Ärzte ohne Grenzen

11 11 2009

„Lassen Sie nur, er ist mein Begleiter.“ Der bullige Türsteher ließ uns passieren. „Jetzt ganz unauffällig dreinschauen“, wisperte Doktor Klengel mir zu, „und denken Sie daran: Sie sind Doktor Rübele aus Potsdam.“ Ich tastete nach dem Schildchen in der Anzugtasche. Nichts konnte mehr schief gehen. Ich war tatsächlich auf dem Ärztekongress.

Die Lachshäppchen waren angenehm groß, aber unangenehm trocken. Dafür mangelte es nicht an lauwarmem Champagner. Klengel stieß mich an. „Der Vortrag geht gleich los, kommen Sie.“ Der Saal füllte sich schnell. „Der erste Referent ist ein Seuchenspezialist“, informierte mein Hausarzt. Unter schütterem Applaus betrat der Pestilenz-Professor die Bühne. „Wir stehen vor einer gewaltigen Katastrophe“, hub er an, „vor einer entsetzlichen Tragödie von, lassen Sie es mich beim Namen nennen, biblischem Ausmaß!“ Ein Raunen schlich durch den Raum. „Die Schweinegrippe ist eine furchtbare Prüfung, eine Plage, die wir, lassen Sie mich das aussprechen, alle durchstehen müssen. Sie wird sehr viel Kraft, ja, lassen Sie…“ „Was redet der Mann da eigentlich“, flüsterte ich, „die Grippewelle hat doch noch nicht einmal begonnen.“ „Er ja auch noch nicht“, kicherte Klengel. Ich begriff, als der Redner endlich auf den Punkt kam. „Lassen Sie mich das Schreckliche in aller Deutlichkeit zur Sprache bringen – kein Mensch glaubt an die Schweinegrippe!“

Man meinte, die versammelte Ärzteschaft in namenloser Erschütterung zu erleben. Unaufhörlich bohrte der Virenapostel weiter in der Wunde. „Wir haben nur wenige Mittel, nur begrenzte Ressourcen, um dieser Lage Herr zu werden. Wir müssen die Menschen aufklären.“ Tosender Applaus erscholl. „Wir müssen den Patienten klarmachen, dass die Chance, an der Neuen Grippe zu versterben, so hoch ist, wie von einem Hund gebissen zu werden!“ Ich räusperte mich. „Das ist Unfug“, widersprach ich, „woher hat dieser Mann die Zahlen?“ Klengel belehrte mich umgehend; er hatte den Artikel in der Fachzeitschrift gelesen. „Statistik, mein Lieber, reine Statistik. Die Zahl der Schweinegrippetoten, hochgerechnet auf zehn Jahre, ist annähernd so groß wie die der Hundebissopfer in Hessen im dritten Quartal 1983.“ „Das ist doch Quacksalberei! Würden Sie das Ihren Patienten sagen?“ Er zuckte die Schultern. „Die meisten fragen ja nicht nach.“

Das Pandämonium ging weiter. „Mittlerweile ist es so weit, lassen Sie mich das so ausdrücken, dass die Menschen sich immer und überall die Hände waschen. Sie verwenden Desinfektionsmittel! Flüssige Seife!“ Das Stöhnen der Medizinmänner richtete meine Nackenhaare auf. „Papierhandtücher und Mundschutz“, fuhr der Infektionsprophet fort, „Körperhygiene – doch keiner weiß, ob es nicht wirklich alles noch viel schlimmer als schlimm sein wird oder vielleicht noch viel schlimmer! Die Menschen müssen endlich begreifen, dass diese abscheuliche Krankheit von derart exorbitanter Entsetzlichkeit sein könnte, dass in diesem Fall die Hygienemaßnahmen völlig überflüssig wären. Und da wir ja auf das Schlimmste vorbereitet sind…“ Der Rest ging in aufbrandendem Beifall unter.

„Sagen Sie mal“, wandte ich mich an Doktor Klengel, „wer bezahlt eigentlich dies pandemische Panoptikum? Die Krankenkassen oder der Ärztebund?“ „Wo denken Sie hin?“ Er fächelte sich mit dem Programmheft abgestandene Luft zu. „Die Pharmakonzerne natürlich.“ „Ich dachte, dies sei ein medizinischer Fachkongress?“ Klengel nickte. „Ist es ja auch.“ „Aber ich komme mir hier vor wie auf einer Kaffeefahrt mit Heizdeckenpropaganda.“ „Keinesfalls“, entgegnete er, „auf der Kaffeefahrt sollen Sie die Heizdecken kaufen, um keinen Ärger zu bekommen. Hier sollen Sie sie verkaufen.“ Ich schluckte trocken.

Der Grippegreifer holte zum entscheidenden Schlag aus. „Und deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir lückenlos, müssen wir umfassend, lassen Sie mich das jetzt hier in aller Entschiedenheit sagen, darum müssen wir die Verdachtsfälle schonungslos dokumentieren, um überall im Land das richtige Bewusstsein für ein sich entwickelndes Gefahrenpotenzial zu schaffen!“ „Ich begreife es nicht“, murmelte ich, „sie klatschen und merken nicht, dass eine Massenhysterie geplant werden soll.“ „Aber das ist doch nicht unser Part.“ Klengel stimmte in den Schlussapplaus ein. „Das richtete sich an die anwesenden Medienvertreter.“

Wir verließen den Saal. Noch immer klemmte das Schild, das mich als Doktor Gotthold Rübele auszeichnete, an meinem Revers. Hier und da traf mich ein freundliches Nicken. Offenbar war mein Name ein Begriff. Ich war irritiert. „Wer bin ich eigentlich?“ „Sie haben einige Sachen über den Rechtsschenkelblock publiziert“, belehrte mich der echte Arzt an meiner Seite, „und sind folglich ein Kardiologe.“ „Was ist das genau?“ „Ein kleiner Zacken, den man im Elektrokardiogramm sieht. Er tut nichts, oft ist keine Ursache festzustellen, und infolgedessen braucht man dafür keine Therapie. Eine nutzlose Krankheit, gewissermaßen.“ Ich blickte ihn bissig an. „Es klingt, als litte das Gesundheitswesen daran.“

„Mein lieber Rübele!“ Der Pharmarodeur eilte auf uns zu. Mir wurde schwarz vor Augen. „Ihre Abhandlung über arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie – fabelhaft! Sie sind ein großartiger Diagnostiker!“ Geschmeichelt schüttelte ich ihm die Hand. Doch da konnte ich nicht widerstehen. „Und, lassen Sie sich auch impfen?“ Er tippte sich an die Stirn. „Ich? Impfen? Bin ich denn bescheuert?“





Angst nach Plan

25 08 2009

Wohlleben telefonierte noch, als ich den Raum betrat. Mit einer ausholenden Geste lud er mich ein, Platz zu nehmen. „Ja, und Gasmasken. Auf jeden Fall Gasmasken! Wir ziehen dann die Summe von den Einmalhandschuhen ab, verstanden?“ Offenbar handelte es sich um eine dringliche Sache, denn er sprach schnell und notierte nebenbei eifrig Zahlen. „Und vergessen Sie mir bloß nicht die Klebepunkte. Ja, rote und grüne. Oder Gelb, wenn Sie Rot nicht bekommen, das ist unwichtig. Hauptsache, es ist irgendwie rund, bunt und klebt zuverlässig.“

Das Gespräch war beendet und Wohlleben goss Kaffee in meine Tasse. „Wir haben alle Hände voll zu tun, die nächsten Tage werden bestimmt noch anstrengend für uns alle, bis die Schweinegrippe in Sack und Tüten ist.“ Ich fragte ihn, ob er mit der medizinischen Versorgung einigermaßen zurecht käme, doch er schüttelte den Kopf. „Medizinische Versorgung? Nein, das geht mich alles nichts an. Wir koordinieren nur.“ „Also Sie sorgen für einen geordneten Ablauf der Impfungen? Sie kümmern sich um die Logistik?“ „Aber nein“, lachte Wohlleben, „im Gegenteil! Ganz im Gegenteil, wir sind für Panik, Angst und irrationale Reaktionen zuständig.“ „Sie gehören zum Katastrophenschutz, der im Seuchenfall…“ „Ach Gott, nein doch! Wir richten uns nicht auf Panik ein. Wir schüren sie.“

Ich glaubte, mich verhört zu haben. Was war das für eine Dienststelle? „Nennen wir es Hysterie-Management“, erklärte Wohlleben ruhig, „wir rationalisieren Irrationales.“ Hysterie-Management? „Das braucht’s durchaus. Schließlich will Panik gut organisiert sein. Sie ahnen gar nicht, was sonst alles aus dem Ruder laufen könnte.“ Ich wand mich, doch es schien ihn nicht zu beeindrucken. „Unsere Aufgaben sind vorwiegend psychologischer Natur.“ „Massenpsychologie?“ „Ja“, nickte er, „zum großen Teil. Wir steuern Affekte.“ Das verstand ich wieder nicht. „Schauen Sie, es ist doch so: wenn Sie in den Medien täglich mit der Schweinegrippe konfrontiert werden, stürmen ungeheuer viele Affekte auf Sie ein. Angst, Wut, Schuldgefühle, das Gefühl der eigenen Minderwertigkeit – nehmen Sie das nicht auf die leichte Schulter, das macht etwas mit Ihnen. Jetzt müssen Sie darauf reagieren.“ Er nippte an seinem Kaffee. „Sie dämmen die Überreaktionen ein, richtig?“ Wohlleben schüttelte energisch den Kopf. „Wir putschen sie auf, bevor sie von alleine entstehen können. Durch Deprivation.“

Unter Deprivation hatte ich bislang immer eine Reaktion auf Entzug verstanden. „Das ist ja auch völlig korrekt“, bestätigte Wohlleben, „nur müssen wir eine relative Deprivation da erzeugen, wo wir sie als sozialtherapeutisches Mittel auch nutzen können.“ Sozialpädagogik? „Wenn Sie so wollen. Schauen Sie, es ist doch heute alles so enorm schwierig. Ist Ihr Arbeitsplatz sicher? Denken Sie, dass Sie in den nächsten Tagen das Opfer eines Terroranschlags werden könnten? Fürchten Sie sich davor, dass ein durchgedrehter Richter Sie in Haft nehmen könnte, weil Ihre Schuld nicht zu beweisen ist?“ „Sie treiben den Teufel mit dem Beelzebub aus.“ „Ja, das ist richtig. Es herrscht Angst – das allein wäre noch nicht so gravierend, die ist ja auch durchaus gewünscht – und wir sorgen dafür, dass sich die Angsthasen an der richtigen Stelle in die Hose machen.“

„Was bringt uns denn diese Deprivation? Wir werden angeleitet, uns schlecht zu fühlen?“ „Exakt. Wir trichtern Ihnen ein, dass die Schweinegrippe eine Bedrohung für die ganze Menschheit ist – Sie reagieren mit Panik. Dass sich die Wirtschaft in ihre Einzelteile zerlegt, dass die Umweltzerstörung in einem Riesentempo voranschreitet, dass wir von einem Haufen neoliberaler Arschlöcher für eine außenpolitische Profilneurose verheizt werden – das wäre sozialer Sprengstoff, verstehen Sie? Wenn Sie unbedingt durchdrehen wollen, halten Sie sich an die Spielregeln. Drehen Sie durch, weil die Grippe kommt. Das nimmt Ihnen keiner krumm.“

Ich tupfte mir den Schweiß von der Stirn. „Das wird aufkippen, glauben Sie nicht?“ „Möglich“, gab er zurück, „aber so schnell geben wir nicht auf.“ „Sie müssen damit rechnen, dass jemand die richtigen Fakten zur Hand hat und denken kann.“ Wohlleben lächelte sanft. „Das sehe ich nicht. Gut, wenn – ich sage: wenn – wenn wir die Schweinegrippe bekämpfen wollten und nicht das Volk, würden wir den Leuten einfach empfehlen, sich öfter die Hände zu waschen. Mit einem Mundschutz und einem Dutzend Latexhandschuhen pro Tag wäre die Infektionsgefahr sofort minimiert. Wir könnten den Leuten auch reinen Wein einschenken.“ Also vor den wirklichen Gefahren warnen? „Wirkliche Gefahren…“ Wohlleben schmunzelte. „Schauen Sie, es ist wahrscheinlicher, dass Sie sich in einer Kantine oder im Krankenhaus an Salmonellen infizieren und daran versterben, wenn Sie zu der Schweinegrippe-Risikogruppe gehören. Fordert vielleicht deshalb jemand, alle Grillhähnchen-Stationen niederzubrennen? Oder nehmen Sie AIDS.“ Der Kragen wurde mir eng. „Sie blenden die realen Gefahren aus. Wozu brauchen Sie dann bunte Klebepunkte?“ „Wir könnten den Leuten auch sagen: lackiert Euch die Fußnägel rosa. Völlig egal. Wenn man ihnen sagt, was sie zu tun haben, drehen sie kontrolliert durch. Und wir müssen uns nicht mit einer realen Panik das Leben schwer machen.“

„Das klingt mir alles ziemlich nach einem Notfallplan für einen ABC-Angriff. Ich kenne diese Dinger.“ „Ja, was waren das damals noch Zeiten“, schwärmte Wohlleben, „die Aktentasche über den Kopf ziehen, wenn’s rummst, dann in der Sammeldusche abseifen – aber das war gestern. Es gibt keine Parallele zur biologischen Kriegführung – hier bekämpft die Politik das eigene Volk, was doch immerhin ein Unterschied ist.“ „Sie züchten den Verfolgungswahn“, sagte ich hart, „und verkaufen dann die Medikamente dagegen.“ Er verzog nicht einmal das Gesicht. „Richtig. Und da wir beide Seiten kontrollieren, verlieren wir auch nie die Kontrolle.“ „Das ist menschenverachtend!“ „Menschenverachtend“, replizierte er kalt, „wäre es, der Bevölkerung die nackte Wahrheit zu sagen. Dass diese ganzen Impfungen Unsinn sind, weil die Medikamente über die Kanalisation in Gewässer einfließen, so dass die Wasservögel zu Wirten für resistente Virenstämme werden. Dass diese Stämme fortwährend mutieren und jede Impfung Kokolores ist, weil man schließlich keinen Impfstoff entwickeln kann für Krankheitserreger, die erst in der Zukunft existieren. Menschenverachtend wäre es, den Leuten zu sagen, dass die Immunologen in Bezug auf Grippe vor einem Rätsel stehen, weil sie die Krankheit nicht einmal ansatzweise begreifen, geschweige denn die Therapie. Warum bekommt man die Grippe im Herbst und Winter, wo doch die Viren auch im Sommer herumschwirren? Wollen Sie die Leute damit panisch machen?“

Ich setzte die Kaffeetasse ab. „Immerhin werden Sie dies Spiel nicht ewig so treiben können.“ Er seufzte. „Sie haben Recht. Alle bisherigen Vorhersagen haben sich nicht bewahrheitet, also müssen neue immer drastischer ausfallen. Sonst kriegen Sie doch die Leute nie mehr in eine ordentliche Hysterie rein. Sie reagieren wie der Hamster im Laufrad: wenn sie nicht immer schneller werden, merken sie bald gar nicht mehr, dass das Rad sich dreht.“ „Mit welchem Erfolg?“ „Normalerweise kratzt so ein Hamster kurz und schmerzlos ab. Herzinfarkt aus Blödheit.“ Das Telefon klingelte und Wohlleben nahm den Hörer ab. „So? Wann können wir mit einer Entscheidung rechnen? Ziert sich General Motors noch? Keine Zusage für die Arbeitsplätze? Das ist schlecht. Wir gehen dann nicht mehr von 100.000 Toten aus, sondern von einer halben Million. Sicher ist sicher. Wir können ja immer noch schauen, wie sich der DAX entwickelt.“





Schmorgrippe

4 05 2009

Das war Rettung in letzter Sekunde. Hätte mir Reinmar nicht sein Auto geliehen, ich wäre niemals rechtzeitig zu Tante Elsbeths Geburtstag gekommen und hätte am Ende gar noch die Aussicht auf ein ansehnliches Erbe in den Sand gesetzt. Zwar wehrte der Freund jeglichen Dank ab, doch ich beließ es nicht bei einem Obolus für den verfahrenen Sprit und lud ihn zum Essen ein. So suchte ich auf dem Wochenmarkt etwas Passendes und hielt schließlich am Frischfleischstand.

Da sah ich sie beide kommen. Herr Breschke steuerte quer über den Platz auf mich zu. Der Grund, warum er leicht humpelte, lief zwischen seinen Beinen: Bismarck, der dümmste Dackel im weiten Umkreis, wickelte seine Hundeleine mal um Breschkes linkes Bein, mal um das rechte. Der pensionierte Beamte sortierte seine Hinterläufe wie ein junger Hund. Kaum hatte er mich vor dem Stand gesichtet, blieb er stehen und nutzte die Pause für eine Unterhaltung.

„Gott, was soll man denn noch essen! Es wird ja immer schlimmer mit diesen ganzen Krankheiten! Fleisch geht ja auch schon gar nicht mehr. Ich sag’s Ihnen, es geht zu Ende!“ Mitfühlend erkundigte ich mich, ob Herr Breschke wegen akuter Gichtanfälle etwa auf Kalbsbries, Schweinebraten und grüne Erbsen verzichten müsste, doch er winkte ab. „Ach was, ich meine doch diese Schweinegrippe!“ Tiefer Zorn umwölkte seine hohe Stirn, er senkte ergrimmt die Augenbrauen. „Das ist organisierte Kriminalität, wenn Sie mich fragen.“ Ich fragte ihn zwar nicht, aber er klärte mich umfassend auf. „Das liegt alles an der Massentierzucht. Die Tiere haben doch heute so gut wie kein Immunsystem mehr, die gehen alle direkt im Stall kaputt. Und dann holen die sich alle Krankheiten, die sie aufschnappen können.“ „Das heißt“, erkundigte ich mich, „dass diese Grippe auf die Schweine übertragen wurde?“ „Na sicher! Die haben die ausgebrütet.“ Ja, das klang einleuchtend. Ich stellte mir vor, wie die Borstenviecher im Stall auf ihren Ferkeln hockten, eine Sau neben der anderen. Bismarck kläffte zur Bestätigung.

„Ob das nicht eine Mutation der Vogelgrippe sein könnte? Sie erinnern sich vielleicht, diese Infektion aus Asien.“ Herr Breschke erinnerte sich natürlich. „Sicher, sicher! Damals haben wir doch den Geburtstag von meiner Frau beim Chinesen gefeiert und Schmodderbecks waren auch dabei, wissen Sie noch? Was ging es denen schlecht nach dem Hühnchen süß-sauer!“ Ich besann mich dunkel auf den Abend. Es war denkwürdig gewesen. Herr Schmodderbeck hatte nach dem Genuss von zu viel Pflaumenwein, den er für das Tischgetränk gehalten hatte, heftig die vorzüglichen Speisen der Familie Qinglang wieder von sich gegeben, mehrheitlich auf die Auslegeware. Was nun Frau Schmodderbeck betraf, sie hatte sich an die Frühlingsrollen gehalten, doch Breschkes Tochter, eine überzeugte Veganerin, hatte sie den ganzen Abend lang mit Geschichten über Affen, Hunde und Schlangen gequält, die man in asiatischen Imbissen gefunden haben solle. Mit fahlgrünem Gesicht hatte sie endlich ihrem Gatten vom Stuhl geholfen und sich hastig verabschiedet.

„Glauben Sie nicht auch, dass das eine direkte Auswirkung der Geflügelpest sein könnte? Denken Sie nur mal an die Schweinepest, das kann doch zusammenhängen.“ Herr Breschke runzelte die Stirn. „Also jetzt, wo Sie es sagen… da muss ja ein Zusammenhang bestehen.“ Er packte mich am Arm. „Was kommt da noch auf uns zu? Wissen Sie da mehr als ich?“ Seine Augen flackerten irre.

Schon schwebten mir kulinarische Kreationen vor: Pestbratwurst, Schmorgrippe, Cholerarouladen. Eigener Seuchenherd ist halt Goldes wert.

Ich beugte mich herunter. „Ein abgekartetes Spiel, wenn Sie mich fragen – dahinter steckt die Mafia. Der Pate heißt Jakob Creutzfeldt. Erst haben sie uns mit BSE das Rindfleisch vom Teller gezogen, und schwupps! stiegen die Preise für Schweinefleisch. Habe ich nicht Recht? Mehr als zehn Jahre ist das her.“ Eifrig nickte Herr Breschke. „Und wie die Preise seitdem explodiert sind, das ist ja nicht zu fassen!“ Mit verschwörerischem Ton flüsterte ich weiter: „Dann kamen Schweinepest und Geflügelpest. Und die Eierpreise? Sehen Sie! Reden wir noch nicht mal von den vielen Würmern im Frischfisch. Seitdem kann man sich ja noch nicht mal ein Fischbrötchen zwischen die Kiemen schieben.“ Der Dackel an meinem Hosenbein ließ mich intensiv an einen Bismarckhering denken, aber ich ersparte Herrn Breschke diese Assoziation. „Dann hatten wir die Kaninchensyphilis – teuflisch, sage ich Ihnen, nicht einmal einen Hasenrücken mit Preiselbeeren darf man sich heutzutage gönnen! Von Meerschweinchenräude und Hundediabetes sind wir ja zum Glück verschont, was glauben Sie, wie sich die Chinesen inzwischen ernähren? Reis und Gemüsesuppe, glauben Sie’s nur, mehr haben die nicht mehr!“ Herr Breschke atmete schwer. „Ich sag’s Ihnen, keinen Rheinischen Sauerbraten mehr! Der nächste Coup wird die Pferdegrippe.“

„Wir haben noch Lammkoteletts im Gefrierer“, murmelte Herr Breschke, „und unser Nachbar zieht im Garten eigenes Gemüse.“ „Aber bleiben Sie auf der Hut!“ Ich schaute ihn eindringlich an. „Bei der Landwirtschaft mit Dünger und Pestiziden weiß man nie. Am Ende holen Sie sich Möhrenrheuma! Man erkennt das“ – ich machte eine ruckartige Bewegung mit den Fäusten – „am knackenden Geräusch.“ Verstört drehte er ab und torkelte über den Marktplatz. Bismarck zog Leine, und zwar zwischen Herrn Breschkes Füßen. So schnell würde er sicher kein Würstchen mehr bekommen.

Ich drehte mich um und betrachtete die Auslage. Einfach und schnell sollte es sein. Aber wirksam. Die Verkäuferin empfahl mir fertig angemischte Schmorgerichte. „Dann hätte ich gerne anderthalb Pfund von der Mexikanischen Schweinepfanne.“