Die Schwarze Greth

15 08 2021

für Theodor Storm

Am Holm, sagt man, vor fünfzig Jahr
soll dies geschehen sein.
Und ist das alles auch nicht wahr,
man kennt’s doch allgemein.

Zwei Fischer lebten dort, so arm,
ihr Leben lastet schwer.
Die Hütte war nur selten warm,
ihr Teller blieb oft leer.

Ihr Fischzug war ein hart Geschäft
in Sturm und Gischtgebraus.
Wer da nicht seine Segel refft,
den treibt es weit hinaus.

Sie fuhren täglich stundenlang.
Sie wechselten kein Wort.
Und war das Netz dann ohne Fang,
so stieg die Not an Bord.

Der eine betet, einer flucht.
Das Meer brüllt seine Wut.
Wer jetzt sein Glück noch mal versucht,
versinkt wohl in der Flut.

Und höher schaukelt sich der Kahn,
wie es auch unten schäumt –
da sehen sie, wohl wie im Wahn,
dass ihnen alles träumt.

Ein Raunen, Brausen, Sausen zog
von Dannewerk heran,
ein Licht, das übers Wasser flog,
schlug sie in seinen Bann.

Wie ein Gemälde hell und klar
in hohen Lüften schwebt,
so thront vor ihnen wunderbar
ein Bild, als ob es lebt.

Dort hinten grollt die finstre Nacht,
die bis zur Kimmung geht,
hier aber winkt in größter Pracht
voll Huld die Schwarze Greth.

Sie trägt ein nächtliches Gewand
voll Perlen und Geschmeid.
So schreitet langsam sie vom Land.
Die Fischer wähnten Leid.

„Werft aus die Netze!“ Was sie sprach,
schwang sanft wie Engelsklang.
„Behaltet alles, denkt nicht nach,
die Nacht wird reich und lang!

Nur einen Fisch, den schönsten gar,
verlange ich allein –
den bringt mir als ein Opfer dar,
denn dieser ist ja mein!“

Wie auch der Wind vorüberheult,
ganz plötzlich fiel die Nacht,
als ob die Flut sich wirklich teilt,
da kam der Schwarm mit Macht.

Und Fische, Fische – viel zu viel,
der Kahn fasst nur ein Teil,
er ächzt und krächzt im Wellenspiel,
mit Mühe blieb er heil.

Und wahrhaft war die Grethe hold,
wie auch der Kiel fast brach,
ein Brassen schimmerte von Gold,
zog Silberfäden nach,

Smaragde fingen sich darin
und hier ein Diamant,
mit Perlen auch, die man an Kinn
und Flossen bei ihm fand.

Der eine war schon im Begriff
zu tun, wie sie ihn hieß,
dass er den Goldfisch von dem Schiff
tief in die Flut entließ.

Der andre aber nahm ihn forsch,
versteckte ihn am Bug
im Haufen unter Aal und Dorsch,
entschlossen zum Betrug.

Wie Feuer sich durch Kohlen frisst,
so blinkte hell der Fang.
Wie schnell misslang die arge List!
Und wie war ihnen bang…

Die Fische wurden reines Gold,
wie man es niemals fand,
und wie der Nachen stampft und rollt,
da brach der erste Spant.

Wie unter Donner sank hinab
das glückbeschwerte Boot
und zog die beiden in ihr Grab
und in den nassen Tod.

Die beiden? einen rettete
die Greth vor seinem Leid,
den sie im Sande bettete.
Da lag er lange Zeit

so traumlos, wie der andre schlief,
bis ihn der Regen weckt,
dass er in seiner Tasche tief
ein Goldenes entdeckt.

Er wusste nur, kein Traumgespinst
hat ihm das Boot geraubt,
und zeigte er nun den Gewinst,
kein Mensch ist, der ihm glaubt.

Am Holm, sagt man, da fischt seither
nur einer noch voll Fleiß,
und wird sein Kahn vom Fang auch schwer,
so zahlt er seinen Preis.

Er wirft dann in die wilde See
den Fisch, der ihm so lieb,
und keiner weiß, und weiß es je,
wo einst der andre blieb.





Das Märe von Kunibert, dem irrenden Reiter oder Vor reitenden Irren wird gewarnt

8 02 2009

Kunibert, der edle Reiter,
Witwen-, Waisen-, Treuestreiter,
und zum Überfluss noch blond,
flog zwar in den Burghof runter,
aber stand schon gleich ganz munter
auf vom Stroh. Gelernt, gekonnt!

Seine süße Orgeluse,
diese dumme Tränensuse
warf ihn glatt zum Fenster raus.
„Legt die Rüstung an, Ihr Mannen!
Schleppt nun diesen Drachen ran, denn
dieser frisst mir Mann und Maus!“

Seine beiden Rappenknappen
schleppten Helm und Schwert und Wappen,
stiefelten den Herrn samt Sporn.
Leider hing der Sporn dem Ritter
fest im Schild. Er fiel. Wie bitter.
Also alles ganz von vorn.

Gut gesattelt ritt der Recke
also aus, bog um die Ecke
und verlief sich fast im Moor.
Dort fand er zwei stumme Knaben,
die den Weg gezeigt ihm haben.
(Kommt pro Schicksal einmal vor.)

Wie ihn seine Mutter lehrte,
suchte er des Drachen Fährte,
fand jedoch nur Pferdespur,
trampelte durch Korn und Heide
und auf seines Meiers Weide.
Dumm stand er auf weiter Flur.

Aber halt! Er hörte Schnauben,
konnte selbst sein Glück nicht glauben:
jetzo ward der Lindwurm nah!
Trabte weiter, fiel beim Traben
fast in einen Wassergraben,
und dann war er endlich da.

Fand die Drachenhöhle finster,
Efeu wuchs dort, Rotdorn, Ginster,
und er hört des Drachen Groll.
Der fing an sich zu beschweren.
„Kann mir jemand mal erklären,
was der ganze Aufruhr soll!?

Hör’n Sie, wenn Sie Runden drehn hier,
als Gewerkschaftsmitglied stehn mir
sonntags Ruh und Frieden zu!“
„Dich, Du Untier, hinzumorden
zog ich aus mit meinen Horden,
dann erst Friede ist und Ruh!“

„Jetzt geht’s aber gleich mal rund hier!
Nennen Sie mich nicht so! Untier
ist politisch nicht korrekt!
Ihre Wortwahl ist zum Spucken
(zwar nicht Feuer), und Sie gucken
jetzt mal, wo der Ausgang steckt!“

Kunibert blieb ratlos. Dieser
Drache war noch weitaus fieser,
als die Dame ihm verriet.
Doch am Ende wollt er siegen,
Orgelusens Kuss er kriegen,
und zu bleiben er entschied.

Schon ging Kunibert aufs Ganze,
zückte seine lange Lanze
und im Wams verhakt er sich.
Riss sich auf die halbe Brünne.
Gute Nacht nun, holde Minne,
hier bekomm ich keinen Stich.

Dies war wirklich unergötzlich,
und der Drache sprach auch plötzlich
voller Zorn und Schwefelruch
von Verfahren und von Fehden,
denn dies sei, sein altes Reden,
Drachenhöhlenfriedensbruch.

Kuniberten sank der Mut, und
wie sein altersschwacher Bluthund
seinen Schwanz klemmt, sprach er mild:
„Hört, Herr Drache, sollt nicht denken,
dass ich etwa Euch wollt kränken!“
Und versteckt sich hinterm Schild.

Langsam wurd’s dem Drachen fade,
so griff er nach einer Lade,
tat drei Schuppen auch darein.
Reichte sie dem zittrig-bleichen
Ritter als sein Siegeszeichen.
Um den Quälgeist los zu sein.

Hei, was ritt der kühne Streiter
durch das Grün und immer weiter
bis zu eines Baches Rand!
Trabte blindlings durch die Wälder.
Draußen wurde es schon kälter,
als zurück zur Burg er fand.

„Kunibert, Ihr kommt gar späte,
bald schon sinkt die Abendröte!
Sagt, ist nun der Lindwurm tot?“
Kunibert nahm ab die Fetzen
seiner Rüstung, tat sich setzen
und das Neuste ihnen bot.

Wie dem Scheusal er das Lebens-
licht er ausblies, das vergebens
ihn um Schonung bat zuvor,
kurz: der Drachenkampfgeschundne
setzte eine frei erfundne
Story der Gesellschaft vor.

Immerhin, die liebe Seele
hatte Ruh. Die Drachenhöhle
blieb von weiterem verschont.
Und als drauß’ die Feier tobte,
hat der Held, der vielgelobte,
Orgelusen beigewohnt.