Trümmerfrauen

9 12 2013

„Dreißig Prozent? Das können Sie uns nicht antun! Natürlich waren wir für die Verschärfung der Hartz-Gesetze, natürlich wollten wir diese dekadenten Spätrömer aushungern, die den ganzen Tag auf dem Amt herumlungern, statt mal was für die Rendite zu tun. Aber wie sollen wir als FDP unsere soziale Klasse beibehalten, wenn Sie uns einfach die Stütze kürzen? Ich habe denen das doch versprochen!

Sie wollen uns tatsächlich zur Arbeit zwingen? Wie stellen Sie sich das denn vor? Die Partei ist doch jetzt komplett im Eimer, da ist nichts mehr, da muss jetzt jede Menge Energie in den Aufbau gesteckt werden, das kann man doch nicht einfach durch Erwerbsarbeit stören. Immerhin werden wir Liberale doch gebraucht. Und wir müssen in den nächsten Jahren herausfinden, wofür. Das kann man nicht einfach so bürokratisch behandeln. Das muss man privatisieren, verstehen Sie? Sie schieben uns ordentlich Kohle rüber, und wir kümmern und privat darum, dass wir ohne Job über die Runden kommen, okay?

Produktionshelfer kommt für uns natürlich nicht in Frage. Produktiv zu sein liegt uns gar nicht. Vielleicht könnten wir da eine Internet-Firma aufmachen. Wie der Lindner, der versteht angeblich was davon. Also nicht vom Internet, sondern von Firmen. Der hatte sogar mehrere. Nein?

Können Sie mir das mal – danke, ich wollte nur die erste Seite. Uns interessiert immer nur, was auf der ersten Seite steht. Berufskrankheit, wissen Sie. War beim Koalitionsvertrag dasselbe. Wer hat denn wissen können, dass ab Seite drei unser Todesurteil kam. Also eine Beschäftigung für die öffentliche Hand? Da wir jetzt nicht mehr in der Regierung sitzen, sind wir natürlich strikt gegen Kürzungen zugunsten der Staatsschulden – und private Firmen bezahlen kann einfach nicht verkehrt sein. Ja, ist mir bekannt, die Fahrbereitschaft des Bundestages ist so gut wie pleite. Übernahme? Brillante Idee, wir werden als erstes das Unternehmen komplett rekapitalisieren und dann die Belegschaft durch Leiharbeiter ersetzen, und dann werden auch die Arbeitsbedingungen mal erheblich flexibilisiert, damit wir richtig Druck auf die… Als Fahrer? sind wir denn bescheuert!?

Was heißt hier Statistik – sind wir etwa… dann zählen Aufstocker statistisch auch als ganz normale Arbeitnehmer, die den Aufschwung am Arbeitsmarkt verursachen? Und dass Sie uns die Löhne kürzen, ist eine strukturelle Verbesserung? Wer hat denn diesen menschenverachtenden Scheißdreck verzapft? Die FDP? Dann war das noch unter der alten Führung, daran ist nur dieser schlitzäugige…

Leichenredner? Seit wann ist der denn ein – ach so. Hm. Wissen Sie, wir sind ja mehr dem Leben zugewandt. So Sachen mit sozialem Engagement und Mitgefühl, das ist echt nicht unser Ding. Und ganz ehrlich, dabei verdient man doch auch echt mies, oder? Projektbezogen, stimmt’s? Das ist doch Wahnsinn, wenn der Arbeitsmarkt sämtliche Risiken auf uns abwälzt, wie soll man denn da für seinen nächsten Porsche planen?

Trümmerfrauen? Wieso denn nicht, was spricht denn dagegen? Wir sind doch gerade so gut dabei, das können wir doch außerhalb der Partei gleich weitermachen? Wie jetzt, mangelnde Qualifikation?

Einfach irgendein Job, in dem man nicht viel leisten muss, verstehen Sie? Das muss sich doch auch lohnen. Dann tun wir sogar etwas richtig Gutes für den Arbeitsmarkt und nehmen keinem den Job weg. Und so viel Einsatz sollte doch auch ein angemessenes Gehalt mit Boni wert sein, oder?

Vier Euro Mindestlohn? Da sehen Sie mal, was dieser Rösler für ein Schwein war. Warum wir alle geklatscht haben? Das muss am Fraktionszwang gelegen haben. Auf unseren Bundesparteitagen herrschte Fraktionszwang, das können Sie sich gar nicht vorstellen. Schlimm. Voll sozialistisch!

Lieferservice ist nicht gut. Oder haben Sie die FDP in den letzten fünfzehn Jahren irgendwas liefern sehen?

Hier, total coole Idee – kennen Sie? kennen Sie? Machen wir jetzt alle, also total coole Idee, für Deutschland, kennen Sie? Total coolstes Land übrigens, wir machen das, das ist so cool, das machen wir, passen Sie jetzt auf: Steuersenkungen! Steuersenkungen! Total…

Gut, war jetzt nur so ein Gedanke, weil man sich ja politisch auch ganz neu positionieren muss beim Wähler, und da wir jetzt mehrere Wochen lang nichts mehr über Steuersenkungen erzählt hatten, seit der Wahl eigentlich gar nichts mehr, da dachte ich, wir könnten doch jetzt mal wieder etwas über Steuersenkungen erzählen. Das hört der Wähler gerne. Wenigstens die, die das bisher nicht mit der FDP in Verbindung gebracht hatten.

Einverstanden, Ein-Euro-Jobs. Wir machen alles. Ja, absolut alles. Für Geld machen wir absolut alles. Geben Sie mal her. Und das ist auch wirklich nur eine befristete Anstellung? Einmal in die SPD eintreten, das Mitgliedervotum verhindern und dann wieder raus?“





Arbeitslos

25 09 2013

„… wir Herrn Rösler leider keine Zusage geben können. Wir ziehen seine Einsatzbereitschaft damit keinesfalls in Zweifel, glauben aber, dass wir auf einen Mitarbeiter wie ihn in unserem Betrieb lieber…“

„… Herrn Niebel einzustellen. Es gibt in unserem Hause keine Position eines Chefteppichfliegers, und sind wir deshalb leider…“

„… ungewöhnlich, das Wunschgehalt und die Arbeitsgestaltung von Herrn Westerwelle als ‚anstrengungslosen Wohlstand‘ skizziert zu bekommen, weshalb wir ihn sicher nicht für eine gehobene Position…“

„… davon Abstand nehmen wollen, Herrn Rösler mit einem Aufsichtsratsposten zu betrauen, da dieser doch ein Mindestmaß an Führungsqualitäten…“

„… sich um ein Missverständnis gehandelt haben wird. Herr Westerwelle bewirbt sich in unserem Hause nicht als Verkäufer für Phono-Zubehör, sondern als Lautsprecher, was wir für wenig sinnvoll…“

„… für seine weitere Karriere weiterhin viel Glück. Eine Festanstellung als Weinkönigin ist dennoch im Falle von Herrn Brüderle völlig…“

„… unsere Agentur zwar auf Kindermodels spezialisiert ist, doch ist uns Herr Linder noch zu unreif für eine Beschäftigung als…“

„… bereits in seinem Bewerbungsschreiben angekündigt hatte, unsere Unternehmensgruppe zu zerschlagen und abzuwickeln. Wir verzichten daher dankend, Herrn Niebel als Hilfsarbeiter zu…“

„… sich als Landkartenverkäufer zu bewerben und beim Vorstellungsgespräch nur ‚Dies hier ist Deutschland‘ zu wiederholen. Wir haben für Herrn Westerwelle keine Einsatzmöglichkeit, solange…“

„… uns die Gehaltsvorstellungen von Herrn Rösler nicht interessieren. Sollte er sich nicht gewillt zeigen, für 15% des ortsüblichen Tarifs zu arbeiten, sind wir gerne bereit ihm dies als strukturelle Verbesserung seiner Einkommensverhältnisse…“

„… es unserem Unternehmen gut geht. Wir haben keinen Bedarf für einen Konkursverwalter und werden Herrn Lindner deshalb auch nicht…“

„… wir eine Bewerbung von Herrn Westerwelle als Fahrlehrer nicht ernst nehmen können. Seine Aussage, er verstehe alles von Steuern und habe bereits praktische Erfahrung damit gesammelt, ist eine durch nichts belegbare…“

„… entspricht Herr Niebel bereits von den Äußerlichkeiten nicht den Anforderungen, die unser Publikum an ein Rotkäppchen…“

„… fürchten wir, dass Herr Rösler die Stellenbeschreibung nicht hinreichend genau gelesen haben könnte. Da wir Teilkenntnisse in der deutschen Politik und Gesellschaft voraussetzen, ist uns ein Bewerber, der zum großen Teil Unkenntnis besitzt, nicht für die Aufgabe…“

„… grundlegendes Missverständnis, dass Herr Niebel sich bei unserem Vorstellungsgespräch vorstellte, er wolle unseren Personalchef einstellen. Wir nehmen von dieser mangelnden Qualifikation deutlich…“

„… sich unser Haus erstklassigen Personals erfreut, so dass wir auf Herrn Brüderle als Vortänzer durchaus keinen gesteigerten…“

„… mit Befremden zur Kenntnis genommen. Herr Rösler ging irrig davon aus, dass er als Privatkundenberater ausschließlich mit Besserverdienenden …“

„… ist Herr Kubicki offenbar der Ansicht, er sei für den Posten des Alleinunterhalters geschaffen. Mit Bedauern teilen wir mit, dass er lediglich sich alleine unterhält, so dass wir von weiteren Arbeitsproben gerne…“

„… eine Stellung als Fahrstuhlführer für Herrn Westerwelle nicht in Betracht kommt, solange er nur abwärts…“

„… schwarz-weiße sowie Farbfilme. Dennoch ist es uns nicht möglich, die von Herrn Niebel angeführten Qualitäten als Entwicklungshelfer in einer höher qualifizierten Tätigkeit…“

„… wünschen wir Herrn Rösler weiterhin recht viel Erfolg auf seinem beruflichen Lebensweg, sofern er sich nicht mehr in die deutsche Wirtschaft einmischt oder…“

„… schon zweimal fast Chef von irgendwas geworden. Wir wünschen Herrn Lindner, dass er möglichst bald eine erfüllende Beschäftigung findet oder uns wenigstens mit seinen ständigen Bewerbungen in Ruhe…“

„… der Beruf des Simultandolmetschers wenigstens die fehlerfreie, verständliche Beherrschung zweier Sprachen voraussetzt. Wir sehen bei Herrn Brüderle bedauerlicherweise nicht einmal eine einzige hinreichend…“

„… dass soziale Kälte noch keine Schlüsselqualifikation darstellt. Wir möchten daher Herrn Rösler für unsere exklusiven Mövenpick-Produkte keinesfalls als Tester…“

„… wir es durchaus als Drohung auffassen, dass Herr Niebel seinen gesamten Freundeskreis in unser Unternehmen einschleusen…“

„… ebenso richtig, dass Herr Rösler sich bei seiner eigenen Partei Fertigkeiten erworben haben wird, doch sind wir nicht gewillt, ihn als hauptberuflichen Leichenredner…“

„… mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass Herr Niebel für eine radikale Reform der Bundesagentur für Arbeit eintritt. Wir sehen es allerdings als indiskutabel, ihn ohne operative Tätigkeit oder Anwesenheit mit einem Monatsgehalt von drei Millionen Euro zu…“

„… wir kein Interesse haben, Philipp allein zu Haus nach dem Drehbuch von…“

„… die Zweitstimmenkampagne der vergangenen Wahl nicht als Arbeitsprobe anerkennen können, weshalb uns die Beschäftigung von Herrn Brüderle als Leihopa eher nicht als…“

„… ist Herr Rösler bereits mit dem Namen unseres Drogerieunternehmens überfordert, weshalb wir ihm keine Anschlussverwendung…“

„… ist die Ausstellung mit der Geschichte des Liberalismus befasst, wovon Herr Westerwelle leider nicht die geringste Ahnung…“

„… für die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen pharmazeutischen Unternehmen einstehen wollen. Grundsätzlich sind wir von Herrn Röslers Praxiserfahrung als Medikamententester überzeugt, wollen aber keine Mitarbeiter, die für Geld alles…“

„… ist in unserem Betrieb keine Planstelle für Zuhausebleiben bei vollem Lohnausgleich vorgesehen. Frau Koch-Mehrin kann sich gerne bei unseren Mitbewerbern…“

„… wollen wir Herrn Westerwelle lieber nicht als Darsteller in Draußen vor der Tür besetzen, da er auch für eine Zweitbesetzung nicht die notwendige Sensibilität…“

„… einen Umschulungsplatz als Erzieherin nicht anbieten können. Herr Rösler könnte von den erfahrenen Fachkräften leicht verwechselt werden mit einer…“





Absturz nach oben

11 03 2013

„Es muss cool sein.“ „Hat er das gesagt?“ „Er wollte etwas Cooles.“ „Er hat gesagt, das Coolste.“ „Falsch, er hat gesagt, er wolle cool aussehen.“ „Wobei?“ „Keine Ahnung, er wollte nur cool dabei aussehen. Machen wollte er nichts dafür.“ „Das klingt wahrscheinlich.“ „Wieso?“ „Rösler halt.“

„Könnten wir mit der Aktion nicht wenigstens bis zum Wahlkampf warten?“ „Und was meinen Sie ist das hier gerade?“ „Naja, ich dachte, Rösler wollte einfach nur mal wieder cool aussehen.“ „Wieso mal wieder?“ „Der Job ist klar definiert: er soll cool rüberkommen, das muss man deutlich im Vordergrund sehen.“ „Wieso im Vordergrund?“ „Hintergrund gibt’s wohl keinen.“ „Leute, ich…“ „Wenn wir irgendwas Cooles zeigen, rückt Rösler automatisch nach hinten.“ „Auch wieder wahr.“ „Leute, ich habe es doch wohl deutlich genug gesagt!“ „Was denn?“ „Vielleicht beim Neustart der FDP?“ „Dann doch gleich den der Koalition.“ „Oder wollen wir ihn mit Merkel zeigen?“ „Im Dirndl?“ „Wer?“ „Ich bezweifle, dass er die Rolle ausfüllen könnte.“ „Leute…“ „Oder im Dirndl und neben Brüderle, und er bringt ihn dazu, keine blöden Sprüche zu machen.“ „Sie meinen so wie Chuck Norris?“ „Leute, jetzt mal ernsthaft! Das bringt doch alles nichts!“ „Wir könnten ihn zeigen, wie er einen Antrag auf Betreuungsgeld stellt.“ „Blödsinn, der doch nicht.“ „Oder als Clown unter Italienern.“ „Glauben Sie, er würde da auffallen?“

„Und wenn wir ihn an ein Bungeeseil hängen?“ „Warum nicht gleich mit Fallschirm?“ „Lassen Sie gefälligst diesen Unfug.“ „Aber das erregt doch Aufmerksamkeit, und die kann er jetzt brauchen.“ „Aber doch nicht die Partei, und schon gar nicht so!“ „Ja was denn dann!?“ „Meine Güte, dann lassen Sie sich halt etwas einfallen. Wozu bezahle ich Sie?“ „Sie wollen ja doch nichts hören. Ihnen ist immer alles zu abgedreht und realitätsfremd.“ „Ist doch auch so.“ „Finde ich auch.“ „Finde ich nicht. Außerdem, warum sollten wir Rösler nicht völlig wirklichkeitsfremden Mist vorschlagen? Das entspricht schließlich am ehesten seinem geistigen Horizont.“

„Rösler baut alleine den Hauptstadtflughafen zu Ende.“ „Geht’s nicht ’ne Nummer kleiner?“ „Nee, den Stuttgarter Bahnhof macht schon Merkel.“ „Und wo ist das cool?“ „Ist halt Berlin.“ „Arm, aber cool?“ „Cool, aber arm.“ „Aber sexy.“ „Dann kann es sich nicht um Rösler handeln.“ „Ist der denn nicht… okay. Hat sich erledigt.“ „Und wenn wir ihn im Flughafen an ein Bungeeseil hängen?“ „Sie immer mit Ihrem dummen Seil, was soll das denn bedeuten?“ „Gar nichts, aber…“ „Denken Sie jetzt gefälligst nach! Ich will das konzeptuell nach vorne bringen. Wir haben hier einen Consumer Insight vor uns, der erst noch zu definieren ist. Und außerdem brauchen wir die Kohle, kapiert?“

„Moment noch, dass wir uns jetzt hier nicht falsch verstehen: ‚cool‘ im Sinne von cool?“ „Was soll das denn?“ „Naja, im liberalen Sinne heißt ja ‚liberal‘ auch nicht nur liberal.“ „Was Rösler mit liberal meint, können Sie eh in der Pfeife rauchen.“ „Also heißt ‚cool‘ bei ihm, dass Sie Deutschland in der Pfeife rauchen können?“ „Solange Rösler Vizekanzler ist, auf jeden Fall.“ „Leute, jetzt mal mehr Stoff!“ „Um Deutschland in der Pfeife…“ „Quatschen Sie nicht, ich will Ergebnisse sehen. Wir brauchen ein Wunder!“ „Ja und? das braucht die FDP auch.“ „Sagen Sie mal, der ist doch katholisch – ob man Rösler nicht zum neuen Papst machen könnte?“ „Geht das?“ „Nach Ideologie der Neoliberalen geht alles, wenn man sich nur genug anstrengt.“ „Deshalb ist ja Rösler auch schon seit zehn Jahren Bundeskanzler.“

„Oder beim Versuch, sich neu zu definieren.“ „Ist das auch mit Bungeeseil?“ „Schluss jetzt, ich will das Wort nicht mehr hören!“ „Wir könnten ihn zeigen, wie er eigenhändig einen Armutsbericht zerreißt.“ „Cool wäre es, wenn er ihn vorher lesen würde.“ „Oder als Actionheld.“ „Klasse, welcher der zahlreichen Grabenkämpfe schwebt Ihnen da vor?“ „Finde ich nicht so gut, am Ende gewinnen da doch immer die anderen.“ „Und Brüderle traut sich nicht.“ „Und Niebel wird abserviert.“ „Und Westerwelle…“ „Ergebnisse, verdammt! ich will Ergebnisse sehen!“ „Oder wie er den Mövenpicks wieder die Mehrwertsteuer rauf setzt.“ „Blödsinn! Obwohl, warten Sie mal…“ „Vielleicht Tierheim?“ „Als was?“ „Irgendwas mit Hunden.“ „Mit niedlichen Hunden!“ „Au ja!“ „Das ist doch nicht cool, das ist…“ „Was kann der Mann eigentlich?“ „Schlips tragen, Sprüche klopfen. Und seinen Namen auf Englisch buchstabieren.“ „Und immer noch nicht Bundeskanzler?“ „Das führt uns doch nicht weiter.“ „Er hat eben kein Profil.“ „Meinen Sie?“ „Wenn er Profil hätte, könnte man ihn in den Stall stellen und da isst er dann Bioeier ohne Bio.“ „Oder Schimmellasagne.“ „Mit Schimmel?“ „Vom Schimmel.“ „Er hat aber mit Verbraucherschutz gar nichts zu tun.“ „Stimmt.“ „Ich meine das Ministerium.“ „Mit Wirtschaft hat er doch auch nicht viel am Hut.“ „Sie meinen, die Wirtschaft mit ihm.“ „Die behandeln ihn wie einen Wurmfortsatz, was sollen wir da große zeigen?“ „Ich finde…“ „Jetzt kein falsches Wort, sonst sind Sie gefeuert!“ „… wir könnten doch auch mal etwas Cooles aus der Wirtschaft zeigen.“ „Mit Rösler?“ „Wie soll das denn gehen?“ „Wenn er beispielsweise – ich meine jetzt nur als Beispiel, wenn er da…“ „Spannen Sie uns doch nicht auf die Folter, was soll er denn jetzt machen?“ „Arbeiten.“ „Bitte, was?“ „Arbeiten. Ganz normal für Geld, wie alle anderen.“ „Sind Sie vom wilden Mann gebissen worden?“ „Aber ich…“ „Hallo, Zentrale? Ja, wir können liefern. Wir hätten da etwas mit einem Bungeeseil.“





Arm dran

7 03 2013

„Das wird man in Deutschland doch wohl noch sagen dürfen!“ „Hören Sie mal, wenn Sie hier irgendeinen rechtspopulistischen Scheißdreck absondern wollen, dann halten Sie besser gleich die Klappe.“ „Nein, ich wollte ja nur über die FDP…“ „Sagen Sie mal, sitzen Sie auf Ihren Ohren!? Ich sagte: kein rechtspopulistischer Scheißdreck!“

„Aber es geht doch um den Armutsbericht.“ „Sie sagen das so ironisch?“ „Warum, was ist denn daran ironisch?“ „Naja, das Ding heißt doch: Armuts- und Reichtumsbericht.“ „Und?“ „Nach dem, was man gesichert weiß, scheint Armut gar nicht vorzukommen.“ „Das wollte ich doch gerade sagen: ich prangere an, dass hier eine ganze Reihe von Wahrheiten schlicht nicht mehr gesagt werden. Das darf doch nicht sein!“ „Natürlich dürfen Sie immer noch die Wahrheit sagen. Die Verfassung nimmt sie in Schutz. Nur die FDP eben nicht.“

„Warum hat eigentlich die von der Leyen so vehement widersprochen, als man ihr lückenlos die Komplizenschaft nachweisen konnte?“ „Sie konnte ausnahmsweise mal nicht jemand anderen für ihren Müll verantwortlich machen oder Forderungen stellen, dass die Sozialministerin jetzt aber sofort ein Auge auf die Verfehlungen der Sozialministerin zu werfen habe.“ „Sie sagt ja, der größte Teil sei drin.“ „Man hat nur kurzfristig die Vorzeichen gewechselt, die Milchmädchenrechnung ist immer noch erhalten.“ „Deshalb hat sie die komplette Redaktion, die größtenteils aus ersatzlosen Streichungen bestand, dem Wirtschaftsministerium überlassen.“ „Das war nicht schwer. Wichtigere Dinge lässt sie immer gerne von kompetenteren Kräften erledigen. Also eigentlich alles.“ „Und sie gibt sich dieser Vorstellung von Zensur einfach so hin?“ „Immerhin die einzige Sache, mit der sie sich einigermaßen auskennt.“

„Es war in der Originalfassung zu lesen von knapp über viel Millionen Menschen…“ „Wie bitte!? Sie können doch dieses Pack, das für seinen Lebensunterhalt arbeiten muss, nicht auch noch als Menschen bezeichnen.“ „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen!“ „Lassen Sie das mit dem Populismus, letzte Warnung!“ „Gut, knapp über vier Millionen Wirtschaftssubjekte…“ „Schon besser.“ „… verdienen brutto weniger als sieben Euro.“ „Gut so.“ „Dass sie unter sieben Euro verdienen?“ „Die Bundesregierung sagt sich: Hauptsache Arbeit.“ „Und zahlt den Arbeitnehmern dann auch noch Stütze.“ „Es gibt halt immer noch Subjekte, die den Hals nicht voll kriegen.“ „Ich dachte, ich sollte nicht mehr von der FDP anfangen?“ „Pardon, aber so war das nicht gemeint. Wir können doch nicht jeden in Deutschland durchfüttern, der sich in Armut befindet.“ „Und was macht man damit?“ „Was man immer macht, wenn eine Behörde daran beteiligt ist. Die Armut wegdefinieren.“

„Im ursprünglichen Bericht hatte auch gestanden, dass die Lohnentwicklung im oberen Bereich positiv steigend gewesen sei, die unteren Löhne in den vergangenen zehn Jahren aber gesunken seien. Die Einkommensspreizung habe demnach zugenommen.“ „Das muss man doch rausnehmen, haben Sie etwa die Entschuldigung nicht gelesen?“ „Warum druckt man das nicht ab?“ „Dies verletze das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung…“ „Wie bitte!?“ „… und könne den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden.“ „Das darf doch nicht wahr sein! Sie verschweigen das, was den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährdet, weil die Einkommensspreizung immer mehr voranschreitet, und geben als Entschuldigung an, dass sie die Bürger die Nachrichten nicht verkraften!“ „Richtig. Neoliberalismus heißt ja nicht nur, dass man die Bürger für dumm verkauft. Man lässt es sie auch wissen.“ „Würde das nicht den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden?“ „Jedenfalls nicht so sehr wie die Spreizung der Einkommen.“

„Darf man denn überhaupt noch von der Einkommensspreizung reden, oder ist das auch schon verboten?“ „Sie haben recht, das muss man in Neusprech ausdrücken. Das heißt jetzt strukturelle Verbesserungen.“ „Wieso strukturell?“ „Erstens ist das ein großartiges Schwammwort, und zweitens drückt man damit alles aus, was man selbst nicht beeinflussen kann, weil man nicht kapiert, an welchen Faktoren es hängt.“ „Gut, und was ist mit Verbesserungen?“ „Das stimmt ja auch. Oder sind Sie anderer Meinung?“ „Seit wann ist es eine Verbesserung, wenn die unteren Einkommen immer weiter schrumpfen?“ „Strukturell, ja? die unteren sinken ja nicht, sie steigen nur strukturell anders als die Spitzengehälter.“ „Wie anders?“ „Naja, negativ halt. Ist alles eine Frage der Interpretation.“ „Wo sind die Verbesserungen?“ „Man hat im Niedriglohnsektor so viele Möglichkeiten, durch tätige Solidarität unserem Staat finanziell unter die Arme zu greifen.“ „Wo, verdammt noch mal, sind die Verbesserungen!?“ „Bei den Reichen natürlich, oder was dachten Sie?“

„Wir haben also einen Vizekanzler, der den Arbeitnehmer, die ihre Miete nicht zahlen können, ein eigenes Haus empfiehlt.“ „Der Mann ist zu bedauern, das hätte er so gerne in den Reichtumsbericht geschrieben.“ „Das ist für den also gesellschaftlicher Zusammenhalt?“ „In einer Gesellschaft, wie sie sich der Vizekanzler vorstellt, hätte man ein Stück Menschenmüll wie ihn in der Gosse von Saigon verrecken lassen.“ „Pardon, das ist mir nun doch zu populistisch.“ „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen?“





Auf Pump

27 01 2013

für Kurt Tucholsky

Am allerschönsten Tage,
wo Jüngling heult und Greis,
mit Kranz und Schleppentrage
kommt an die Braut in Weiß.
Es hing in Mutterns Schränkchen,
bis heute hell wie Schnee,
an ihrer Seite Fränkchen
trägt einen Cutaway.
Auch wenn das Ding ihn kleidet,
die Sache ist besorgt;
da man die Kosten meidet,
ist dieses Stück geborgt.
    Ja, lass die Jahre ziehen –
    schau an, das war das Glück.
    Geliehen ist geliehen
    und muss einmal zurück.

Der Paule braucht Moneten.
Kein Rauch im Schornstein drin.
Das Geld geht ihm stets flöten,
die Rennbahn macht Gewinn.
Dabei gab ihm vor Wochen
Herr Eisenbeiß Kredit.
Jetzt kommt Paul angekrochen.
Ob diese Nummer zieht?
Ach was. Der Herr will Zinsen,
bevor er Knochen bricht.
Das ging glatt in die Binsen.
Der kennt das Mitleid nicht.
    Ja, lass die Jahre ziehen –
    schau an, das war das Glück.
    Geliehen ist geliehen
    und muss einmal zurück.

Einst lag er krank zu Tode.
Der Fipsi triumphiert.
Der Laden war marode,
jetzt hat er sich kuriert.
Schon gibt er sich gesetzter.
Es sind fast zehn Prozent,
sonst wäre Muttis Letzter
Ministerpräsident.
Er kalkuliert für morgen.
Sie bleibt wohl nicht verschont.
Er will sich alles borgen,
damit sich Leistung lohnt.
    Ja, lass die Jahre ziehen –
    schau an, das war das Glück.
    Geliehen ist geliehen
    und muss einmal zurück.





Auffangstation

21 01 2013

„Sind Sie da hinten, Rösler? Warten Sie noch einen Augenblick an der Kante. Ich bin gleich bei Ihnen. Nur einen kleinen Augenblick. Paar Sekunden, Rösler. Gleich. Dann können Sie springen.

Natürlich bin ich vom Kriseninterventionsteam. Oder hatten Sie gedacht, ich turne hier aus Jux und Tollerei auf dem Dach herum? Clown gefrühstückt, Rösler? Ja, so sehen Sie aus. Mein Ton? Was soll mit meinem Ton sein, Rösler? Haben Sie noch irgendwelche Sonderwünsche? Ich bin hier vom Sicherheitspersonal. Ich stelle sicher, dass Sie diesmal auch wirklich vom Dach hüpfen. Oder was hatten Sie sich vorgestellt? Dass Sie hier oben eine Runde schmollen können und wir irgendwann schon angelaufen kommen und betteln, dass Sie doch bitte herunterkommen? Geht’s noch!?

Ja sicher ist das hier roh. Das Leben ist nun mal kein Wunschkonzert, Rösler. Sie haben Nerven! Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, schon vergessen? Und wenn einer es nicht bringt, dann schmeißt man ihn weg. Nicht raus, Rösler. Die Zeiten sind vorbei. Weg. So ist das heute. Wer aus irgendeinem Grund nicht mehr gebaucht wird, zu alt, überqualifiziert, Fusion, der Firma geht’s zu gut – okay, trifft auf Sie alles nicht zu, aber egal – wer nicht gebraucht wird, den schmeißt man weg. Ab in die soziale Hängematte, ins Freizeitparadies Deutschland, wo man sich dann in spätrömischer Dekadenz wiederfindet. So hatten Sie sich das doch gedacht, oder? Na, dann denken Sie mal weiter.

Mitleid können Sie sich abschminken. Ich bin zwar vom offiziellen Kriseninterventionsteam, aber wir sind privatisiert worden. Nur noch Zeitverträge, 35-Stunden-Jobs, Schichtzuschläge weg, und das Gehalt ist seit sieben Jahren nicht erhöht worden. Ich mache hier nur noch Dienst nach Vorschrift. Rauf aufs Dach, anschnauzen, und wenn einer nicht freiwillig springt, gibt’s aufs Maul. Die unten in der Auffangstation hatten ja früher auch mal einen besseren Job, aber was soll’s. Wir sind hier nicht in einer sozialistischen Wohlfühloase, hier wird auf Kundenwunsch gearbeitet. Und was Ihre Partei mit Minderleistern macht, dürfte Ihnen bekannt sein.

Sie werden so behandelt, wie Sie die anderen behandelt haben. Ist doch nicht so schwer zu verstehen, oder? Jammern Sie nicht, Rösler. Erstens ändert es nichts an der Lage, und zweitens ist meine Zeit begrenzt. Das interessiert außerdem keine Sau mehr. Hier oben hört sie keiner. Und kommen Sie gar nicht erst auf den Gedanken, mit mir zu verhandeln. Ich kann nichts dafür, dass Sie in Ihrem Leben bisher nichts auf die Reihe gekriegt haben. Und außer Ihnen dürfte auch niemand dafür verantwortlich sein. Nein, ich will Ihre Kohle nicht. Und ich springe auch nicht für Sie da runter. Das ist mal wieder so typisch für Sie, Rösler. Geld in die Hand nehmen, das man nicht hat, um andere in die Scheiße zu reiten, nur damit man selbst nicht geradestehen muss für die Folgen seiner eigenen Dummheit. Großartig, Rösler. Ganz großartig.

Ich soll Ihnen Hoffnung machen? Prima Idee. Das ist ja für einen Bundesminister und Parteichef auch keine Sache, die man einfach mal selbst auf die Reihe kriegt. Schlage vor, wir machen das wie bei Ihrem Schleckerfrauen-Einsatz. Bestimmt gibt es für Sie eine Anschlussverwendung, Rösler. Der Bundestag ist ja groß, der hat siebenmal so viel Sitze wie FDP-Abgeordnete. Und wenn’s für den Bundesvorsitzenden nicht mehr reicht, dann tritt doch ganz bestimmt der Vorsitzende der FDP im Saarland für Sie zurück, nicht wahr? Ach was, Rösler, das schaffen Sie schon. Sie sind ja nur Nebenverdiener, richtig? Die Kohle bringt doch bei Ihnen auch die Frau ins Haus, stimmt’s?

Sie werden wohl wissen, was jetzt kommt. Beim letzten Durchgang waren Sie auf der anderen Seite. Und jetzt sind Sie dran, Rösler. Wir machen das so, wie Sie das von Westerwelle kennen. Bis Sonntag wurde Geschlossenheit geheuchelt und Loyalität markiert, und einen Tag danach wird dann mit Ihnen aufgeräumt. Bis gestern stand der ganze Laden noch hinter Ihnen und war wie besoffen von Ihren epochalen Leistungen als Wirtschaftsgenie, epochaler Vizekanzler und charismatischer Führer der einzig relevanten politischen Kraft der freien Welt. Ab heute sind sich alle einig, dass Sie ein peinlicher Popanz sind, Rösler. Ein Schnösel, der nicht einmal unfallfrei Arroganz spielen kann. Ein kleines, krähendes Milchbübchen. Sie werden so behandelt, wie Sie die anderen behandelt haben.

Extrawurst, was? Für Sie macht doch keiner einen Finger krumm. Die haben seit einem Jahr gesammelt, was die Presse über Sie schreibt. Vor lauter Loyalität und Siegesgewissheit konnte ja keiner ahnen, dass die Partei total im Eimer ist. Oder dass Sie daran schuld sein könnten, Rösler. Da war bis gestern keinem klar. Jetzt kriegen Sie den ganzen Sott eben ab. Aber trösten Sie sich, der Lindner hat Ihnen das alte Zeugs mitgebracht, das fühlt sich dann wenigstens ein wenig vertraut an. Dass er Westerwelle noch nie hat ausstehen können, dass Westerwelle ein Volldepp ist, dass man unter ihm nicht arbeiten konnte, weil der alles, was man in mühevoller Kleinarbeit aufbaut, sofort mit dem Hintern wieder einreißt – kennen Sie, oder? Das werden Sie jetzt auch hören. Die haben nur eben den Namen ersetzt. Aus reiner Höflichkeit.

Gut, dann wären wir so weit. Springen Sie, Rösler. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit. Sparen Sie sich die Volksreden, es glaubt Ihnen sowieso keiner mehr ein Wort. Einmal über die Brüstung, hopp, und weg. Los jetzt! Oder muss ich erst – gut so. Sehr gut. Schöner Aufschlag. Hallo, Kollegen? Der Nächste. Schickt mir Brüderle rauf.“





Dreikönigskläffen

7 01 2013

„Wer macht eigentlich den Vorsitzenden?“ „Aber wir haben doch jetzt…“ „Ich meine ja auch, wer kommt nach Brüderle.“

„Also jetzt mal langsam. Noch haben wir…“ „Eben. Noch.“ „Aber wenn…“ „Wird er aber nicht.“ „Und das wissen Sie genau?“ „Sie doch auch.“ „Ja, aber…“ „Dann sind wir uns ja einig. Und dann können wir schon mal sehen, wer nach Brüderle kommt.“ „Aber dazu müsste der doch auch erstmal den Vorsitzenden machen.“ „Macht er doch auch.“ „Er hat doch gesagt, er will nicht.“ „So deutlich hat er gesagt, dass er auf den Posten scharf ist?“ „Nein, er hat gesagt, dass er ganz loyal hinter Rösler…“ „Na, dann kann der ja schon mal einpacken.“ „Glauben Sie denn Brüderle nicht?“ „Sowieso nicht, aber wenn er schon derart deutlich zum Ausdruck bringt, dass sie Westerwelle…“ „Bitte!?“ „Pardon. Ich war im Jahr verrutscht.“

„Man muss doch diesen ganzen Nachfolgekram auch vernünftig regeln können.“ „Wie hatten Sie sich das gedacht? Dynastien? Erbfolge?“ „In der CDU beispielsweise…“ „Ach was. Da kommt’s doch nicht auf Politik an. Der breiteste Hintern gewinnt.“ „Klingt einleuchtend. Irgendwann landen die sowieso alle im Rollstuhl.“ „Eben. Und bei der SPD nehmen sie den, der am besten sämtliche sozialdemokratischen Ziele hintertreibt.“ „Dann geht das doch bei der FDP auch?“ „Was meinen Sie denn da genau?“ „In der FDP wird automatisch die dümmste Knallschote nach oben durchgereicht, ja?“ „Das wäre zu einfach. In der Geschäftsordnung ist ein ritueller Dolchstoß vorgesehen, ohne geht’s wirklich nicht. Tut mir leid.“

„Warum muss Rösler überhaupt weg?“ „Das ist eine Scherzfrage, oder?“ „Gar nicht. Ich würde nur gerne wissen, warum die bis jetzt gewartet haben.“ „Bis zum Parteitag?“ „Nein, überhaupt. Dass der Mann ein realitätsresistenter Pausenclown ist, dürfte doch seit zwanzig Jahren bekannt sein.“ „Hm. Da ist was dran.“ „Ob er zu ehrlich war?“ „Wie meinen Sie das?“ „Er hat gesagt, was Sache ist.“ „Sie meinen, als er gesagt hat, wir bräuchten noch mehr Ausbeutung, wir müssten das Tafelsilber verscheuern, und wer arbeitslos ist, soll sich einfach einen neuen Job suchen?“ „Richtig. Das geht doch nicht.“ „Das stimmt. In der FDP sagt man einfach nicht die Wahrheit.“ „Schon gar nicht, wenn die Wahlen kurz vor der Tür stehen.“ „Und weil er beschlossen hat, mit 45 aus der Politik auszusteigen.“ „Das geht auch nicht. Jetzt leistet er sich die Frühverrentung bei vollem Lohnausgleich.“ „Auch ungerecht. Die anderen müssen zusehen, dass die Wirtschaft so etwas wie sie überhaupt gebrauchen kann, und der kneift einfach den Schwanz ein.“ „Hoffen wir mal, dass er eine Anschlussverwendung bekommt.“ „Naja. Eher eine Abschussverwendung.“

„Und wenn Brüderle weg ist? Werden die alle in die Wirtschaft weitergereicht?“ „Zwangsläufig, das muss ja bis zur Bundestagswahl über die Bühne gehen.“ „Warum vorher?“ „So viele Pfeifen kriegen Sie im Wirtschaftsministerium nicht unauffällig eingestellt.“

„Dann bleiben jetzt: Niebel, Kubicki, Brüderle, Lindner.“ „Ah, Sie nehmen das sportlich?“ „Kann man sagen. Vierschranzentournee.“ „Den Lindner vergessen Sie mal wieder. Der tapst noch in seiner Eierschale herum.“ „Also Dreikönigskläffen.“ „Und wer macht das Rennen?“ „Viel wichtiger ist doch: wozu?“ „Für mehr Geschlossenheit in der Partei. Das sehen wir vor allem an den Landesverbänden.“ „Warum gerade da?“ „Weil die Landesverbände einen Sonderparteitag einberufen wollen.“ „Wenn Rösler zurücktritt?“ „Wenn er nicht zurücktritt.“ „Ich sehe schon, Sicherheit wird in der FDP wieder groß geschrieben.“ „Es ist wie auf dem freien Markt. Wobei die Regeln nur für die anderen gelten.“ „Und zum Schluss wird man gerettet.“ „Die Fallschirm-Mentalität.“ „So kenne ich den Laden.“

„Ein Problem könnte es noch geben.“ „Sie meinen, wenn Rösler bleibt?“ „So viel Sesselkleber hatte nicht mal Wulff unterm Hintern.“ „Dann könnte er jetzt bloß noch im Wahlkampf richtig am Rad drehen.“ „Eben. Die haben schon geschrieben, acht Prozent seien nicht der Meinung, dass Brüderle der bessere Parteivorsitzende sei.“ „Ist vertretbar. Wo wäre dann jetzt das Problem?“ „Stellen Sie sich das mal vor. Rösler hört ‚Acht Prozent‘ und…“ „Nee, schon klar.“

„Gut, dann lassen Sie uns jetzt mal Nägel mit Köpfen machen.“ „Passt irgendwie gar nicht zur FDP, oder?“ „Rösler bezeichnet alle Spekulationen über seinen Rücktritt als Hirngespinste.“ „Die FDP fliegt aus dem niedersächsischen Landtag.“ „Noch am Wahlabend macht Rösler die Unterwanderung Deutschlands durch stalinistische Arbeitsscheue für den Linksruck verantwortlich und lehnt jede persönliche Konsequenz ab.“ „Lindner nennt die Angriffe innerhalb der FDP blanken Rassismus wegen Röslers Migrationshintergrund.“ „Brüderle weist Gerüchte zurück, er wolle den Parteivorsitz beanspruchen, und stärkt Rösler demonstrativ den Rücken.“ „Niebel schließt sich Brüderle vollinhaltlich an.“ „Auf dem Sonderparteitag wird Rösler mit einer Stimme gegen den ganzen Rest als Vorsitzender abgewählt.“ „Brüderle wird Parteichef und verspricht ein grandioses Wahlergebnis von mehr als zwanzig Prozent.“ „Niebel schließt sich Brüderle vollinhaltlich an.“ „Lindner lässt in einer Pressemitteilung verlautbaren, er habe Rösler immer schon bekämpft, da dieser seine Vision von einem mitfühlenden Schmarotzerkapitalismus nicht in seine Parteitagsreden übernommen habe.“ „Niebel sagt, er sei kein Rassist, aber er freue sich darauf, seine Partei endlich ohne diese Fidschifresse regieren zu können.“ „Brüderle… ach, lassen wir das.“ „Die FDP versemmelt die Bundestagswahl.“ „Und dann?“ „Dann hat der Laden eine Niebelschlussleuchte.“





Armutszeugnis

29 11 2012

„… gebe der neue Bericht nun die Meinung der Bundesregierung wider und müsse daher nicht nochmals…“

„… halte bei Discountern der Trend an, Waren vor dem Erreichen des Mindesthaltbarkeitsdatums in den Müll zu werfen. Dies sei zahlreichen Geringverdienern geschuldet, die bei der Auswahl ihrer Lebensmittel viel qualitätsbewusster…“

„… solidarischer Aktionen bis hin zum kompletten Lohnverzicht, damit mehr Steuergelder für notleidende Banken statt für Griechenland…“

„… habe laut Vizekanzler Rösler die bisherige Sicht die kausalen Zusammenhänge nicht exakt gewichtet. Vielmehr liege die gefühlte Armut in Deutschland nur daran, dass immer mehr Arme…“

„… legten Beschäftigte im Niedriglohnsektor vermehrt Wert auf Wohnkultur. Die Zahl der Umzüge in kleinere Altbauwohnungen mit Ofenheizung spreche für das Bedürfnis nach mehr Originalität, namentlich in den Slums von…“

„… gestiegenes Unrechtsbewusstsein. Da auf 1400 Euro Steuerhinterziehung inzwischen fast ein ganzer Euro unberechtigt gezahlter Sozialleistungen kämen, erwarte man durch ein a priori vermitteltes Schuldbewusstsein einen erheblichen Rückgang der Hartz-IV-Anträge. Die Bundesagentur zeige sich kompromissbereit, den Armen mit mehr Druck und Verachtung zu…“

„… begrüße der Einzelhandel Lohnkürzungen und harte Einschnitte bei den Sozialleistungen. Da Arme nun nicht mehr so viel konsumierten, könne sich das Personal nun intensiver um die Besserverdienenden…“

„… begeistere sich die Bevölkerung mehr und mehr für die Klimaziele der Kanzlerin, die schon immer eine entschiedene Gegnerin der Atomkraft gewesen sei. Eine Umwelt-Avantgarde aus Erwerbslosen versuche derzeit durch Stromsperren und Energieverzicht, die Forderungen ihres Idols Peter Altmaier bundesweit populär zu…“

„… sich die trendgerechte Mobilität der Hipster zum Vorbild nähmen. Immer mehr Berufsaussteiger seien heute obdachlos, um das Ideal der Freiheit, wie sie Bundespräsident Gauck und die FDP…“

„… Tendenz zu gemeinschaftlichen Aktivitäten, die sogar außerhalb der Arbeitszeit unternommen würden. So besuche ein Großteil mehrmals pro Woche die Tafeln, um mit Gleichgesinnten in fröhlicher Runde einen netten…“

„… eine kausale Verbindung von Erwerbsarmut und Bildungsdefiziten zu erkennen. Die meisten Jugendlichen seien inzwischen nicht mehr davon überzeugt, dass die Bildungsdefizite auf Seiten der Bundesregierung…“

„… gesundheitsbewusste Ernährungsweise in den unteren Dezilen. Man finde vor allem eine Reduktion um dreißig Prozent der Kosten für drei Monate, die sich als sogenannte Hartz-Diät größter Beliebtheit…“

„… direkten Unterstützung für Staatskonzerne. Da weniger Arme sich Mobilität leisten könnten, verkaufe die Deutsche Bahn AG weniger Tickets, müsse so noch weniger auf Unpünktlichkeit Rücksicht nehmen und konzentriere sich ganz auf defekte Klimaanlagen, Datenschutzlecks, den geplanten Börsengang sowie…“

„… für strukturelle Verbesserungen am Arbeitsmarkt. Rösler unterstütze die Meinung der Bevölkerung, durch sinkende Löhne könne insgesamt das Lohnniveau steigen, durch mehr Arbeitslose könne man Vollbeschäftigung erzeugen und durch Steuersenkungen gäbe es…“

„… sich die drohende Altersarmut immer mehr entschärfe. Von der Leyen habe dabei insbesondere Hartz IV als Trainingsprogramm gelobt, um im Alter trotz Mangelernährung möglichst lange überlebensfähig zu…“

„… sich Arbeitslose auch aus Rücksicht versteckten und nur noch in besonders abgeteilten und bewachten Arealen aufhielten. Die ALG-II-Bezieher hätten Sorge, ihr anstrengungsloser Wohlstand könne den Neid von Investmentbankern und anderen anständigen Staatsbürgern…“

„… gebe es im Gegensatz zum Bundeshaushalt kaum sinnlose Neuverschuldung. Die Niedriglöhner neigten nicht zur Anschaffung von Motorjachten, Oldtimern und Pelzmänteln, selten erworben würden auch Fußballvereine, Banken oder…“

„… sich für eine Vermögenssteuer aussprächen. Die zweckgebundene Abgabe solle nach dem Willen der Bürger für Vermögende in Not genutzt werden, etwa für Niebels Auslegeware oder die…“

„… die Neigung der Erwerbslosen zum Suizid ein Anzeichen von gestiegener Eigenverantwortung im Gesundheitssystem sei. Bahr führe die Welle an Selbsttötungen darauf zurück, dass Sterbehilfe bei unheilbaren Krankheiten nicht von den Kassen…“

„… Bruttostundenlöhne von weniger als sechs Euro gefordert. Nur konsequenter Lohnverzicht sei eine geeignete Solidarmaßnahme, um die Profite der Wirtschaft nicht zu gefährden. Viele Arbeiter und Angestellte sprächen sich inzwischen auch dafür aus, ganz auf Gehälter zu…“

„… müsse auch Bildung wieder eine Rolle spielen. Da immer mehr Jugendliche die Schule abbrächen, verzeichne man proportional auch weniger schlechte Abschlüsse, so dass von einer durchschnittlich höheren Qualifikation für den…“

„… ein größeres kulturelles Bewusstsein für deutsche Traditionen. Nicht nur ehemalige DDR-Bürger seien wieder an Zensur, Schnüffelei und…“

„… immer mehr Angehörige des Prekariats ein neues Lebensgefühl entwickelten. Vermehrt komme es nach Aussage von der Leyens zu Brotmangel, der aber durch Kuchen…“

„… sich Arbeitslose durch Eigeninitiative fit hielten. Sportarten wie Pfandflaschensammeln und Papierkorbtauchen seien Ausdruck der anhaltenden Daseinsfreude von jungen und alten…“

„… in den folgenden Legislaturperioden der besten Bundesregierung seit der Wiedervereinigung nicht mehr zu erwarten sei. Das Kabinett verzichte künftig auf wirtschaftliche oder soziale Erwägungen, die Regierung kenne sich ohnehin nur mit geistiger Armut aus und wolle daher…“





Und tschüss

21 11 2012

„Nein, es liegt wirklich nicht an Dir. Du bist ein wunderbarer Mensch, und wenn ich könnte, würde ich ja nicht – wirklich, das musst Du mir einfach glauben, ich – ruf mich bitte nicht mehr an, ja? Ich will Dich so in Erinnerung behalten, wie Du warst!

Meine Güte, die Alte war wirklich schwer von Begriff. So was liebe ich ja. Das versüßt einem glatt den Beruf. Ernsthaft, zwei von denen an einem Tag, dann brauche ich eine Therapie. Obwohl, ich will mich nicht beschweren. In dem Job hier wird man nur was, wenn man einen kühlen Kopf behält. Ich bin Schlussmacher. Und ich schaffe jeden Fall.

Man darf sich da eben nicht reinziehen lassen. Emotional und so. Aber sonst ist das ein guter Job. Man freut sich dann immer, dass man nicht selbst mit solchen Charakterleichen konfrontiert wird. Oder am Ende eine von denen ist. Das macht einen dann innerlich wieder stark, und man zieht den nächsten Fall durch.

Glauben Sie mir, Ihre Frau hat alles versucht. Ich kann sie sehr gut verstehen – und wenn Sie mich fragen, dann weiß ich nicht, warum sie es so lange mit Ihnen ausgehalten hat. Vergessen Sie’s einfach. Sie haben keine Chance mehr. Lassen Sie es gut sein, und gehen Sie Ihrer Wege. Davon, dass Sie jetzt rumheulen, wird’s ja auch nicht besser. Also finden Sie sich damit ab. Und ein Tipp von mir: klappen Sie gefälligst den Klodeckel runter, Sie Neandertaler.

Die kleinen kommunikativen Hindernisse. Dieser eklatante Unterschied zwischen Selbstbild und Wirklichkeit. Früher oder später kommt die Erkenntnis, dass man möglicherweise nicht den Richtigen hat. Dann fragt man sich, ob man sich trennen soll – und oft kann man es dann gar nicht. Zu wenig Mut, zu viel eingefahrene Muster, man lebt immer noch in der Vergangenheit, alles irgendwie rosa, der Himmel hängt voller Geigen, das kann doch nicht alles gewesen sein – und dann hängt man plötzlich in einer Beziehung fest, bei der man weiß, dass es nur Verlierer geben kann. Und dann komme ich. Keine Schuldgefühle, keine Szenen, kein Rosenkrieg. Cleane Angelegenheit.

Raff das mal, Baby. Dein Hintern braucht inzwischen mehr Quadratmeter als der Kleinbus. Du kostest. Und Du bist stinkend faul. Der einzige, der Dich vermissen wird, ist der Kühlschrank. Und jetzt geh bitte. Die Nachbarn haben den Schampus kalt gestellt und ich will nicht zu spät kommen.

Vor allem Vorwürfe. Da muss man immer sehr vorsichtig sein. Das würde natürlich sofort auf Sie selbst zurückfallen. Kommunikation, verstehen Sie? Warum habe ich es zehn Jahre lang nicht geschafft, ihr zu sagen, dass ich ihre bescheuerten Plüschtiere nicht ausstehen kann? Das fällt mir natürlich dann auf die Füße, ich habe den Schwarzen Peter, und dann haben wir plötzlich eine Eskalation, bei der die ganze Trennung über den Haufen geworfen wird. Nichts mehr mit kontrollierter Emotion und so, keine einfache Angelegenheit. Und noch ein Tipp: lassen Sie sich nie auf irgendwelche Deals ein. Er hat zwanzig Jahre lang Ihren Geburtstag vergessen? Dann wird er sich ganz bestimmt nicht daran erinnern, sobald er Sie wieder am Haken hat. Das läuft auf Selbstbetrug hinaus. Und wer will das schon.

Du hast mich vom ersten Augenblick an enttäuscht. Ich hätte auf die Warnungen hören sollen – hinterher ist man immer klüger. Ich habe es immer wieder versucht, und Du hast einfach keine einzige Chance wahrgenommen. Nein, Du hast Dich einfach nicht bemüht. Du hast das alles als vollkommen selbstverständlich hingenommen, und Du wolltest Dich nicht einmal dafür entschuldigen. So geht das nicht. Ich will nicht mehr.

Kein allerletztes Mal. Du hast Dein allerletztes Mal schon gehabt, und Dein allerallerletztes Mal und Dein allerallerallerletztes Mal auch. Das war das vorige Mal gewesen, wenn ich mich recht entsinne. Egal. Es gibt kein allerletztes Mal mehr, hörst Du? Du hast die Sache gründlich vergeigt. Ich glaube Dir einfach nicht mehr. Du hast es gehabt.

Nein, ich glaube Dir nicht mehr. Du hast vom ersten Augenblick an gelogen. Und das weißt Du ganz genau. Ich habe keine Lust mehr. Nein, ich will überhaupt nichts mehr davon wissen. Es ist aus, kapier das bitte endlich.

Wir sollten uns allerdings eine Zeit lang nicht mehr sehen. Eine ziemlich lange Zeit lang. Nämlich überhaupt nicht mehr. Wozu denn? Dir geht’s doch prächtig, oder? Wer erzählt denn jedem, was für ein toller Hecht er sei? wie viele Freunde er habe und wie beliebt er wäre? Na? Schön, dass Du mich brauchst. Das beruht nur nicht auf Gegenseitigkeit. Und die Tatsache, dass Du mich immer nur dann gebraucht hast, wenn Du mich gerade gebrauchen konntest, ist ja nun auch nicht neu. Du hast doch so ein tolles Leben und bist so wichtig und erfolgreich. Dann brauchst Du mich ja doch wohl nicht mehr.

Nein, es gibt keinen Neuen. Ich würde es Dir sowieso nicht erzählen. Wozu auch, Dein Niveau reicht eh nicht aus, um Dich mit ihm zu unterhalten. Also zieh jetzt endlich Leine. Wir sehen uns im übernächsten Paralleluniversum. Bis dahin Ruhe im Karton. Tschüss. Und gut. Und komm mir nicht mit der üblichen Masche, ich kenne den Text schon. Danke fürs Gespräch. Nein, ich will nicht noch einmal darüber reden. Danke, Fipsi. Du wirst sicher irgendwann eine Partei finden, die Dich ernst nimmt.“





Lebensleistung

7 11 2012

„Das war jetzt der Durchbruch!“ „Was meinen Sie genau?“ „Der Koalitionsgipfel, der war jetzt der Durchbruch.“ „Doch, Sie haben recht. Wenn Sie die Kuh vom Eis holen wollen und sich dabei zu weit hinauswagen – dann war das der Durchbruch.“

„Aber mal Spaß beiseite. Dies Betreuungsgeld – was soll das denn?“ „Wissen Sie das nicht?“ „Ich weiß es nicht.“ „Schade, sonst wären Sie jetzt bestimmt schlagartig berühmt.“ „Wieso jetzt dies?“ „Weil keiner weiß, was das soll. Und die, bei denen man so leicht das Gefühl haben könnte, dass sie etwas damit zu tun haben, dass es doch jemand weiß, die sagen nichts.“ „Weil sie es nicht wissen?“ „Doch – aber die wissen es besser.“ „Deswegen sagen die nichts?“ „Kein Wort. Die glauben höchstens daran.“ „Das ist schon wieder mehr zu verstehen.“ „Dass die daran glauben?“ „Weil die ja sonst dran glauben müssten.“ „Auch wieder wahr.“

„Aber ich verstehe nicht, warum kommt denn das Betreuungsgeld erst im August?“ „Das ist Taktik.“ „Wegen der Finanzen?“ „Wegen der Bundestagswahl. Wenn es so kurz vor der Wahl kommt, danken die Profiteure umso freudiger der Union, und die Gegner haben sich noch nicht warm geärgert.“ „Und das wird jetzt als großes Sozialprojekt in den Himmel gehoben – wem nützt denn das etwas?“ „Denken Sie doch einmal an die Verwaltung.“ „Das muss doch geprüft werden?“ „Ja, das ist wie mit den Hartz-Gesetzen. Das muss alles vorher geprüft und dann bewilligt werden, dann wird gemeldet und kontrolliert, und dann haben wir einen schönen neuen Wasserkopf in der Behörde, der mindestens die Hälfte des Geldes wieder auffrisst.“ „Und das nennen Sie sozial?“ „Es schafft schließlich viel mehr Arbeit im öffentlichen Dienst.“ „Es gibt dort neue Arbeitsplätze?“ „Nein, aber darum geht’s ja auch nicht. Sozial ist, was Arbeit schafft. Und wenn der Beamtenapparat wegen der ganzen Formulare durchglüht, ist das doch richtig sozial. Auch, wenn unten nichts mehr von der Kohle ankommt.“ „Also doch wie Hartz.“

„Immerhin ist das jetzt in Europa wieder ein Zeichen für mehr Gerechtigkeit.“ „Wie bitte!?“ „Unsere Europa-Kanzlerin kann endlich vor unseren Landsleuten verkünden, dass sie für Gerechtigkeit gesorgt hat.“ „Ich höre immer nur Gerechtigkeit, wie erklären wir denn den anderen Euroländern, dass sie sparen sollen, wenn Deutschland die Kohle mit beiden Händen zum Fenster rausschmeißt?“ „Das ist ja die Gerechtigkeit. Wir haben so viel für Europa ausgegeben, jetzt müssen wir den Rest eben für uns behalten. Zum Ausgleich.“

„Was soll denn eigentlich der Müll mit der Lebensleistungsrente?“ „Dann denken Sie mal scharf nach.“ „Diese Lebensleistungsrente bringt zehn Euro mehr als die Mindestrente.“ „Kleinvieh macht auch Mist.“ „Müssen Sie jetzt so über den Rösler herziehen?“ „Keinesfalls, ich wollte nur –“ „Und das nur, wenn Sie eine Privatversicherung abgeschlossen haben.“ „Wo ist denn das Problem?“ „Die Arbeitnehmer, die diese Rente brauchen, können sich eine private Absicherung überhaupt nicht leisten!“ „Die Arbeitnehmer, die diese Rente brauchen, würden auch mit zehn Euro mehr im Alter weiter am Hungertuch nagen.“ „Dann frage ich mich, wozu wir diese blöde Rente überhaupt noch brauchen.“ „Die staatliche oder die private?“ „Das ist doch alles völlig unrealistisch.“ „Natürlich, aber das ist doch der Punkt. Keiner braucht diese Renten. Die Arbeitnehmer sollen ja schließlich sparen.“ „Und warum gibt es dann diese Privatversicherung überhaupt?“ „Weil der Bürger schließlich mehr Eigenverantwortung übernehmen muss. Auch für zehn Euro mehr im Monat.“

„Aber jetzt mal Hand aufs Herz: warum heißt dieser Schrott denn Lebensleistungsrente?“ „Weil die Bundesregierung endlich für klare Verhältnisse sorgt.“ „Wie, klare Verhältnisse?“ „Zum einen macht sie uns klar, dass sie immer noch denkt: Leistung lohnt sich wieder.“ „Seit wann denn das?“ „Das dachte sie schon im letzten Wahlkampf.“ „Geschenkt, ich will wissen, seit wann sich Leistung lohnt. Hat sich Leistung je gelohnt?“ „Das entzieht sich meiner Kenntnis, zumindest in Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland. Es geht ja nur darum, dass die Bundesregierung immer noch das glaubt, was sie schon immer geglaubt hat.“ „Und was bitte ist daran klar?“ „War Ihnen nicht klar, dass diese Regierung außerstande ist, irgendeine adäquate Reaktion auf Tatsachen zu zeigen?“

„Und zweitens?“ „Zweitens dürfen Sie davon ausgehen, dass Sie Leistungsträger sein müssen, bevor Ihnen das vergolten wird.“ „Sie meinen, ich muss in meinem Leben etwas geleistet haben?“ „Sie hören mir nicht zu.“ „Wo höre ich Ihnen denn nicht zu? Leistung, oder?“ „Sie sind kein Leistungsträger. Ob Sie etwas leisten oder nicht, ist dafür unerheblich.“ „Was soll denn diese Wortklauberei, außerdem – Leistung tragen? wie soll das bitte funktionieren?“ „Sie haben es erfasst, es funktioniert eben nicht.“ „Und den Stuss denkt sich eine Physikerin aus!?“ „Naja, eigentlich hat sich Westerwelle den Blödsinn ausgedacht, aber der ist halt vielseitig ungebildet.“

„Und drittens?“ „Drittens sehen Sie hier das Leistungsprinzip in seiner ganzen Lebendigkeit.“ „Reden Sie doch keinen Quark! Wer leistet denn hier etwas?“ „Wir uns die Bundesregierung. Und die leistet sich eine ganze Menge.“ „Verdammt, was ist daran klare Kante? was hat das alles mit Lebensleistung zu tun? Zehn Euro!?“ „Damit sie mal klar sehen.“ „Was denn?“ „Was der Regierung Ihre Lebensleistung wert ist.“