Kraftpaket

24 05 2010

„Das müssen Sie uns erklären, Schüler.“ „Es ist der genialste Coup, den man sich vorstellen kann. So etwas hat die Welt noch nicht gesehen.“ „Finde ich nicht.“ „Finde ich auch.“ „Also: auch nicht?“ „Als erstes wüsste ich schon gern, warum sich Hannelore Kraft jetzt als Retterin der SPD aufspielt. Das war doch kein Sieg – das war doch eine Blamage, was wollen Sie eigentlich?“ „Wir pusten Sie alle weg. Erst NRW, dann Berlin. Kraft ist die kommende Frau.“ „Sie meinen, jetzt wo Drohsel sich abmeldet, reicht Nahles nicht mehr für einen Selbstmord?“

„Jetzt mal Ruhe, Genossen! Schüler, erklären Sie uns das Konzept. Was macht Kraft denn jetzt?“ „Sie greift Merkel an.“ „Wie soll das denn bitte funktionieren?“ „Unsinn, das kann ja gar nicht…“ „Bitte, lassen Sie ihn doch ausreden.“ „Dann soll er mal erzählen, mit welchen Waffen!“ „Konsequentes Nichtstun. Aussitzen und die Fehler den anderen überlassen.“ „Das einzige, was die Kanzlerin ohne fremde Hilfe hinkriegt.“ „Auch nicht immer.“ „Aber meistens doch!“ „Und was bringt das? was bringt das konkret der SPD?“ „Rot-Grün, wie es gedacht war.“ „Also Agenda 2020 mit noch mehr Afghanistan?“ „Quatsch, eine Politik der ruhigen Hand, bei der die anderen so viel meckern können, wie sie wollen, weil sie niemand hört.“ „Sie meinen Durchregieren?“ „Nein, nur endlich mal jemand, der nicht gleich das Falsche macht.“ „Nicht nur das, sie hat erst mit der FDP geredet und abgewartet, bis die Pinkwarzen ihrem zukünftigen Ex-Vorsitzenden nachlaufen.“ „Sie wusste doch schon vorher, dass das die FDP nicht auf die Reihe kriegt.“ „Auch das, aber soll sie sich hinstellen und den Westerwelle-Club als notorische Umfaller bezeichnen?“ „Wo ist da der Nachrichtenwert?“ „Eben, deshalb war das auch nicht Teil der Agenda.“ „Sondern?“ „Dass die FDP nicht kann.“ „Sie meinen: nicht will.“ „Nein, nicht kann. Sie sind Steigbügelhalter. Chronische Juniorpartner. Die, die selbst nichts hinkriegen, wenn sie Verantwortung übernehmen sollen. Nicht in Berlin, nicht in Düsseldorf. Sie brauchen einen Chef, der die Arbeit selbst erledigt.“ „Und wo ist da der Pferdefuß für die Liberalen?“ „Dass sie selbst da, wo es um staatsbürgerliche Verantwortung geht, Heuchler sind. Sie wollten mit aller Macht eine Koalition mit den Linken verhindern – und haben alles getan, um das nicht erreichen zu müssen.“

„Und das mit den Linken war dieselbe Tour in Lila?“ „Falsch. Raten Sie mal, warum diese Fragen zur SED-Vergangenheit kamen.“ „Weil ihr nichts einfiel, wie sie ihre Voreingenommenheit noch deutlicher unter Beweis stellen konnte?“ „Weil sie Kontinuität zeigen wollte.“ „Zwischen der DDR und den Linken?“ „Das auch. Die hatten ja mehr aus Wahlkampfgründen Kreide gefressen und fanden hinterher nicht alles schlecht im real existierenden Stalinismus. Aber vor allem natürlich in der eigenen Linie: nicht regierungswillig.“ „Die SPD?“ „Blödsinn! Die Linken natürlich.“ „Das hatte Kraft doch den ganzen Wahlkampf durch…“ „Eben. Deshalb musste sie es auch noch einmal für die Galerie zeigen.“ „Dazu hätte es doch nur das Parteiprogramm der Linken gebraucht.“ „Aber so weiß es jeder. Ypsilanti wird sich nicht wiederholen und die internen Kritiker haben keinen Grund, an Kraft zu zweifeln.“ „Schüler, Sie liegen da völlig falsch, es ist…“ „Das ist noch nicht alles. Sie hat damit gezeigt, was die Linke will.“ „Nämlich?“ „Nicht regieren. Sie wollen nicht regieren. Sie haben sich bewusst in den Landtag wählen lassen, um die Regierungsarbeit zu verweigern. Sie nennen sich Sozialisten, prangern den Neoliberalismus und seine Selbstbedienungsmentalität an, und sie selbst lassen sich alimentieren für eine Aufgabe, die sie ablehnen.“ „Damit sind sie beim nächsten Mal weg vom Fenster.“ „Erraten. Das war Sinn der Sache.“

„Und jetzt? Sie kann doch nicht alle Partner vor die Tür setzen.“ „Warum nicht? Sie macht es wie Merkel“ „Das mit dem Lagerwahlkampf?“ „Das mit den Partnern. Sie spielt sie kaputt. Erst die SPD, jetzt die FDP. Die Grünen sind als nächste dran. Kraft macht es wie Merkel – nur besser.“ „Wieso macht sie es besser? Ist sie effektiver?“ „Sie drückt ihre Gegner nicht an die Wand. Sie stellt ihnen hier und da ein Bein. Auf die Schnauze legt sich dann jeder selbsttätig. Das ist nicht nur eleganter, es spart auch viel Energie. Merkel lernt noch Beten, das kann ich Ihnen flüstern.“

„Trotzdem, wenn sie jetzt der CDU ein Angebot für eine Koalition macht…“ „Macht sie? Nicht, dass ich wüsste.“ „Aber es wird doch Gespräche geben.“ „Das interpretieren Sie möglicherweise so. Sie lässt nur die CDU auflaufen, das ist alles. Die Leute wollen ja einen Politikwechsel, sonst hätten sie Rüttgers nicht rausgeworfen.“ „Weshalb dann die Gespräche?“ „Ich bitte Sie, was haben Sie denn die ganze Zeit mit Ihren Gesprächen? Es gibt keine, es wird nie welche geben. Die Unionisten werden genau eine Chance haben, festzustellen, dass man sich in der Sache nicht einigen kann. Damit gehen sie vor die Presse, und dann ist die Sache gelaufen.“ „Und dann kommt was?“ „Neuwahlen.“ „Wozu?“ „Für Rot-Grün.“ „Und das soll klappen?“ „Die FDP wird in ihrem momentanen Zersetzungsprozess möglicherweise gegen die Sperrklausel brettern, die Linke mit Sicherheit. Es wird überhaupt nur noch eine denkbare Konstellation geben.“ „Das riecht nach einem gewaltigen Aufbruch für 2013.“ „Außerdem gibt das einen genialen Wahlslogan. ‚Wir haben die Kraft.‘ Diesmal stimmt er sogar.“ „Überzeugt, Schüler. Gute Arbeit, sehr gute Arbeit. Dann machen Sie mal einen Termin mit Herrn Rüttgers.“





Auf Kohle geboren

18 05 2010

„Das hat meines Erachtens keinen Zweck. Wenn wir hier laufende Meter Bewerber ohne jede Qualifikation ins mittlere Management reindrücken, gefährden wir den Wirtschaftsstandort Deutschland. Nein, wirklich nicht. Es geht so nicht. Ja, das will ich Ihnen gerne verraten: weil wir momentan mit solchen Leuten die Ruhr zukippen können. Haben Sie in den letzten fünfundzwanzig Jahren mal so etwas wie eine Arbeitslosenstatistik in die Finger gekriegt, Kollege? Na, da bin ich aber beruhigt.

Das hat ja auch schon sehr viel Schönes, aber was genau soll ich mir jetzt darunter vorstellen? Soso, ein Studium der Rechtswissenschaft? das qualifiziert noch mal genau wozu? Hat nie in dem Beruf gearbeitet, also kann ihm das auch nicht als Qualifikationshindernis angerechnet werden? Sagen Sie mal, wollen Sie hier witzig werden, Männeken?

Museumsführer? Da können Sie den doch nicht von den Exponaten unterscheiden. Und wieso wollen Sie den überhaupt in den Publikumsverkehr rein haben, ich dachte, er verzieht sich jetzt endlich mal und geht dahin, wo er hergekommen ist? Was mit Medien? dann lassen Sie den Typen doch Zeitungsverkäufer werden. Medien, hallo – wir hier in NRW oder was? Noch alle Latten am Zaun, Sie Torfkopp? Was wird das denn hier? Das Ekel von Datteln? Was mit Medien, an was hätten Sie denn da so gedacht? Regionalfernsehen? Ach, ZDF? Da bringen Sie ihn unter, wenn seine Parteifreunde was ausgeguckt haben? Mann Gottes, Sie haben Humor – allein dies Gebissgezische, das geht doch nicht!

Laienprediger, so sehen Sie aus. Da war wohl Ihr Bauchgefühl mit im Spiel, was? Oder glauben Sie, der Alte recycelt seine Karnevalsrede noch mal im Kölner Dom? Spendensammler in der Kirche, Sie sind wohl mall – dem Mann drückt doch nicht mal der Erzbischof von Paderborn noch freiwillig den Klingelbeutel in die Hand! Und überhaupt Kirche, was soll das Ganze. Der Mann ist zu allem fähig? Das meinen Sie. Der ist vor allem zu nichts mehr zu gebrauchen.

Musiklehrer? Unser Denkzettel als Musiklehrer, was soll denn das nun wieder werden? Wollen Sie die Kinder jetzt schon im Vorschulalter in den Wahnsinn treiben? Sofortprogramm zur Rettung des deutschen Volksliedes? Diesen Rohrkrepierermist haben Sie immer noch auf dem Radar? Wie wäre es denn mit Bergbau? Er ist doch unser Arbeiterführer! Auf Kohle geboren, auf Kies gefurzt, der Onkel Jürgen, da kann er wullacken, oder? Bis jetzt hat er ja immer nur gegen die faulen Rumänen gehetzt, dann drücken Sie ihm mal ’ne Hacke in die Hand. Da kann er mal zeigen, was er in’n Pütt drauf hat. In den Schacht mit dem Mann! Mit dünner Luft kennt er sich ja bestens aus!

Losverkäufer, das wäre noch was. Ahnungslos, taktlos, geschmacklos, und jetzt zur Abwechslung mal arbeitslos. Soll er eben seinen Nachbarn fragen, den Brummifahrer. Ja, sagt er. Er fragt immer den Nachbarn, wenn er politische Entscheidungen treffen muss. Die Landespolitik in unserem schönen NRW wird von einem anonymen Lasterfahrer aus Pulheim gestaltet. Wozu wir hier noch einen Ministerpräsidenten brauchen? Was fragen Sie das denn mich, Sie Flitzpiepe?

Mann, was interessiert mich das – Sie sind doch hier der Berater! Wenn Sie den Wahlkampf für Ihren Herrn Ministerpräsidenten nicht rund gekriegt haben, weil auf einmal alle Ihre Angestellten zu den Ruhrbaronen überlaufen, ist das Ihr Problem oder ist das Ihr Problem? Hätten Sie sich halt ein paar Chinesen kaufen sollen, die sind kritikresistenter. Ja, ich kann das Schwarze auch nicht mehr sehen…

Dann machen Sie mal. Bestimmt ist in der Verwaltung irgendwo noch ein angemessener Spitzenposten frei. Die Kanzlersche soll ja ganz scharf sein auf Kohlreste. Die wird bestimmt einen Zukunftsminister von vorvorgestern ins Kabinett holen, jede Wette. Sicher. Das Luftkotelett wird bestimmt sofort der Vize vom Vize, was?

Tagesmutter, Taxifahrer, Möbelpacker, ist doch egal. Hauptsache, sie vermieten den und am Ende sind Sie ihn wieder quitt. Sie können den ja in die Lehre geben beim Westerwelle, der kann doch als Mietschnacker die schönen Hoteleröffnungen machen von der dritten Preiskategorie abwärts. Oder als Stimmungssänger mit Bauhelm und Zwangsjacke. Ist doch eh total am Verkinschen, der Alte, da kriegen Sie die Überreste wenigstens schnell aus dem Fernsehen, weil sich keiner mehr traut, den Typen noch zur normalen Sendezeit auf die Mattscheibe zu bringen. Keine gute Idee? Na, hätte ich mir denken können.

Haben sie denn den völlig umsonst geschruppt? Sollen wir den bis in alle Ewigkeit durchfüttern? Wo er doch gegen die SPD ganz alleine das ALG I durchgeboxt hat, das die FDP, die das auch ganz alleine gegen ihn durchgeboxt hat, wieder abschaffen will, damit er mit ihnen weiter koaliert? Ist das überhaupt realistisch? Und wer macht das wieder weg? Wissen Sie was? Doof aussehen, Scheiße erzählen, dafür jede Menge Kohle abzocken, und wenn’s nicht klappt, sind immer die anderen schuld – machen Sie doch eine Unternehmensberatung auf, am besten mit dieser anderen Luftpumpe, mit dem Krautscheid. Na sehen Sie, geht doch! Man muss nur wollen, dann findet selbst der größte Idiot noch einen Job.“





Grünstich

19 04 2010

„Rein pflanzlich?“ „Na logisch!“ Die Thömmes wippte mit den Füßen und grinste. „Oder haben Sie schon einmal Zigaretten aus Tiermehl geraucht? Unsere Tabakwaren sind auch für Veganer geeignet, absolut frei von tierischen Produkten.“ „Das ist, entschuldigen Sie den Ausdruck, Humbug.“ Ich wandte mich zum Gehen. „Genauso gut könnten Sie erzählen, Heroin sei kalorienarm.“ „Sie bringen mich da auf eine Idee.“ Sie schmierte eilig ein paar Notizen auf ihren Schreibblock. „Das müsste ich meinem Kunden vorschlagen, für gute PR ist der ja immer sehr aufgeschlossen.“

Möglicherweise hatte ich die PR-Beraterin auch unterschätzt; an zahlungskräftigen Kunden schien es ihr nicht zu mangeln. „Diese Kampagne ist gut überlegt“, erklärte sie, „wir setzen uns damit von den Mitbewerbern ab.“ Die Tütensuppenpackung war noch nicht fertig gestaltet, die weißen Flächen ließen noch Platz für einige Aufkleber. „Sie sollten bei einer künstlichen Rinderbrühe vielleicht auch betonen, dass sie frei von tierischen Bestandteile ist. Die Verbraucher sind ja nicht alle lebensmüde.“ Dorothea Thömmes blitzte mich an. „Blödsinn! Natürlich entwickeln wir für jedes Produkt eine eigene Strategie, um am Markt präsent zu sein. Wir müssen neue Kundenschichten erschließen, der Tütensuppe neue Segmente eröffnen.“ Ich lehnte mich behaglich zurück und rührte in der Sache, die man mir als Cappuccino serviert hatte. „Dann sollte Sie diese Sache mit der fleischlosen Fleischsuppe doch interessieren – so leicht kommen Sie nie wieder an eine Kundenschicht, die Sie ansonsten abgrundtief hasst für Ihren Schmadder.“

Ein Telefonat hatte uns unterbrochen. Die Thömmes war wieder ganz Ohr. „Verstehen Sie, die Produkte müssen heute mit einer neuen Identität aufgeladen werden, damit der Konsument sie in seine Lebenswirklichkeit auch bewusst integriert.“ Ich lachte auf. „Sie wollen mir weismachen, die Hausfrau aus Plauen köchelte sich ihr Surrogat aus toter Kuh, um sich die durchschnittliche Existenz aufzumotzen? Haben Sie noch alle Suppentassen im Schrank?“ „Natürlich muss man sich Gedanken machen“, hielt sie mir entgegen, „wie man das Produkt am besten in die Zielgruppe einbringt.“ Ich verdrehte die Augen, aber sie redete einfach weiter. „Wir könnten also diese – zugegebenermaßen etwas dünne – Rindsbouillon einerseits mit dem Sticker ‚100% Deutsches Rind‘ zu einer Art sortenreinem Qualitätsnahrungsmittel erklären, zur Suppe für die patriotische Hausfrau.“ „Die könnt man ja als Durchhaltekost nach Afghanistan karren.“ Ihre Augenbrauen furchten sich. „Etwas mehr Respekt bitte. Mit der Suppenentwicklung sind hochrangige Experten beschäftigt.“ Mich ließ das alles kalt. „Dann trimmen Sie Ihre Plörre doch auf Fitness- und Diäternährung, bei dem geringen Gehalt an Nährstoffen müssen Sie dabei nicht einmal lügen.“ Ein Strahlen huschte über Thömmes’ Gesicht. „Das ist es! Sie haben gerade eben die ganze Kampagne gerettet – wunderbar!“

Es hatte ganz den Anschein, als sei ich in einer Gehirnwaschmaschine gelandet. „Man sagte mir, Sie seien eine der Besten auf dem Gebiet der ökologischen Kriegsführung.“ Und tatsächlich, sie fühlte sich genug geschmeichelt, um auf diesen plumpen Trick hereinzufallen. „So ist es“, bestätigte Thömmes meine Annahme, „wir haben uns auf dieses Segment spezialisiert. Umweltbewusstsein ist der Schlüssel für ein positives Image, deshalb nehmen wir vermehrt grüne Bestandteile in unsere Werbung auf.“ Ich korrigierte sie umgehend. „Sie meinen, Sie belügen dem Verbraucher, indem Sie ihm erzählen, Ihre Kunden besäßen so etwas wie Umweltbewusstsein.“ „Entschuldigen Sie mal“, schnappte sie, „unsere Suppenkampagne ist …“ „… in diesem Zusammenhang völlig irrelevant, ich weiß. Was ist mit diesem Werbespot, wo Sie dem Autofahrer versprechen, sein Wagen könne mehr als die Hälfte an Kohlendioxid sparen? Im Vergleich zu einem Tretroller? Bei konstanter Geschwindigkeit von 30 Kilometer in der Stunde?“ Sie wurde patzig; ich musste den neuralgischen Punkt getroffen haben. „Sie bleiben außerdem den Beweis für Ihre Taschenspielereien schuldig: was macht denn Ihre Auto so klimaprima? Warum nennen Sie nicht irgendeinen technischen Grund, weshalb der Motor so wenig Abgase ausspuckt? Ist Ihre Karre am Ende umweltfreundlicher, als sie gar nicht erst zu benutzen?“

Thömmes wippte nicht mehr mit den Füßen, sie zerknickte einen Bleistift. „Schauen Sie, wir sind Spezialisten. Man ruft uns, wenn sich ein Produkt in der Klemme befindet. Um eine Marktstellung, die nicht mehr zu rechtfertigen ist, doch noch zu verteidigen.“ „Sie schmeißen Lügen ins öffentliche Bewusstsein, um sich gegen die Wahrheit zu imprägnieren“, entgegnete ich. „Das ist nichts als Krisenkommunikation – Sie werden gerufen, wenn man mit dem Rücken an der Wand steht. Wer zu Ihnen kommt, um sich grünwaschen zu lassen, muss schon ziemlich verzweifelt sein.“ Sie nickte. „So ist es. Wir sind der Rettungsanker für die Verzweiflungstäter. Wir machen das Unmögliche passend. Sie können sich ja vorstellen, was man von uns verlangt.“ Auf dem Tisch langen die Entwürfe für den neuen Auftrag. Jürgen Rüttgers mit Sonnenblumen, die weißen Flächen ließen noch genug Platz für einen markigen Spruch. „Und? werden Sie es machen?“ Sie winkte resigniert ab. „Auf keinen Fall. Nicht wegen der Moral, durchaus nicht. Aber wissen Sie, auch PR hat ihre Grenzen.“





All inclusive

24 02 2010

„… doch sehr angenehm, dass wir mit dem Herrn Ministerpräsidenten am Tisch zu sitzen kamen. Kaczielski meinte, die 20.000 Euro seien auch gut angelegt gewesen. Spätestens auf dem nächsten Landesparteitag könne sich dann Herr Rüttgers (wir hatten das jetzt zum dritten Mal gebucht) an Karl-Theodor erinnern, und hätte er trotz seiner Vorstrafe doch noch Chancen, als Schatzmeister zu…“

„… mit allen Mitteln zu verhindern. Dieser Zahnbürstenfabrikant ist zwar ein ausgebufftes Schlitzohr, typischer Rheinländer, aber wir hatten die besseren finanziellen Mittel. Gutes Timing, Herr Wüst schickte uns die Pressevertreter just in dem Moment an den Stand, als das Fernsehteam kam – Winkel und Söhne hatten also fünfzehn Minuten zu 6.000 gebucht, aber es hat sich nicht besonders…“

„… schon für Aufsehen gesorgt – dass der Herr Außenminister wieder eine Stunde lang über die staatsbürokratische Bevormundung schimpft, war ja klar, doch hat er es meines Erachtens diesmal doch deutlich übertrieben. Schön und gut, unsereins muss seine Gelder auch zusammenhalten, da hilft einem Liechtenstein ja kaum noch, aber dass Westerwelle jetzt zwei Werbeunterbrechungen in seinen Vortrag macht und diese Prospekte verteilen lässt, das ist in meinen Augen nun wirklich keine…“

„… wenigstens tofte amüsiert! Pro Nase 6.000, aber wir haben zusammengelegt, heißt: noch 4.000 Euro, und dann ihm Fragen gestellt. Meine Herren! da steht diese Nulpe, der quatscht und quatscht: ‚Ja Wirtschaft, pff, weiß nicht‘ und ‚Innenpolitik, keine Ahnung‘ oder ‚Sozialhaushalt, äääh, ist nicht mein Tisch‘ – war das ein Spaß! Der Rüttgers hat sich da zum Affen gemacht, wir so gelacht, und diesen Blödian sollen wir im Mai…“

„… keinerlei rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Die Veranstaltung, die laut Protokoll gar nicht stattgefunden hat, hielt sich streng an die gesetzlichen Vorschriften, insbesondere legte der Herr Wüst als Generalsekretär der CDU Nordrhein-Westfalen Wert darauf, dass von Beratungs- oder gar Einflussnahmegesprächen keine Rede sein könne; gleich nach dem Redebeitrag zur Eröffnung der Landwirtschaftsmesse habe Herr Rüttgers schon gar nicht mehr gewusst, wo er sich aufhielte, so dass von einem vorsätzlichen…“

„… wir Ihnen gerne ff. Politiker zur Verfügung stellen. Ab Juli können Sie ebenfalls Roland Koch mieten, garantiert zweimal verfassungsfeindliche Äußerungen, gegen geringen Aufpreis auch jeweils einmal Ausländerpack, Hartz-Abschaum und ähnliche…“

„… noch sehr gut weg. Als beispielsweise in der letzten Saison Sarrazin und Sinn ihre Thesen zum Einfluss von Mangelernährung und Infektionen auf den Wohnungsmarkt vorgetragen hatten, war noch ein verhältnismäßig anständiges Publikum im Saal, Bankiers, Philanthropen, mehrere Bischöfe sogar, aber jetzt? Mag sein und wir sind inzwischen zu sehr aus der Zeit gefallen, mein teurer Freund, aber unter den ganzen Parvenüs zu sitzen, um diesen rheinischen Juristen über ein paar Banalitäten etwas Luft machen zu lassen, das war kein Genuss, zumal wir ins Parkett sahen, wo sich zwischen ein paar Schnöseln, laut, naseweis, in gelber Krawatte, kaum Kandidaten wohl, höchstens erstes Staatsexamen, doch schräg vor uns Sloterdijk setzt. Stein von Stein hatte den ganzen Abend dann die grässlichsten Kopfschmerzen. Wir werden diese Gesellschaft in Zukunft meiden, denn…“

„… und nach dem zwölften Mal auch einfach stinklangweilig ist. Aber trotzdem ist neulich ein Ding passiert, ich sag’s Dir! Hat doch der Rüttgers auf der Bestattermesse aus Versehen in den falschen Koffer gegriffen, ich sehe das noch hinten, im Schminkzelt, wie Hendrik Wüst ihm die Pappnase anmontiert, und da stürmt der Trottel doch johlend in den Saal rein, wo die Särge stehen und die Urnen und will zum x-ten Mal die verschissene Büttenrede wider den tierischen Ernst abkaspern – Junge, ich sag’s Dir, wir haben uns bepisst, und der Wüst…“

„… passend, kongenial sogar! Hatten uns unter dem Thema Der Nationalstaat und seine überfällige Säuberung genau eben diese Stoßrichtung versprochen zur Eröffnung von Schloss Trebnitz – dass Vorsitzender Voigt einiges klarstellen würde in Bezug auf Wehrmacht, das war zu erwarten gewesen, aber dann Westerwelle! Hat man früher immer gespottet, er sei nur ein kleiner Kläffer, wir fanden, Goebbels hätte keine schönere Hetzrede über Abschaffung des Parasitentums im deutschen Volkskörper halten können – glänzend, wie er das machte, zwar spuckte er bisschen viel, aber insgesamt wollen wir das wieder, wenn zur Gedenkfeier für Kameraden Rieger…“

„… künftig Abstand nehmen von Ihrer Firma. Unser Seniorchef fühlte sich vom Auftritt Ihres Herrn Rüttgers peinlich berührt und hatte spontan den Eindruck, im Tingeltangel fünfter Ordnung zu sitzen, wo Rex Gildo auf die Bühne tritt, um dann volltrunken geschmacklose Scherze zu…“

„… bodenlose Schweinerei zu bezeichnen! Wir fanden das hip, den ehemaligen FDP-Vorsitzenden zu unserem Kindergeburtstag einzuladen, nach der Haftentlassung braucht er ja auch jeden Euro, und wir wissen, dass ALG-II-Bezieher wirklich auch für kleine Sachen dankbar sind. Aber es fing gleich mit der Torte für Shaleen an: Westerwelle wollte die für sich selbst. Er meinte ganz dreist, die Kinder hätten doch noch gar nichts geleistet! Als auch Cara-Elea und Lennja-Malin heulten, sagte er: lasst Euch von der Mutti doch ’nen Gutschein geben! Da sind bei Jochen die Sicherungen durchgebrannt und er hat dem Westerwelle derart eins in die Fresse…“





Völker, höret die Signale

7 09 2009

Das Publikum pfiff. So hatte man sich den Wahlkampf nicht vorgestellt. Jürgen Rüttgers versuchte zwar, die Lufthoheit zu behalten, brachte aber keinen Satz mehr zu Ende. Da griff der Landesvater tief in die Trickkiste. „Im Unterschied zu den Arbeitnehmern hier im Ruhrgebiet“, brüllte er in die Mikrofone, „kommen die in Rumänien eben nicht morgens um sieben zur ersten Schicht und bleiben bis zum Schluss da. Sondern sie kommen und gehen, wann sie wollen, und wissen nicht, was sie tun.“ Die paralysierte Starre der Parteisoldaten hinter der Bühne zeigte es: der Coup war gelungen. Von Steuererhöhungen sprach an diesem Tag niemand mehr.

Die SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag rieb sich die Hände. Man würde jetzt einfach abwarten müssen. Innerhalb einiger Tage würde sich der Ministerpräsident selbst sturmreif schießen, denn es gab noch jede Menge Termine zu absolvieren. Und sie sollten sich nicht getäuscht haben.

Während der stellvertretende Grünen-Fraktionschef Reiner Priggen die markigen Sprüche als ungeheuerliche Entgleisung auf unterstem Stammtisch-Niveau bezeichnete, verwahrte sich eine Abordnung von Stammtischbrüdern aus dem Kohlenpott energisch gegen diese Gleichsetzung. Man sei regelmäßig heftig alkoholisiert, das sei ja wohl auch Sinn der Sache, aber man ließe sich nicht in die Ecke rassistischer Propaganda rücken. Der rumänische Botschafter äußerte sich nicht. Nokia schwieg ebenfalls.

Die Christdemokraten waren sichtlich um Ausgleich bemüht. Generalsekretär Hendrik Wüst gab den Pressevertretern zu verstehen, der mit der Wahl kämpfende Rüttgers habe sich noch immer nicht über den Nokia-Weggang beruhigt. Eine allergische Reaktion. Er befinde sich bereits unter ärztlicher Aufsicht, um nicht erneut derartige Symptome zu zeigen.

Auch die Sozialdemokraten gaben noch einmal kräftig Feuer. Fraktionsvize Ralf Jäger teilte mit, er halte die getätigten Äußerungen für nahe an der Volksverhetzung. Die Stimmung war blendend. Als besondere Aufmerksamkeit schickte man der CDU ein Fläschchen Rüttgers Club. Mühsam unterdrückte Wut und das Splittern einer Glastür, dem die Rot-Grünen genüsslich an der Wand lauschten, zeigten an, dass die Prickelbrause angekommen war.

Auch Roland Koch schäumte. Nicht, dass sein Amtskollege mit plumpen ausländerfeindlichen Sprüchen den Wahlkampf aufgemischt hatte, machte den Hessen wütend. Es ärgerte ihn viel mehr, dass ihm das nicht selbst eingefallen war.

Einzig von Martin Sonneborn erhielt Rüttgers Rückendeckung; der PARTEI-Chef attestierte dem Parteichef, eine richtige Analyse geliefert und die korrekten Schlüsse gezogen zu haben. Der Eiserne Vorhang habe für Jahrzehnte die osteuropäischen Arbeitskräfte vom überlasteten westdeutschen Markt ferngehalten, so dass man die heimtückische Überfremdung in den Fabriken nicht habe hinnehmen müssen. Der Rumäne, der in diesem ideologischen Konzept als Trick- oder auch Asylbetrüger vorgesehen sei, dürfe jetzt nicht durch unlautere Machenschaften wie Erwerbsarbeit oder den Aufbau einer funktionierenden Volkswirtschaft aus seiner Rolle fallen. Der Wiederaufbau der Mauer, größer, höher, undurchdringlich, und die endgültige Teilung Deutschlands zur hermetischen Abschottung des nationalen Arbeitsmarktes sei nun das Gebot der Stunde. Die PARTEI stehe für eine Regierungsbeteiligung darum auch jederzeit zur Verfügung.

Widerspruch kam vom Wirtschaftsflügel der NRW-Unionisten. Der finnische Elektronikkonzern habe nicht etwa wegen des schnöden Mammons ein Werk in der strukturschwachen Gegend errichtet; vielmehr sei es die Naturschönheit der Industrie rund um Bochum, die Nokia bewogen habe, den Standort auszuwählen. Solch idyllisch gelegene Gegenden wie die Niederungen des Knöselbachs suche man in den Karpaten nun mal vergeblich.

Für den Fall, dass es mit Schwarz-Gelb trotz der Überhangmandate doch noch einmal eng werden könnte, sondierte Guido Westerwelle behutsam in der PARTEI-Zentrale, wie man eine Koalition zustande bekäme. Sonneborn lehnte ab. Man sei für eine Mehrheit immer zu haben und wolle mit allen koalieren, aber nicht mit der FDP. Man sei schließlich keine Spaßpartei.

Noch einmal wiegelte der Generalsekretär ab. „Was ist schlimm daran“, sagte er zur Presse, „wenn sich Jürgen Rüttgers vor diesem Hintergrund vor die Arbeitnehmer in NRW stellt?“ Wie sich erst jetzt herausstellte, hatte der Inderschreck in seinem Standardmanuskript auch die Steuerehrlichkeit der deutschen Bürger verteidigt – hier dienten die Polen zum Vergleich – und mit Hilfe der Türken die enge Verflechtung von Deutschland und der EU gepriesen. Berlin machte Druck. Noch ein falsches Wort, so die Parteizentrale, und Rüttgers könne sich darauf gefasst machen, im Iran Pionierdienste zu leisten beim Aufbau einer christlichen Volkspartei.

Bochum blieb ein heißes Pflaster, aber man konnte auf den Ministerpräsidenten nicht verzichten. Noch stand eine Rede im Opel-Werk I auf dem Programm. Rüttgers’ Auftritt wurde mit Spannung erwartet. Wie die Schießhunde lauerten die Aufpasser hinter dem Podium. Jetzt galt es. Jürgen Rüttgers tastet sich zum Rednerpult. „Meine Damen und Herren“, begann er, „der Thüringer an sich…“