Nicht mein Bier

6 09 2010

Die Bundesarbeitsministerin hatte es klar zum Ausdruck gebracht. Bei der Neuberechnung der Regelsätze für das Arbeitslosengeld II dürfe auf keinen Fall überflüssiger Luxus finanziert werden – die spätrömische Dekadenz, sie wurde nicht mehr an- oder ausgesprochen, doch sie schwang mit. So leicht wollte man es dem Volk nicht machen.

Die Kommission verkündete, die Hartz-Kosten zu senken, indem die Kosten für Alkohol und Tabak gestrichen würden. Dass auch der Erwerbslose gelegentlich zum Essen neige, ließe sich nicht mehr leugnen, dass er aber daraus gleich ein Recht auf Genussmittel ableite, sei eine bodenlose Frechheit. Man wolle sofort durchgreifen, hart und treffsicher. CSU-Generalsekretär Dobrindt kündigte an, ganz entschieden gegen Missbrauch zu sein. Dies sei mit der Verfassung durchaus zu vereinbaren. „Das Grundgesetz“, rief der Bayer in einer ortstypischen Bierzeltveranstaltung, „verbietet nicht das Recht auf eine arbeitslosenfreie Wiesn!“

Erster Protest regte sich aus dem Einzelhandel, da den Discountern eine wichtige Einnahmequelle wegzubrechen drohte. Ministerin von der Leyen beruhigte die Konzerne allerdings rasch; nach den Plänen der Bundesregierung würde die Anzahl der Transferleistungsempfänger ungebremst ansteigen, so dass der Gewinn rein durch die Masse erhalten bliebe. Da zudem mittelfristig eine Umstellung der Transferleistungen auf Chipkarten angedacht sei, empfehle sie den Unternehmen, sich gut mit der Regierung zu arrangieren, um akkreditierter Prekariatsversorger zu werden. Der Name Albrecht wurde zufällig genannt und nicht dementiert.

Thilo Sarrazin kündigte an, sein nächstes Buch hieße Deutschland säuft sich tot.

Vor allem aber wies die Industrie die Sparpläne der Regierung vehement zurück. Der Konsum von Bier, Alkopops und branntweinhaltigen Getränken sei ein stabiles Rückgrat der Volkswirtschaft, teilte der Sprecher des deutschen Brauereigewerbes mit. Allein stetiger Verbrauch von Gerstensaft sichere eine große Anzahl von Arbeitsplätzen, zumal gerade Deutschland eine Vorbildfunktion für das in der Welt überall geschätzte Brauerhandwerk habe. Dass es dabei vorrangig auch um ein Kulturgut ginge, so der Funktionär, müsse man wohl nicht eigens betonen. Die Kommission stimmte insofern damit überein, als man nicht gedächte, freigesetzte Bürger kostenlos mit Kulturgütern zu beglücken.

Eine peinliche Panne passierte, als Redakteure einer überregionalen Tageszeitung die Meinung der Kirche einfangen wollten. Alkohol sei zweifelsohne eine gesellschaftlich akzeptierte und allemal in den zivilisatorischen Kontext eingebundene Substanz; die Verwendung als Messwein spiegele nur eine der zahlreichen Präsenzformen im Leben einer jeden christlichen Gemeinschaft wider. Alkohol müsse jedem Menschen in unbegrenztem Maße zur freien Verfügung stehen. Der daraus resultierende Bericht konnte nicht mehr rechtzeitig gestoppt werden, die Zeitung ging in Druck. Die beiden Redakteure, die irrtümlich Walter Mixa interviewt hatten, wurden fristlos entfernt.

Anders der Boulevard; hier empfahl man dem Pöbel strikte Abstinenz, wie es Franz Josef Wagner, der Suchtbeauftragte von BILD, zum Ausdruck brachte. Trunksucht sei der Untergang Deutschlands, alle Meisterleistungen der deutschen Wirtschaft, zum Beispiel der Rettung der Deutschen Bank oder der Stalingrader Kessel, seien nüchtern vollbracht worden. Noch die Perfidie, den Sieg einer DFB-Elf durch Absingen von Wir versaufen unser Oma ihr klein Häuschen im Keim ersticken zu wollen, sei Wehrkraftzersetzung und drakonisch zu bestrafen. Weniger konsequent war die redaktionell getarnte Werbung für die 20-Milliliter-Flasche VolksChampagner, die sich, höhnisch von Kai Diekmann begrinst, noch der gewissenloseste Abzocker würde leisten können. Wolfgang Clement fühlte sich davon derart diffamiert, dass er den Springer-Konzern verklagte.

Die Kanzlerin schwieg. Sie hatte sich zwar zuvor auch nicht mit den finanziellen Problemen der Unterschicht beschäftigt, sah aber auch nicht ein, warum sie ausgerechnet jetzt damit anfangen sollte. Dies, befand sie kurz, sei nicht ihr Bier.

Thilo Sarrazin erklärte in diversen Talkshows, die muslimischen Kulturen seien schon deshalb der deutschen Leitkultur unterlegen, da sie kein Bier tränken. Vermutlich seien sie dazu nicht intelligent genug. Auf Nachfrage des Gastgebers, ob nicht die Migranten besser mit den bescheidenen Hartz-IV-Sätzen zurechtkommen würden, erklärte der Gen-Ethiker, dies sei arglistige, ja böswillige Anpassung an den alternativlosen Druck; der Ausländer, so Sarrazin, besetze in parasitärer Absicht jede Ritze des sozialen Gefüges und verteidige sie mit Mitteln, die der Herrenrasse nicht zur Verfügung stünden.

Während sich der Rest der Riege die Realität schön soff – Wirtschaftsminister Brüderle konnte gerade noch stehen für die deutschen Winzer, die ihre preisgekrönten Weine seiner Ansicht nach für den geübten Gaumen des teutonischen Trinkers, nicht aber zur weiteren Verwahrlosung der Unbemittelten produzierten – fand ausgerechnet mit der Kabinettsrede des Sozialexperten Westerwelle die Diskussion zur Nüchternheit zurück. Der Vize mahnte eindringlich seine Kollegen, falsche Wege in der Arbeitsmarktpolitik einzuschlagen. Es sei nicht mehr möglich, Erwerbslose in den Medien als arbeitsscheue, versoffene Schmarotzer darzustellen, wenn man ihnen den Alkoholkonsum faktisch verunmögliche. Das Bild des permanent pichelnden Prekariats sei in akuter Gefahr, und nur durch eins könne man der Frage, wie man Bedürftigen ihre Lebensführung vorschreiben sollte, noch entgehen: ihnen weiter Alkoholika zuzugestehen, auf das Risiko, dass man ihnen damit Menschenrechte zubillige, die ihrer Klasse nicht zukämen.

An diesem Tag meldete sich die Tabakindustrie zu Wort.





Wunder gibt es immer wieder

2 09 2010

„Haben Sie das gelesen? Ja? Mensch, ich sage Ihnen, da haben bei uns aber die Korken geknallt. Ja! Gestern hier noch so eine miese Stimmung im Vorstand, alle immerzu am Weinen, die Personaler wurden schon religiös, Weltuntergangsstimmung – heute dann die Meldung, dass die Krise längst vorbei ist, und das Beste: der Aufschwung ist da!

Keine Ahnung. Kann ich ja nicht wissen, ich habe hier nur die Zahlen aus meinem Betrieb, mir geht’s nicht anders als vorher. Oder zwischendrin. Wissen Sie, mir war das eigentlich auch völlig egal, das Gerede. Man will doch bloß informiert sein, was in der Wirtschaft so passiert. Schauen Sie mal, das mit dem Jobwunder – ich finde das schön. Also schön gerechnet, wissen Sie, jetzt sind da gut und gerne Hunderttausend aus der Statistik raus. Das ist doch schon mal ein Erfolg. Jobs? Nee, die sind in Rente jetzt. Deshalb ließen die sich ja so gut rausrechnen. Oder die Maßnahmenbezieher. Wenn Sie mich fragen, die machen da schon gute Arbeit. Also die Statistiker, nicht wahr.

Man muss informiert sein, verstehn Sie. Man muss ja wissen, ob es noch Krise ist, wie man jetzt aus dem Arbeitsministerium hört, oder ob die Krise schon vorbei ist, wie der Finanzminister manchmal sagt, oder ob’s schon längst der Riesenaufschwung ist, bevor der große Zusammenbruch – nein, so deutlich auch nicht, das kam ja dann von Brüderle, der kann nicht deutlich. Kann gar nichts, da haben Sie mal Recht! Aber man muss informiert sein, man muss doch wenigstens mal informiert tun können, so wie die Kanzlerin immer. Wenn man dann mit den Gewerkschaften spricht, kann man denen doch nicht sagen, es ist Krise, jetzt gibt’s keine Erhöhung – dann muss man eben sagen, im Aufschwung ist eine Lohnanpassung nach oben vollkommen ausgeschlossen, sonst hätte man doch nichts, was man in der Hausse anspart, weil dann die Arbeiter schon aus Taktgefühl auf mehr Geld verzichten sollten, bevor man ihnen im Abschwung sagen muss, wie schwierig alles ist, und dass ohne eine Lohnkürzung und mehr Arbeit und weniger Urlaub dann bei guter Konjunktur keine Lohnerhöhungen geben kann, das ist doch in der Rezession klar.

Man müsste mal so was machen wie das Sparpaket von der Bundesregierung. Einfach unten abschneiden und oben wieder drankleben. Soll sich ja auch lohnen, oder? Was? Wieso Beschiss? Nennen Sie es einfach: kreative Buchungen. Macht die Regierung auch. Früher hieß es Kombilohn, jetzt heißt es eben Aufstocker. Das ist doch das Schöne für die Merkel, sie kann sich hinstellen und sagen, sie hätte die Wirtschaft nicht dabei behindert, den Niedriglohnsektor auszubauen, und dabei hat sie auch noch die Arbeitslosenzahlen verringert. Was? Hören Sie doch hin, nicht Arbeitslosigkeit, die Arbeitslosenzahlen! Oder was meinen Sie, warum wir heute mehr Hartz-IV-Bezieher mehr als Arbeitslose weniger haben? Man muss sich eben anpassen, auch als Wirtschaft. Wissen Sie was, so einen Schattenhaushalt müsste man haben.

Stimmt, das würde machbar sein. Eine Art Schattenhaushalt mit Zeitarbeitern und Ein-Euro-Jobs und Kurzarbeit, das würde schon einiges in die Kasse bringen. Schattenwirtschaft. Die im Dunkeln sieht man nicht.

Aber ich bitte Sie, es geht doch alles! Die Regierung hat begriffen, dass sie nicht für die Wirtschaftsentwicklung zuständig ist – nur nicht Brüderle, der will sich immer noch einmischen – sondern nur die Rahmenbedingungen zu schaffen hat. Das machen sie ja auch. Mit der Kernkraft, das läuft schon wie geschmiert. Als ob’s alle Hoteliers wären. Sie, ich sage Ihnen was: das ist doch überhaupt die Idee, man sollte viel mehr diese direkte Demokratie einführen, Volksbeteiligung uns solche Sachen. Dass man sich jetzt direkt bei der Regierung ein Gesetz bestellen kann, oder dass man sagt, wir haben keine Lust auf Steuern, die zahlen wir nicht, sonst schmieren wir Euch im nächsten Wahlkampf nicht – da täten sie aber mal etwas Gutes, die Politiker, meinen Sie nicht auch?

Wir müssen da viel mehr an Deutschland denken, meinen Sie nicht? Das wär’s doch: wir machen eine Arbeitsvermittlungsagentur auf. Das wäre doch was! Klar, an der Arbeitslosigkeit kann man immer bestens verdienen, da stehen die Arbeitsgemeinschaften doch drauf. Wenn die einen Arbeitslosen nämlich erst einmal zum gewerblichen Vermittler verschoben haben, dann gilt der nicht mehr als arbeitslos, auch wenn er nie Arbeit findet und weiterhin sein Arbeitslosengeld bekommt. Ja, das ist doch der Trick! Da können sie dann auf der einen Seite sich feiern lassen, weil es immer weniger Arbeitslose gibt, und auf der anderen Seite darf Westerwelle Hartz-IV-Empfänger anpöbeln, weil sich das Pack sprunghaft vermehrt. Damit ist schließlich jedem gedient.

Nein, lassen Sie es uns so machen. Wir gründen eine Arbeitsvermittlung und verleihen Arbeitslose. Machen Sie sich mal schlau, ob man die kaufen muss oder ob man da Ablöse bezahlt. Umsonst? Das wissen Sie absolut sicher? Na, das ist ja ein Wunder! Erst Krise vorbei, jetzt noch ein zweites Geschäft – solche wie uns, davon sollte es doch wirklich mehr geben in Deutschland, meinen Sie nicht? Ich sage es Ihnen, das ist der Aufschwung, wir werden den kräftig beschleunigen. Und ich meine, wenn wir uns schon so ins Zeug legen für unser Gemeinwohl, sollten wir bei den Steuern mal ein Wörtchen mitreden. Sagen Sie, wissen Sie zufällig, wann das nächste Sparpaket kommt?“





Reichs-Tag

15 07 2010

„… doch als ein ausgewogenes Konzept, dass die sozial Schwachen sich überproportional an den Sparmaßnahmen der christlich-liberalen Regierung beteiligen, denn sie stellen in nicht unerheblichem Maße – und nach Schätzung der Kanzlerin auch erheblich zunehmend – einen Teil der Bevölkerung dar, die ihren Anteil haben soll am Erfolg der…“

„… wollte der Bauunternehmer Alfons L. (62) nicht auf sich sitzen lassen und kündigte an, sich gemeinsam mit anderen Wirtschaftsführern für eine Reichensteuer einzusetzen – eine sozial balancierte Politik sei in Zeiten großer Einkommensdifferenzen unerlässlich und…“

„… absurd, wenn nicht gemeinschaftsschädlich, wie der INSM-Sprecher mitteilte, denn die Reichen seien in Wahrheit als Leistungsträger des Staates nicht in der Lage, durch ihre Leistung auch noch den Staat zu finanzieren, da sie als Leistungsträger, die die Leistung repräsentieren innerhalb dieses Staates, ja bereits durch ihre Leistung eine…“

„… lehnte FDP-Chef Guido Westerwelle eine Anhebung des Spitzensteuersatzes kategorisch ab. Steuerliche Mehrbelastungen dürfe es nicht geben, schon deshalb nicht, um die Gewinnmaximierung der Versicherungswirtschaft nicht zu…“

„… zum informellen Treffen im Hotel Adlon, dem auch die bekannten Industriellen Ludwig T. (53) und Ottokar M. (55) beiwohnten, die sich zu einer jährlichen Summe von jeweils 50 Millionen Euro bereit erklärten, sowie Konzernchef Jürgen I. (56), der ein Startkapital von 2,3 Milliarden Euro in Aussicht stellte. Die Summen übergaben die Teilnehmer dem Treuhänder der…“

„… inzwischen schon in ganz Deutschland zu finden, etwa in Hamburg oder Hannover, wo der gemeinnützige Verein mit einem Fundraising jüngst 1,9 Milliarden Euro sammelte, die Finanzminister Schäuble jedoch, wie er sagte, aus steuerrechtlichen Gründen nicht annehmen wollte. Allerdings spräche nichts dagegen, diesen Betrag gleich der CDU…“

„… auch für den Bankier Carl-Philipp Graf von K. (49) nachvollziehbar, der mit seiner Kalkulation ein realistisches Szenario entwarf: Steuerzahler, die ein Gesamtvermögen von über einer halben Million besäßen, sollten für eine Frist von zwei Jahren fünf Prozent Reichensteuer entrichten, was in der Summe gut 100 Milliarden Euro ergäbe, sodann sei eine Vermögenssteuer von einem Prozentpunkt zu veranschlagen. Bildung und Gesundheit, aber auch der Sozialetat – etwa die Grundsicherung – seien davon zu fördern, wie K. ausführte, und nach dem Ansinnen der Sozietät war…“

„… komplett ablehnte und als hirnverbrannten Schwachsinn bezeichnete, der höchstens einem kommunistischen Vollidioten einfallen könnte. Fridubert Edler von M. Reichsgraf von und zu St. und St. am N. Ritter zu H.-K. (83) verbat sich derlei Invektiven; das Oberhaupt des Adelsgeschlechts, deren Wurzeln bis in karolingische Zeiten reichen, kündigte an, den Vorsitzenden der Liberalen künftig in Deutschland nicht mehr…“

„… sprachen von Erpressung, wofür es nicht die geringsten Anzeichen gab, manche nannten es einfach nur eine subtile Geste, der Politik zu zeigen, wer in diesem Staat das Sagen habe: die Regierung musste tatenlos zusehen, wie sich der Löwenanteil der börsennotierten Unternehmen, fast der ganze Mittelstand und etliche traditionsreiche Firmen – der Weltmarktführer T. hatte innerhalb weniger Tage die Federführung übernommen – darauf verständigten, die Parteienfinanzierung einzustellen sowie Nebeneinkünfte von aktiven Amtsträgern gänzlich zu streichen. Insbesondere schmerzte es Guido Westerwelle, dass mit Helmuth P. (45) der Vorstandsvorsitzende einer der größten Hotelketten Europas süffisant äußerte, man investiere jetzt erheblich viel mehr in den Staat, müsse aber, da man sich den Umweg über die FDP spare, nicht mehr das Geseier ihres Chefs bei Hoteleröffnungen über sich ergehen lassen und…“

„… seit der massiven Unterstützung auch in medialer Hinsicht deutlich zunahm; so ergab eine letzte Demoskopie vor der Landtagswahl nur mehr 0,2% für die FDP, die trotzdem siegessicher…“

„… lehnte die Bundeskanzlerin ebenso ab wie einen Fonds. Ungewöhnlich scharf gab sie den Wirtschaftsführern zu verstehen, wer in diesem Land die Richtlinien der Politik bestimme, und sie lasse auch keine Kritik mehr zu, nur weil wegen der Abschaffung der Einkommensteuer für Reiche das ALG I künftig ganz wegfallen und ALG II nur noch für eine Übergangsfrist von drei Monaten bis zur Übersiedlung ins zuständige Bürgerarbeitslager…“

„… sich nach einem heftigen Schlagabtausch mit der Bundeskanzlerin in einem ökumenischen Spitzengespräch darauf einigten, die Mitgliedschaft in der CDU sei mit einer Mitgliedschaft in einer der Amtskirchen nicht mehr zu vereinbaren. Dies hatte jedoch für Beobachten lediglich Symbolwert, da alle Anzeichen darauf hindeuteten, dass die CDU nach vorgezogenen Neuwahlen keine nennenswerte Rolle mehr…“

„… die SPD und Grüne zwar noch wegen längerfristiger Bindungen den Einzug ins Parlament einbrachten, aber die Wirtschaftspartei verfügte über eine derart komfortable Mehrheit von 76%, dass sie den parlamentarischen Marionetten nicht mehr die Fäden führte. Das Sofortprogramm des Kanzleramtsmanagers sah neben der Reinvestition der in der Kreditkrise verschleuderten Geldsummen eine Anschubfinanzierung von 500 Milliarden Euro vor, die vollständig in den…“





Und so weiter

14 06 2010

„Du lieber Gott, das wollen Sie ernsthaft erzählen? Sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen? Dieser ganze Wortsalat hier, wer hat sich denn das ausgedacht? Sie selbst? Großartig! Exzellent, Frau Bundeskanzlerin, einfach exzellent! Mehr Blödsinn haben Sie nicht in einen einzelnen Satz gequetscht bekommen! ‚Dass wir das jetzt Realität werden lassen‘ – Herrgott noch mal, das ist die Meldung des Tages, dass Sie Ihre Beschlüsse eventuell auch mal in die Tat umsetzen? Wobei, Ihr Regierungsstil legt es nah, dass man irgendwas, was sich in diesem Land bewegt, zur Sondermeldung aufblasen muss.

Also Sie wollen dann ‚die Arbeitsvermittlung zielgerichteter ausrichten‘, schön. Zielgerichteter als zielgerichtet geht nicht, weil dicht daneben ist auch vorbei, klar? Und wenn Sie irgendwelche Ziele im Auge hätten – hätten!, Frau Merkel, hätten! – dann wäre das Ding bereits ausgerichtet, und zwar worauf? aufs Ziel, gut aufgepasst. Und das wollen Sie der deutschen Öffentlichkeit als eine bahnbrechende Konsolidierungsmaßnahme auf den Tisch bringen, dass die Argen künftig frei Schnauze Leistungen verweigern können? Was für eine Eselei ist das denn, was für ein Etikettenschwindel! Ich höre immer Sparpaket, Sparpaket – wird denn hier auch nur ein Cent gespart? Pustekuchen, das haben Sie noch nie getan! Immer raus die Marie, immer zum Fenster mit beiden Händen! Deutsche Bank, Abwrackprämie, Hoteliers, Griechenland, immer noch eine Schippe, immer raus! Ist das Sparen? Sie sparen nicht, Sie kürzen höchstens!

Und wo wir gerade beim zielgerichteten Kürzen sind – unterbrechen Sie mich jetzt nicht! – Ihr auf Schwanzwedeln der FDP durchgewunkener Rabatt für die Mövenpicks kostet den Staat doppelt so viel, wie Sie durch die Streichung des Elterngeldes für sozial Benachteiligte bekämen. Hat Ihnen da Herr Westerwelle einen Schwank aus Ihrer FDJ-Zeit erzählt, der Ihnen zwischenzeitlich entfallen war?

Gott, was ist das für ein Gestammel? Wer hat denn das da verbrochen? ‚Deshalb ist die Zeit gekommen, hier wirklich in eine Phase einzutreten, wo wir sehr konkret sagen, was müsste gemacht werden‘ – haben Sie noch alle Tassen im Schrank? ‚Wirklich‘, das heißt doch: bis jetzt haben Sie nur so getan, als ob? Was bis zu diesem Umschwung ablief, das sollen wir jetzt alle mal verdrängen, weil es die Unwirklichkeit war? Frau Merkel, fand das alles bisher nur in Ihrem Kopf statt? Hier wird nicht in Phasen eingetreten – Phasen, das sind labile Übergangszustände, Frau Merkel, was haben Sie eigentlich während Ihres Physikstudiums getrieben, dass Sie das nicht wissen? Den Klassenfeind mit Ihrem Doppelkinn in Depressionen getrieben? Hier wird nicht Phasen eingetreten, Frau Merkel, hier wird nicht eingetreten, hier wird vorgerückt, agiert, gehandelt, beschlossen, umgesetzt, angepackt und durchgegriffen! Was ist das für ein seniler Quark, den Sie hier vorjammern – Sie unterbrechen mich noch genau einmal, dann haben Sie ein Problem – soll ich Ihnen Funktionsverbgefüge servieren, damit sich das Geschwätz noch eine Ecke hohler anhört? Zur Durchführung bringen? In Anwendung nehmen und zur Beschleunigung kommen lassen, was?

Aus der Nummer kommen Sie eben nicht mehr raus, Frau Merkel. Sie wollten Kanzlerin sein. Sie wollten die CDU als dominierende Partei und die FDP als billigen Mehrheitsbeschaffer. Sie wollten das. Nicht die anderen. Nur, dazu muss man auch etwas auf der Pfanne haben. Gestalten, wie Sie so gerne sagen, Frau Merkel. Wege einschlagen. Und nicht, wie Sie es aus guten alten Zeiten in der DDR kennen, zurücklehnen und warten, dass der nächste Zehnjahresplan im VEB Realsozialismus kommt. Da karrt man Ihnen eine Horde Knalldeppen in die Wahlkampfarena, die mit ihren orangefarbenen Schals einstudierte Ekstase nachturnen, und was macht die Kanzlerin? ‚Die Staatsratsvorsitzende der CDU freut sich über diese Begeisterung der Bevölkerung, die eine Ungeheure gewesen ist!‘

Was wird das? ‚Dass wir in den Jahren 2013 und 2014 dann auch sichtbare Erfolge sehen in Form von geringeren Leistungen für Hartz-IV-Empfänger.‘ Die Erfolge kommen in der nächsten Legislatur? Und: sichtbare Erfolge, die so sichtbar sind, dass man sie sehen kann? Sie sehen als Erfolg, dass Sie die vom Bundesverfassungsgericht als Existenzminimum bezeichneten Leistungen noch kürzen können? Sie sehen es also als Aufgabe für die kommende Wahlperiode an, mit Ansagen das Grundgesetz auszuhebeln, damit Sie den Banken mal wieder den Arsch retten können? Habe ich das richtig verstanden, Frau Merkel?

Sie wollen, dass es weitergeht? Egal was, nur: weiter? immer weiter? So? Weiter? Es interessiert Sie also schon gar nicht mehr, was in zwei, in fünf, in zehn Jahren sein wird, weil Sie sowieso eine Marionette sind? Weil Sie in Ihrer Partei nichts anderes können als Intrige und Machenschaft, damit Sie alles wegtreten können, was ansatzweise mehr im Schädel hat als Sie selbst? Und jetzt spielen Sie dem Volk die Kanzlerin vor? Ja, Sie spielen, zu mehr hat es doch nie gereicht. Nur, dass es jetzt ernst ist, Frau Merkel. Wortsalat, das können Sie absondern – wenn es darum geht, hätten wir auch Stoiber nehmen können. Unter ihm hätte es dieses Kindergartentheater garantiert nicht gegeben.

Und jetzt gehen Sie da raus. Ich habe es Ihnen oft genug gesagt: Klartext. Schluss mit diesem elenden Geschwurbel. Laut und deutlich. Sonst ist Ihre politische Karriere innerhalb der nächsten Viertelstunde zu Ende, haben wir uns verstanden? Gut. Dann gehen Sie da raus. – Meine Damen und Herren: die Bundeskanzlerin!“

„Wir haben ganz klar gesagt, wir müssen jetzt zeigen, 2011, 2012, 2013, 2014, die gesamte mittelfristige Finanzplanung muss überschaubar sein, und damit kommt Stabilität und Verlässlichkeit auch in diese Dinge hinein. Trotz aller schwieriger Entscheidungen sage ich: dieses ist notwendig. Notwendig für die Zukunft unseres Landes. Auch wenn, das will ich ganz deutlich sagen, es ernste Stunden waren und ich es auch für eine durchaus ernste Situation für unser Land halte, aber ich bin optimistisch, dass wir das schaffen können, wenn wir das jetzt auch so umsetzen, und das ist uns in harter Arbeit gelungen.“





Die Trümmerfrau

12 06 2010

Die Pferde: scheu, das Volk: verhetzt,
der Karren: an die Wand gesetzt.
Das Volk sei schuld! der Kutscher flucht
und eilig er das Weite sucht.
Die Garde aber, Mann für Mann,
lässt keinen an den Dieb heran,
und schon ist Deutschland – Schuft, nun lauf! –
    im Ausverkauf.

Die Armen hat man vorgeknöpft,
dass man Gewinn und Vorteil schöpft.
Man presst das Volk. Man senkt den Lohn,
man schüttet Spott aus, Hieb und Hohn,
denn wieder zahlt nur, wer nichts hat,
und macht die faulen Hunde satt,
auch wenn das Land – wie Ihr es seht –
    schon Pleite geht.

Die Blase wächst, Kredit! Kredit!
Wer schuldig war, der rennt und flieht.
Nur eine bleibt, schon angezählt,
da sich der Michel glatt verwählt.
Sie schmeißt das Geld zum Fenster raus,
sie lädt Vasallen sich zum Schmaus
und leugnet tapfer – hört nur hin! –
    noch den Ruin.

Schon kehrt das wieder, samtverhüllt
samt Pack, das sich den Beutel füllt.
Verpflichtung? Haftung? Schuldigkeit?
Die Herrschaft hat dafür kaum Zeit.
Wo andre mutig geradestehn:
blasiertes, eitles Prahlgetön
als Festmusik – Tschinell, Fagott –
    zum Staatsbankrott.

Da sah sie zu, die Kanzlerin,
nahm alles kuhgesichtig hin,
worum sich keiner kümmerte,
bis man den Rest zertrümmerte.
Ja schau, die Bonzenrotte lacht,
wie unser Muttchen Männchen macht
und hüpft im Takt – wenn man sie lässt –
    zum letzten Rest.





Sparschweinerei

10 06 2010

„Ein Kännchen Tee, ein Kännchen Kaffee, einmal Streusel und einmal Apfel mit Sahne – sehr zum Wohle!“ Der Kellner verbeugte sich knapp und verschwand hinter dem Tresen. Klüwer entfaltete umständlich die Papierserviette und bugsierte das Tee-Ei aus der Porzellankanne. „Man hätte es gar nicht gedacht“, schmatzte er, ein Stückchen Kuchen schon im Mund, „hier im Bundesfinanzministerium haben sie ein exzellentes Café. Sehr gemütlich. Und erstklassige Konditorei.“

Den anderen Kellner in der grünen Jacke hatte ich zuerst gar nicht bemerkt. Erst als er mir das Schälchen mit der Sahne vom Tisch nehmen wollte, sah ich ihn. Im letzten Moment fiel ich ihm in den Arm. „Was fällt Ihnen ein? Sie Flegel!“ „Finger weg“, schnarrte er. „Hier wird jetzt gespart! Sahne können wir und nicht mehr leisten.“ Ich packte ihn am Ellenbogen und wand ihm das Sahnetöpfchen aus der Hand. „Ich habe diese Sahne bestellt, ich werde diese Sahne bezahlen. Wenn Ihnen das nicht passt, setzen Sie halt keinen Apfelkuchen mit Sahne auf die Karte.“ Einen Augenblick lang sah er mich völlig entgeistert an. Dann stürzte er sich plötzlich auf den Tisch und fegte das Sahneschälchen mit dem Ärmel herunter; es zersprang auf dem Boden.

„Sie müssen verzeihen“, sagte der Kellner mit großer Verbindlichkeit, „wir können bei unseren Sparmaßnahmen keinerlei Rücksicht nehmen auf irgendwelche privaten Wünsche oder auf Ihre Lebensplanung.“ „So etwas hatte ich mir schon gedacht“, antwortete ich bissig. „Und jetzt holen Sie mir gefälligst eine Portion Sahne.“ Noch immer lächelte der Ober recht entspannt. „Das geht nicht. Wir müssen sparen.“ „Er hat ja Recht“, fiel Klüwer ein. „Die haben über unsere Verhältnisse gelebt, deshalb…“ „Ich will das nicht mehr hören hier“, schnitt ich ihm das Wort ab. „Diese Worthülsen können Sie sich schenken! Aber ich sehe schon, das hat bei Ihnen Tradition – vor der Wahl wird einem Sahne versprochen, hinterher sieht man sie von Weitem!“ Und tatsächlich, zwei offenbar Besseres verdienende Herrschaften am Nebentisch hieben sich Schlag auf die Eisbecher, dass es seine Art hatte. „Die Sahne, die Sahne ist weg“, sprach Klüwer trübsinnig. „Das verstehen Sie falsch“, korrigierte der Domestik, noch immer lächelnd. „Das waren, richtig bemerkt, Wahlversprechen. Sie dürfen den gesunden Menschenverstand nicht zum Maßstab nehmen. Oder irgendetwas, das mit Verstand im weiteren Sinne zu tun hat. Es handelt sich hier um die Klientel der FDP.“

Unterdessen waren zwei junge Männer an den Tisch getreten, den Uniformen nach als Mitarbeiter des Ministeriums erkennbar. Der erste hielt eine albern große Kehrschaufel auf den Boden, während der andere mit einem lächerlich kleinen Besen die Sahne mitsamt der Scherben auf das Blech pinselte. „Was soll das denn darstellen“, fragte ich verdutzt, „haben Sie da extra jemanden eingestellt?“ „Ganz recht“, bestätigte der Bediener, „natürlich nur die allerbesten Leute – der Herr links beispielsweise bezieht das Gehalt eines Staatssekretärs. Er war zuvor im Außenministerium, und seine Stelle fiel dem Sparpaket zum Opfer.“ „Und was macht der Mann dann hier?“ „Das Sparpaket kümmert sich nur um dem Abbau von Bundesbeamten – dass man das Personal an anderer Stelle weiterhin beschäftigt, das haben wir ja nie bestritten.“ Klüwer selbst war einigermaßen entgeistert. „Und was macht der Mann jetzt?“ „Sie sehen es doch“, lächelte der Servierfritze und wies an den Nebentisch, wo die beiden dienstbaren Geister sorgfältig die Früchte aus einem Fruchteisbecher pickten, sie zu Boden schmissen und dann umständlich aufkehrten.

Ich schlug mir mit der flachen Hand vor die Stirn. „Was für eine unglaubliche Verschwendung“, stöhnte ich, „und welch eine Eselei mit dem ganzen Aufwand, der darum getrieben wird – dann bieten Sie Ihren verfluchten Apfelkuchen doch ohne Sahne an!“ Das Lächeln schien ihm ins Gesicht genagelt. „Sie haben Recht, aber dieser umständliche Weg entspricht den Gewohnheiten des Beamtenapparats. Sie würden sich mit Händen und Füßen gegen eine sinnvolle und vernünftige Regelung wehren.“

Klüwer rührte verdrießlich in der Tasse herum. „Natürlich ist das alles Blödsinn. 440 Millionen für Kirchenpersonal, obwohl die Kirchen längst ihre Steuern bekommen, damit Weihbischöfe und Kardinäle auf Samtsofas saufen können. Milliarden für die Atomindustrie, damit die ihre Gewinne noch einmal vergrößern und die Steuerlasten dann an die Stromkunden durchreichen. Üppige Subventionen für Firmen, die sowieso Abermilliarden an Gewinn machen. Freigiebige Unterstützung für alle, die ihre Arbeitnehmer mit Hungerlöhnen abspeisen – wer auf die Aufstockerleistungen angewiesen ist, darf sich nicht selten auch noch anpöbeln lassen dafür. Und zu diesem ganzen Schlamassel auch noch dies unverschämte Ding mit den Hotels!“ Klüwer hatte sich in Rage geredet; unvermittelt schmiss er die Tasse zu Boden. Die Splitter flogen durch den Raum, dass der Kellner leicht zusammenzuckte. „Sie meinen also“, begann ich vorsichtig, „dass das intelligente Sparen nicht hinhaut?“ „Wie auch“, grollte er. „Das ins Schaufenster zu legen war schon eine Zumutung.“

Die beiden Hilfskräfte streichelten die letzten Porzellanscherben vom Boden. Der Kellner beugte sich herunter. „Darf ich eine Runde ausgeben?“ Klüwer seufzte. „Wenn’s denn passt.“ Der Kellner nickte. „Windbeutel.“