„Das müssen Sie uns erklären, Schüler.“ „Es ist der genialste Coup, den man sich vorstellen kann. So etwas hat die Welt noch nicht gesehen.“ „Finde ich nicht.“ „Finde ich auch.“ „Also: auch nicht?“ „Als erstes wüsste ich schon gern, warum sich Hannelore Kraft jetzt als Retterin der SPD aufspielt. Das war doch kein Sieg – das war doch eine Blamage, was wollen Sie eigentlich?“ „Wir pusten Sie alle weg. Erst NRW, dann Berlin. Kraft ist die kommende Frau.“ „Sie meinen, jetzt wo Drohsel sich abmeldet, reicht Nahles nicht mehr für einen Selbstmord?“
„Jetzt mal Ruhe, Genossen! Schüler, erklären Sie uns das Konzept. Was macht Kraft denn jetzt?“ „Sie greift Merkel an.“ „Wie soll das denn bitte funktionieren?“ „Unsinn, das kann ja gar nicht…“ „Bitte, lassen Sie ihn doch ausreden.“ „Dann soll er mal erzählen, mit welchen Waffen!“ „Konsequentes Nichtstun. Aussitzen und die Fehler den anderen überlassen.“ „Das einzige, was die Kanzlerin ohne fremde Hilfe hinkriegt.“ „Auch nicht immer.“ „Aber meistens doch!“ „Und was bringt das? was bringt das konkret der SPD?“ „Rot-Grün, wie es gedacht war.“ „Also Agenda 2020 mit noch mehr Afghanistan?“ „Quatsch, eine Politik der ruhigen Hand, bei der die anderen so viel meckern können, wie sie wollen, weil sie niemand hört.“ „Sie meinen Durchregieren?“ „Nein, nur endlich mal jemand, der nicht gleich das Falsche macht.“ „Nicht nur das, sie hat erst mit der FDP geredet und abgewartet, bis die Pinkwarzen ihrem zukünftigen Ex-Vorsitzenden nachlaufen.“ „Sie wusste doch schon vorher, dass das die FDP nicht auf die Reihe kriegt.“ „Auch das, aber soll sie sich hinstellen und den Westerwelle-Club als notorische Umfaller bezeichnen?“ „Wo ist da der Nachrichtenwert?“ „Eben, deshalb war das auch nicht Teil der Agenda.“ „Sondern?“ „Dass die FDP nicht kann.“ „Sie meinen: nicht will.“ „Nein, nicht kann. Sie sind Steigbügelhalter. Chronische Juniorpartner. Die, die selbst nichts hinkriegen, wenn sie Verantwortung übernehmen sollen. Nicht in Berlin, nicht in Düsseldorf. Sie brauchen einen Chef, der die Arbeit selbst erledigt.“ „Und wo ist da der Pferdefuß für die Liberalen?“ „Dass sie selbst da, wo es um staatsbürgerliche Verantwortung geht, Heuchler sind. Sie wollten mit aller Macht eine Koalition mit den Linken verhindern – und haben alles getan, um das nicht erreichen zu müssen.“
„Und das mit den Linken war dieselbe Tour in Lila?“ „Falsch. Raten Sie mal, warum diese Fragen zur SED-Vergangenheit kamen.“ „Weil ihr nichts einfiel, wie sie ihre Voreingenommenheit noch deutlicher unter Beweis stellen konnte?“ „Weil sie Kontinuität zeigen wollte.“ „Zwischen der DDR und den Linken?“ „Das auch. Die hatten ja mehr aus Wahlkampfgründen Kreide gefressen und fanden hinterher nicht alles schlecht im real existierenden Stalinismus. Aber vor allem natürlich in der eigenen Linie: nicht regierungswillig.“ „Die SPD?“ „Blödsinn! Die Linken natürlich.“ „Das hatte Kraft doch den ganzen Wahlkampf durch…“ „Eben. Deshalb musste sie es auch noch einmal für die Galerie zeigen.“ „Dazu hätte es doch nur das Parteiprogramm der Linken gebraucht.“ „Aber so weiß es jeder. Ypsilanti wird sich nicht wiederholen und die internen Kritiker haben keinen Grund, an Kraft zu zweifeln.“ „Schüler, Sie liegen da völlig falsch, es ist…“ „Das ist noch nicht alles. Sie hat damit gezeigt, was die Linke will.“ „Nämlich?“ „Nicht regieren. Sie wollen nicht regieren. Sie haben sich bewusst in den Landtag wählen lassen, um die Regierungsarbeit zu verweigern. Sie nennen sich Sozialisten, prangern den Neoliberalismus und seine Selbstbedienungsmentalität an, und sie selbst lassen sich alimentieren für eine Aufgabe, die sie ablehnen.“ „Damit sind sie beim nächsten Mal weg vom Fenster.“ „Erraten. Das war Sinn der Sache.“
„Und jetzt? Sie kann doch nicht alle Partner vor die Tür setzen.“ „Warum nicht? Sie macht es wie Merkel“ „Das mit dem Lagerwahlkampf?“ „Das mit den Partnern. Sie spielt sie kaputt. Erst die SPD, jetzt die FDP. Die Grünen sind als nächste dran. Kraft macht es wie Merkel – nur besser.“ „Wieso macht sie es besser? Ist sie effektiver?“ „Sie drückt ihre Gegner nicht an die Wand. Sie stellt ihnen hier und da ein Bein. Auf die Schnauze legt sich dann jeder selbsttätig. Das ist nicht nur eleganter, es spart auch viel Energie. Merkel lernt noch Beten, das kann ich Ihnen flüstern.“
„Trotzdem, wenn sie jetzt der CDU ein Angebot für eine Koalition macht…“ „Macht sie? Nicht, dass ich wüsste.“ „Aber es wird doch Gespräche geben.“ „Das interpretieren Sie möglicherweise so. Sie lässt nur die CDU auflaufen, das ist alles. Die Leute wollen ja einen Politikwechsel, sonst hätten sie Rüttgers nicht rausgeworfen.“ „Weshalb dann die Gespräche?“ „Ich bitte Sie, was haben Sie denn die ganze Zeit mit Ihren Gesprächen? Es gibt keine, es wird nie welche geben. Die Unionisten werden genau eine Chance haben, festzustellen, dass man sich in der Sache nicht einigen kann. Damit gehen sie vor die Presse, und dann ist die Sache gelaufen.“ „Und dann kommt was?“ „Neuwahlen.“ „Wozu?“ „Für Rot-Grün.“ „Und das soll klappen?“ „Die FDP wird in ihrem momentanen Zersetzungsprozess möglicherweise gegen die Sperrklausel brettern, die Linke mit Sicherheit. Es wird überhaupt nur noch eine denkbare Konstellation geben.“ „Das riecht nach einem gewaltigen Aufbruch für 2013.“ „Außerdem gibt das einen genialen Wahlslogan. ‚Wir haben die Kraft.‘ Diesmal stimmt er sogar.“ „Überzeugt, Schüler. Gute Arbeit, sehr gute Arbeit. Dann machen Sie mal einen Termin mit Herrn Rüttgers.“
Satzspiegel