Gernulf Olzheimer kommentiert (CDLXXXVIII): Gruppennarzissmus

1 11 2019
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Sehen wir der Wirklichkeit ins trübe Auge: Rrt und seine Sippschaft waren elende Feiglinge. Dass die Evolution sie nicht umgehend in die Sackgasse hat laufen lassen, wo sie mit ihrem Aussterben dem Rest der Hominiden einen Gefallen erwiesen hätte, mag man im Nachgang für Ironie halten, wenn es nicht gar sadistische Züge hätte. Diese weinerliche, zu Haarausfall und Gesichtsvollgrätsche neigende Mischpoke lebte sozial isoliert – es gab auf der anderen Seite der großen Felswand durchaus höhere IQ-Werte mit praktischer Vernunft – und hätte nach Betrachtung der Wirklichkeit allen Grund gehabt, für den Rest ihrer erfreulich kurzen Existenz mit Vergnügen Trübsal zu blasen. Doch dem war nicht so. Sie wickelten sich in wirre Fellreste, hängten Tand und Plunder darum um marschierten durch die Steppe wie von der Sonne auserwählte Helden, wenn sie nicht gerade vor dem Schatten einer Säbelzahnziege auskniffen. Sie waren Könige und Herren der ganzen Gegend, auch wenn sie als einzige dieser festen Überzeugung blieben. Der Gruppennarzissmus hatte voll zugeschlagen.

So geht es gewöhnlich den ärmsten Würstchen, dass sie nicht einmal selbst etwas haben, mit dem sie vor dem Außenspiegel posieren können: Haar, Hintern, Hauer, Habe oder Potenz. Objektiv wird der Typ mit dem feistesten Bauch weniger Geld auf dem Konto haben als andere, während der Reichste vor allem an schwerkraftgeplagtem Bindegewebe leidet. Wie viel angenehmer ist doch das gemeine Gruppendenken, in dem sich abgesehen von den üblichen Idealen wie Auswahl der Götter, temporär vorherrschende Moralvorstellung oder politische Wertmaßstäbe auch jede andere scheinbar mit Doppelplus behaftete Zufälligkeit zum Abbild der Vollkommenheit hochstilisieren lässt. Ist in einer an und für sich nicht weiter auffälligen Kohorte eine bestimmte Haarfarbe vorherrschend, braucht es nur marginale Anlässe, um sie mit allerlei genetischem Märchenmaterial aufzupumpen, bis der blonde Held dem lila Nachbarn auch in aller anderen Beziehung definitionsgemäß überlegen sein muss, weil das so sein muss: das Selbstwertgefühl, das Blondiertheit ab Werk mit sicht bringt, ist von eherner Stabilität, da es nie in der Empirie auf Mängel untersucht werden musste.

Billig wird das preziöses Gepopel, wo es aus der zurechtgestrickten Ersatzteilphilosophie eine für alle Belange wasserfeste Erklärung liefert. Die eigene Gruppe ist immer überlegen, weil nur sie die einzigartige Kombination aus Religion, Hautfarbe und Sprache hat. Der einzigartige Kombinationen haben sämtliche sieben Zwerge hinter den sieben Bergen auch, meist müht sich der Bekloppte nur um eine Zutat wie Schicksal oder ähnlich gelagerten feucht-völkischen Unfug, damit die intellektuelle Ausschussware etwas hat, an dem entlang sie glauben kann, bis der Krieg kommt.

Der angenehmste Effekt aber ist immer noch, dass sich jeder als mitgemeint betrachten kann, und so wird auch der adipöse Meister des Mundgeruchs sich für einen Mustermenschen halten, den nur der Genpool seiner gesegneten Vorväter hinbekommen konnte. Eine Rotte geistig unter ε dümpelnder Darmleuchter quetscht sich vorsätzlich in eine Tradition großer Denker, weil sie alle innerhalb eines zufällig durch Flusslandschaften begrenzten Territoriums geboren wurden und – die einen mehr, die anderen gar nicht – dieselbe Sprache erlernt haben. Dass die Pausenclowns nie eine Zeile der Geistesgrößen gelesen haben geschweige denn sie verstünden, schlüge man sie ihnen in Kunstharz gegossen in die Frontzähne, tut hier nichts zur Sache. Die Ichlinge, hier im Wirlingsgewand, also auch noch ohne eigene Hose, sie sind das perfekte Beispiel für eine neidbehaftete Weltsicht, aus der sie nur durch konsequente Selbstüberhöhung entrinnen können, eine Steigerung, die sich durch die parallel verändernde Gruppe unabänderlich in eine Parallelwelt schwiemelt und die Türen hinter sich luftdicht verschließt. Wer sich als Krone der Menschheit sieht und der Anbetung durch den Rest bedarf, sollte nicht alle anderen abwerten, schon gar nicht dadurch, dass er sie für unfähig erklärt, seinem Vorbild überhaupt folgen zu können. Aber es war schon immer etwas ganz Besonderes, mit nationalbesoffenen oder fundamentalistischen Knalltüten, die auf dem winzigen Fleck Landmasse eingeklemmt die Weltherrschaft herausbrüllten, auf logische Art zu diskutieren. Man kann es lassen.

Letztlich ist es allenfalls putzig zu beobachten, wie sich der Selbsthass in seiner Vereinzelung auch innerhalb der Gruppen Bahn bricht und die einen gegen die anderen aufreibt, so dass zum Schluss wie in einem guten Verein die einen sich als neue Opposition abspalten, die anderen mit der Faust in der Tasche weiter mitmachen, weil sie selbst sich als Anführer sehen. Die Führer jedoch leben nicht besser, meist sind es besonders groteske Unfälle der allgemeinen Entwicklung, die man nach deren eigener Moral längst hätte abservieren müssen. Wir kommen vielfach zu spät. Man hätte sie einfach aussterben lassen können, aber wer weiß das denn vorher.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CDLV): Die Rückkehr des Autoritären

15 03 2019
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Für Uga war die Sache einfach. Er befahl, der Rest folgte, weil er zu folgen hatte; das war das Gesetz, oder zumindest natürliches Recht, bevor es Gesetze gab. Das bedeutete das größte Stück Fleisch (für Uga), uneingeschränkte Zuneigung seitens der Frauen (für Uga) und das Recht auf eine bevorzugte Behandlung bei der Aufteilung von Beutegut (für Uga). Die anderen Mitglieder der Sippe dagegen profitierten davon, dass sie einen Führer nicht zeitraubender Einzelkritik unterziehen mussten, sondern seine Entscheidungen als gut und nützlich akzeptieren konnten. Hätte sein Schwager nicht bei der Verteilung der von ihm erbeuteten Säbelzahnziege dem Gebieter eins auf die Lichter gekloppt, die Sache wäre gut gelaufen (für Uga). So aber einigte sich die Höhlengemeinschaft auf die Etablierung der Herrschaft eines großen Egos, was auch Vorteile mit sich brachte. Sie konnten alle ein bisschen lockerer mit der Evolution umgehen, denn für dieses Gesellschaftsmodell braucht es bis heute nicht viel Rechenleistung zwischen den Ohren. Die turnusmäßige Rückkehrt des Autoritären profitiert jedes Mal wieder davon.

Denn sie fußt exakt darauf, dass ein sehr lautes Männchen die Population gut vorhersehbar in die Scheiße reitet. Für Jahrzehnte haben sich diverse Formen von Zivilisation und Demokratie gehalten, möglicherweise sind sie so weit Folklore geworden, dass ihr Wegbröseln selbst als ein Zeichen von Modernisierung gedeutet wird, jedenfalls als der Aufbruch und das große Abenteuer Zukunft, die sich nicht mehr in erstarrten Formen von sozialer Praxis ergehen will. Die Geschichtsallergiker haben den Frieden so weit verinnerlicht, dass sich die herrschende Kaste langsam etwas anderes ausdenken muss, um noch sinnvoll unterdrücken zu können, was sich an selbst organisierten Prozessen im Kollektiv abspielt. Zwei Dinge helfen ihnen beim Herrschen, die mangelnde Reflexionsfähigkeit der Masse und ihr Bedürfnis nach Schwäche.

Hat der Grad der Komplettverdeppung eines ganzen Volkes pathologische Formen angenommen und ist der Opportunismus in der bräsigen Bande zu Hochform gediehen, so haben die Kriegsverkäufer Konjunktur und können ihrem Gefolge jedes Gepopel als eherne Wahrheit vorkauen, es wird schon geschluckt. Gerne setzt das dem erkennbar offenporigen Intelligenzprekariat Botschaften von an den Zähnen schmerzender Beklopptheit vor, dümmliche Erklärversuche aus hastig in die Luft geschwiemeltem Dünnsinn, gerne in Gestalt von gruppenbezogenen Gewaltfantasien, was zugleich die Identität stärkt durch Ausgrenzung, die als brutale Selbstermächtigung begriffen wird, denn sie ergibt sich aus wirr geronnenen Denkmustern: wer etwas besitzt, wird auch immer Neider haben, und wer Neider identifiziert hat, muss sie möglichst präventiv unschädlich machen. So lassen sich je nach Interessenlage Völkerscharen gegeneinander aufhetzen, wenn es zur Mobilisierung der geistigen Nichtschwimmerschaft dient. Dass überhaupt eine Selbstermächtigung notwendig ist, muss zwar dem Brüllmüll durch explizite Machtlosigkeit erst beigebracht werden, doch ist sein Bedürfnis nach Schwäche die wichtigste und ideale Voraussetzung dafür, von einer Clique kreischender Suppenkasper vorgeführt zu werden.

Die Geschichte wiederholt sich nicht als Farce, sie sieht erst im Rückblick aus wie eine gründlich versaubeutelte Neuinszenierung beschissener Vorlagen von Sekundenschlaf am Abgrund. Immer und immer wieder tapert die sogenannte Nation in denselben Dreckhaufen, fühlt sich wohl in der stinkenden Wärme, die ihnen noch als Stallgeruch angepriesen wird, und feiert sich selbst für seine Heldentaten: sie sind irgendwo geboren, wo sie aus Zufall immer noch leben, weil die geologischen Verhältnisse ihnen noch nicht den Garaus gemacht haben. Im Laufe der Jahrtausende ist das keine nennenswerte Leistung, im Takt messbarer Historie nicht einmal ein Achtungserfolg. Aber wer schwach ist, lebt von dünner Kost; nicht in Dingenskirchen zu wohnen, das scheint manchen von ihnen schon als geradezu göttliches Privileg. Redet man ihnen jetzt noch ein, dass der charismatische Alte an der Spitze dieser verkoksten Rotte ihnen das verschafft hat, sie rennen dem unsortierten Wortdurchfall der Schnackbratzen blindlings nach. Gerne beugt das sein restliches Rückgrat, lauscht Drohung und Versprechen, denn der emotional flexible Anhang dieser Blödföhne weiß, man gehört lieber zu den Siegern, sonst wird man von der Geschichte und ihren Akteuren zum Verlierer gemacht.

Es wäre leicht, das Autoritäre, den Führerstaat, die absolute Monarchie der Darmleuchter und ihren Hass auf das Aufgeklärte als Kompensation von Ängsten zu deuten. Es lebt aus dem Paradox, die eigene Schwäche mit noch mehr Machtlosigkeit zu verrechnen, damit wenigstens einer Verantwortung tragen kann. Wohin er sie trägt, wo er sie reinwirft und was dabei rauskommt – das wollen wir nicht mehr wissen, denn das ist Zukunft und damit böse. Suhlen wir uns in der Vergangenheit, in ihr liegt, scheint’s, Heil. Auch wenn es meistens gerade andersherum kam. Und nicht als Farce.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CCCXCVIII): Überwachen und Strafen

5 01 2018
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Es geht von alters her die Sage, alle Mächtigen seien es irgendwann leid, über Sklaven zu herrschen, sie sagen’s zumindest. Denn wenn schon Macht ein Selbstzweck ist, ihr Erhalt ist selten bis nie ressourcenschonend. Der gemeine Untertan hat es verhältnismäßig leicht, die Pläne der Regierung zu durchkreuzen, so er die Ursache geschickt und subversiv anzusetzen weiß. Machthaber allerdings denken gleich in Apparaten, der Menge halber, die es zu überwachen gilt, und dann muss man auch die Konsequenzen im Auge behalten. Denn was ist ein Subjekt, wenn man es nicht wirklich unterwerfen kann, selbst unterwerfen, wohlbemerkt. Was nützt dann Überwachen und Strafen.

Seitdem sich die Tür des kleinen Zimmerchens, in dem jeder des anderen Hölle ist, verschlossen hat, ist wenig passiert. Die Ewigkeit dauert an. Was sich als Herrschaft und Knechtschaft auf den Nebenkriegsschauplätzen des Kapitalismus gebar, ist da angekommen, wo es hingehört: im zentralen Bereich der Machtausübung. Es ist kein gründliches Missverständnis, dass alle Gewalt vom Volk ausgeht, sondern sorgsame Planung. Der Bekloppte ist dem Bekloppten ein Wolf, manchmal aus freien Stücken, öfters jedoch, weil er sich nur so als frei empfindet – es hat ihn keiner gezwungen, Rädchen im System zu werden, das Minderheiten aus dem Weg räumt, anders oder überhaupt Denkenden ausgrenzt oder Angst und Zweifel zu strategischen Stützpfeilern der Maschinerie aufbaut. Aus dem Bewusstsein, sich den Schießbefehl nicht selbst gegeben zu haben, schwiemelt sich der Diener aller Herren sorglos eine dialektische Unschuld, die er dem nächsten Bettler aufs Maul hauen kann. So ist er Knecht, weil er sich selbst zur Erniedrigung ermächtigt, indes sein Herr keine großen Umstände machen muss. Er gibt ihm das Recht zu gehorchen.

Die Geburt des Gefängnisses aus dem Geiste der Machtausübung ist so nur ein kleiner Schritt für die Menschheit, einer, den man nicht zurückgehen kann. Auch hier wird das Joch als modus vivendi angeboten, die ein reines Gewissen verschafft, ein quasireligiöses Bonusmodell mit säkularem Zahlungsziel. Die Hauptsache ist, die Haltung wird eingeübt, die Knochen biegen sich in die korrekte Richtung, Kriechgang wird Erweckungserlebnis, da man dem Herrscher direkt in den Ausgang blicken konnte, von dem man sich, kümmerlich, nährt.

Die heutige Technik ist nicht mehr die für die unablässige Beobachtung von Winston Smith geschaffen, sie unterstützt seine scheinbare Liebe zur Vergangenheit, indem sie sämtliche Prozesse, an denen er beteiligt war oder beteiligt zu sein den Anschein hatte, akribisch aufzeichnet, festhält und in beliebig nutzbarer Form allen zur Verfügung stellt, die Interesse daran entwickeln, jetzt oder später. Die Gedanken mögen für den Mistgabelmob auch in Feuersnot noch frei sein, wenigstens auf Wahlplakaten oder in Sonntagsreden, aber nur ein Bild, besser: sein Anschein verbirgt sie. Wer aus der Vergangenheit wenigstens einen Punkt kennt und ihn in Korrelation setzen kann mit dem Ist-Zustand, extrapoliert spielend jede denkbare Form von Zukunft, sorgsam aufgeschlüsselt nach Schritten wie der Gang einer Schachfigur, gewichtet nach der Gefährdung, beantwortet mit der bestmöglichen Strategie, ein Bauernopfer herbeizuführen mitsamt der für die Gesellschaft erwünschten Konsequenzen und Implikationen. Denn wer die Vergangenheit gut genug kennt, kann sie kontrollieren, und wer sie wirklich beherrscht, beherrscht auch die Zukunft.

Den Kampf um Anerkennung aber führt weiter nur der Ich-bin-der-ich-bin, l’Éclat c’est moi, da er die grammatischen Regeln der Akzeptanz nicht hat machen können zu Zeiten, in denen der Hominide noch vernunftgemäß im Stamm organisiert war. In grotesker Verkennung der Gesellschaft, die es nach seiner Maßgabe gar nicht erst hätte geben dürfen, es sei denn, sie hätte diesen Sott nach oben gespült, sieht der verängstigte Herrschaftsrand den Kampf ums nackte Überleben, weil jede Aufklärung das Gruppeninteresse dieser Sozio-Paten zu blutiger Ruhe verwandeln würde. Die Disziplinierung hat andere Züge angenommen, Überwachen und Strafen sind eins geworden, denn der moralische Druck, den die Macht mit sich selbst auszuhandeln hat, wird nach unten weitergereicht. Wer einmal als Feind ausgemacht ist, wer die Leistung verweigert, nach politischem Maßstab als krank gilt – die im Moment regierenden Parteien stellen es ihren Nachfolgern anheim, genaue Definitionen in die Gesetze zu schreiben – oder zu klug ist für die Gängelung des Staates, bekommt sein Stigma ohne Zutun der eigenen Person verpasst, eine Neuerung der digitale Verwaltung immerhin, die sich der Staat nicht ans Revers heftet in seinem Vollversagen. Wehe dem Tag, an dem die Verhältnisse einmal in die andere Richtung tanzen. Es war noch immer einfacher, einen Holzschuh ins Getriebe zu schmeißen, als eine Armee zu schlagen. Das Wirken des freien Menschen im politischen Raum birgt eine große Gefahr: den freien Menschen. Wer sagt es ihnen?





Gernulf Olzheimer kommentiert (CCCLXXVI): Das Recht auf Angst

23 06 2017
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Rrt und seine neuronal ungesegnete Rotte lagen auf Anstand, als es dumpf hinter ihnen schnaubte. Das Wollnashorn war’s, jene Art, die geschmort gut zu Schnuffelbeerkompott passte, meistens jedoch die Hominiden zu Blutsuppe verarbeitete und dem männlichen Nachwuchs damit den frühzeitigen Familienanschluss sicherte. Der geölte Blitz war noch nicht erfunden, hier jedoch wäre die passende Gelegenheit dazu gewesen, denn die ganze Schar fegte heulend durch die Steppe, voll auf Adrenalin, und nichts kennzeichnet die vermeintlich fähige Affenart mehr als das geplante Durchdrehen unter erwartbaren Umgebungsvariablen. Die Erleuchtung ist noch nicht greifbar, da schießen sie schon die Kronleuchter aus. Noch ist seine Zunge nur des Lallens mächtig und die Religion nicht erfunden, aber dunkel dräut ihm, er habe ein Recht auf Angst.

Denn damit wird alles besser, das arme Hascherl darf kleinkindisch in scheuer Lähmung harren, bis der starke Mann das Böse weggeräumt hat. Zwar legt der gemeine Blödkolben größten Wert auf eine zünftige Reifung, will überall mitreden, fühlt sich für jede Verschwörungstheorie aufgeklärt genug und hat sowieso das Schnittbrot im Alleingang erfunden, aber er ginge aber nie ohne Pfeifen in den Keller, es sei denn, er kann damit sein präpotentes Gehabe gegenüber dem Objekt klein a ausleben. Das gibt Halt und Hoffnung: bald ist aller Tage Abend, bis dahin kann er in geübter Starre hocken.

Denn Angst konserviert. Wer sich nicht bewegt, fühlt seine Fesseln nicht – wer daran arbeitet, eine Fesselgesellschaft zu errichten, nimmt diesen Umstand gerne mit – und richtet sich wiederum bequemer ein in einem Marionettenstaat, der die Heilmittel lieber auf die Wände malt, anstatt sie durch gezieltes Eingreifen einzusetzen. Geistige Laubsägearbeiten dieser Couleur rechnen fest mit der Panik, die sich unter der Couch einigelt, und nur die stützt durch pure Ignoranz den Abbau aller demokratischen Rechte, gegen die furchtloser Widerstand gefragt wäre. Mit Logik und tapferer Rationalität lässt sich der Schrecken bekämpfen, mit Irrationalität wird die Angst geschürt zur reinen Laberlohe, die an den Synapsen glodernde Flut anschwappt. Sie ist schließlich das perfekte Marketinginstrument für Waffen, Versicherungen, Vitaminpillen und rechtsradikale Propaganda. Wer würde dazu schon Nein sagen.

Tief greift das in die Persönlichkeitsstruktur ein, berührt die Kernbereiche der Psyche an blutenden Punkten – gelernt ist gelernt, und sozialisiert ist sozialisiert, wir schleifen das Erbe zahlloser Väter mit uns herum, sehen nicht einmal, wie wir uns von den Traumatänzern unterscheiden und pusten alles zur Panik auf, was nicht vor uns wegrennt. Von der fallenden Kokosnuss auf dem Karibiktrip die Birne zermarmelt zu kriegen ist wahrscheinlicher als das Ableben in der dschihadistischen Splitterbombe, vor allem als Einwohner von Bad Gnirbtzschen an der Schlömma, und doch schreiben die Zeitungen nie doppelseitige Farbberichte über tote Touristen in der Südsee. Vermutlich hat auch dies Methode: die geneigte Politik macht Angst zur medientauglichen Waffe, um ihren Krieg gegen die Verfassung zu rechtfertigen, und wer würde Grundrechte wegen ein paar Palmen aushebeln können. Dabei unterliegt der scheinfreie Zweibeiner einer üblen Paradoxie: er gibt seine Feigheit als zivilisatorisch errungene Notwendigkeit an, ist in Wahrheit aber doch wieder der bornierte Urmensch, der im infantilen Stadium der Abwehr von Scheingefahren bleiben will. Lauter promovierte Neger fluten sein Schlesien, die Frauen wollen ihn nicht mehr, die Kinder studieren so Sachen mit Medien, der Chef wird laut und die Entscheidung ist denkbar eng: ab in die Prärie oder dem Alten eine reinzimmern. Der Blödföhn ist physiologisch immer noch im Pleistozän. Es ist die hardwarenahe Programmierung, die das Fluchttier schockgefriert und in der selbst verschuldeten Unmündigkeit verleimt; so muss der Bescheuerte keine Aktivität ergreifen und kann sich in der Angst suhlen, die je um je sich festsetzt als Urgrund der Unfähigkeit. Wer auch immer sich die Erde untertan machen wird, diese Querkämmer schon mal nicht.

Und so evozieren sie immer neue Beklemmnis, Horden von Muslimen, homosexuelle Lehrer, freie Bildung, alleinerziehende Mütter, Länder ohne Grenzen und eine Gesellschaft, die die Aufklärung zur Kenntnis genommen hat. Sie haben es noch nie gesehen, wahrscheinlich würden sie die Aufklärung nicht einmal bemerken, wenn sie ihnen hinterrücks in den Nacken atmete, aber sie würden rennen, alternativ: ihre eigene Unfähigkeit in Hass auf jedes andere Objekt ummünzen, sich hilfsweise in etwas integrieren, das es ohne sie nicht geben müsste. Zur Freiheit gehört auch das Recht, die Hysterie einer Gesellschaft zu ignorieren. Aber was kümmert das die Hysterie. Und was hätte sie mehr zu bieten als Angst.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CCCXXIV): Das Sozialexperiment

11 03 2016
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Es war einmal ein König, und der war ein recht dummes Arschloch. Allein sein ganzes Sinnen und Trachten ging darauf, dass man es nicht sofort bemerkte, und also pflegte er wohl manches Mal im Speisesaal die Fenster zu öffnen, während er zu Tische saß. Dann aber nagte er hier und da an einem Hühnerbein, und hatte er es halb gegessen, so schmiss er es aus dem Fenster auf die Straße, wo es richtig in den Dreck plumpste. Hin und wieder traf er mit der Keule auch einen braven Mann auf die Mütze, dass diese ganz speckig wurde. „Seht“, rief dann der König, „was liegt mir das Volk, diese amorphe Masse von Leistungsverweigerern in den Ohren? Hat dies Pack nicht proportional zu seinem Reichtum Anteil an des Königs Hühnerbeinen und ist immer noch nicht zufrieden?“ So endete, kurz bevor man dem Monarchen die Kehle durchschnitt, eines der ersten Sozialexperimente der Geschichte.

Es blieb beileibe nicht das einzige. Hin und wieder plustert sich ein Mittelschichthengst auf, der sich fälschlicherweise für ein Mitglied der Klasse hält, die Marionetten wie ihn bezahlt, verkündet mit Verve, sich einen Monat nur von Arbeitslosenkost zu ernähren, und wartet auf das verzückte, von leicht angeekeltem Grusel unterfütterte Luststöhnen einer degenerierten Deppenherde, die den Hohn aus jeder Zeile aussaugen wird wie Fliegen den Kot aus einem seicht im Waldboden versuppenden Kadaver. Das erwünschte Ergebnis indes steht schon vor dem Versuch fest: die Staatsparasiten werden ja alle satt, wozu sollten wir uns ihr Gegreine weiter anhören?

Mit Tamtam föhnt uns die Egozenteria ein krudes Urteil über Trockentoast mit Tomatenmark in die Ohren – im Abgang vermutlich zu wenig spektakulär, um die Wassersuppenkasper zu einer Hymne zu inspirieren – und philosophiert sichtlich betroffen, dass es auf dem ganzen Wochenmarkt keine Perlhuhnbrüstchen gibt, die dem kargen Budget gerecht werden. Dass auf Obst mit manuell eingedengelten Macken, vulgo: Bioware so viel Wert gelegt wird, enthüllt immerhin den Sponsor des ganzen Mummenschanzes, denn was wäre ein glaubhafteres Distinktionsinstrument einer nach eigenem Ermessen aufgestiegenen Kaste, wenn nicht die gesetzlich gesündere Birne?

Abgesehen davon ist die Ernährung mit minimal kalkulierten Mitteln weder heldisch noch brächte sie nennenswerte Erkenntnis, wenn der gemeine Getöseproduzent sie nach vier Wochen beendet. Schmale Kost hielt man früher für sieben Wochen durch, nannte es Fasten und verband den moralisch ausladenden Impetus damit, sein materialistisches Weltbild zur Disposition zu stellen. Die prekäre Gesellschaft wird jedoch von der kapitalistischen Herrenrotte bereits scheel begafft, wenn sie sich zum Ende des Monats einmal ein vernünftiges Mahl leistet, das nicht nur physisch sättigt. Danach ist sie wieder auf das despektierlich Armeleuteessen genannte Muster zurückgeworfen, mit dem sie den Reichtum einer anderen Sphäre stützt, denn der muss ja irgendwo auch herkommen.

Davon abgesehen ist es für das so ungebildet wie ungewaschene Unterschichtenphantom sicher einfach, satt zu werden, man sieht es ja an den USA, wo der Plebs beim Einsatz auf vier Zentnern in die Fast-Food-Ställe einfährt, um sich die Fett-Zucker-Pampe einer florierenden Mastindustrie hinters Zäpfchen zu pfropfen. Hungern wird hier so schnell keiner, es bleibt nur pro Portion weniger für die kulturellen Bedürfnisse eines Pöbels, für den diese Bedürfnisse nicht vorgesehen waren. Auch dies Experiment ist als Doppelnachtblindstudie voll geglückt, die Vernunft liegt schnarchend in der Ecke und ferkelt unablässig Ungeheuer in die Welt.

Währenddessen schmeißt der geprüfte Clochard eine Konserve in den Thermokocher, dreht die Heizung auf, da er den Kostenüberschuss nicht von seiner Verpflegungspauschale abrechnen muss, den Strom für den Kocher ebenso wenig, und hört sich nach dem Espresso aus dem Vollautomaten für zwei Monatsregelsätze La Traviata aus den Boxen für den Gegenwert eines Mittelklassewagens an, schlendert vielleicht zum Flügel, wo sich die Brut ein paar Takte Klimbim aus dem Fäusten schwiemelt, und dankt der Vorsehung, dass in drei Wochen dieses Kindertheater vorbei sein wird.

Ach, es gäbe noch so viel zu tun, das den Wagemut der Bessermenschen erforderte. Ein Monat lang im Rollstuhl (behindertenfeindliche Kommentare inklusive, einschließlich des herzlich gemeinten Wunsches, die Testperson im KZ zu entsorgen), vier Wochen lang unter der Brücke (mit ähnlichem Resultat, vielleicht gibt’s ja im Praxisteil auch mal ad hoc aufs Maul), dieses Leben bietet so viel kunterbunten Schmadder für Leute, die den Aggregatzustand ihrer Beklopptheit zur Kunstform ausgebaut haben. Es gibt ja noch genügend Kriege auf dieser Welt, und ihre Auftraggeber haben sicher einen guten Draht zu denen, die sie veranstalten. Wir sollten sie in die Bombenabwurfgebiete jagen, in die Häuserkämpfe, in die versehentlich von ihren Freunden ausradierten Krankenhäuser. Alles halb so wild, werden sie sagen, wenn sie zurückkommen. Wenn sie zurückkommen.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CCLXXXV): Die politische Lüge

1 05 2015
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Ganz früher war es noch keine Frage des Charakters. Wer zu oft von den falschen Pilzen naschte, mit dem Nasenbein an die Keule geriet oder bei der Weitergabe seiner DNS eine schlechte Performance zeigte, setzte sich nicht durch. So geriet ein Teil der Gesellschaft auf die schiefe Bahn: sie krümmten den Raum, um die ihnen gefällige Wirklichkeit an die ellipsoide Form des Möglichen zu gewöhnen. Wer auch zu oft an den falschen Pilzen geknabbert hatte, schien nicht uninteressiert – die liberale Bewegung war geboren – und wer sich trotz eklatanter Blessuren im Hirnschädelbereich, wie sie Konservative bis heute auszeichnen, für verhandlungsfähig hielt, schraubte die Krümmung im Sinne einer konsensfähigen Gesprächsgrundlage fest. Die Idee des doppelten Bodens war nicht neu, die Idee einer doppelten, da angepassten Wahrheit noch viel weniger, wobei doppelt bedeutet: eine der Wahrheiten ist gar keine. Sie wird nur als solche gehandhabt. So entstand die politische Lüge.

Natürlich weiß der gemeine Epistemologe zu unterscheiden zwischen den Anwendungsbereichen der Unwahrheit, die ihre spezifische Form der Heuchelei hervorbringen. Der einfachste Fall ist die im zivilen Leben gebräuchliche Notlüge. Man weiß doch, dass der politische Entscheidungsträger nur durch multiples Versagen in der Entscheidungskette je über den Äquator gesellschaftlicher Wahrnehmung steigt; aus der Not, dieses Personal überhaupt beschäftigen zu müssen, erwächst die Peinlichkeit, einen Deppen in die vordersten Reihen zu schieben, der aus reiner Dämlichkeit sein Hirnschadenkaraoke coram populo nachlallt. Das Übergangsfeld zur sozialen Lüge mag fließend sein – größtenteils beschwindelt der politische Mensch sich ja selbst, und sei es, indem er seinen Genossen weismacht, er verstünde etwas von dem, was er sagte.

Den größten Teil nimmt die Zwecklüge ein, indes sie plausibel genug erscheint: wer betrügt, fliegt kostenfrei, weiter und oft zum Erfolg. Nichts ist ohne Grund, so auch die motivierte Lüge. Sie entspringt nicht selten derselben geistig-moralischen Überforderung, die der Rest der gestaltenden Tätigkeit mit sich bringt. Im Gegensatz zum frommen Schwindel, der die Funktionsfähigkeit sichert – Banken bauen ihr Geschäftsmodell darauf auf, Politiker ihre öffentliche Einschätzung von Wirtschafts- und Währungskrisen, die Grenzen zum puren Aberglauben sind erstaunlich fließend – verfolgt die funktionale Lüge einen Selbstzweck, der weniger das System erhält als den Lügner. Selber lügen macht fett.

Daher ist die vorsätzliche Lüge der Regelfall. Sie instrumentalisiert das Konzept Gegenwahrheit, die Untertunnelung des eigenen moralischen Anspruchs, der sich oft genug auf religiös bis wahnhaft konstruierte Synapsenprogramme bezieht, wird zur methodisch ausgebauten Ersatzrealität, in der die Ausländer einwandern, um uns die Jobs wegzunehmen und gleichzeitig in der sozialen Hängematte zu liegen, während trotzdem unsere Renten sicher sind. Womit der Zielpunkt der pathologisch-zwanghaften Lüge erreicht wäre, die selten ohne eine innere Systematik auskommt und üblicherweise direkt in die Ideologie führt. Sie braucht den Betrüger wie den Betrogenen, der als stiller Teilhaber am Betrugsgeschehen den Dingen aktiv ihren Lauf lässt. Wahr ist, was die Bekloppten für wahr halten, im Grenzfall unmöglich für falsch, wenigstens für denkbar, falls das Denken des Gegenteils schwierig wird. Auf dieser Suppe kommen Diktaturen geschwommen, und manche fangen klein als marktkonforme Demokratie.

Nachdem niemand die Absicht hatte, jemandem ein Ehrenwort zu geben, ist der Gedanke grotesk, der Belogene selbst würde sich früher oder später beschmutzt von seinem Lügenlieferanten abwenden oder sich wenigstens die elefantöse Plumpheit verbitten, mit dem das politische Personal ihm auf die Plomben geht. Noch selten hat sich die intellektuelle, juristisch und soziologisch hinreichend vorgebildete Schicht der Parteigänger von peinlichem Populismus angewidert abgewandt und wenigstens ein bisschen mehr Mühe beim Bescheißen eingeklagt. So ist die Lüge, mit der man Kriege vom Zaun bricht, am Kochen hält und als Mittel des Machterhalts zum Regierungsprogramm macht, gleichgültig, ob gegen Vietnam oder gegen die eigenen Erwerbslosen, so ist diese Lüge ein im gegenseitigen Einverständnis in kollektive Hirn geschwiemelter Selbstbetrug, an dem man dankbar teilnimmt, weil es das lästige Denken ersetzt. Die politische Lüge vereinfacht das Leben, zwar allen Beteiligten, doch nicht immer so wie beabsichtigt. Wenngleich die Politik dies ihren Subjekten immer wieder zu vermitteln versucht. Es muss sich um die Wahrheit handeln – um eine gut gelogene.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CCLXIV): Krisenkulte

31 10 2014
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

So war es wohl mit Uga, und Rrt war auch dabei. Das Korn wuchs nicht, der Fisch schwamm zwar noch, aber größtenteils mit dem Bauch nach oben, und das Wetter war beschissen. Hr-t’i, die kleine Dicke mit der Warze, hatte ihren Job als Sonnenpriesterin gründlich verfehlt; die hastig ausgedachte Dämonologie, die die Gemeinde bei der Stange halten und den Nachschub an Opfergaben sichern sollte, war für die Tonne, und die Versuche, einen rächenden Wolf für die rebellierende Meute zu instrumentalisieren – der über Jahre als Antipode eingeführte Mondwolf, der in der Abenddämmerung die Sonnenscheibe verschlingt und sie am nächsten Morgen wieder hochkotzt – blieben so erfolglos, als hätte der HSV die Meisterschaft im Moostreten gegen die anderen Dinos versucht. Nichts von Zivilisation war zu sehen, doch das hinderte die Höhlenbewohner nicht, die bewarzte Pfäffin einfach links liegen zu lassen, um sich flugs einen Götzen zu gießen, das bronzene Kalb, das blöd in die Gegend glotzte und zum Humbahumba der Devoten mit Pauken samt Schalmei genau das zu tun, was Druckgussgötter werktags zu machen pflegen: nichts. Das war auch Mist, aber spurenweise ehrlich, entlastete die Psyche der Troglodyten und führte zum durchaus zukunftsfähigen Modell einer Religion neuen Typus. Geboren ward der Krisenkult.

Wann immer der Zustand, der sich irgendwann auch gegen größere Mengen an Alkaloiden durchsetzt und grausam die Wunden berührt – im Fachhandel als Realität erhältlich – wieder die Oberhand behält, zeigt sich die Tragfähigkeit institutionalisierter Stereotype, die metaphysische und magische Vorstellungen einer Gesellschaft zu Ritual und Wille gegossen haben, vielmehr: sie zeigt sich eben nicht. Das irdische Paradies findet nicht statt, die Konfrontation mit der verdrängten Furcht beflügelt wirre Vorstellungswelten, die sich durch allerhand Öffnungen ans Tageslicht helfen. Das säkulare Verlangen, den alltäglichen Tinneff von der Backe zu kriegen, gebiert im Sekundenschlaf der Vernunft seltsame Systeme. Für eine Religion wundert das nicht, wohl aber bei einer Spannungsintervention.

Denn wo sich der Hominide ansonsten kühl und planmäßig verhielte, schaltet er nun um auf weißes Rauschen. Schmeißen die Amerikaner hübsche Sachen vom Himmel, Konserven und Klamotten, so schnitzen sich die Melanesier nach deren Abzug Klötzchen zu Kopfhörern und Dachlatten zu Flugzeugen, locken mit Motorenbrummsimulation imaginäre Flugzeuge herbei, basteln lebensgroße Landebahnen als Tempelanlage und wundern sich, dass außer Vögeln nichts aus der Stratosphäre kippt. Die nativen Amerikaner selbst locken mit Gleisen und Büffelgestampf die Ahnen herbei, die pünktlich mit dem Zehn-Uhr-Zug kommen sollen. Im amazonischen Urwald drechseln sich die Experten Ghettoblaster im Maßstab 1:1, weil sie den Geist der kapitalistischen Rasse und seine angeblich zur Transzendenz fähigen Manen darin blubbern zu hören glaubten. Der geneigte Strukturalist ahnt es leise, alles völlig verseift.

Nicht wenige Brauchtumsvereine der organisierten Hirnendablagerung schwiemeln ihr Geschäftsmodell auf subtil bis plump geschürter Panik, dass der für die kommende Kalenderwoche angekündigte Weltuntergang je nach Wetterlage eventuell doch schon drei Tage früher kommen könnte – oder auch nicht, wen interessiert’s. Sie machen aus der Not ihrer Klientel eine Sekundärtugend, meistens eine, die mit viel Barem, Gutem, Schönem zu tun hat, das man dafür anschaffen kann. Die eschatologischen Kulte sprechen jeder Logik Hohn, vor allem ihrer eigenen. Wenigstens nehmen sie eine gründliche Entrückung für sich in Anspruch, Zombies auf Speed, Kurzstreckendenker wie das intellektuelle Geröll, das ihnen folgt.

Doch das Muster bleibt produktiv. Auch die jähzornige Anrufung der Ersatzgottheiten, Arbeit, Wachstum, Buchgeld, um sich gegen die letzten Reste von Wirklichkeit zu immunisieren, wie man im Dunkeln pfeift, damit dem Teufel die Ohren abfallen, auch dies ist hysterisches Gebet aus reiner Aussichtslosigkeit. Man erfindet neue Schemen und Schablonen, Symptome der Beknacktheit, wie sie das anberaumte Armageddon mit etwas Glück an den Rand definieren, um ein Quartal verzögern oder dem anderen Stamm in die Schuhe schieben, den eigentlich Schuldigen, weil die kleinere Ohren haben oder die falsche Muttersprache oder einen Kaiser oder keinen oder zwei. Nichts wirkt. Wie auch. Denn der Kult ist nur intellektuelles Glutamat und die zum Scheitern verurteilte Gewissheit, dass man durch ostentatives Geplärr Dinge wieder zum Leben erweckt – Bisonherden, Vollbeschäftigung – die längst im Stadium fortgeschrittener Verwesung sind. Zwar erst ganz zuletzt, aber: sie stirbt, die Hoffnung, und mit ihr der letzte Funke Zuversicht, dieser Scheiße heil zu entrinnen. Die kleine Dicke mit der Warze wäre heute Kanzlerin. Auch nur eine Messiasmarionette. Und der Marsch ins Verderben hätte nicht amüsanter sein können.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CXCIII): Der Anspruch der Eliten

26 04 2013
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Ein Gespenst geht um in Europa, vielmehr: es überholt auf der rechten Spur, hält den Mittelfinger aus dem Fenster und betrachtet die Straßen als sein Eigentum. Wehe, ein anderer wagte es, bei Rot zu bremsen. Wie der Henker führe der Lenker drein, fuchsteufelswild, unbelehrbar, da nicht weiter an der Realität interessiert. Die Welt gehört ihnen, den selbst ernannten Eliten, aber sie können nicht einmal damit umgehen.

Kein Tag vergeht, ohne dass das Geheul der angeblichen Oberschicht durch die blühenden Landschaften zetert. Ihre Wehleidigkeit, sich nicht an die Spielregeln halten zu wollen, auch wenn sie sie selbst geschrieben haben sollten, ist ein peinlicher Auswuchs der Ichlingspest. Jäh greint es durch Wald und Flur, das rumpelstilzt sich einen, da sie sich stärker an den Kosten der Allgemeinheit zu beteiligen haben – wer denn sonst, möchte man fragen, etwa die Obdachlosen? die Niedriglöhner und die Erwerbsunfähigen? Sie leben nicht von der Sahne, ohne den Pöbel zu beschimpfen, der ihnen den Kuchen nicht schenken will.

Die blühende Landschaft ist für sie wie ein Selbstbedienungsladen, mehr noch: ein Paradies für Ladendiebe und Zechpreller. Sie, die gleicher sein wollen als die anderen, fordern Vorzugsbehandlung, weil sie wie andere sein wollen. Sie benutzen Stadtgrün und Zebrastreifen, erwarten von der Polizei, dass sie den Verkehr regelt, bei Einbruch und zerkratzten Kotflügeln ermittelt, sie erwarten, dass der Richter für sie den Dieb verknackt und der Justizvollzug ihn einsperrt. Sollte es brennen, warten sie auf die zu diesem Behufe vorgesehene Feuerwehr. Bei der alljährlichen Flutkatastrophe halten sie das Eingreifen von Zivilschutz und Bundeswehr für eine Selbstverständlichkeit. Sie wünschen Papierkörbe im Weichbild und Kunst am Bau, Straßenbeleuchtung, Kanalisation und Parkuhren, Gewerbeförderung und Denkmalschutz. Wenn nicht, dann beschweren sie sich, dass der Staat für alles Geld schmeißt, nur nicht in ihre Richtung. Wobei sie sich auch beschweren würden, wenn er das Geld schmisse. Oder in ihre Richtung, aber nicht genug. Sie würden, tönt’s aus der zufälligen Zusammenrottung am oberen Ende der Vermögensverteilung, mit Pech und Fackeln aus dem Land getrieben. Was für ein elender Hirnplüsch, der ihnen aus der Rübe rattert.

Denn der Anspruch der sogenannten Eliten ist es eben nicht, diesen angeblich unwirtlichen Staat zu verlassen und sich in irgendeiner von Wirbelsturm und Erdbeben, Militärdiktatur und Malaria bedrohten Operettenrepublik mit quietschbunten Cocktails unter die Palme zu pflanzen, sie hieven nur ihre Kohle über den Äquator und schätzen ansonsten eher den Nieselregen der norddeutschen Niederung sowie dessen optisches Pendant, die Halsfalten der Kanzlerin.

Klassischerweise sind es eben die Eliten, die im Vollbewusstsein ihrer Deutungshoheit das unterste Dezil als Schmarotzer abtut, gesellschaftlich nicht integrierbare Randfiguren, die jede geregelte Arbeit kategorisch ablehnen, den Staat und seine Organe zutiefst ablehnend, gleichwohl sie ohne ihn vollkommen aufgeschmissen wären, da sie allein von seiner Gnade abhängig sind, um ihr Leben zu fristen. Womit sich die Vermögenden hinreichend selbst beschrieben haben dürften.

Denn sie sind nicht nur von der Feuerwehr und den Wasserwerken abhängig, sie müssen darauf vertrauen, dass die Großwetterlage stabil bleibt, ohne Erschießungskommandos, Weltrevolutionen, Sozialismus und, horribile dictu, Steuererhöhungen. Sie müssen darauf vertrauen, dass der Staat den gesellschaftlich überflüssigen Reichen nicht die Knute überzieht, dass er Eigentum schützt und ihr Lebensmodell nicht als illegal bezeichnet. Sie müssen darauf vertrauen, dass sich die Gesellschaft aus lauter Liberalität eine Schicht leistet, die netto Verluste einfährt und nicht fähig ist, dies zu ändern.

Möglicherweise haben sie selbst schon vom Hauslehrer auf dem Stammsitz des Geschlechts ihr Schulwissen unter die Kalotte geschwiemelt bekommen, möglicherweise popeln sie auf privaten Internaten ihren Nachgeburten ihre verquere Ideologie ins Hirn, doch wenigstens mittelbar sind sie ohne das öffentliche Bildungswesen komplett aufgeschmissen. Ohne Regel- und Hochschulen hätten sie weder Rechtsanwälte noch Schönheitschirurgen, die sie vor der Wirklichkeit in Schutz nehmen, von Steuerberatern noch zu schweigen. Sie hätten keine staatlich geplante und gebaute Bundesautobahn, um die Karre vollstoff über den Asphalt zu jagen. Sie hätten nicht einmal den staatlich subventionierten Billigstrom aus Kernreaktoren, um den Großbildfernseher und die elektronisch gesteuerte Haustechnik zu betreiben. Vermutlich würden sie an der roten Ampel gleich mal übergemangelt, höchstwahrscheinlich, weil keiner sehen würde, dass sie rot ist – ist sie auch gar nicht, sie fehlt ja gleich ganz, und der Notarzt, der die Reste des Sozialopfers in einen Eimer schmeißt und ins Universitätsklinikum karrt, ist auch gleich mit ausgewandert. Das Leben ist bekanntlich hart, ungerecht, teuer, und am Ende geht man tot.

Man sollte denen, die ihre Steuern nicht fürs Gemeinwohl blechen wollen, ihren sehnlichsten Wunsch erfüllen und sie unter Androhung von Materialkaltverformung im Gesichtsschädelbereich über die Grenze verfrachten. Endlich sind sie des Jammertals ledig, ihr Kapital haben sie immer bei sich, was kann’s schöner geben? Sie werden jäh bemerken, dass sie, da unter ihresgleichen, mit erhöhter Gesindeldichte zu rechnen haben. Wir werden es verschmerzen. Nur keine Neiddebatte.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CXCII): Das Großraumbüro

19 04 2013
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Es war im Pleistozän, wenige Jahrhunderte zuvor hatte es zu schneien begonnen, und Uga hockte mit dem Werkzeug am Feuer. Wenige Schritte entfernt unternahm ein Hominide die ersten Versuche in Richtung Metallurgie. Rechts davon schnitzte Rrt seine dreizehnte Knochenflöte, nicht, ohne sie einem ausführlichen Praxistest samt rhapsodischen Intermezzi in freien Rhythmen zu unterziehen. Der Nachwuchs wuchs nach und testete unterdessen die akustischen Variablen der Umwelt. Es war schließlich nur noch eine Frage der Zeit, bis die arbeitsteilige Gesellschaft entstand, in der die Weber in der Weberei woben, während die Töpfer in der Töpferei töpferten. Ansonsten hätten die Beknackten, abgesehen von einer drohenden Unterversorgung mit so gut wie allen Erzeugnissen des täglichen Lebens, sich schnell einen kollektiven Knall eingefangen. Nur einmal noch haben sie sauber danebengegriffen, und das absichtlich. Sie erfanden das Großraumbüro.

Elf bis zwanzig Reihen zu je neun bis drölfzig Tischen mit mindestens zweieinhalb Stück Mensch hocken auf- und umeinander, tippen, wühlen im Papier, knödeln in ihre Hörsprechschädelklemmen und zucken im Sekundentakt zum Gefiepe der Telefone. Hektisch hacken die Tacker, schwabbern Callcenterfuzzis gegen den Lärmpegel an, der beständig wächst, so dass sie lauter reden, so dass der Pegel steigt, so dass sie lauter reden, so dass der Pegel steigt, und wenn sie nicht gestorben sind, dann rieselt zwischendurch die Wand unter dem Putz weg. Das wäre nur logisch.

Gäbe es jenes höhere Wesen, das wir verehren, es hätte sich das Großraumbüro nicht ausgedacht, eher sein Widerpart, der Vegetarier (Hörner, gespaltene Hufe und Quastenschwanz passen nun mal physiologisch nicht zu einem Fleischfresser) muss sich diese Foltermethode aus der trüben Fantasie geschält haben. Denn Arbeit kann nicht der Zweck dieser sozialen Zusammenrottung sein. Wer ansatzweise weiß, dass auch qualifizierte Kräfte im Meeting höchstens die geistige Leistung komatöser Klappstühle liefern, hat eine realistische Schätzung dessen, was die Fortsetzung der Krabbelgruppe mit anderen Mitteln einbringt. Man lernt seine Kollegen schneller kennen, vulgo: jeder Halbaffe geht einem sofort zielgerichtet auf die Plomben. Jede Idee wird zeitnah aufgegriffen, heißt im Klartext: es gibt nicht den Ansatz von Privatsphäre, was im Umkehrfall auch bedeutet, dass die extrovertierteren Teile der Belegschaft durch ihre pure Existenz den Rest der Räumlichkeit in die Nähe der Hirnembolie treiben. Jeder mischt sich ungefragt in jeden Mist ein, erklärt freihändig undokumentierte Funktionen der Buchhaltungssoftware, bringt damit en passant die ganze EDV eines Großkonzerns zum Abschmieren und erfreut sich damit ungeteilter Aufmerksamkeit. Was es an Körpergeruch zu erzählen gäbe, fällt ebenso in dies Ressort. Doch das ist es nicht.

Um die Gruppendynamik der Laborratten vor der Tastatur zu untersuchen, empfiehlt es sich, den Flüssigkeitshaushalt der Probanden in den Fokus zu rücken. Holt einer sich einen Kaffee, holt sich die ganze Reihe einen Kaffee. Benutzt einer die Getränkerückgabestelle, entwässert binnen einer Viertelstunde das ganze Rudel. Wer noch immer Mietkosten und ähnliches Effizienzgefasel als Ausrede für die Hallenhaft nimmt, wäre rein buchhaltungstechnisch mit dem Home Office besser beraten. Warum lässt man die Arbeiter jeden Tag ein paar Kilometer durch die Landschaft rödeln, um sie am netzwerkfähigen Endgerät acht Stunden lang Dusselaufgaben erledigen zu lassen?

Der Gesindegulag ist nicht weniger als der Beweis, dass Foucaults Idee vom Überwachen und Strafen längst realisiert wurde, inklusive des idealen Panoptikums – um Kohle zu sparen, wird der Part der Aufseher wechselseitig von allen Kollegen übernommen, die einem bis auf die Knochen gucken, während der Chef seine pastorale Macht mit der Knute zärtlich unterstreicht. Es bedarf weder eines Wachdienstes, um die Faulen auszusortieren, noch kontinuierlicher Propaganda, die die Gehörgänge der Untertanen zuschwiemelt. Die kostengünstige Eigendressur macht die Knochen morsch, um sich besser unter das Joch des Produktivmantras biegen zu können, und fertig ist eine Population hirnloser Flusenlutscher, die sich das Bewusstsein ständiger Unterwerfung mit der Verlockung schöndenken, auch alle anderen im Visier zu haben. Dass sie billige Vollstrecker des normativen Zwangs sind, haben sie nicht auf dem Schirm. Hauptsache, sie können herumtrampeln, notfalls auf ihresgleichen. Das Wort Selbstdisziplin bekommt da einen Beigeschmack von Wahrheit.

Doch es rächt sich, und das ist nicht einmal schlecht. Nirgends, wo viele Kulis hocken, bleibt man verschont von Übersprungshandlungen, in diesem Fall jene der Viren. Die Gruppendynamik gilt auch bei Infektionen, hustet einer, liegt alsbald die halbe Belegschaft fiebernd, da die Klimaanlage in der Legehennenzone den Schmadder optimal verteilt und auf vorgetrocknete Schleimhäute einwirken lässt. Die seelisch verursachte Disposition zur Flucht ließe sich leicht errechnen, mit ihr auch der volkswirtschaftliche Schaden, den die Controllingkasper gerne unter den Tisch fallen ließen. Das Diktat zur uniformen Fließbandarbeit lässt sich außerhalb des Fließbandes nicht in die Tat umsetzen. Somit war der Pleistozänmensch klüger als der durchschnittliche Personalschlumpf der postindustriellen Ära. Und er hatte vermutlich seltener einen Burnout. Was für eine vorsintflutliche Gestalt.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CLXXXI): Alternativlosigkeit

25 01 2013
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Das ganze Leben besteht aus Entscheidungen. Hü oder hott, zu Dir oder zu mir, geschüttelt oder gerührt, der kleinste Entschluss kann Wohl oder Wehe bringen, fortdauerndes Glück oder ewige Verdammnis. Gut, wer Entscheidungsfreude seine Tugend nennt, wer frei von Zaudern und Zweifel einfach das Rechte tut. Doch was nützt es dem Impulstäter, der mit Axt und Bogen vor dem großen, brüllenden Tier steht, wenn er intuitiv zum einen Instrument greift und nicht recht bedenkt, welche Chancen ihm daraus erwachsen und welche Risiken. Reflektierend erst zeigt sich überlegen der Sieger im täglichen Kampf, wo zu seinen Füßen kraucht faselnd die soziale Zusammenrottung der Bessergewussten, wie sie Erleuchtung funzeln im Strahlungsbereich der Glühwürmchen und das Mantra der Verdeppten lallen: Alternativlosigkeit.

Wer während der Embryonalphase aus Versehen Wasser in die Birne bekam, fühlt sich beglückt über das Klickibunti des Systems. Die drängenden Fragen der Gesellschaft – weg, die einzig mögliche Entscheidung ist bereits präexistent in der Frage, die dann per Definition nur noch ein Nanodenker zu stellen wagte. Die Wissenden, die erkannt haben, dass es weder etwas zu wissen noch zu erkennen gibt, dürfen mit dieser Querkämmerweisheit die Geschicke der Gebietskörperschaften lenken. Es gibt nichts zu tun, sie aber packen es an. Wo auch immer.

Die Definition von Alternativlosigkeit beruht auf der eingeschränkten Sichtweise eines Panzerfahrers, der vor sich ein paar Sandhügel plattmacht und nicht weiß, dass ihn von hinten gerade eine Feuerwalze wegpustet. Je enger die Scheuklappen gezogen werden, desto logischer scheint der Schritt in den nächstbesten Abgrund. Wen nimmt es Wunder, dass das Laberpersonal sich vorwiegend da für die Alternativloslösung entscheidet, wo eine Auseinandersetzung auf argumentativer Ebene schnell einen Platten in der Hirnrinde brächte. Vorwiegend auf unsicherem Terrain blockt der postdemokratische Haufen die Beschäftigung mit unschönen Dingen wie der Realität und ihren ästhetisch unbefriedigenden Folgen ab, wie Eltern im kausalen Laberinth der Warum-Warum-Warum-Fragen irgendwann den Blagen das Dogma aufs Maul hauen, dass die Welt nu mal so ist, wie sie eben ist – halb aus purer Unwissenheit, da sie für den philosophischen Akt des Konflikts durch Überraschung noch zu viel Dünnluft unter der Kalotte haben, halb jedoch aus antrainierter Unterwürfigkeit unter die bloße Meinung, die um so heftiger verteidigt, wer sie nicht kapiert. Der Hominide hat ab Werk seine Anlagen, die ihm helfen könnten, die Zustände auf diesem Rotationsellipsoiden in der Lokalen Flocke hinlänglich zu kapieren, doch er preist als Erfolg der Evolution eher die Tatsache, dass er sich den Brägen schnell und unbürokratisch auszuknipsen in der Lage ist. Das schafft himmlische Ruhe, und was sonst würde den Beknackten interessieren.

Erst recht wird die Wahlunfreiheit greifbar als Feindin der Demokratie, wo sie erhoben wird zum politischen Konzept, ohne jedoch politisch zu sein, geschweige denn ein Konzept anbieten zu können. Was sich selbst Unfehlbarkeit zuschreibt, hat bereits den Boden des Parlamentarismus verlassen, weil es sich in seinem Größenwahn außerhalb der Debatte postiert. Wo die Alternative von vornherein nicht zur Diskussion steht, nimmt das Diktat die Stelle der Debatte ein. Das politische Personal jedoch degradiert sich selbst, wie es fortwährend am Selbstgleichschalter fummelt. Wozu bräuchte es in einer alternativlosen Welt überhaupt Entscheider, wozu Machtpositionen und fürstlich bezahlte Bedenkenträger, um sie auszufüllen? Wenn das Korrektiv des Kontingenten fehlt und sich die ganze Existenz zu einem Brei des Unverfügbaren schwiemelt, wer genau ist dann der Handelnde und wer das Objekt der Handlung? Die vermeintlich Handelnden, sie setzen nur um, was die überwertige Theorie ihnen befiehlt und werden zu Sklaven der eigenen Ergebenheit; Macht wird zwingend zu Ohnmacht, um die Vortäuschung von Macht noch länger inszenieren zu können.

Wird nicht ex post alles, was als unumgänglich bezeichnet wurde und dann doch in die Hose ging, zum Schicksal hochemotionalisiert? Den Politikern ist es egal, sie sehen nur anfallsweise, dass sie nicht unter hellseherischer Begabung leiden. Zudem sind sie jeder Haftung ledig – präventiv kloppt sich die Kaste der Dummschlümpfe den Freispruch-Stempel in den Gesichtsversuch, damit ihnen keiner planenden Vorsatz unterstellen könnte. Es ging ja nicht anders. Gerade hier beginnt die geistige Raumkrümmung die schönsten Blasen zu werfen, wie sie kein Weichstapler besser erfinden könnte: unter den unabänderlichen Gegebenheiten, Schwerkraft, die Erde ist keine Scheibe, wir haben das schon immer so gemacht, konnte es keine andere Entscheidung geben. Natürlich hätte man das eine oder andere Gesetz nicht erlassen, die Folgen bedacht, vorher die Verfassung konsultiert oder einfach mal die Klappe gehalten, aber wie soll man die Schwerkraft dafür abschaffen? Es klingt schon derart bescheuert, dann muss es wohl logisch einwandfrei sein.

Der Totalitarismus mit menschlichem Antlitz kann nicht vertuschen, dass er ein Auswuchs des Dogmas ist, das die Alternativlosigkeit gebiert, die billigend in Kauf genommene Wahnvorstellung der ideologischen Einbahnstraße. So bleibt nicht viel mehr als die öffentlich verkündete Gewissheit, man könne das Ergebnis des Stoßgebets einpreisen – wer sich nur genügend ohnmächtig macht, macht sich um so mächtiger. Selig sind die geistig Armen. Sie bedürfen keiner Alternative. Der Rest befindet sich, man entnimmt es der Verbraucherinformation der grassierenden Regierungen, gerne mal in der Hand metaphysischer Wesen. Hoffen wir, dass sie es sich nicht anders überlegen. Gründe gäbe es ja genug.