und Nationalsozialismus seien vor Pfingsten nicht mehr gestattet. Und kaum hatte die Eminenz das Gespräch abrupt beendet, da meldete sich der Päpstliche Rat für den Interreligiösen Dialog. Ratzinger höchstselbst war erzürnt gewesen und drohte dem Augsburger, ihn fortan nicht mehr in seinem Nachtgebet zu berücksichtigen, wenn er sich weiterhin erdreistete, die Israel-Reise des Pontifex zu torpedieren – noch dazu an Ostern.

Unterdessen war der Bischof damit beschäftigt, seinen Kalender zu finden. Wo hatte er ihn bloß so gut verstecken können, dass er ihn den ganzen Tag nicht mehr wieder fand?

In den Spätnachrichten wurde es haarig. Der Bundesvorstand der NPD ritt scharfe Attacken gegen den Kleriker. Von Wortbruch war die Rede und von Geschichtsklitterung, von undeutscher Feindpropaganda gar. Die braune Massenpartei pochte unerbittlich auf dem Festhalten am Reichskonkordat, dem einzigen immer noch gültigen Pakt, den der Führer unterzeichnet hatte. Streng verwahrten sich die Rechtsschwenker gegen Verunglimpfung von SS-Männern und der NSDAP überhaupt als gottloses Gesindel, schließlich war das Bekenntnis zum Atheismus in diesen Verbänden im Nationalsozialismus nicht erwünscht gewesen. Schließlich wies der Bundesvorsitzende persönlich auf die unverbrüchliche Treue des NS-Regimes zur katholischen Ideologie hin. Man habe die besten Ideen fix und fertig übernommen – der verhinderte Seminarist Dr. Joseph Goebbels hätte ein so praxiserprobtes System wie den katholischen Antisemitismus gar nicht selbst erfinden können.

Das Innenministerium fragte leise an, ob der Bischof denn tatsächlich alle, die nicht römisch-katholisch waren, als Atheisten bezeichnet hätte. Das Ordinariat wimmelte den angekündigten Hausbesuch schnell ab und verwies darauf, dies sei durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Der Ministeriumsmitarbeiter gab sich damit zufrieden; dennoch ärgerte er sich, dass er dem anonymen Hinweis auf verfassungsfeindliche Machenschaften nachgegangen und sich den Feiertag versaut hatte.

Als Ehrengabe schickte der Verband ehemaliger Wehrmachtsangehöriger ein original erhaltenes Koppelschloss. Man hatte es gut aufgearbeitet, das Hakenkreuz poliert und den Schriftzug Gott mit uns noch einmal nachgezogen. Dies auch als Dank, dass der Gröfaz bis zum Schluss Mitglied der katholischen Kirche und bis zum heutigen Tage nicht exkommuniziert worden war – verständlich, denn Hitler hatte nie den Holocaust geleugnet.

Spät am Abend fand der Bischof dann den Taschenkalender – er hatte ihn, wie er es eigentlich immer zu tun pflegte, in die Schreibtischschublade gelegt. Seine Brille jedoch war schon wieder weg, und so blätterte er mit der Nase im Buch die Seiten hin und her und konnte kaum etwas entziffern. Hatte er da nun ein Häkchen gesetzt? Am Tag zuvor entdeckte er auch keines. Er seufzte, griff nach dem Tablettenröhrchen und zählte eine, zwei, drei blassblaue Pillen in die Hand.





Pardon wird nicht gegeben

30 03 2009

Die Argumentation des rheinischen Klerikers war außergewöhnlich schlüssig. Die Bundeskanzlerin, so Joachim Kardinal Meisner, habe sich schleunigst beim Papst zu entschuldigen. Ihre Kritik an der Praxis, Holocaust-Leugner wieder in den Schoß des Katholizismus zu führen, sei völlig unangemessen gewesen. Schließlich sei Merkel Protestantin. Zudem solle sie sich als CDU-Vorsitzende nicht in theologische Fragestellungen einmischen; seine Organisation, so der Hardliner, schere sich ja auch nicht um politische Randbegriffe wie Christentum.

Eine ganze Nation stand sehr betroffen vor dem moralischen Spiegel. Nichts Gutes blickte heraus, als sie hereinblickte. Sünden und Laster, Missetat, Ruchlosigkeit und Frevel standen in solchem Maß zur Disposition, dass ein einzelner Bußtag gar nicht würde gutmachen können, was sie sich geleistet hatten. Sie krochen kollektiv zu Kreuze, ihre Verfehlungen öffentlich zu bekennen und Gnade zu erflehen im Bewusstsein ihrer Verantwortung.

Geständnisse auf Pressekonferenzen leiteten die Reise in den Sündenpfuhl ein. Hartmut Mehdorn und Klaus Zumwinkel erschütterten das Empfinden der Deutschen; sie hätten gelogen, getäuscht, beschissen und betrogen – noch beim Auspacken vor dem Volk kannten sie kein Maß.

In langen Schlangen kroch alle Welt zu Kai Pflaumes Beichstuhl Bitte verzeih mir, der hastig aus dem Boden gestampften Weinshow für moralresistente Wiederholungstäter. Während Karl Moik und Stefan Mross sich die Haare rauften und Barbara Salesch sich auf die Brust schlug, bettelten Sonja Zietlow, Dieter Bohlen und Margarethe Schreinemakers mit Angelika Kallwass und Oliver Geissen um die Wette und um Vergebung. Auch Eva Herman und Jürgen Fliege schlossen sich dem allgemeinen Mea culpa an; diese allerdings mit dem Hinweis, es sei ja nicht alles schlecht gewesen, jener mit dem ausdrücklichen Hinweis, er sei außerordentlich dankbar, dass er nicht so ein Sünder sei wie die anderen alle. Es war ein Riesenerfolg.

Das Feuer schien schon zu verglimmen, da legte der Kölner Erzbischof nach. Er bedauerte öffentlich, dass viele Katholiken deshalb aus der CDU ausgetreten waren – eine so nicht erwünschte Wendung der Sache. Dass etliche Mitglieder der CDU der Katholischen Kirche den Rücken gekehrt hatten, entzog sich allerdings seiner Kenntnis, wie man ja stets nur weiß, dass man nichts wisse.

Einem Erdrutsch kam die Botschaft gleich, Helmut Kohl sei zur öffentlichen Abbitte bereit. Es erwies sich als Ente; der Einheitsarchitekt ließ hernach verlautbaren, er habe offensichtlich einen Blackout gehabt.

Denn auch der deutsche Qualitätsjournalismus erwachte und bekannte Farbe. Man habe seinerzeit falsch gehandelt, ja, man sei möglicherweise zu leichtgläubig gewesen, durchaus, und es habe auch die eine oder andere vielleicht unverantwortliche Art der Berichterstattung gegeben, dochdoch. Sie suhlten sich in ihren eigenen Bekennerschreiben. Die Öffentlich-Rechtlichen veranstalteten schnell noch ein paar Sondersendungen – Quotenrenner unter ihnen wurde Brennpunkt Sünde: Müssen wir die Gesellschaft verbieten? – und n-tv twitterte die Selbstgeißelungen aus den deutschen Redaktionsstuben in alle Welt, was den SPIEGEL veranlasste, das aktuelle Heft mit dem Titel Killer-Journalisten zu schmücken. Es zeigte Kai Diekmann und Franz Josef Wagner, die einander die Stachelpeitschen um die Ohren knallten, was ihnen ein erhebendes Gefühl von Anstand verschaffte – eine gänzlich neue Erfahrung für die beiden.

Die BILD-Schlagzeilen waren ungünstigerweise schon besetzt, da Dieter Althaus in einer mehrteiligen Serie über den Begriff der Schuld meditierte. Exklusives Fotomaterial, das ihn in Gedanken versunken zeigte, durfte nicht fehlen.

Öffentliches Grübeln vollzogen auch Jan Ullrich und seine Mannen. Dabei blieb es auch. Insgesamt zeigte sich die Sportwelt wenig kooperativ. Die Inkompetenz-Damennationalmannschaft mit ihren Spielführerinnen Ulla Schmidt, Ursula von der Leyen und Brigitte Zypries schoss noch schnell ein paar Eigentore und verwies auf den kommenden Meisterschaftserfolg. Auf eine Stellungnahme des sattsam bekannten Zahlenspielers und Demagogen Christian Pfeiffer wartete die politische Nation vergebens. Er hatte die Irrtumswahrscheinlichkeit noch nicht in die richtige Richtung gebogen.

Lippenbekenntnisse aus dem Finanzwesen führten die Debatte jedoch schnell wieder ins Gesittete zurück. Zaghaft gestanden die Manager ein, es habe möglicherweise Pannen gegeben, die zu nicht vorhersehbaren Folgen geführt hätten. Man einigte sich im Qualm der Friedenspfeifen, die Sache auf die höhere Gewalt abzuschieben. Das Schicksal, so der allgemeine Tenor, müsse nun um Pardon bitten. Und so sitzen sie noch heute und schieben sich die Verantwortung zu.

Als der Kirchenvorsteher aus der Stadt der Jecken in einem seiner doch seltenen Momente als Staatsbürger bekannte, die Deutschen würden sich mit ihrer Papstmäkelei lächerlich machen, war der allgemeine Friede wieder hergestellt. Meisner hatte die Lächerlichkeit seiner Nation, die Staat und Kirche trennt, vor Gott und den Menschen geteilt und bekam Absolution.

Der Vatikan äußerte sich dazu allerdings nicht. Man blieb dort dem Vorsatz treu, sich nicht in politische Fragen einzumischen.





Weihwasserschaden

19 03 2009

Die Kommission stellte noch einmal fest, dass gut drei Milliarden Menschen nicht über sauberes Trinkwasser verfügten, sofern sie überhaupt Zugang zu Wasser hätten. Die Zahl war erwartbar. Sie wurde veröffentlicht, erhielt kaum Aufmerksamkeit und geriet knapp drei Tage später in Vergessenheit. Eine Menge von Menschen, einer europäischen Kleinstadt vergleichbar, hatte sich inzwischen an diversen Erregern infiziert, nicht wenige von ihnen waren ohne Kenntnisnahme der Weltöffentlichkeit erwartungsgemäß verstorben. Die internationale Wasserkonferenz in Mombasa stand vor der Tür. Man würde noch genug Zeit finden, während der Veranstaltung in flammenden Sonntagsreden genug Bedauern abzusondern, wenn es nur ausreichend natriumarmes Wasser ohne Kohlensäure zum Ausspülen der Espressotässchen geben würde.

Die Gastrede des Papstes wurde schon im Vorfeld als einer der Lückenbüßer eingeschätzt, die das dreitägige Programm nicht eben informativer zu gestalten geeignet wären. Umso konsternierter war das Auditorium, als der Heilige Vater die Durstigen der Dritten Welt unmissverständlich aufforderte, auf Wasser zu verzichten. Auf jegliches Wasser.

Manche glaubten, sich nur verhört zu haben, doch Benedikt XVI. stellte seine Position noch einmal deutlich dar. Er erklärte, das Trinken von Wasser löse das Trinkwasserproblem nicht, sondern verschlimmere es nur noch. Spirituelles Erwachen sei nun vonnöten, die Solidarität des Katholizismus mit den Verdurstenden einmal ganz abgerechnet.

Möglicherweise hätten es die Beobachter als einen von zahlreichen Lausbubenstreichen des Oberhirten abgetan – man erinnerte sich an die Abschaffung der Vorhölle und an die Rehabilitation des Antisemitismus in der Karfreitagsliturgie – wenn der nicht nachgelegt hätte. Auf Anfrage verlangte der Vatikan nochmals mit ausdrücklichen Worten Enthaltsamkeit. Es gebe weiterhin keinen Diskussionsbedarf.

Erste Kritik setzte ein, als Bundeskanzlerin Merkel sich postalisch mit dem Wunsch nach Klarstellung an den Stellvertreter wandte; die Kritik entzündete sich weniger an der Tatsache, sondern vielmehr an deren Wiederholung – Merkel habe doch wissen müssen, dass sie nicht berufen sei, theologische Fragen zu beurteilen. Offizielle Stellen des Gottesstaates bemühten sich sogleich um Schadensbegrenzung; Ratzinger habe vielmehr symbolisch die Brüder und Schwestern in ihrer gewissermaßen unschönen Lage in die Arme schließen wollen.

Ähnlich albern wirkten die Versuche des Vatikanorgans BILD, die Sicht der Öffentlichkeit zu korrigieren. Franz Josef Wagners dialektische Turnübung, das Wasser des Lebens und die real existierende Wasserversorgung zu synthetisieren, misslang gründlich. Es hätte indes auch nichts geholfen. Der Weihwasserschaden war längst eingetreten.

Der Widerstand formierte sich rasch. Die Aktion Wasserzeichen fand raschen Zustrom. Ihre Idee, die Entwicklungshilfe aus den Fängen der EU zu lösen und stattdessen Genossenschaften in den bedürftigen Ländern zu gründen, stieß auf Zuspruch. Es blieb nicht bei Lippenbekenntnissen. Zu Tausenden verpflichteten sich die Unterstützer, ihre Kirchensteuern, die sie nun nicht länger zu zahlen bereit waren, in die Hilfsorganisation fließen zu lassen. Erste Projekte nahmen konkrete Gestalt an, als sich der Vatikan den Organisatoren anbot, Beistand zu leisten. Zwar sei keinerlei finanzielle Hilfe zu erwarten, doch sei der Papst persönlich bereit, moralische Vorschläge zu unterbreiten.

Einer Analyse des Bundesinnenministeriums, nach der der Verzehr von Trinkwasser hygienisch mangelnder Qualität die Haupttodesursache vieler afrikanischer Landstriche sei, folgte sogleich die Rechtfertigung des päpstlichen Erlasses; der Wasserverzicht sei durchaus als präventive Maßnahme gegen die drohenden Gefahren für Leib und Leben zu verstehen. Dies wurde nicht hinterfragt. Man wusste, das Bundesministerium des Innern kannte sich mit präventiven Maßnahmen zur Abwehr drohender Gefahren bestens aus – vor allem mit Gefahren, die aus derartiger Prävention drohen.

Mit gewohnt vitaler Rhetorik ergriff Joachim Kardinal Meisner das Wort. Er sorgte für nicht unerheblichen Aufruhr, da er in einer Talkshow erklärte, der Verzicht auf Trinkwasser sei auch unter Umweltgesichtspunkten positiv zu sehen. So bleibe mehr Brauchwasser übrig. Während der Wasserkopf der vatikanischen Verwaltung noch über einen Verbleib Meisners im Amt köchelte, meldeten die Agenturen, dass die Wogen der Empörung bereits sieben Millionen Mitglieder aus der katholischen Kirche gespült hatten.

Um der Körperschaft beizutreten – der Vatikan äußerte in diesem Zusammenhang die Hoffnung, dies würde in Afrika geschehen – empfahl die Glaubenskongregation nun die Anwendung der Trockentaufe. Wie dies Verfahren zu handhaben sei, wurde nicht näher erläutert. Da gleichzeitig der konventionelle Ritus allein gültig blieb und die Priester angewiesen wurden, täglich mindestens drei neue Mitglieder für den Bund zu gewinnen, machten sich gewisse kognitive Dissonanzen bemerkbar.

Als bekannt wurde, dass die Vatikanbank einen größeren Teil ihrer Gelder in Aktien sizilianischer Wasserversorgungsgesellschaften angelegt hatte, brachen alle Dämme. Der Vatikan wurde unterspült. Die Sintflut war kaum noch aufzuhalten, als der Papst heftig zurückruderte. Wasser, erklärte Ratzinger, sei ein Menschenrecht.

Seine Anmerkung, die katholische Kirche sei für Menschenrechte selbstverständlich nicht zuständig, soff im allgemeinen Jubel der Erleichterung ab.





Blowin’ in the wind

21 02 2009

Ja, wen haben wir denn da? Wenn das mal nicht der Benedikt ist! Mit einer ganz großen Portion heißer Luft. Wie immer. Gut aufgestellt, die Kirche. Muss man ja sagen. Nur, was denkt der Mann sich eigentlich dabei? Haben Sie eine Ahnung?

 Na, denken Sie sich doch einfach mal was.

Na, denken Sie sich doch einfach mal was.

Bild: Uncylopedia

Anbei ein paar Vorschläge zur Auswahl. So zu sagen ein kleines vatikanisches Brain-Storming für den Sonntag – frischer Wind für Ihren Lieblingspapst:

  • Was bläst denn hier so? Sind die Ministranten schon da?
  • Linz, Rom, Marktl: Hauptsache, die Frisur sitzt. Mit Drei-Faltigkeits-Taft.
  • Williamson! Jetzt hören Sie mal auf, hier so rumzupupen!
  • Verdammt, gleich spielen sie bestimmt wieder Wind of change.
  • Liebe Brüder, aus Altötting habe ich Euch heuer ein bisschen Föhn mitgebracht.
  • Giovanni, ich wollte doch diesmal die ohne Flügelchen!
  • Fly me to the moon… dada, dadadaaa…
  • Abgehoben? Ich? Wer behauptet denn so was?
  • Nie wieder fahre ich in die Niederlande! Die ganzen Windmühlen hier sind echt nervig!
  • Ihr Deppen! Die Orgelpfeifen werden jetzt sofort wieder aufrecht hingestellt!
  • Die Merkel geht mir voll auf die Nüsse. Erst diese Briefe, und jetzt hat sie meinen Frisör gegen eine modernistische Schwuchtel ausgetauscht.
  • Also das Praktikum als Engel hatte ich mir irgendwie anders vorgestellt.
  • Scheiß Erbsensuppe, hoffentlich gibt’s morgen wieder Fisch!
  • Völlig losgelöst… dada, dadaaa…
  • Lehmann, jetzt lassen Sie doch mal diese blöden Spielchen mit dem Laubsauger!
  • Woah, wie geil! Diese Toten Hosen werden von Jahr zu Jahr besser!
  • Professor Richter, jetzt machense mal hinne! Ich sitz hier schon zwei Stunden Modell für Ihren neuen Flügel-Altar!
  • Dies indische Billig-Viagra nehme ich nie wieder!
  • Passt gut auf, Ihr Kinderlein, gleich macht Euch der liebe Onkel Ratzi Jogisches Fliegen vor!
  • Räum doch mal einer den Wagner da weg! Kann ich schon gar nicht mehr sehen, diese Luftnummer!
  • So, und auf Eins spielt jetzt die letzte Posaune das Tuba mirum.
  • Supi, dieser 3-D-Plasmabildschirm! Da macht Dumbo voll Laune! Nächste Woche lade ich den Meisner ein und wir gucken Vom Winde verweht.
  • Ah, meine Lieblings-Combo… die Egerländer Blasmusikanten…
  • Brrrmm, brrrmm… yeah, Himmelfahrt! Brrrmmm…
  • Ich nagel es ihm ans Knie. Diesmal nagel ich dem Drewermann sein Furzkissen ans Knie.
  • Schneller, Ngogo! Schneller fächeln! Sonst kaufe ich mir einen Ventilator!
  • Stell doch mal einer diese bescheuerte Fußbodenheizung ab! Ich bin doch nicht Marilyn Monroe!
  • Fasten your seatbelts? Wieso, Fasten-Zeit ist doch erst Mittwoch?
  • Durch den Monsun… lalala…
  • Step aside, Batman!
  • Nie wieder Cabrio-Rollstuhl – Harry, hol schon mal das Papamobil!
  • Sie sagen noch genau einmal „alter Windbeutel“ zu mir, Fellay, dann sind Sie wieder draußen!
  • Und wenn ich damit bei Pusteblume auftrete, was kriege ich dafür?
  • Wenn ich den erwische, der mir die Windkraftanlage vor den Palast gestellt hat…
  • Hürlimann, Sie wecken Ihre Garde ab morgen wieder mit dem Gong! Diese Alphörner sind ja schrecklich!
  • Guckense mal, Glemp, ein evangelikaler Panzer. Und da kommt wirklich nur Luft aus dem Rohr?
  • I am an anti-christ… I am an anarchist… schallala… don’t know what I want but I know how to get it… schubidua…
  • Kündigung? Fristlos? Jesus, tu mir das nicht an! Ich hab doch nichts Vernünftiges gelernt, und in meinem Alter nimmt mich doch keiner mehr!
  • Auf die Idee mit der Achterbahn hätte ich längst kommen sollen. Macht ja ’nen Heidenspaß!
  • Und jetzt alle zusammen: Im Frühtau zu Berge, sie stehn, falleraaa…

Und woran denken Sie dabei? Machen Sie Ihren Gedanken ruhig Luft!





Brüderlich mit Herz und Hand

20 02 2009

„Grüß Gott Ritschie, alte Pottsau! Ja, Du mich auch. Ja, hab ich gelesen. Herrgott, das war aber auch eine verdammte…

Na komm, wegen der Merkel brauchst Du Dir doch nicht in die Robe zu pinkeln. Wer nimmt die denn ernst? Christlich? Seit wann ist denn die CDU… Also bitte, das will ich jetzt mal überhört haben. Das stimmt doch ganz einfach nicht.

Meine Güte, dann eben die alte Floskel-Taktik. Ja, funktioniert immer. Ihr verbittet Euch erst mal jegliche Einmischung in die inneren Angelegenheiten der römisch-katholischen Kirche, und dann… Wenn da wieder so’n paar Linksfatzkes ankommen und meinen, das sei nicht kirchlich, sondern politisch relevant, dann sagt denen halt, sie sollen doch mal gegen die israelische Außenpolitik protestieren, wenn sie… Und der Zentralrat wird dann… Genau, so geht das.

Eben, so geht das nämlich. Und wenn sie dann immer noch nicht Ruhe geben, haut Ihr denen die ganz große Moralkeule… Na, Beleidigung des Katholizismus eben. Ja sicher. Darf man nicht. Haben die doch sogar ins Grundgesetz… Artikel 4. Ja, Artikel 4. Hör mal, ich kenne doch meine Verfassung, was meinst Du, wie oft deshalb schon vor Gericht…

Und § 166 StGB immer schön mit reinwürgen. Immer rein. Kennen die doch gar nicht anders. Ja, das ist eben der Vorzug in diesem Land. Wenn man sich eine demokratiefeindliche Ideologie strafrechtlich schützten lassen kann…

Ach was. Differenzierte Diskussion? Du glaubst doch wohl nicht im Ernst, dass die Deutschen das… Das kapieren die doch gar nicht. Die wissen doch gar nicht, was… Differenziert? Mann, die sind doch alle so verblödet, dass… Ja warum kriegen wir regelmäßig so viele Stimmen bei… Na eben! Ohne Parteienfinanzierung hätten wir doch längst den Arsch auf Grundeis.

Ja eben. Wie damals. Legal ans Ziel kommen. Nicht mehr putschen, sondern rutschen. Immer nach oben, immer nach oben. Da steht dann schon einer und hält seinen… Alles ganz legal. Genau.

Und Fakten schaffen. Genau. Nicht diskutieren, Fakten schaffen. Wenn die ersten Priester erst mal geweiht sind, kann man so ab und zu auch mal einen Bischof… Mach Dich doch nicht lächerlich! Ankündigen? Ihr habt doch ein Ei am Wandern! Fakten schaffen! Hinterher an die Presse, immer erst hinterher! Was soll er denn groß machen, wenn Ihr ihm zehn neue Bischöfe… Exkommunikation? Jungs, seid Ihr eigentlich noch ganz koscher? Das hätte vielleicht der Polacke gemacht, aber doch nicht der Ratzinger! Auf welchem Planeten lebt Ihr?

Dann lest doch die richtigen Bücher! Leuchter-Report, Rudolf, Protokolle der… Fragt halt mal den Mahler. Der hat da vielleicht von damals auch noch Kontakte zu den ganzen…

Verdammt, wir hätten gleich den Islam ins Visier nehmen sollen. Die paar Itaker, die waren uns doch scheißegal. Nein, nicht deshalb. Frauen unterdrücken ist doch nicht… Ich würde doch auch ausrasten, wenn meine Tochter hier mit so einem alternativen Soziologiestudenten ankäme. Da wäre aber Reichsparteitag, Genosse!

Ja und? Dann gackern die paar Hühner einmal, bevor sie wieder im Kochtopf untertauchen. Jetzt erzähl mir nicht, dass… Das ist doch Kinderkacke! Wer soll das denn machen? Nee, schon klar. Glaubst Du wirklich, dass sich auf einmal alle Katholikinnen im Kölner Dom zusammenrotten und einen Sitzstreik… Ritschie, bist Du jetzt komplett meschugge? Meine Güte, habt Ihr die nicht mehr im Griff? Die sollen die Fresse halten und die Beine breit machen, aber nicht…

Das hatten wir doch alles schon. Dass die Kümmeltürken hier mehr Kinder in die Welt setzen als in deutschen… Und dann auch noch die ganzen Schwuchteln. Eben. Soll ich etwa darauf warten, bis mein erster Gauleiter Ötzfötz heißt!?

Nein, gleich den Islam. Angst müssen die Leute haben. Die nackte Angst. Drohen, Einschüchtern, Lügen, Hetzen. Die ganze Palette.

Ach komm, das mit dem Ritualmord, das ist… Ja, aber das haben die Leute doch für Jahrhunderte geglaubt, und geh Du mal in irgendein katholisches Provinznest, da sagen Dir die Betschwestern doch heute noch, dass… Ach Quatsch, komm mir doch nicht mit Aufklärung! Angst wollen die Leute haben! Die wollen mit voller Hose zu Hause hocken und sich zuscheißen und darauf warten, dass der Führer wiederkommt und… Ja, eben. Und das hätte man mit dem Islam auch hingekriegt, wenn nicht der…

Wir hatten eben keinen. Hätte ich mich da in die Krüppelkarre setzen sollen, voll einen auf Mitleid machen und dann… Wir haben es eben verpasst. Die sind im Moment einfach besser als wir.

Und nach innen die Sündenbocknummer. Wir sind Märtyrer, also haben wir Recht. Und umgekehrt. Hat noch immer funktioniert. Die Leute sind doch alle so behindert, die glauben doch den letzten Scheiß. Genau. Vor allem den.

Menschenrechte? Lachhaft. Wer interessiert sich denn für Menschenrechte? Ja, auf dem Papier sieht das natürlich schön aus, wenn sie alle… Eben, und deswegen würde ich mir da auch keine Sorgen machen. Immer schön Fakten schaffen, einen Schritt nach dem anderen, und dann langsam die Schmerzgrenze bis zum… Wer soll das? Der Papst? Hähä, der war gut! Der Papst schert sich um die Menschenrechte! Hähähä! Ritschie, wieder mal am Messwein genuckelt, was?

Na, dann mach Dir mal keinen Kopf. Okay. Ja, so machen wir das. Dann noch einen gesegneten Abend, Ritschie! Heil und Amen!“





Dies irae

17 02 2009

Der Mann wartete gar nicht erst ab, bis er aufgerufen wurde. Er klopfte nicht an die Tür, er riss sie auf und stürmte ins Amtszimmer. Setzte sich auf den Besucherstuhl und schleuderte zornig die Vorladung auf den Schreibtisch. Der Andere, ein Jüngling mit sanften, ebenmäßigen Gesichtszügen, wies ihm den Stuhl zu, auf dem dieser bereits saß. „Behalten Sie Platz. Jetzt sind Sie nämlich dran, mein Sohn.“ Der Mann lief rot an wie der Umhang des Beamten. „Für Dich“, bellte er, „immer noch der Hochwürdige Herr Pfarrer, klar!?“ Mit einem langen, bohrenden Blick sah sein Gegenüber auf ihn und tippte das Schild auf dem Schreibtisch an. Hier richtet Sie Erzengel Michael. Der Priester fuhr zusammen.

„Da muss irgendwo in der Apologetik ein Fehler passiert sein. Oder das ist wieder so eins von den lutherischen…“ Der Erzengel lächelte. Ganz mild. „Apologetik, soso. Jede Wirkung hat eine Ursache. Sie haben es erfasst. Genau deshalb sitzen Sie hier, mein Sohn. Theologisch völlig korrekt. Wir machen die Vorschriften zwar nicht selbst, aber wenn sie vernünftig sind, halten wir uns an sie.“

„Sie sind gar nicht wahr! Sie sind bloß eine Wahnvorstellung! Sie existieren nicht!“ Der Engel schmunzelte. „Ich existiere nicht? Gut, dass Sie mir das verraten. Es hatte sich nämlich bis zu mir noch nicht herumgesprochen.“ Jetzt kicherte er. „Dann habe ich gar nicht mit Jakob gerungen? Übrigens, Ihre muslimischen Brüder haben verstanden, dass ich nur deshalb so schnell bin, weil ich aus Licht bestehe.“ Er gluckste. „Aber als alter Apologetiker werden Sie mir die Relativitätstheorie bestimmt noch viel besser erklären.“

„Wenn Sie wirklich Erzengel wären, würden Sie nicht gotteslästerlichen Spott treiben, sondern Gott verteidigen!“ Der Erzengel faltete die Hände über dem Bauch. „Ich verteidige ihn ja. Gegen Ihresgleichen. Abgesehen davon: zwei Fehler, mein Sohn. Erstens hat Gott der Herr in seiner Güte die Evolution so eingerichtet, dass ganz zum Schluss die Krone des Schöpfungsplans herauskäme – der Mensch. Ein Wesen, das alles besitzt, seinen Schöpfer zu preisen. Einen kritischen Verstand und die Sprache. Er hat Euch sogar Geschenke gemacht. Zum Beispiel die Musik. Den Humor.“ „Humor? Was soll am Humor göttlich sein?“ „Da alles von Gott kommt, wird wohl auch der Humor von Gott sein. Er ist ein göttlicher Funken, den der Heilige Geist aus Gnade bisweilen sogar Hunden, Affen und Katzen schenkt.“

Der Pater krallte sich mit beiden Händen in die Tischkante. „Teufelswerk“, schrie er, „Humor ist Teufelswerk!“ Der Erzengel wartete, bis sich das Männchen beruhigt hatte. „Umberto Eco, hm? Da also klaut man als angehender Weihbischof seine philosophische Halbbildung. Interessant.“ Und er nahm einen flammenden Dolch zur Hand, seinen Brieföffner. „Ich will Ihnen sagen, was Teufelswerk ist. Der kritische Verstand, den man dazu missbraucht, ganze Völker in die Steinzeit zu bomben, weil man’s für gottgefällig hält. Dazu, Hunger zu predigen, um im Brokatfummel auf Samtsesseln zu saufen. Dazu, Huren zu machen aus den Frauen, und dann sie zu bespucken, weil sie ja Huren sind. Um sich dabei des Lebens, dieses größten Gottesgeschenks, zu freuen, braucht man schon Humor. Stat rosa pristina nomine, nomina nuda tenemus.

Ernst fuhr er fort. „Und da wären wir auch schon beim zweiten Punkt. Warum, glauben Sie, sind Sie hier?“ Er senkte den Flammendolch auf einen violetten Aktendeckel. „Ich will es Ihnen sagen. Wegen Blasphemie. Sie haben Gott gelästert. Unaufhörlich. Sie haben alle Gebote gebrochen. Ständig. Besonders das zweite.“

„Das ist nicht wahr! Lüge! Verleumdung! Ich habe…“ „Ja, Lüge. Verleumdung. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit haben Sie den Namen Gottes unnütz im Munde geführt.“ Er schlug den Aktendeckel auf. „Ich darf mal zitieren. Den ‚lieben Gott’ gibt es ja nicht. Wir brauchen den Gott, der uns an Grenzen führt. Das haben Sie gesagt.“ Das Männchen begehrte auf. „Nein, ich habe…“ Harsch schnitt ihm der Engel das Wort ab. „Das war keine Frage. Das war eine Feststellung. Ich zitiere weiter. Vielleicht müssen wir erst wieder eine kleine Gruppe werden, um dann stärker hinaus zu wirken. Und dann werden die Wenigen mehr bewegen als die Vielen, die sich nicht bewegen.“ Und er schloss die Akte.

„Sie haben Gott gelästert, mehr noch: sich an seine Stelle gesetzt. Statt zu begreifen und zu verkünden, dass der liebende Gott Sie nach seinem Ebenbild erschaffen hat, haben Sie sich einen Götzen nach Ihrem Ebenbild gemacht. Einen von Selbsthass zerfressenen Sadisten, der nur befriedigt ist, wenn er Wehrlose treten kann. Sie haben sein Vertrauen missbraucht. Sie haben nicht nur die Schafe aus der Herde gejagt, die er in Ihre Obhut gegeben hat, Sie haben noch den Weg zu den Wölfen ausgeschildert. Sie haben gerichtet. Jetzt sind Sie gerichtet.“ Er zeichnete schwungvoll und ließ den Stempel auf den Aktendeckel krachen.

Da sank das Männchen auf dem Stuhl zusammen, heulte, klapperte mit den Zähnen. „Was wird denn jetzt aus mir? Muss ich in der Hölle schmoren? Kann ich nicht noch Abbitte leisten?“ Der Erzengel schüttelte unerbittlich den Kopf. „Nein, das hilft nun nichts mehr. Sie werden zur Höchststrafe verurteilt: Gottesferne. Sie werden in Ihrem Kämmerchen hocken und freie Sicht auf das Paradies haben. Bis in alle Ewigkeit werden Sie die Erlösten sehen. Freude wird unter ihnen sein, und haben sie Traurigkeit, so werden sie getröstet werden, wie einen seine Mutter tröstet. Einer trägt des anderen Last. Und Sie werden hinter Ihrem Gitter sitzen und nicht dabei sein.“

„Gottesferne.“ Mit leerem Blick schaute das Männlein. Es war nun ganz still. „Ja, Gottesferne. Sie müssen ein merkwürdiges Theologiestudium absolviert haben, wenn Sie sich nicht einmal mit den Grundzügen der Eschatologie auskennen. Und jetzt raus hier. Ich habe heute Vormittag noch jede Menge Betonschädel im Eingangskorb.“





Dogmatik für Fortgeschrittene oder Irrtum vorbehalten

14 02 2009

Was macht zum Beispiel so ein Papst,
wenn er an den Gedanken knappst
und feststellt: ich hab mich geirrt?
Schon ist die Logik weg. Verwirrt
stellt dieser Papst fest, dass er gar
nicht irren kann, und ist es wahr,
dass er doch mal im Irrtum war,
dann war er selbst im Irrtum da,
dass er verwirrt geirrt hat.
(Worauf er sich verirrt hat.)





Scheibenkleister

11 02 2009

Die Glaubenskongregation hatte sich zuletzt sowieso über nichts mehr gewundert. Die Vorhölle war abgeschafft worden. Man durfte den Holocaust nicht direkt leugnen, aber es machte auch nichts, wenn man sich nicht dafür entschuldigte. Und so nickten sie nur, als Benedikt XVI. an einem ganz normalen vatikanischen Morgen die neue Enzyklika Orbis etsi non zum Abtippen gab. Keiner dachte sich etwas dabei. Teils aus Gewohnheit, teils, weil sie alle nicht genug Latein verstanden, um zu sehen, dass der Pontifex einen unruhigen Schlaf gehabt hatte. Seit Tagen.

Mittags diskutierten Altphilologen noch über die Möglichkeit, einem Übersetzungsfehler aufgesessen zu sein. Die lateinische Sprache, so klar sie auch ist, kann doch manchen Unsinn ergeben, wenn man Kasus und Numerus nicht auf die Reihe kriegt oder gar seine Stammformen nicht gelernt hat. Schaurige Gymnasialerinnerungen tauchten in den Köpfen der Altsprachler auf. Doch so unmissverständlich war dieses Sendschreiben, dass sie sich dem Schicksal ergaben und die neue, ab sofort gültige Lehrmeinung einfach anerkannten. Der Papst hatte sich nicht geirrt, weil er sich – er ist nun mal Papst – gar nicht irren kann. Die Erde ist eine Scheibe. Punkt. Aus die Maus.

Gut, diese Idee war jetzt weder bahnbrechend noch schien sie besonders durchdacht. Schon im Mittelalter hatte man sich davon verabschiedet und modernistischem Allotria gewidmet. Aber dies gab doch Anlass zur Sorge. War das noch derselbe Papa Bene, der so gütig lächelte, während er zu Mord und Unterdrückung hetzte? Was war geschehen mit dem Heiligen Vater? Hatten Herrgott und Mutter Maria dem alten Mann, der sich sonst so rührend um Frauenordination, pädophile Priester und Geburtenkontrolle gekümmert hatte, jetzt endgültig ins Hirn gehauen? Wie sollten sie sich nur alle getäuscht haben!

Die Fundamentaltheologen bissen sich zuerst in die jeweiligen Hintern. Sie hatten es kapiert. Welch ein gerissener Schachzug! Ketzerei, Abfall, Sektierertum, alles auf einmal vom Tisch. Hier und jetzt wurde Metapher zur Wirklichkeit und vage Allegorie handfest. Kein Gottesmann konnte mehr in Opposition gehen. Ratzingers Scheibe umfasste alles, alles war in Ratzinger, keiner konnte der fundamentalen Umarmung entgehen. Die Bruderschaften tobten.

Während die Hegel-Gesellschaft noch zu klären versuchte, ob denn die möglichste aller besten Welten ein adäquater Ersatz für die beste aller möglichen sei, titelte BILD mit dem epochalen Transzendenz gewuppt! alle Bedenken beiseite, ja man könnte sagen: sie putzte jede Kritik von der Platte. Sie fiel von der Scheibe und ward fürderhin nicht mehr gesehen.

Kontroversen ergaben sich in Österreich, wo einige Weihbischöfe sich die Köpfe über das ewige Gerauche in den Priesterseminaren heiß redeten. Auch die ganze Schar der Trolle, Elfen und Gnome war den Patres suspekt – ein heidnisches Heer vermuteten sie hinter jedem Werwolf oder Golem. Selbst Engel mussten sich einer peniblen Sicherheitsprüfung unterziehen, bevor sie wie gewohnt weiter lobsingen durften.

Immerhin erübrigte sich die leidige Diskussion um den Gottesbeweis. Man müsse, so sprach die Kongregation, nur ganz fest daran glauben. Ob es erlaubt sei, auch an Buddha, Osiris und die Zahnfee zu glauben, wusste allerdings niemand. Das zuständige Referat kündigte an, erst noch Beweise sammeln zu wollen. Das könne dauern.

Zudem konnte der katholische Apparat nun mit vollem Ernst behaupten, dass sich die Demokratie durchgesetzt habe. Nach dem klassischen Prinzip One man, one vote regierte Ratzinger über seine Schafe. Er war der eine Mann, der die eine Stimme hatte. Und mehr wollte man dem Volk auch nicht zumuten.

Seine Heiligkeit gefiel sich nun darin, seine Heiligkeit öffentlich zu machen. Natürlich war es keine Kunst, über das Wasser zu laufen, denn der Fluss stand einige Meter höher als das Ufer. Und so wandelte Benedikt nun jeden Sonntag über den dreckigen Strom. Ob die Krankheitserreger unter seinen Füßen dadurch geheilt wurden, ist nicht verbürgt. Denkbar wäre es.

Die Zwerge an der Basis mussten sich kaum umgewöhnen. Schon zuvor waren die Zwerginnen wegen ihres Geschlechts diskriminiert und von den männlichen Zwergen aller Alters- und Rangstufen für einen universalen Patzer gehalten worden. Doch des Papstes Weltformel integrierte auch sie in die Schöpfung. Natürlich nicht, ohne sie weiterhin als Missgriff zu behandeln. Schwulen Zwergen erging es nicht besser, es sei denn, sie standen in Lohn und Brot der römisch-katholischen Kirche.

Überhaupt wurde die Theologie viel einfacher. Neben Feng Shui und Kapitalismus fand sich nun auch Wirres Denken als Lehrfach an der Vatikan-Universität. Das Postulat, dass der Geist je eine helle und eine dunkle Seite habe, galt ohne Ausnahme – die helle Seite war der Katholizismus. Der ganze Scheibenkleister mit der Scholastik hörte endlich auf. Alles war so komplex, wie es sein sollte, um es nicht verstehen zu müssen, und alles wurde plötzlich so einfach, dass man daran glauben konnte, wenn man nicht daran glauben wollte. Die Philosophie wurde nicht verboten. Sie wurde einfach verschluckt, wie das rote Pantoffeltierchen etwas verschluckt. Auf Nimmerwiedersehen.

So geschah es. Und siehe, es sah, dass es gut war. Und ein Irrtum war ausgeschlossen.





Wir sind wieder Papst

4 02 2009

„… zu der Überzeugung gekommen, dass sie nicht im Gegensatz zum Schöpfungsplan und der Liebe Gottes stehen.“ Der Kurienkardinal warf das Papier wutentbrannt auf den Schreibtisch. „Guerreiro, das darf den Vatikan auf keinen Fall verlassen, hören Sie? Auf gar keinen Fall!“ „Euer Eminenz haben das wohl nicht ganz verstanden. Das Sendschreiben ist bereits veröffentlicht worden.“

Tatsächlich hatten die katholischen Bischöfe um sieben Uhr MEZ die päpstliche Botschaft in ihren Faxgeräten vorgefunden. Dazu erging eine Kopie an ihre privaten E-Mail-Adressen. Man weiß ja nie, was der Vorsehung so alles in die Quere kommt.

„Das kann nur eine Fälschung sein.“ „Eminenz, das Siegel spricht dagegen. Die Unterschrift. Das Schreiben hat ein Aktenzeichen. Wir können da nichts mehr ausrichten.“ Der Kurienkardinal griff mit zitternden Fingern in seine Soutane und zog ein silbernes Fläschchen heraus. Nach mehreren großen Schlucken blickte er den Kanzlisten fest an. „Das ist unser Untergang, Guerreiro. Er ist plemplem! Verhütungsmittel! Wir sind am Ende!“ Guerreiro runzelte ironisch die Stirn. „Deus lo vult.“

Die Presse überschlug sich. Eugen Drewermann war nicht zu erreichen. Uta Ranke-Heinemann gab in einem Interview mit dem WDR zu Protokoll: „Was Ratzinger sagt, ist richtig, Sie dürfen sich auf ihn berufen.“ Außerdem plädierte die Theologin in diesem Fall ausnahmsweise für Täterschutz. Der Osservatore Romano übernahm den im Bayernkurier erschienenen Leitartikel von Erwin Huber. Fotos von Berlusconis Fettnäpfchen-Beauftragtem, wie er die Pizzeria der vatikanischen Museen betrat, kamen sofort auf alle Titelseiten. Heiner Geißlers Gastkommentar flog ersatzlos aus allen Gazetten. Einige Leserbriefe, die Benedikt XVI. zum sofortigen Rücktritt aufforderten, wurden irrtümlich doch noch im Rheinischen Merkur abgedruckt. Die personellen Konsequenzen gingen schnell und ohne großes Aufsehen über die Bühne.

Für Heiterkeit sorgte der altkatholische Bischof, der in der Talkrunde witzelte, man würde jetzt das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit noch einmal überdenken. In der PR-Agentur ging es weniger ausgelassen zu. Der Sekretär der Disziplinarsektion hämmerte auf den Tisch, dass die Designertassen in die Gegend sprangen. „Was haben Sie sich da wieder für einen Dreck ausgedacht? Kondome für die Katholiken! Haben wir denn nicht schon genug Schlamassel?“ „Ruhig, Pater. Wir haben das einzig Richtige getan.“ Monsignore Tournon schaute entgeistert. „Sie haben was? Das Richtige?“ „Haben wir. Dann schauen Sie sich mal bitte den Score der letzten Monate an.“ Der Consultant drehte sein Notebook und deutete auf eine Kurve. „Der Börsenkurs Ihrer Firma. Sehen Sie diesen Knick? Das waren die Piusbrüder mit Herrn Williamson, der sich die Freiheit nimmt, die Gaskammern zu leugnen. Und dieser scharfe Zacken hier? Der unzurechnungsfähige Ösi, den Ihr Herr Chef partout zum Weihbischof machen musste. Und das hier…“ Der Priester begriff zuerst nicht. „Sie wollen damit andeuten, dass… Nein, unmöglich!“ „Wir werden dafür bezahlt, Ihre Managementfehler auszubügeln – schlimm genug. Was bleibt uns denn anderes übrig, als den Kurs anzukurbeln?“ Der PR-Berater hatte sich nun selbst in Rage geredet. „Wie soll man ein Unternehmen von der Größe ohne Controlling kontrollieren? Himmelherrgott, wie sollen wir den Laden konsolidieren, wenn wir vom Aufsichtsrat ständig torpediert werden? Wozu kriegen Sie Ihr tägliches Memo, wenn das Zeug sowieso im Kamin landet?“ Er packte den Sekretär am Kollar. „Kruzifix, warum haben Sie damals nicht den Lehmann gewählt? Muss man denn hier alles selbst machen?“ Das Diagramm zuckte kurz auf. „Na sehen Sie“, frohlockte er, „der Kurs steigt. Erste Notverkäufe. Scientology bröckelt. Sonntag sind wir wieder da.“ Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, seine Stimme wurde scharf. „Und wenn wir die Evangelikalen von der Bildfläche gefegt haben, kommen Sie bloß nicht auf die Idee, das als Ihre Leistung zu verkaufen. Ich warne Sie.“

Unterdessen feierte das Volk den Oberhirten. Während in Lateinamerika die Patres selbst die Gläubigen in langen Prozessionen mit Papa-Ratzi-Bildern zu enthemmten Sambarhythmen durch die Straßen führten, organisierten in Köln Schwule und Lesben die Demonstration. Binnen Stunden zogen Katholiken durch Deutschlands Innenstädte. Sie skandierten leidenschaftlich Wir sind wieder Papst und Ratze, gib Gummi. Joachim Meisner schäumte. Ob man da nicht etwas machen könnte. Man teilte ihm mit, man kann da nichts machen. Als der Amtsrichter den Kardinal sarkastisch fragte, ob der an Gummi-Geschosse gedacht habe, verließ Meisner zornig den Raum.

Der Werbespot für Benny Boy, das kardinalsrote Kondom (Geschmacksrichtungen Messwein und Milch mit Honig), wurde noch am gleichen Tag im Vorabendprogramm ausgestrahlt. Hella von Sinnen hatte spontan zugesagt.

„Hürlimann, haben Sie noch die Adresse von diesem Chilenen, ja? Gut. Dann bringen Sie mir den her. Und schnell, bitte.“ „Wäre es nicht besser, wenn wir… also ich meine… gewissermaßen für die Öffentlichkeit, Sie verstehen?“ Der Gardist vollführte eine ruckartige Handbewegung. „Ah, verstehe. Hm. Gut. Ist schon dreißig Jahre her, aber vielleicht klappt’s ein zweites Mal. Versuchen wir es.“ Und er faltete ergeben die Hände. „Im Namen Gottes.“