Tabellenkeller

25 08 2011

„Es ist doch nicht zu glauben, ist es doch nicht – jetzt steh da nicht rum, Männeken, mach was! Beweg den Hintern! Für im Strafraum pennen hat Dich keiner bezahlt! Jetzt geh endlich in die – aus, aus, Halbzeitpfiff. Wieder nichts. Wie soll dieses Gurkentruppe gewinnen. Die treffen ja nicht mal, wenn die andere Mannschaft zu Hause bleibt.

So ist das eben, wenn man nichts auf die Reihe kriegt. Erst Zwangspause bis NRW, dann Stillhalten bis Baden-Württemberg, und dann wundern sie sich, dass sie nicht in den Spielrhythmus kommen. Das ist doch auch kein Wunder – ist das denn hier ein Freundschaftsspiel? Meine Güte, die Leute verlangen ausgereifte Technik! Das kann doch nicht angehen, was die veranstalten! Standardsituationen: Fukushima, Osama bin Laden, Stuttgart 21, und was richtet diese Mannschaft an? Kollektives Verstolpern! Es ist nicht zu glauben!

Dabei ist das erst Aufwärmphase, die wirklich wichtigen Sachen sind ja noch gar nicht dran. Das bisschen Sozialkürzung und Steuergestoppel, das kann man doch nicht als Spieleinsatz ansehen? Was ist das denn? Aufschwung unter erschwerten Bedingungen? Wie trainiert dieser Haufen denn?

Kein Durchhaltevermögen. Man kann doch nicht ständig irgendwelche Leute einkaufen, Schröder und Friedrich und Bahr und was weiß ich, und die humpeln ein bisschen doof über den Platz. Haben die denn überhaupt Kondition? Haben die schon mal auf dem Platz gestanden, oder jobben die sonst als Eckfahnen in der Altherrenriege?

Gut, man kann ja streckenweise auch mal rein defensiv spielen. Muss ja nicht verkehrt sein. Aber wie soll das funktionieren, wenn die komplette Mannschaft in der eigenen Hälfte herumlahmt und bei jedem schnellen Ball den Kopf verliert?

Keine Kommunikation. Da weiß doch wieder der eine nicht, was der andere vorhat. Hier das defensive Mittelfeld – da die Sturmspitzen, die sich gegenseitig die Knochen einrennen. Der eine will die Laufzeiten verlängern, der andere will sofort aussteigen. Die will unbedingt den nächsten Rettungsschirm verhindern, so wie es schon mal in die Hose gegangen war, der will ihn unbedingt und Eurobonds noch obendrauf. Und Streusalz und Vorratsdatenspeicherung und Terrorgesetze und Steuersenkung und Soli und Libyen – ist das eigentlich eine Mannschaft, und wenn ja, wie viele?

Worüber beschwert sich die Trümmertruppe? Unangenehme Gegenspieler, die auch mal unfair einsteigen? Meine Güte – die stehen sich doch viel zu oft selbst im Weg, da braucht’s nicht mal mehr einen Gegner. Wachstumsbeschleunigungsgesetz – was wollen die da groß beschleunigen? Da wächst doch kein Gras mehr! Was soll denn das? Das ist doch nicht mal ein Zufallstreffer, wenn man dem Gegner so zuverlässig in die Abseitsfalle rein läuft.

Überhaupt diese Ersatzbank. Dieser Libero, der sich als größter Spielmacher aller Zeiten feiern lässt, obwohl er so gut wie nichts auf die Kette kriegt. Wissen Sie, woran man einen von denen erkennt? Stellen Sie einen in den Strafraum, und wenn er umkippt, haben Sie richtig getippt.

Da kommt nichts mehr. Auch wenn das Spiel eher in fliegenden Wechseln besteht – eben mal für die Hauptschulen, jetzt dagegen, und mit der Wehrpflicht sieht es auch nicht besser aus – es ist nicht vom Ende her gedacht. Es mangelt an Perspektive und einfach an der Grundlage: dass ein verdammtes Spiel dazu da ist, Tore zu schießen. Möglichst mehr Tore als die andere Mannschaft auf dem Platz. Oder liege ich da so falsch?

Die stehen da einfach so auf dem Platz herum, einfach so. Eine Halbzeit lang immer wieder den Ball zurück zum Torwart, und wieder nach vorne, und wieder zurück, und wieder nach vorne, und immer so weiter. Bis mal der Gegner einfach in den Pass läuft und ganz gemütlich durch den 16-Meter-Raum dribbelt. Da fallen einem die Zähne vom Zugucken aus.

Vertane Zeit, wenn Sie mich fragen. Das Spiel kann man jetzt schon abhaken. Das ist die einzige Mannschaft, die sich in der Halbzeitpause ein Eigentor reinsemmelt. Unglaublich, das. Und kommen Sie mir jetzt nicht mit Lyrik. ‚Wir gucken ja auch gar nicht auf die Tabelle.‘ So seht Ihr aus! Erst herumschwadronieren, was das für ein toller Saisonstart war, dann lassen die sich nach Strich und Faden verkloppen, dann lamentieren sie herum, dass die anderen Mannschaften sowieso viel stärker sind, und plötzlich heißt es dann, es käme ja gar nicht auf das Ergebnis an, man habe beschlossen, jetzt nur noch schön zu spielen. Lieber eine große fußballerische Weiterentwicklung, Kunstschüsse auf den eigenen Kasten, wenn man damit absteigt, waren es eben wunderschöne Kombinationen mit etwas viel Pech im Abschluss, und verantwortlich sind eh die Fans, die nicht laut brüllen. Hallo!?

Was wollen die jetzt noch machen? Das Ruder herumreißen? Hoffen, Beten und Salbadern, dass es für einen Relegationsplatz reicht? Die Ostkurve beschimpfen? Den Abstieg schönreden, bis man in der Verbandsliga aufschlägt? Zusehen, wie die eine Hälfte den Verein wechselt und die andere die Fußballschuhe an den Nagel hängt? Das ist keine Mannschaft. Das sind ein paar Schlafmützen, die sich durch die Verkettung unglücklicher Umstände zufällig auf dasselbe Spielfeld verlaufen haben. Ich habe die Nase voll.“





Muttchen

19 06 2010

Lange hat man sie erduldet,
ihr die Bummelei verziehn,
auch dem Amt Respekt geschuldet.
Doch jetzt ist die Sache hin.
Muttchen übt nur Trug und Schliche,
was aufs Haar dem Dolchstoß gliche.
Wo sie hobelt, fallen Späne.
    „Macht doch Euern Dreck alleene!“

Zürnt das Volk? muss hungern, frieren,
wer schon darbt? Ist das gerecht?
Muttchen tut nichts. Vom Taktieren
ist ihr schwummerig und schlecht.
Drum geht sie heute früh zu Ruhe,
Michelmütze, Filzhausschuhe,
putzt die Ohren und die Zähne –
    „Macht doch Euern Dreck alleene!“

Ach, was treibt die Gurkentruppe,
die aus Dünkel knufft und pufft –
Muttchen ist das alles schnuppe,
sie guckt Löcher in die Luft.
Denn sie findet, dass man zaudern,
zögern kann, die Zeit verplaudern,
ist am Nichtregiern das Schöne.
    „Macht doch Euern Dreck alleene!“

Mittlerweile brennt die Hütte,
lodernd kracht es im Gebälk –
Muttchen hockt noch in der Mitte,
lächelt säuerlich bis welk,
denn sie weiß: es ist gelaufen,
jetzt schmeißt man sie auf den Haufen,
denn das Volk hat andre Pläne.
    Und fegt diesen Dreck alleene.





Und so weiter

14 06 2010

„Du lieber Gott, das wollen Sie ernsthaft erzählen? Sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen? Dieser ganze Wortsalat hier, wer hat sich denn das ausgedacht? Sie selbst? Großartig! Exzellent, Frau Bundeskanzlerin, einfach exzellent! Mehr Blödsinn haben Sie nicht in einen einzelnen Satz gequetscht bekommen! ‚Dass wir das jetzt Realität werden lassen‘ – Herrgott noch mal, das ist die Meldung des Tages, dass Sie Ihre Beschlüsse eventuell auch mal in die Tat umsetzen? Wobei, Ihr Regierungsstil legt es nah, dass man irgendwas, was sich in diesem Land bewegt, zur Sondermeldung aufblasen muss.

Also Sie wollen dann ‚die Arbeitsvermittlung zielgerichteter ausrichten‘, schön. Zielgerichteter als zielgerichtet geht nicht, weil dicht daneben ist auch vorbei, klar? Und wenn Sie irgendwelche Ziele im Auge hätten – hätten!, Frau Merkel, hätten! – dann wäre das Ding bereits ausgerichtet, und zwar worauf? aufs Ziel, gut aufgepasst. Und das wollen Sie der deutschen Öffentlichkeit als eine bahnbrechende Konsolidierungsmaßnahme auf den Tisch bringen, dass die Argen künftig frei Schnauze Leistungen verweigern können? Was für eine Eselei ist das denn, was für ein Etikettenschwindel! Ich höre immer Sparpaket, Sparpaket – wird denn hier auch nur ein Cent gespart? Pustekuchen, das haben Sie noch nie getan! Immer raus die Marie, immer zum Fenster mit beiden Händen! Deutsche Bank, Abwrackprämie, Hoteliers, Griechenland, immer noch eine Schippe, immer raus! Ist das Sparen? Sie sparen nicht, Sie kürzen höchstens!

Und wo wir gerade beim zielgerichteten Kürzen sind – unterbrechen Sie mich jetzt nicht! – Ihr auf Schwanzwedeln der FDP durchgewunkener Rabatt für die Mövenpicks kostet den Staat doppelt so viel, wie Sie durch die Streichung des Elterngeldes für sozial Benachteiligte bekämen. Hat Ihnen da Herr Westerwelle einen Schwank aus Ihrer FDJ-Zeit erzählt, der Ihnen zwischenzeitlich entfallen war?

Gott, was ist das für ein Gestammel? Wer hat denn das da verbrochen? ‚Deshalb ist die Zeit gekommen, hier wirklich in eine Phase einzutreten, wo wir sehr konkret sagen, was müsste gemacht werden‘ – haben Sie noch alle Tassen im Schrank? ‚Wirklich‘, das heißt doch: bis jetzt haben Sie nur so getan, als ob? Was bis zu diesem Umschwung ablief, das sollen wir jetzt alle mal verdrängen, weil es die Unwirklichkeit war? Frau Merkel, fand das alles bisher nur in Ihrem Kopf statt? Hier wird nicht in Phasen eingetreten – Phasen, das sind labile Übergangszustände, Frau Merkel, was haben Sie eigentlich während Ihres Physikstudiums getrieben, dass Sie das nicht wissen? Den Klassenfeind mit Ihrem Doppelkinn in Depressionen getrieben? Hier wird nicht Phasen eingetreten, Frau Merkel, hier wird nicht eingetreten, hier wird vorgerückt, agiert, gehandelt, beschlossen, umgesetzt, angepackt und durchgegriffen! Was ist das für ein seniler Quark, den Sie hier vorjammern – Sie unterbrechen mich noch genau einmal, dann haben Sie ein Problem – soll ich Ihnen Funktionsverbgefüge servieren, damit sich das Geschwätz noch eine Ecke hohler anhört? Zur Durchführung bringen? In Anwendung nehmen und zur Beschleunigung kommen lassen, was?

Aus der Nummer kommen Sie eben nicht mehr raus, Frau Merkel. Sie wollten Kanzlerin sein. Sie wollten die CDU als dominierende Partei und die FDP als billigen Mehrheitsbeschaffer. Sie wollten das. Nicht die anderen. Nur, dazu muss man auch etwas auf der Pfanne haben. Gestalten, wie Sie so gerne sagen, Frau Merkel. Wege einschlagen. Und nicht, wie Sie es aus guten alten Zeiten in der DDR kennen, zurücklehnen und warten, dass der nächste Zehnjahresplan im VEB Realsozialismus kommt. Da karrt man Ihnen eine Horde Knalldeppen in die Wahlkampfarena, die mit ihren orangefarbenen Schals einstudierte Ekstase nachturnen, und was macht die Kanzlerin? ‚Die Staatsratsvorsitzende der CDU freut sich über diese Begeisterung der Bevölkerung, die eine Ungeheure gewesen ist!‘

Was wird das? ‚Dass wir in den Jahren 2013 und 2014 dann auch sichtbare Erfolge sehen in Form von geringeren Leistungen für Hartz-IV-Empfänger.‘ Die Erfolge kommen in der nächsten Legislatur? Und: sichtbare Erfolge, die so sichtbar sind, dass man sie sehen kann? Sie sehen als Erfolg, dass Sie die vom Bundesverfassungsgericht als Existenzminimum bezeichneten Leistungen noch kürzen können? Sie sehen es also als Aufgabe für die kommende Wahlperiode an, mit Ansagen das Grundgesetz auszuhebeln, damit Sie den Banken mal wieder den Arsch retten können? Habe ich das richtig verstanden, Frau Merkel?

Sie wollen, dass es weitergeht? Egal was, nur: weiter? immer weiter? So? Weiter? Es interessiert Sie also schon gar nicht mehr, was in zwei, in fünf, in zehn Jahren sein wird, weil Sie sowieso eine Marionette sind? Weil Sie in Ihrer Partei nichts anderes können als Intrige und Machenschaft, damit Sie alles wegtreten können, was ansatzweise mehr im Schädel hat als Sie selbst? Und jetzt spielen Sie dem Volk die Kanzlerin vor? Ja, Sie spielen, zu mehr hat es doch nie gereicht. Nur, dass es jetzt ernst ist, Frau Merkel. Wortsalat, das können Sie absondern – wenn es darum geht, hätten wir auch Stoiber nehmen können. Unter ihm hätte es dieses Kindergartentheater garantiert nicht gegeben.

Und jetzt gehen Sie da raus. Ich habe es Ihnen oft genug gesagt: Klartext. Schluss mit diesem elenden Geschwurbel. Laut und deutlich. Sonst ist Ihre politische Karriere innerhalb der nächsten Viertelstunde zu Ende, haben wir uns verstanden? Gut. Dann gehen Sie da raus. – Meine Damen und Herren: die Bundeskanzlerin!“

„Wir haben ganz klar gesagt, wir müssen jetzt zeigen, 2011, 2012, 2013, 2014, die gesamte mittelfristige Finanzplanung muss überschaubar sein, und damit kommt Stabilität und Verlässlichkeit auch in diese Dinge hinein. Trotz aller schwieriger Entscheidungen sage ich: dieses ist notwendig. Notwendig für die Zukunft unseres Landes. Auch wenn, das will ich ganz deutlich sagen, es ernste Stunden waren und ich es auch für eine durchaus ernste Situation für unser Land halte, aber ich bin optimistisch, dass wir das schaffen können, wenn wir das jetzt auch so umsetzen, und das ist uns in harter Arbeit gelungen.“





Mittwochs geschlossen

9 06 2010

„Haben Sie da etwas Schriftliches? Haben Sie nicht? Ja, da kann man nichts machen. Dann kann ich Ihnen auch nicht helfen. Weil, Sie müssten da schon eine schriftliche Zusage haben. Sonst besteht da kein Rechtsanspruch nämlich, verstehen Sie? Das ist so, wenn Sie von der Bundesregierung nicht etwas Schriftliches bekommen haben, dann haben Sie auch gar keinen Beleg dafür, dass die da etwas tun wollten, nicht wahr? So ist das nun mal.

Wahlkampf? Ach, wissen Sie, da wird doch so viel erzählt, das können Sie nicht ernst nehmen. Das haben Sie ernst genommen? Ach du liebe Güte, wie konnte denn das bloß passieren… wie, den Koalitionsvertrag auch? Nein, das ist doch nichts. Das ist nicht belastbar. Das ist nur so ein Stück Papier. Da passiert nichts.

Da müssen wir nämlich sparen jetzt. Haben Sie das Schild gesehen über dem Eingang? Dann wissen Sie ja, dass wir neue Öffnungszeiten haben. Natürlich, das Bundeskanzleramt kann sich auch nicht mehr alles erlauben, wissen Sie – wir haben eben lange Jahre über unsere Verhältnisse gelebt hier, deshalb müssen wir nun Leistungen sparen. Mittwochs geschlossen. Wir können auch nicht ständig regieren. Da wird gespart, verstehen Sie?

Der Herr Außenminister wollte sich zwar erst beschweren, aber das hätte jetzt auch nichts mehr genutzt. Er hat sich dann eher auf Hoteleröffnungen verlegt. Sollten Sie auch mal machen – wegen der vielen Freizeit, nicht wahr? Ach, Sie sind gar nicht stellungslos? Dann will ich nichts gesagt haben.

Alleine die Beleuchtung. Und die Heizkosten, da muss man zuerst sparen. Es ist uns ja wirklich schwergefallen, aber das ging nun nicht anders. Wir konnten das Kanzleramt schließlich nicht den ganzen Tag über auflassen, wenn sich hier doch nichts abspielt. Mittwochs geschlossen, und dann den Donnerstag mit Freitag vormittags – ja, am Nachmittag war nämlich vorher auch schon immer zugesperrt, und jetzt auch am Vormittag, verstehen Sie? Das ist wie Brückentage, nicht wahr. Die Bundesregierung macht dann eine kleine Pause zwischen den Unterbrechungen, und solange die anderen Tage zu ist, wird einfach nichts gemacht. Bis auf weiteres.

Die Regierung heißt ja nicht Regierung, weil sie auf alles reagiert – das ist ein Missverständnis, nicht wahr, das hieße ja sonst Bundesreaktion, oder? Ja gut, reaktionär sind sie natürlich schon, das stimmt auch wieder.

Die haben da schon mal etwas vorbereitet. Damit das dann schneller geht, wenn sie dann mit dem Regieren mal anfangen, wissen Sie. Nein, das geht ja nicht sofort. 2009 mussten sie sich erst mal vom Wahlkampf erholen. Der Koalitionsvertrag, der musste ja auch irgendwann mal geschrieben werden, und dann war so fürchterlich lange Zeit bis zur Wahl in Düsseldorf. Und dann jetzt diese ganzen Tage, bis die Kabinettsklausur – der Bundespräsident? Das kam völlig überraschend. Darauf war wirklich niemand vorbereitet. Da mussten wir natürlich die Arbeit… also das, wie reguläre Wartezeit mussten wir auch erst einmal unterbrechen. Und dann werden wir nach der Fußball-WM, dann ist ja auch gleich Sommerpause, bis die Landtagswahlen kommen, Sie verstehen?

Dienstag zwischen zehn und halb elf, das ist… nee, warten Sie mal, das geht doch nicht. Da ist ja schon fast Mittagspause, wenn Sie dann kommen, ist die Kanzlerin entweder noch nicht da, die kommt immer so um elf, weil um eins ist dann Pause, und sie will rechtzeitig anderthalb Stunden vor dem Kanzleramtsminister aus dem Haus sein.

Dazwischen muss schon auch gespart werden. Wir fangen auch damit an, aber nicht so – erstmal rechnen wir ein paar Sachen aus, und dann warten wir, ob das Verfassungsgericht das auch zulässt. Die Hotels? Ja, das kommt noch dran, aber erst nach der Vermögenssteuer. Dazu müsste man sicher zehn Stunden am Stück ausrechnen, ob sich das lohnt – und wenn das Kanzleramt immer nur zwischen zehn und halb elf… also genau gesagt: es ist sowieso keiner hier, auch nicht nach zehn, nur der Hausmeister kommt hier mal kurz vorbei und schaut, ob der Wachdienst da war, weil der Wachdienst kommt ja auch schon nicht mehr. Die Türen sind ja immer verschlossen, nicht wahr, da braucht’s ja keinen Wachdienst. Das spart schon ein bisschen, man geht ja mit gutem Beispiel voran.

Da werden jetzt viele Stellen gestrichen. Sehr viele. Das sparen wir einfach alles ein. Nein, nicht durch sozialverträgliches Frühableben, die Stellen fallen nur irgendwann weg. In ein paar Jahren also. Oder in ein paar Jahrzehnten, das weiß man nie so genau, verstehen Sie, man kann ja jetzt noch nicht sagen, wann da jemand zu arbeiten aufhört. Und dann muss man natürlich für denjenigen auch noch die Pensionen zahlen, verstehen Sie? Ja, das ist alles ein bisschen unsicher. Aber sicher ist, dass man das jetzt bereits als Sparposten berechnen kann. Also so gut wie gespart. Also jetzt nicht gespart, sondern eher so, dass man wüsste, wenn man mit dem Sparen irgendwann anfangen sollte, dann wüsste man schon mal, wo. Ja, genau. So wie das Sparbuch von der FDP. Da ist ja auch nie etwas passiert – nach der Wahl.

Merken Sie sich das für nächstes Mal, mittwochs ist hier geschlossen. Ja, da brauchen Sie nicht so zu gucken. Handlungsfähig? Dabei sagt man doch immer: Geschlossenheit demonstrieren, vor allem nach draußen? Na, mir auch egal. Der Letzte hier macht das Licht aus.“





Auf Kohle geboren

18 05 2010

„Das hat meines Erachtens keinen Zweck. Wenn wir hier laufende Meter Bewerber ohne jede Qualifikation ins mittlere Management reindrücken, gefährden wir den Wirtschaftsstandort Deutschland. Nein, wirklich nicht. Es geht so nicht. Ja, das will ich Ihnen gerne verraten: weil wir momentan mit solchen Leuten die Ruhr zukippen können. Haben Sie in den letzten fünfundzwanzig Jahren mal so etwas wie eine Arbeitslosenstatistik in die Finger gekriegt, Kollege? Na, da bin ich aber beruhigt.

Das hat ja auch schon sehr viel Schönes, aber was genau soll ich mir jetzt darunter vorstellen? Soso, ein Studium der Rechtswissenschaft? das qualifiziert noch mal genau wozu? Hat nie in dem Beruf gearbeitet, also kann ihm das auch nicht als Qualifikationshindernis angerechnet werden? Sagen Sie mal, wollen Sie hier witzig werden, Männeken?

Museumsführer? Da können Sie den doch nicht von den Exponaten unterscheiden. Und wieso wollen Sie den überhaupt in den Publikumsverkehr rein haben, ich dachte, er verzieht sich jetzt endlich mal und geht dahin, wo er hergekommen ist? Was mit Medien? dann lassen Sie den Typen doch Zeitungsverkäufer werden. Medien, hallo – wir hier in NRW oder was? Noch alle Latten am Zaun, Sie Torfkopp? Was wird das denn hier? Das Ekel von Datteln? Was mit Medien, an was hätten Sie denn da so gedacht? Regionalfernsehen? Ach, ZDF? Da bringen Sie ihn unter, wenn seine Parteifreunde was ausgeguckt haben? Mann Gottes, Sie haben Humor – allein dies Gebissgezische, das geht doch nicht!

Laienprediger, so sehen Sie aus. Da war wohl Ihr Bauchgefühl mit im Spiel, was? Oder glauben Sie, der Alte recycelt seine Karnevalsrede noch mal im Kölner Dom? Spendensammler in der Kirche, Sie sind wohl mall – dem Mann drückt doch nicht mal der Erzbischof von Paderborn noch freiwillig den Klingelbeutel in die Hand! Und überhaupt Kirche, was soll das Ganze. Der Mann ist zu allem fähig? Das meinen Sie. Der ist vor allem zu nichts mehr zu gebrauchen.

Musiklehrer? Unser Denkzettel als Musiklehrer, was soll denn das nun wieder werden? Wollen Sie die Kinder jetzt schon im Vorschulalter in den Wahnsinn treiben? Sofortprogramm zur Rettung des deutschen Volksliedes? Diesen Rohrkrepierermist haben Sie immer noch auf dem Radar? Wie wäre es denn mit Bergbau? Er ist doch unser Arbeiterführer! Auf Kohle geboren, auf Kies gefurzt, der Onkel Jürgen, da kann er wullacken, oder? Bis jetzt hat er ja immer nur gegen die faulen Rumänen gehetzt, dann drücken Sie ihm mal ’ne Hacke in die Hand. Da kann er mal zeigen, was er in’n Pütt drauf hat. In den Schacht mit dem Mann! Mit dünner Luft kennt er sich ja bestens aus!

Losverkäufer, das wäre noch was. Ahnungslos, taktlos, geschmacklos, und jetzt zur Abwechslung mal arbeitslos. Soll er eben seinen Nachbarn fragen, den Brummifahrer. Ja, sagt er. Er fragt immer den Nachbarn, wenn er politische Entscheidungen treffen muss. Die Landespolitik in unserem schönen NRW wird von einem anonymen Lasterfahrer aus Pulheim gestaltet. Wozu wir hier noch einen Ministerpräsidenten brauchen? Was fragen Sie das denn mich, Sie Flitzpiepe?

Mann, was interessiert mich das – Sie sind doch hier der Berater! Wenn Sie den Wahlkampf für Ihren Herrn Ministerpräsidenten nicht rund gekriegt haben, weil auf einmal alle Ihre Angestellten zu den Ruhrbaronen überlaufen, ist das Ihr Problem oder ist das Ihr Problem? Hätten Sie sich halt ein paar Chinesen kaufen sollen, die sind kritikresistenter. Ja, ich kann das Schwarze auch nicht mehr sehen…

Dann machen Sie mal. Bestimmt ist in der Verwaltung irgendwo noch ein angemessener Spitzenposten frei. Die Kanzlersche soll ja ganz scharf sein auf Kohlreste. Die wird bestimmt einen Zukunftsminister von vorvorgestern ins Kabinett holen, jede Wette. Sicher. Das Luftkotelett wird bestimmt sofort der Vize vom Vize, was?

Tagesmutter, Taxifahrer, Möbelpacker, ist doch egal. Hauptsache, sie vermieten den und am Ende sind Sie ihn wieder quitt. Sie können den ja in die Lehre geben beim Westerwelle, der kann doch als Mietschnacker die schönen Hoteleröffnungen machen von der dritten Preiskategorie abwärts. Oder als Stimmungssänger mit Bauhelm und Zwangsjacke. Ist doch eh total am Verkinschen, der Alte, da kriegen Sie die Überreste wenigstens schnell aus dem Fernsehen, weil sich keiner mehr traut, den Typen noch zur normalen Sendezeit auf die Mattscheibe zu bringen. Keine gute Idee? Na, hätte ich mir denken können.

Haben sie denn den völlig umsonst geschruppt? Sollen wir den bis in alle Ewigkeit durchfüttern? Wo er doch gegen die SPD ganz alleine das ALG I durchgeboxt hat, das die FDP, die das auch ganz alleine gegen ihn durchgeboxt hat, wieder abschaffen will, damit er mit ihnen weiter koaliert? Ist das überhaupt realistisch? Und wer macht das wieder weg? Wissen Sie was? Doof aussehen, Scheiße erzählen, dafür jede Menge Kohle abzocken, und wenn’s nicht klappt, sind immer die anderen schuld – machen Sie doch eine Unternehmensberatung auf, am besten mit dieser anderen Luftpumpe, mit dem Krautscheid. Na sehen Sie, geht doch! Man muss nur wollen, dann findet selbst der größte Idiot noch einen Job.“





Willkommen in Münchhausen

7 12 2009

„Jawohl, Herr Schäuble. Selbstverständlich, Herr Schäuble. Sicher, Herr Schäuble. Natürlich, das war so angedacht, das wird jetzt auch so durchgezogen. Was das kostet, ist uns vollkommen egal. Aber echt vollkommen! Und was das bringt, ist auch einerlei, glauben Sie’s ruhig, Herr Schäuble!

Klar, wir haben uns das gut überlegt. Das ist erst der Anfang. Haben Sie das durchgerechnet? Ja, sehen wir auch so. Das mit dem Kindergeld sollte eigentlich gar nicht so sein, weil wir dann ja auch wieder mehr Kita-Plätze wegen der gestiegenen Geburtenrate, weil das… Wurfprämie? Nein, das müssen Sie nicht ernst nehmen, Herr Schäuble. Das kam aus dem Familienministerium.

Wegen der Gegenfinanzierung machen Sie sich mal keine Sorgen, die haben wir einkalkuliert. Also jetzt nicht direkt kalkuliert, Herr Schäuble – wir hatten da mal grob überschlagen., was das so in ungefähr kosten würde, wenn man… Selbstredend, Herr Schäuble. Das ist sogar sehr nachhaltig. Wir haben uns mit dem Wirtschaftsminister unterhalten. Der Herr Brüderle meinte, das sei nachhaltig, dann wird’s doch wohl stimmen? Aber wir müssen doch den Einzelhandel vor dem Hungertod bewahren! Und es ist doch auch nur vernünftig – schauen Sie, Herr Schäuble, das Geld, das wir heute einnehmen, das können wir auch nur heute ausgeben, oder? Wenn wir damit bis morgen warten, dann wird doch alles noch viel teurer!

Mit 20 Euro können Sie schon eine Menge anfangen, Herr Schäuble. Schauen Sie, deshalb sorgen wir ja dafür, dass diese verdammten Sozialschmarotzer das Geld gar nicht erst in die Finger kriegen. Wehret den Anfängen! Wenn Sie als Kleinkind für 20 Euro weniger zu fressen haben, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass Sie ein Alter erreichen, in dem Sie für 20 Euro weniger rauchen und saufen, nicht wahr? Genau, Herr Schäuble. Da geben wir’s doch lieber gleich den Reichen.

In den Einzelhandel? Nicht, dass ich wüsste. Die sparen doch lieber, Herr Schäuble. Aber das hatten wir durchdacht. Wir müssen doch die nächste Finanzblase bei den Großbanken gegenfinanzieren, die dann 2014… Das wussten Sie nicht? Da hatten wir doch eine konzertierte Aktion, Herr Schäuble. Da waren Sie wirklich nicht dabei? Wirklich nicht? Das ist merkwürdig. Die Frau Bundeskanzlerin vertraut Ihnen doch sonst auch immer?

Dafür sind das aber auch Länderfinanzen, Herr Schäuble. Oder die Gemeinden. Deshalb müssen wir die Mittel ja auch nicht komplett aus dem Bundeshaushalt nehmen. Und deshalb wird das mit der Gegenfinanzierung auch so gut… Das entzieht sich jetzt meiner Kenntnis, Herr Schäuble. Sicher ist nur, dass die Liberalen auf kommunaler Ebene nichts zu melden haben in Deutschland. Auf Landesebene sieht es annähernd ähnlich aus. Da kann der Herr Westerwelle natürlich gut große Töne spucken, weil er es ja nicht abkriegt, wenn auf Kommunalebene an der Bildung gespart werden… Meinen Sie, Herr Schäuble? Na, wenn er dann auf Bundesebene abgestraft wird, das kommt doch der Union auch zugute, weil dann die Wähler nicht mehr FDP, sondern wieder direkt CDU wählen. Ja, nicht wahr? Stellen Sie sich vor, wenn alle die, die es dem Westerwelle jetzt übel nehmen, dass er das Volk so schamlos… Ach wo. Bei der CDU ist das nicht so schlimm. Das erwartet der Wähler.

Wir hatten das Problem schon erkannt, weil die Frau Bundeskanzlerin eine gemeinsame Lösung angemahnt hatte – aber machen Sie das mal, Herr Schäuble! Klar, das mit der Anrechnung auf die Transferleistungen ist natürlich eine tolle Sache, aber wie machen wir das bei denen, die immer noch nicht arbeitslos sind? Nein, Herr Schäuble, zu unsicher. Es gibt ja Leute, die haben gar kein Auto, wo wollen Sie denn da mit der Steuererhöhung ansetzen? Mehrwertsteuer? Die hatten wir doch schon einmal nicht erhöht?

Das mit dem eigenen Zopf – das soll angeblich doch möglich sein. Also physikalisch. Sagt die Frau Merkel. Und von Physik versteht sie ja doch eine ganze Menge. Sagt sie. Ja.

Das sagen Sie so einfach, Herr Schäuble. Fakt ist doch, dass die Hotelübernachtungen nur deshalb für Privatleute preiswerter werden können, weil die für Geschäftskunden nicht preiswerter werden. Nein, das stimmt. Da werden sie teurer, weil man jetzt bei gleichen Kosten weniger Mehrwertsteuer beim Vorabzug geltend machen kann. Man müsste da als Ergänzung zur Vereinfachung des ganzen Steuersystems natürlich noch eine Ausnahme im Steuerrecht einrichten – doch, Herr Schäuble, das geht. Natürlich geht das! Das Rechte-Tasche-rein-linke-Tasche-raus-Prinzip ist in der Fiskalpolitik durchaus gängige Praxis, warum sollte es nicht auch bei Verwaltungsmaßnahmen funktionieren? Ja, ich weiß ja, dass Sie das den Bürgerinnen und Bürgern nicht zutrauen, aber glauben Sie mir, Herr Schäuble, nicht jeder ist so lernunfähig wie Sie!

Wir könnten sagen, dass die Reform letztlich wegen der Ministerpräsidenten nichts geworden ist. Genau, Herr Schäuble, wegen der Opposition – welche Opposition? Na, die innerhalb der CDU. Das eine muss das andere mittlerweile ja nicht mehr ausschließen. Genau deshalb machen wir das doch auch mit den Betreuungsgutscheinen – das kostet und kostet, und ich gebe Ihnen da mein Ehrenwort, dass das nichts bringt, Herr Schäuble! Und dann denken Sie vier Jahre weiter – die Wirtschaft im Eimer, die nächste Schuldenblase ist am Platzen, zehn Millionen Arbeitslose. Das muss alles Rot-Rot-Grün ausbaden!“





Bunte Gaben

5 12 2009

Allmählich wird das Weltgetriebe
ganz still und stumm und winterlich.
So naht heran das Fest der Liebe.
Wie gern hätt’ man es hinter sich!
Trotz Flittergold sind Weihnachtstage
durchaus kein schöner Augenblick,
denn wieder kommt die alte Frage:
    Was schenkt man bloß der Republik?

Famos wär auf dem bunten Teller
dies edle Ding: ein Spürgerät,
das einfach und geschickt, nur schneller
als je zuvor Betrug erspäht
und den Halunken gleich vom Hof jagt,
der lügt und täuscht und Falsches spricht.
Doch schaut, ob auch der Nächste doof fragt.
    Den braucht sie nämlich wirklich nicht.

Wie schön ist’s auch, wenn zuverlässig
im Innern alles sauber blinkt,
und dort, wo man gewohnheitsmäßig
den Schmutz verstaut, die Rose winkt.
Beschenkt sie gut mit einem Lappen
fürs Innre. Reinheit bringt ihr Lohn.
Doch nicht mit einem feigen Schlappen,
    so einen hat sie nämlich schon.

Wie herzig wär ein neues Sparschwein!
gar angefüllt mit Hausverstand!
Lieb Mütterlein, das mag wohl klar sein,
spart darin sich’s fürs Vaterland.
Schenkt ihr gar zwei – die beiden Dinger,
für heut und morgen reicht es schon.
Schickt ihr nur keine Hammerschwinger.
    Sie hat gewiss zu viel davon.

Ja, schenkt Minister, Sekretäre,
das Zeug verschleißt, wird schnell ersetzt
und kostet kaum. So mancher schwere
Fauxpas versank – man sah entsetzt,
aus Franken und aus Hessen krauchte
verdeppter Schmock im Narrenzug.
Davon gibt’s mehr, als man je brauchte.
    Und davon hat sie nie genug.





Der Kämmerer des Schreckens

29 10 2009

Der Fahrstuhl ruckelte und zuckelte – plötzlich schoss er in die Höhe, obwohl es mich an die Decke zu drücken schien. Wie in Trance sah ich, dass der Anzeiger auf 9¾ stehen blieb. Die Türen öffneten sich. Da stand Fählske. „Pünktlich auf die Minute“, lobte er, „treten Sie gleich herein, junger Freund!“ Kisten und Kästen verstopften die Korridore des Bundesministeriums der Finanzen. Sicher war noch Zeit, dass Peer Steinbrück einpacken könne. „Das kann er in der Tat“, bestätigte der Ministerialrat, „aber das hier gehört schon der neuen Führung. Wir stellen um.“ Umstellung? Würde es Aktendeckel in neuen Grautönen geben? ordentliche Buchführung? Was sollte das bedeuten? Fählske druckste herum. „Kommen Sie mit. Sie glauben es mir doch nicht, wenn Sie es nicht mit eigenen Augen sehen.“

Wir durchschritten die ministeriellen Korridore. Zwei Handwerker waren damit beschäftigt, eine Menge neuer Schilder an die Türen zu nageln. Ich stutzte. „Raum der Wünsche? Was hat denn das nun wieder zu bedeuten?“ Fählske zeichnete mit der Schuhspitze Kreise auf das Linoleum. „Es ist ja so: der Haushalt ist momentan, wie soll ich sagen… also es sieht gar nicht so gut aus, genauer gesagt, wir wissen eigentlich noch gar nicht, wie groß die Katastrophe ist. Und da muss man vorbeugen.“ „Sie wollen ernsthaft behaupten, dass Sie Ihren ganzen Laden jetzt nach dem Harry-Potter-Prinzip… nein, sagen Sie mir, dass das nicht wahr ist!“ „Ich weiß es doch selbst“, jammerte der Fiskalbeamte, „aber wir konnten nichts machen. Der Chef hat ja schon vorher einen Schatten gehabt, aber jetzt dreht er komplett durch!“ „Und was wird hier gemacht?“ „Nicht viel. Der Chef sitzt hier herum und murmelt stundenlang etwas von Aufschwung oder beschwört Wirtschaftswachstum von zwanzig Prozent herauf. Was sollen wir denn machen?“ Ja, was sollte man?

Weiter ging’s, rechts lag die Heulende Hütte für die Planungskommissionen des Koalitionsvertrags, links führte eine Tür zu Zonkos Scherzartikelladen, wo sich ein Team von Unternehmensberatern neue Steuern ausdenken sollte. „Die Rückwärtslauf-Abgabe, den progressiven Montag-bis-Mittwoch-Spitzensteuersatz und den Schluckauf-Freibetrag haben wir schon durchgekaut, aber der Verbotene Wald sagt, das ginge alles nicht.“ „Der Verbotene Wald?“ „Das Bundesverfassungsgericht natürlich. Ich vergaß zu erwähnen, dass wir auch einige neue Sprachregelungen eingeführt haben.“

Die Tür zur Magischen Menagerie war abgeschlossen. Fählske bedauerte: „An sich gar nicht so schlimm, es sind in Wirklichkeit nur kleine Puschelkätzchen und Wauwaus, die als reißende Raubtiere verkleidet werden. Völlig harmlos.“ Ich blieb skeptisch. „Und warum leisten Sie sich nicht richtige Giftschnecken?“ „Ich bitte Sie! Echte Steuerprüfer bei den Industrieunternehmen – das kann man der Wirtschaft ja nun wirklich nicht zumuten!“

„Cheffe? Wo stell ick’n Deluminator hin?“ Der Möbelpacker schleppte einen gewaltigen Karton die Treppe hinauf. Ich sah ihm interessiert zu. „Sie benutzen das Ding als Ortungsgerät, wenn Sie auf Sicht fahren?“ „Keinesfalls“, korrigierte Fählske, „wir setzen es seiner eigentlichen Bestimmung gemäß ein: als Verdunkelungsapparat.“ Das wollte ich nun genauer wissen: „Warum dies?“ „Wissen Sie eigentlich, wie lästig der Bundesrechnungshof sein kann?“ Ich begriff. „Und sicher haben Sie irgendwo auch ein Denkarium versteckt?“ „Das steht im Büro vom Herrn Minister. Wir wollten es eigentlich mit der Vorratsdatenspeicherung koppeln, aber die fällt jetzt ja nicht mehr in Schäubles Ressort. Und da mussten wir uns eben einiger anderer Mittel bedienen, wie Sie sehen.“

Das Zimmer am Ende des Flügels war mit schwarzem Samt ausgeschlagen; kryptische Zeichen an den Wänden ließen es wie einen Tempel erscheinen. „Das hier“, erklärte Fählske stolz, „wird der Durchbruch sein! Ab sofort gibt es keine Steuerausfälle mehr – das Problem ist für alle Zeit gelöst!“ „Online-Überwachung?“ „Viel besser“, warf er sich in die Brust, „ein Spickoskop! Ab jetzt gibt es keine Heimlichkeiten mehr. Wir erkennen jeden Steuerhinterzieher!“ „Na, das wird ja die Kollegen im Wirtschaftsministerium freuen. Oder wie handhaben Sie das mit den Steuergeschenken für die Großkonzerne?“ Fählske schlug eine Portiere zu einem Schränkchen auf. „Für unsere Leistungselite haben wir selbstverständlich noch an ein Verschwindekabinett gedacht. Bei genügend hohen Umsätzen sind Sie dabei – oder bei genügend hohen Schulden, je nachdem.“

Beschwingt lief er vor mir her. „Sogar die Kantine hat sich völlig verändert. Gut, der Bohneneintopf mit Ohrenschmalz ist nicht jedermanns Sache, aber Sie sollten einmal die Schokofrösche kosten – einfach zauberhaft!“ Und schon standen wir am Ende des Flurs. Die Tafel an der Wand verzeichnete alle Abteilungen des Finanzministeriums. „Magische Strafverfolgung“, las ich, „Internationale Magische Zusammenarbeit, Mysteriumsabteilung – das dient wohl auch Ihrer Verschleierungstaktik?“ „Ganz recht“, bestätigte er, „aber wir haben die Abteilung noch nicht besetzt. Vorerst brauchen wir alle im Deluminationsressort.“ „Und was machen Sie mit diesem Fachbereich?“ „Wir bereiten uns darauf vor, dass man den ganzen Mist, den wir hier produzieren, nicht merkt. Haushaltslöcher, Milchmädchenrechnungen, die ganzen Schuldenberge.“ Fassungslos blickte ich ihn an. Er legte mir tröstend seine Hand auf die Schulter „Na, halb so schlimm. In vier Jahren ist der ganze Zauber ja sowieso vorbei.“





Zimmer frei

28 10 2009

„Du, Angela?“ „Ja, Horst?“ „Sag mal, hast Du den Stecker vom Kühlschrank rausgezogen?“ „Ich habe ihn gar nicht erst reingesteckt.“ „Aber warum denn, Angela?“ „Der Guido hat noch keinen Strom legen lassen, und ich dachte, wir könnten vielleicht die ersten paar Tage mal ohne…“ „Ja Himmisakrament, wo soll ich denn jetzt hin mit meinem Weißbier und dem Leberkäs? Seid’s denn narrisch geworden?“ „Jetzt reg Dich doch nicht so auf, Horst. Der Guido brauchte halt das Geld für die Betten.“ „Welche Betten? Ich dachte, wir haben gar kein Geld dazu?“ „Der Guido wollte aber neue Betten, da habe ich’s ihm erlaubt. Er hat mir keine Ruhe gelassen.“

„Shalim-Shalom-Shalömchen, ich bin’s, Euer Guido! Na, was geht ab?“ „Ich geb Dir gleich was-geht-ab, Du Bazi! Den Strom hast nicht bezahlt! Das geht doch nicht!“ „Mensch Horst, jetzt bleib mal locker – Deine Wurst kannst Du auch frisch kaufen und das Bier stellst Du einfach auf den Balkon!“ „Du Guido, wir haben keinen Balkon.“ „Wie, keinen Balkon?“ „Wenn ich’s Dir doch sage, wir haben keinen.“ „Aber ich will einen!“ „Du hast schon neue Betten gewollt, was war das wieder für ein Schmarrn?“ „Da sind sie doch, Horst. Gestern angeliefert.“ „Was? Wo?“ „Die kommen um halb elf zurück.“ „Wieso zurück?“ „Horst, der Guido hat halt die aus dem Kanzleramt genommen.“ „Aber dann haben wir doch im Kanzleramt keine mehr?“ „Eben. Aber wir werden eine Lösung anstreben für diese Problematik.“ „Sag einmal, Angie, bist jetzt auch deppert? Wir haben keine Betten hier!“ „Weil der Guido nicht die von Frank-Walter wollte. Da hat er ganz fest versprochen, dass es neue gibt.“ „Ja aber es gibt keine neuen und auch keine alten!“ „Jetzt macht hier mal keine Welle, Freunde! Wir haben neue Betten. Die stehen bloß im Kanzleramt. Die alten Feldbetten aus dem Keller. Die müssen wir bloß jeden Abend hier herüber…“

„Horst, jetzt lass doch! Der Guido meint es doch nur gut.“ „Der hat die Betten neu gekauft, die uns sowieso schon gehören und…“ „Ist ja gar nicht wahr!“ „Du hast da Geld zum Fenster rausgeworfen und wir haben immer noch keine Betten!“ „Ist ja nicht wahr, ist ja gar nicht wahr!“ „Und wo soll ich jetzt schlafen?“ „Du, Horst, das kriegen wir schon in den Griff. Wir können doch auch mal auf den Matratzen schlafen.“ „Äh, nein.“ „Wieso, Guido?“ „Das ist, ääh… ich habe die neuen Matratzen erst mal ins Leihhaus gebracht.“ „Wofür denn?“ „Damit ich die Bettgestelle kaufen kann.“ „Die uns sowieso schon gehören? Kruzitürken, und wo sind die alten Matratzen?“ „Die sind… also wir müssen da als Liberale auch eine eigene Note setzen und uns…“ „Jetzt sag’s halt endlich!“ „Horst, jetzt bleib doch mal ruhig! Es hat doch keinen Zweck, wenn Du Dich aufregst, es ist ja nicht mehr zu ändern jetzt. Der Guido hat sie auf den Sperrmüll gebracht.“ „Aber wir haben doch noch die Bettgestelle.“ „Im Kanzleramt.“ „Dann erhält das eben ab sofort die Aufgabe, uns ein attraktives Angebot zur freiwilligen Zusammenarbeit zu unterbreiten.“

„Und die Mietkaution? Habt Ihr die hinterlegt?“ „Ich dachte, das machst Du, Angela?“ „Warum denn ich?“ „Du bist doch die Hauptmieterin.“ „Ach Guido, das hatten wir doch schon besprochen. Ich mach das wie immer: ich halt mich aus allem raus.“ „So geht’s aber nicht, Angela! Du hast den Vertrag unterschrieben, also musst Du auch die Miete…“ „Miete? Ich dachte, das Haus gehört uns?“ „Horst, erklär ihr das doch noch mal, was ein Mietvertrag ist.“ „Zwecklos, Guido. Sie kapiert’s ja doch nicht.“ „Guido, das ist gemein von Dir! Ich finde, wir sollten Geschlossenheit zeigen und…“ „Angela, woher soll denn überhaupt die Miete kommen?“ „Sag Du’s mir.“ „Hast Du Dir da überhaupt keine Gedanken gemacht?“ „Also ich plane, ob eine Planfindungskommission…“ „Angela, das hilft uns nicht weiter.“ „Wir müssen uns etwas überlegen.“ „Das fällt Dir ja früh ein!“ „Wie können wir denn die Mietkosten wieder reinkriegen.“ „Arbeit?“ „Prima Idee, Guido! Damit erhöhen wir für uns den Anreiz, uns eine voll sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu suchen und anzunehmen. Das kann auch dazu beitragen, die Sozialkassen zu entlasten!“ „Kann, kann, kann – so ein Gelump, so ein damisches! ‚Kann die Hirndurchblutung fördern‘ – das hatte ich doch schon mal irgendwo gelesen?“ „Das sind die Pillen auf ihrem Nachttisch, Horst.“ „Ich hab’s! Wisst Ihr, wie viel so eine Poolreinigung kostet? Wir lassen einfach den Pool nicht mehr…“ „Angela, das Haus hat gar keinen Pool.“ „Hm. Das ist doof, Guido.“ „Warum?“ „Ich hatte das nämlich schon so mit dem Haushaltsgeld verrechnet.“ „Wie das denn?“ „Weil ich sonst die kapitalgedeckte Altersvorsorge für uns nicht bezahlen kann.“ „Welche Altersvorsorge?“ „Da war dieser nette Herr von der Versicherung, und ich wollte…“ „Was hast Du Dir da wieder für einen Blödsinn aufschwatzen lassen?“ „Also ich finde das voll okay, Horst. Da hat Angie mal richtig mitgedacht. Dann können wir nämlich im Alter die Miete davon…“ „Sakradi, und wovon bezahlen wir sie jetzt?“ „Horst, jetzt rede doch nicht alles klein. Ich hatte so schöne Zielvorstellungen, dass sich der Wettbewerb der Ideen im ständigen Bemühen um eine Erbringung des Mietzinses entfalten kann, wenn wir…“ „Ah bah, ein Schmarrn ist das!“ „Horst, jetzt sei kein Spielverderber! Et is noch immer jot jejange, wie wir Rheinländer…“ „Ein Schmarrn, sag ich! Wir sind hier schneller wieder draußen, als wir einziehen können!“ „Das glaube ich nicht. Wir haben uns nämlich ein tolles Gesetz ausgedacht. Damit dauert eine Räumungsklage jetzt mindestens vier Jahre!“





Abgewickelt

27 10 2009

„Hallo, Zentrale? Stellen Sie mich doch jetzt mal in die Chefetage durch, das dauert ja wieder ewig! Arbeitet denn in dem Laden überhaupt noch einer? Hallo! Hallo! Na endlich, Menschenskind, das ist aber auch… Was soll ich denn da sagen, ich telefoniere Ihnen doch schon seit gestern hinterher, nie kriegt man mal einen ans Rohr. Ist doch wahr!

Also das muss ich Ihnen ja mal sagen, also wie Sie da gewirtschaftet haben – sagenhaft, die Karre an die Wand gefahren und dann schmeißen Sie das Geld mit beiden Händen zum Fenster… Jetzt unterbrechen Sie mich nicht, das kann ich gar nicht leiden! Jawohl, zum Fenster raus! Und Sie wundern sich, wenn Sie jetzt rechtliche Schwierigkeiten am Hals haben? Na Prost Mahlzeit, da werde ich doch gleich… Konzept erstellen, neue Impulse, ach hören Sie doch auf mit diesem ganzen Gewäsch. Das glaubt Ihnen doch keine Sau mehr. Sie haben die Leute von vorne bis hinten belogen, so sieht’s doch mal aus! Anstatt, dass Sie an Arbeitsplätze denken, nein, da muss die Dame natürlich auf dem internationalen Parkett… Ihre Aufgabe? Ich will Ihnen mal sagen, was Ihre Aufgabe ist. Ihre Aufgabe ist es, den Laden zusammenzuhalten und eine ordentliche Bilanz zu machen, so! Aber statt mal die Bücher unter die Lupe zu nehmen, warten Sie ja lieber, bis die Hütte brennt, und dann…

Jetzt mal ganz langsam – Sie haben das Geld einfach beiseite geschafft. An der Bilanz vorbei. Jawohl, an der Bilanz vorbei! Und dann immer mal hier und mal da noch in Schnickschnack investiert, aber keine Substanz mehr in der Kiste. Was soll man denn da noch groß sanieren? Da ist doch nichts mehr! Da ist doch einfach nichts mehr!

Stabile Entwicklung, ich bitte Sie, was ist denn heute noch stabil? Das stabilste ist doch Ihr ganzes Krisengejammer, so kriegt man doch keinen Aufschwung hin! Investitionsfreundliches Klima, das ist doch Kokolores, was glauben Sie eigentlich, was der kleine Mann auf der Straße von Ihnen denkt? Sie sind doch längst bankrott, und das wissen Sie genau so gut wie ich. Was reden Sie denn um den heißen Brei herum, das hätte man doch alles schon vor der… Kredit? Sie haben wohl einen Triller unterm Pony! In der Situation auch noch die Schulden vergrößern, wer macht denn so einen Unfug? Für die Wirtschaft? Wie bitte? Was glauben Sie denn, was die Wirtschaft von Ihnen erwartet? Die erwartet, dass Sie sich still und leise zum Sterben in die Ecke legen und uns nicht weiter mit Ihrer Inkompetenz belästigen!

Weil das eben alles von Vorgestern ist! Meine Güte, das ist doch so was von out, was Sie da machen. Haben Sie sich eigentlich schon jemals ernsthaft mit dem Thema Internet befasst? Ach Gott, das ist ja rührend, dass Sie sogar wissen, was ein Browser ist… Also jetzt alles nachmachen, was die anderen schon lange vor Ihnen gemacht haben, das bringt doch auch nichts. Das ist doch bloß Kosmetik. Sie haben eben den Zug der Zeit nicht mitbekommen, die Geschichte ist über Sie hinweg, da kommt auch nichts mehr. Da kommt nichts!

Das verstehen Sie unter sozialer Gerechtigkeit, wenn Sie ein Drittel ersatzlos streichen? Sind Sie denn vom Wahnsinn umzingelt? Damit können Sie sich doch nicht mehr vor Ihre eigene Mannschaft stellen, die werden Sie glatt… Ach, die Leute sind Ihnen egal? Was? Die haben zu kuschen? Das nenne ich mal Verantwortungsbewusstsein – in der Krise mit Geld um sich schmeißen, das dann später fehlt, große Versprechungen machen, dass jeder weiß, Sie können sowieso nichts einhalten, und wenn das Ding platzt, dann dürfen es die kleinen Leute ausbaden, weil Sie gerade keine Lust haben, sich damit zu befassen. Nein, ist es nicht! Ich nenne das Feigheit, damit Sie’s nur wissen! Feigheit, Charakterlosigkeit und Opportunismus! Ihnen kommt es doch gar nicht auf eine Lösung an, Sie wollen doch bloß in die Medien, um ein bisschen über die Probleme zu schwafeln und eine möglichst hübsche Figur zu machen. Was ist denn daran bitte Verantwortung? Das wollen Sie mir doch nicht ernsthaft weismachen!

Vorfinanzierung, das ist doch lächerlich, haben Sie denn eine Glaskugel? Drucken Sie Ihr Geld selbst? Was soll denn eine Vorfinanzierung? Sie können doch aus dem Budget nicht mehr rausholen, als drin ist. Wo nehmen Sie denn das Geld her? Also an das Märchen mit der Portokasse glaube ich ja schon lange nicht mehr, das können Sie Ihrer Großmutter erzählen. Und wenn Ihr Management sowieso der Meinung ist, dass diese ganze Blase platzt, was tricksen Sie denn jetzt noch damit herum? Um die letzte Glaubwürdigkeit auch noch zu verspielen? Wollen Sie das wirklich?

Gehen Sie mir doch ab! Strategische Neuausrichtung, das hat doch noch nie geklappt! Was wollen Sie denn da auch groß ausrichten, der ganze Laden ist doch leer! Da ist doch nichts mehr zu holen! Ja, Öffentlichkeitsarbeit, Bürgernähe – ich will es mal so sagen: der Bürger ist doch inzwischen froh, wenn er mal einen Tag lang nichts von Ihnen mitbekommt. Die Leute können es doch nicht mehr hören, die schalten doch den Fernseher ab, wenn sie nur… Hallo? Hallo? Sind Sie noch dran? Hallo? Sie haben gar keinen Grund, hier die beleidigte Leberwurst zu… Das Spiel ist aus, Karstadt und Quelle sind pleite, Sie können jetzt nur noch den Insolvenzverwalter… was, nicht Arcandor? Mit wem rede ich denn da die ganze Zeit? Was? Hallo? Frau Merkel? Hallo! Hallo! – Falsch verbunden. Oder doch nicht?“