Casino Royale

20 11 2019

„Im Zweifel natürlich immer für den Angeklagten, wobei: angeklagt hat Sie noch keiner, das wollen wir ja auch verhindern. Und da befinden wir uns auch in einer guten deutschen Tradition, dass wir im Sinne eines noch nicht Beschuldigten ermitteln und Mittel zu seiner Entlastung finden. Sie werden sehen, diese neue Dienststelle wird Ihre Steuern sehr gründlich durchleuchten und nichts finden.

Die Unterlagen haben Sie dabei? Hätten Sie gar nicht gebraucht, bei der Lohnsteuererklärung weiß das Finanzamt auch schon, was Sie eingenommen haben. Die wollen nur nachprüfen, ob Sie ehrlich sind, deshalb müssen Sie noch mal alles angeben, und dann können wir Sie bestrafen, wenn wir das wollen. Erinnert ein bisschen an Hartz IV, finden Sie nicht auch? Da können Sie mal sehen, unsere Sozialpolitik ist gar nicht so praxisfern, wie manche das immer behaupten.

Aber egal, wir glauben Ihnen alles. Das hat sich der Bundesfinanzminister gut ausgedacht, oder? Da sieht man, der will wirklich Kanzler werden. Ist zwar im Moment ein bisschen kompliziert, weil die anderen wohl auch etwas von Politik verstehen, aber man kann nicht alles haben. Es sollen ja nicht die vielen hart arbeitenden Menschen bestraft werden, weil sie sich einfach ein bisschen mehr Gerechtigkeit für ihr Geld wünschen. Wir wollen an die richtig dicken Fische ran. Da sind Sie mit ein paar Millionen im Monat doch noch gar nicht auf unserem Radar.

Und wir warten jetzt auch nicht, bis die Sachen verjähren, das haben wir mit der Steuerfahndung extra so abgesprochen. Das ist für Sie sicher neu, aber fassen Sie sich, für uns ist es auch ungewohnt. In unserer alten Abteilung wurden Sie ja mit etwas Glück nur frühpensioniert, wenn Sie Ihre Arbeit entgegen der Dienstanweisung ernst genommen haben. Wenn Sie auch noch Ehrgeiz entwickelt haben, dann konnten Sie schon mal zu Ihren Vorgesetzten in die Psychiatrie umziehen. Aber das ist jetzt vorbei. Wir haben ein ganz neues Modell, das sich mit der Einnahmen- und Ausgabensituation des Staates verbindet, dem sozusagen Rechnung trägt – super Wortspiel, oder? dann eben nicht – also wo war ich? Geld. Jeder braucht Geld, Sie brauchen Geld, wir auch, also kann doch der Staat auch mal was für die Bürger tun, um umgekehrt.

Wir arbeiten ja auch nicht explizit gegen die Steuerhinterziehung. Diese Dienststelle befasst sich mit Steuergestaltungsmodellen am Kapitalmarkt, das ist etwas völlig anderes. Möglicherweise haben wir die eine oder andere Idee, wie man staatliches Vermögen auch ohne schwarze Null vermehrt. Am Ende ist Cum-Ex noch legal, und wir beißen uns alle in den Arsch. Das ist ein bisschen so wie im Casino Royale, Sie müssen nur aufpassen, dass Sie gleichzeitig am Spieltisch sind und in der Bank. Wie das funktioniert, hat uns auch noch keiner von den Finanztypen erklären können, aber das wusste bei den Steuerabschreibungen ohne Rückzahlung, nee, Rückzahlung ohne Steuer, oder wie war das? auf jeden Fall kam da am Ende Geld raus, und wir mussten das zahlen. Deshalb verlangen wir jetzt von uns negative Zinsen – die positiven müssten wir ja selbst erwirtschaften, aber die negativen kriegen wir als Staat geschenkt. Von wem? Von uns als Bank, als Staat natürlich, oder andersherum? Egal, das ist so einfach, das kapiert das Finanzamt nie, und wenn, dann sind wir längst über alle Berge.

Also wir machen das mit der Task Force ganz einfach andersherum, verstehen Sie? Sie haben da ein paar Milliarden, und wir machen Ihnen ein Angebot, das Sie nicht ablehnen können. Doch, die Milliarden haben Sie. Wir wissen das besser. Sie können es natürlich auch ohne uns versuchen, aber Sie wollen nicht wissen, wie das ausgeht. Nehmen Sie den Ratschlag eines guten Freundes an, Sie sollten mit uns kooperieren. Es ist besser für Sie.

Die normalen Banken geben negative Zinsen gar nicht an die Verbraucher weiter, insofern haben Sie Glück, wenn Sie mit uns zusammenarbeiten. Es wahrt Ihr Vermögen. Sie brauchen also nicht mal Aktien, auch keine ohne Dividendenanspruch, und wenn etwas schief läuft, dann zahlen Sie nur das, was Sie als Steuerzahler sowieso belasten würde. Wenn Sie jetzt nicht gerade Kinder haben, die von Schulen profitieren würden oder von den Laternen auf dem Schulweg, oder vielleicht auch von den Schienen, auf denen der Zug zur Schule fährt, dann können Sie das eigentlich auch komplett ignorieren.

Dass wir auf diese Art noch mal so eine richtig ertragreiche Public Private Partnership hinkriegen würden, das hätten Sie nicht gedacht, oder? Man muss kreativ sein, wenn man sich gegen diese furchtbar komplizierten Gesetze behaupten will. Na egal, es dauert ja nicht mehr lange, dann ist das alles vorbei. Das mit den komplizierten Gesetzen jedenfalls. Jetzt müssen wir nur noch zusehen, dass wir die zuständigen fünfzig Mitarbeiter mit sehr viel Dokumentation in die Lage versetzen, ihre großen Erfolge für die Nachwelt zu erhalten. Viel wird es nicht gerade sein, aber deshalb muss man’s ja auch nicht gleich verschweigen, oder?

So, was haben wir denn da eigentlich? VW-Aktien, interessant. Wirklich, sehr interessant. Ich fürchte, da können wir leider nichts mehr machen. Der Konzern muss natürlich aus Staatsräson in den schwarzen Zahlen bleiben. Da hätten Sie besser auf ein anderes Pferd gesetzt. Tut mir jetzt ja auch leid, aber das wäre sonst mit Verlusten verbunden, die nicht nur Sie betreffen. Trösten Sie sich, so ist das nun mal in der Finanzwirtschaft. Mal verliert man, mal gewinnen die anderen.“





Noch höhere Gewalt

19 12 2017

„… nicht zurückfordern wolle, obwohl der Konzern offensichtlich Steuern hinterzogen habe. Dies diene der Rechtssicherheit in der Europäischen…“

„… das Tempolimit zwar offiziell beibehalte, bei Kontrollen jedoch eine individuell mit den jeweiligen Verkehrsteilnehmern auszuhandelnde Lösung als Win-Win-Situation für die…“

„… als Wirtschaftsspionage bezeichnet werden könne. Die strafrechtliche Relevanz ergebe ich aber erst bei der Feststellung, welche Nationen an der aufgedeckten Handlung…“

„… müsse für eine juristischen Beurteilung der Einzelfälle erst nachgewiesen werden, ob es sich beim Vermeiden von Steuerzahlungen tatsächlich um einen wirtschaftlichen Vorteil für die…“

„… viele multinationale Konzerne ihre Niederlassungen aus der EU abzögen, wenn sie gezwungen würden, sich an die rechtlichen…“

„… nicht einseitig betrachtet werden dürfe. Sollte sich für Luxemburg oder Irland ein Vorteil aus der Vermeidungspraxis ergeben, so sei es nicht gerecht, dafür die Verantwortung und den rechtswidrigen Vorteil bei Unternehmen wie…“

„… seien Steuerzahlungen auch mit enormen Kosten verbunden. Eine wirtschaftsfreundliche Politik müsse dieser Entwicklung Sorge tragen und so zur Stabilisierung des…“

„… die Umweltgesetzgebung der einzelnen Staaten auch dadurch erleichtern könne, dass nicht umweltverträgliche Dieselfahrzeuge durch eine Ummeldung in einen anderen EU-Staat schnell und ohne bürokratischen…“

„… dass die Vorteile einer flexiblen Steuervermeidungspolitik auch nach dem Brexit weiter verfolgt würde. Dies diene nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs einer vertieften Integration der verbleibenden…“

„… wolle Luxemburg als führende Steueroase der EU Maßstäbe setzen, die der Gesamtentwicklung der Rahmenbedingungen der G20-Staaten einen guten…“

„… die Drogenpolitik der einzelnen Staaten nicht angetastet werde, da sie mutmaßlich nicht zur Stabilisierung der wirtschaftlichen…“

„… müsse die Netzneutralität EU-weit verteidigt werden. Luxemburg werde als erster Staat die volle Souveränität der Netzanbieter für den sozialverträglichen Ausstieg aus der…“

„… stelle aber nicht in Frage, dass Steuerhinterziehung weiterhin als schwere Straftat anzusehen sei, die mit der vollen Härte des…“

„… mehr unternehmerische Freiheit gewähre. So wolle man in einem Pilotversuch eruieren, wie viel Steuern die Konzerne freiwillig an die Finanzverwaltungen der jeweiligen…“

„… in Italien zu einer Panne geführt habe. Der Fiskus habe 100 Millionen Euro gefordert, die nach einem Gerichtsurteil auch versehentlich an den…“

„… Rückforderungen für Steuerschulden aus den USA nicht verrechnet werden könnten. Juncker habe dies sehr bedauert, werde aber zeitnah mit den transatlantischen Finanzpartnern die fiskalische…“

„… könne sich vorstellen, dass Steuerschulden eher in den Privathaushalten eingetrieben würden, da es viel mehr Angehörige der Mittelschicht als Großkonzerne in der…“

„… auch Cum-Ex-Geschäfte nur noch da erlauben wolle, wo diese bisher strafrechtlich zu beanstanden seien. Dies diene der Vereinheitlichung der europäischen…“

„… müsse die EU auch darauf vertrauen können, dass sich die Mitgliedsstaaten nicht als noch höhere Gewalt dem…“

„… die italienische Justiz durchaus als Vorbild ansehe, da sie wirtschaftsfreundliche Züge trage, die fiskalisch relevanten Teile aber lieber in…“

„… einen Teil der Steuerschulden eintreiben wolle, indem die Angestellten von Amazon oder Starbucks mit verstärktem Fahndungsdruck auf die aktuellen…“

„… auch die deutsche Verwaltung einbeziehen wolle. Der Deutsche Bundestag habe sich dafür stark gemacht, die Parteieinfinanzierung zum Vorbild für alle anderen…“

„… nicht nur Steuervergünstigungen für die Angestellten auf den Prüfstand stellen wolle. Man müsse auch nachdenken, ob Steuersenkungen für die Mittelschicht grundsätzlich schädlich seien, da von ihnen keine Wachstumsimpulse für die Reichen und die international…“

„… sich die lokalen Wirtschaftsbetriebe durch Quersubventionierung der Konzernsteuern auf sehr soziale Weise beteiligen könnten, Arbeitsplätze im Ausland zu sichern und damit die Globalisierung in positiver…“

„… keine Extrawurst gewähre. Es sei nicht richtig, dass Steuerhinterziehung grundsätzlich nicht verfolgt würde, die Mitgliedsländer besäßen lediglich die volle Souveränität bei der Durchsetzung ihrer rechtlichen…“

„… gegen Steuerflucht sei. Das Ziel der EU-Politik sei dabei allerdings vorrangig, eine Steuerhinterziehungsflucht zu…“

„… dass der massive Personalabbau in der Steuerfahndung jedoch in keinem kausalen Zusammenhang stehe mit den Entwicklungen auf dem Binnenmarkt in der…“

„… keine branchenspezifischen Lösungen anbiete. Zwar wolle Luxemburg auch keine Rüstungskonzerne, Geldwäscheorganisationen oder mafiöse Strukturen aktiv an den Standort locken, es gebe andererseits auch keine Bestrebungen, Gelder dieser Wirtschaftszweige aus dem BIP zu…“

„… für Abgabentransparenz sorgen wolle. Die EU-Staaten seien bestrebt, allen Konzernen die genaue Summe ihrer zu leistenden Steuerschuld schriftlich zum jeweiligen…“

„… die Ansiedlung dieser Wirtschaftsbetriebe letztlich immer der Allgemeinheit diene, da sie durch Steuern und Abgaben für eine Stärkung des sozialen und…“





Feste Betrugsabsicht

7 11 2017

„… sich jetzt endlich ändern müsse. Wenn der Eindruck entstehe, Reiche würden in unverantwortlicher Weise mehr und mehr Gelder der öffentlichen Hand entziehen, so sei dies ein nicht hinzunehmender…“

„… es sich in vielen Fällen nicht um den trickreichen Umgang mit der Steuergesetzgebung handle. Daraus einen generellen Vorwurf an Steuerberater zu machen sei so falsch wie…“

„… auch aus psychologischen Gründen schwierig zu bewerten sei. Viele Multimilliardäre fürchteten um ihr Inkognito, falls ihre Vermögen durch Bedienstete des Finanzamtes…“

„… bereits der Begriff irreführend sei. Juristisch dürfe nur Betrug genannt werden, was mit einer festen Betrugsabsicht begangen werde, was aber bei den meisten Steuerbetrügern noch schwerer nachzuweisen sei als die…“

„… die Reichsten ungefähr ein Viertel ihres Vermögens versteckten. Dies sei nach Aussage der deutschen Kreditwirtschaft zwar noch nicht ausreichend, könne aber als gesellschaftlich akzeptierter Konsens einer…“

„… es ohne einen Prozentsatz an nicht gezahlten Steuern sicher kein Wirtschaftswunder in Deutschland gegeben hätte. Die Industrie sei auf diese Rücklagen angewiesen gewesen und habe sehr umsichtig mit ihnen…“

„… sei Steuerhinterziehung auch ziviler Ungehorsam. Die Bevölkerung müsse sich gegen einen aus dem Ruder gelaufenen Staat zur Wehr setzen, der sonst die…“

„… schwerste Straftaten wie Mord, Totschlag oder Cannabiskonsum noch immer auf eine Stufe mit Steuerbetrug gestellt würden. Dies habe erst dazu geführt, dass sich unschuldige…“

„… vom Staat nicht für die eigenen Interessen verwendet werde. Da diese Gesellschaftsschicht öfter im Privatjet flöge und seine Kinder auf private Schulen schicke, sei es ungerecht, sie für den Bau von Straßen oder…“

„… eher von einer fahrlässigen Mogelei auszugehen sei. Führende Anwälte seien der Auffassung, dass sich ihre Mandanten nicht ausreichend mit dem Steuerrecht befassten, um die fälligen Beträge zu…“

„… könne man mutmaßen, dass erst durch die Nichtzahlung von Steuern wieder ein ausreichend großes Vermögen erwirtschaftet werden könne, das dann den Reichen erlaube, ihre Steuern ordnungsgemäß zu…“

„… für 99% der Bevölkerung keine Rolle spiele. Da diese überragende Mehrheit keine Steuern hinterzöge, dürfe man statistisch überhaupt nicht von der Existenz dieses strafbewehrten…“

„… auch ein gutes Zeichen für das Ansehen der Bundesrepublik sei. Andere Staaten seien den deutschen Milliardären sofort und ohne Skrupel zur Hilfe gekommen, was man moralisch als einen sehr hohen…“

„… viel zu viel Geld besäßen, um sich einen Überblick über die zu entrichtenden Steuern und Abgaben machen zu können. Das komplizierte Steuerrecht sei letztlich schuld daran, dass so viele Reiche die…“

„… keine Hetze gegen Flüchtlinge zulassen dürfe. Auch Steuerflüchtlinge seien in diesem…“

„… durch die sozialen Spannungen in Deutschland zu starken Gefahren ausgesetzt würden. Erst wenn das Land sich von der tiefen Spaltung in Arm und Reich erholt habe, könnten Steuern wieder wie vorgesehen…“

„… dabei aber den Trickle-down-Effekt nicht vernachlässigen solle. Erst durch die Investitionen der Reichen entstehe in der Unterschicht ein so großes Vermögen, dass das Prekariat selbst sich leisten könne, keine Steuern mehr zu…“

„… keine Bankfilialen mehr im grenznahen Bereich errichten wolle. Eine Verlagerung der Geschäfte nach Panama sei daher die…“

„… dass die Politik hier gravierende Fehler gemacht habe. Solange es zu keiner Spendenaffäre gekommen sei, dürfe man die Regierung nicht als…“

„… das Kapital bekanntlich ein scheues Reh sei, das möglicherweise schon in andere Länder weitergezogen sei, wenn es die technischen Möglichkeiten dazu…“

„… nicht an den Milliardären liege, sondern an den zahlreichen Briefkastenfirmen. Es dürfe nicht sein, dass man den Leistungsträgern ein derart unübersichtliches Konstrukt…“

„… eine Selbstanzeige viel Arbeitskraft bei der Steuerfahndung binde. Deshalb würden Reiche in der Regel auf die dünne Personaldecke des Fiskus Rücksicht nehmen und sich nicht…“

„… andererseits auch Arbeitskräfte in den Staaten der Dritten Welt aufbaue. So gesehen sei Steuerflucht auch als Entwicklungshilfe zu…“

„… vorgerechnet habe, dass eine Aufklärung sämtliche Steuervergehen in Millionenhöhe die deutsche Justiz an den Rand des Kollapses brächte. Es sei daher den Reichen hoch anzurechnen, dass sie zur Schonung der deutschen Gerichtsbarkeit keinen weiteren…“





Oh, wie schön ist Panama

6 04 2016

„Also ich würde das jetzt ja noch nicht gleich als Parallelgesellschaft…“ „Sie zahlen also mehrere Millionen an Einkommensteuer?“ „Moment, das verdiene ich ja nicht mal im…“ „Und das ist Ihre Rechtfertigung, über das internationale Steuerrecht zu urteilen?“ „Sie sagen es: international: Sie sind doch auch nicht mehr als irgendein Deutscher.“

„Sie auch nicht.“ „Stimmt. Ist mir in diesem Zusammenhang allerdings herzlich egal.“ „Sie sind immer noch von diesem Tröpfeleffekt überzeugt, dass die Einkommen der Reichen sich irgendwann in den Löhnen der Armen widerspiegeln?“ „Nö.“ „Ach, und warum nicht?“ „Die haben ja kaum noch Einkommen, der größte Teil besteht inzwischen aus Sozialleistungen, da müssen wir doch die Gewinne der Wirtschaft nicht mutwillig antasten.“

„Dann hätte sich ja unsere Diskussion schnell und umfassend erledigt.“ „Bitte, ich habe gar nichts gegen einen Meinungsaustausch, lassen Sie sich nicht entmutigen!“ „Von den gegenwärtigen Steuern oder von dem, was als Lebensstandard der Mittelschicht davon übrigbleibt?“ „Wissen Sie, wir beschäftigen uns mit dem deutschen Volk.“ „Aha.“ „Randgruppen sind bei uns eher nicht so relevant. Da müssten Sie doch mal mit den staatlichen Verwaltungsbeamten sprechen.“ „Ab wann gilt man bei Ihnen als Volk?“ „Wenn Sie deutlich mehr Privatmaschinen als Tagesfreizeit haben. Man fährt ja auch nicht jeden Tag dasselbe Auto.“

„Wir werden die Daumenschrauben anziehen.“ „Ach Gott.“ „Sehr erschrocken hört sich das nicht an.“ „Wie kommen Sie nur darauf.“ „Nur so eine Idee.“ „Sie müssen nicht um Entschuldigung bitten, Sie haben ja recht.“ „Ach Gott.“ „Wissen Sie, diese Ankündigungen, dass die Regierungen irgendwann mit den Steuergesetzen ernst machen – jeder noch so gute Witz hat ein Verfallsdatum.“ „Was macht Sie so sicher, dass wir Sie nicht genau jetzt aufs Kreuz legen und dann drannageln werden, um ein Exempel an Ihnen zu statuieren?“ „Alte Freunde, genauer: unsere alten Freunde. Nicht Ihr Niveau.“ „Wollen Sie internationale Konflikte riskieren für ein paar Milliarden?“ „Wollen Sie internationale Konflikte riskieren für ein paar Milliarden?“

„Ihre Parallelgesellschaften zerstören unsere Staaten.“ „Sehr gut, das ist auch in unserem Sinne. Nationalstaaten sind nur dann zu etwas gut, wenn man den geistig behinderten Bodensatz gegen einen anderen hetzen kann. Sie sind da eindeutig besser im Training.“ „Ich meinte eigentlich eher unsere rechtsstaatliche und demokratische Grundordnung.“ „Ich auch.“ „Aber…“ „Gucken Sie mal: unsere Rüstung diente doch schon immer dem Frieden, da müssen Sie doch wohl anerkennen, dass wir auch mit unseren Finanzoperationen einen Plan verfolgen, der Sie als Mitglied der internationalen Staatengemeinschaft als Partner miteinbezieht?“

„Sie sollten vielleicht darüber nachdenken, ob Sie Ihre fiskalische Gesetzgebung nicht an die Gegebenheiten der sozialen Wirklichkeit…“ „Da pflichte ich Ihnen sofort bei, das ist heutzutage auch absolut notwendig.“ „Wenn wir…“ „Ich bin ganz bei Ihnen, wir müssen die Einkommen mehr besteuern, sonst haben die Arbeiter und die paar restlichen Angestellten nicht das Gefühl, dass sie noch staatstragend tätig sind.“ „Aber…“ „Sie müssen sich nicht entschuldigen, ich habe Ihre Perspektive durchaus verinnerlicht. Wir hatten auch ein paar Jahre Zeit, uns an den gesellschaftlichen Umschwung im alten Europa zu gewöhnen.“ „Ich meine doch, Sie sollten…“ „Ganz recht, jetzt geht es um Kürzungen im Sozialhaushalt, um die durch Steuerhunterziehung verursachten Kosten wieder aufzufangen.“ „Sie verstehen das…“ „Das ist nicht nur fiskalisch und in Ihrem Sinne als Regierung des neueren Typs eine genau richtige Entscheidung, es hilft auch, soziale Unruhen zu vermeiden.“ „Soziale was!?“ „Man kann doch erben – hören Sie, Erben ist ein ganz hartes Geschäft, da muss man teilweise neue Aktien übernehmen, mit denen man nie zu tun gehabt hat – und muss nicht gleich am Bettelstab enden, weil man plötzlich so viel dafür zahlen muss, oder?“ „Das ist doch…“ „Oder schauen Sie sich mal so einen durchschnittlichen Vermögenden an, wenn der auf einen Arbeitslosen trifft.“ „Falls er je…“ „Sehen Sie? viel zu wenig Fantasie. Wenn der so einen Schmarotzer vor sich hat, müssen wir die Leistungsträger auch noch mit niederen Instinkten wie Neid aus dem Land treiben?“

„Vielleicht schaffen wir auch noch die Steuern ganz ab und die Strafverfolgung von Steuerbetrug?“ „Gute Idee, ich hätte gar nicht gedacht, dass das von Ihnen käme.“ „Und dann sind wir glücklich darüber, dass wir ein paar Kriminelle im Land haben, die wenigstens neue Autos und Luxusuhren kaufen?“ „Da müssen Sie mal ran. Ich zahle doch nicht denselben Steuersatz wie Arbeitslose für ihr Toastbrot.“ „Aber Autobahnen dürfen es schon noch sein, oder?“ „Bis zum Flughafen, ja. Die kleinen Strecken kriegt man mit dem Heli hin.“

„Wissen Sie, was Gabriel gesagt hat? dass das organisierte Kriminalität sei.“ „Ach.“ „Und dass man da härter vorgehen müsse.“ „Oh.“ „Er fordert, dass spürbare Konsequenzen gezogen werden.“ „Das beruhigt mich.“ „Wie jetzt?“ „Doch, das beruhigt mich. Solange dieser Spaßvogel Konsequenzen fordert, weil er immer noch nicht gemerkt hat, dass er in der Regierung sitzt, müssen wir nichts fürchten.“





Der Prozess

23 02 2010

„Das werden Sie noch bitter bereuen! Meine Anwälte werden Sie fertig machen, das schwöre ich Ihnen! Sie werden sich noch umgucken!“ Ein unartikulierter Schrei ließ mich zusammenzucken. Die Tür flog auf. Stadtbaurat Klarwasser taumelte auf den Flur, die Hand vor das Gesicht gepresst. „Kommen Sie bitte“, erscholl die bekannte Stimme aus dem Amtszimmer. Ich trat ein.

„Ein Stück Kandis oder zwei?“ Blume goss Tee in die Tassen. Er lächelte verkniffen. „Nicht, dass man uns noch spätrömische Dekadenz vorwirft.“ Der bullige Mann mit dem kahlen Schädel knetete die Finger. „Gehen Sie nur“, ermunterte der Beamte ihn, „machen Sie eine halbe Stunde Pause. Sie sind ja schon den ganzen Tag im Einsatz.“ Der Boxer stand schwerfällig auf und schlurfte zur Tür. „Herr Kagalin übernimmt bei uns die unzufriedenen Kunden. Sie verstehen?“ „Man sagte mir“, gab ich zurück, „dass Ihre Klienten oft nicht einverstanden seien.“ Er lächelte wieder. „Ja, so kann man das auch ausdrücken. So auch.“

Die Zustände hatten ein Einlenken erforderlich gemacht. Immer neue Datensätze waren auf der Bildfläche erschienen, die Steuerzahler waren kaum mehr nachgekommen – da hatte der Gesetzgeber plötzlich beschlossen, dass auch eine Selbstanzeige nicht vor empfindlicher Strafe schützen dürfe. „Die Regierungsparteien haben nicht schnell genug reagiert“, erinnerte sich Blume, „und stereotyp eine Strafverschärfung beschlossen – und den Rest musste dann das Verfassungsgericht erledigen.“ „Wie immer eigentlich“, bestätigte ich. „Dann kam die Regelung, dass die Straftäter zum Bezug von Transferleistungen verurteilt würden.“ „Wir hatten auf einmal sehr viel zu tun.“ Blume schilderte die Entwicklung durchaus lebhaft. „Besonders, dass auf einmal die Bankangestellten kleine Boni erhielten, wenn sie Steuerhinterzieher gemeldet haben. Das brachte uns natürlich jede Menge neuer Fälle.“

Drüben gab es einigen Lärm. Holz splitterte. Ein unterdrückter Schrei. „Das war unser Kollege. Da sitzt mal wieder der Doktor Göllesheimer aus der Finanzberatung Göllesheimer Hunneberg Lücksen. Ein unangenehmer Zeitgenosse, sage ich Ihnen.“ Die Tür öffnete sich. Der Athlet steckte fast schamhaft den Kopf herein. „Juri Wassiljewitsch macht Nase kaputt“, grunzte der grobschlächtige Mann. „Gut, gut!“ Blume blätterte in einer Akte. „Dann schicken Sie ihn nach unten und vergessen Sie ihn im Wartebereich.“

„Sie haben sich wohl auf Verfolgungsbetreuung spezialisiert?“ „Nicht ganz“, wehrte Blume ab. „Einen Großteil unserer Maßnahmen bestreiten wir mit einer perfektionierten vertreibenden Hilfe.“ Darunter konnte ich mir nun so gar nichts vorstellen. „Denken Sie sich einen Kandidaten wie den Doktor Göllesheimer: vollkommen weltfremd, kann nicht einmal einen Überweisungsträger ohne fremde Hilfe ausfüllen, und der soll nun für ein kompliziertes Antragsformular innerhalb eines Tages einen Stapel Unterlagen beibringen. Kann er natürlich nicht, schafft er auch gar nicht, weil die meisten dieser Unterlagen für die Ausfertigung mehrere Wochen benötigen. Er muss nun also jeden Tag hier ankommen, sich in die Warteschlange stellen, dann hat er ungefähr eine halbe Stunde, um einen Tag Fristverlängerung zu erbetteln, das macht er täglich – sechs, acht Wochen lang. Ist er fertig, stecke ich das ganze Konvolut vor seinen Augen in den Reißwolf und teile ihm mit, dass ich alle diese Unterlagen bis zum folgenden Tag wieder auf dem Tisch liegen haben will. Dreimal hintereinander, und der Mann ist durch.“ Ich schüttelte mich. „Wissen Sie, woran ich denke?“ Blume lächelte wieder sein harmloses Lächeln. „Kafka? Ja, durchaus. Das ist auch Sinn der Sache. Damit die Delinquenten begreifen, worauf sie sich einlassen, besser: einzulassen haben. Da ihnen ja keine andere Wahl bleibt. Wir reden hier nicht über einen absoluten Strafzweck, negative Spezialprävention, es soll wehtun. Sie werden ins Getriebe geworfen, sie wissen, dass sie absolut nichts tun können, um dem Gesetz zu genügen, aber: sie müssen es weiter versuchen. Wir nehmen unseren Opfern vorher auch noch die geringsten Dinge, sie sollen ja auf dem Stand sein, wie ihn ein Almosenempfänger erlebt. Sie haben nichts mehr, und sie wissen, dass es hier ums nackte Überleben geht.“

Er hatte immer noch das hintergründige Lächeln im Gesicht. Mich fror. Wieder und wieder blätterte er in der Akte hin und her, als fände er eine Antwort zwischen zwei Seiten. „Sie werden plötzlich in die Mühlen der Verwaltung geschmissen. Man sagt ihnen, sie seien verurteilt – allerdings nicht, was der Sinn des Urteils sei. Sie sind zwar noch auf freiem Fuß, aber sie müssen unsinnigen, sinnlosen, vor allem: völlig beliebigen Repressalien gehorchen. An einem bestimmten Wochentag lässt man sie ein Papier aus einem weit entfernten Amt holen und in einer anderen Dienststelle abstempeln, obwohl das alles auch hier in jedem Schreibtisch liegt. Am Ende geht es nicht anders, dann zahlt man ihnen die Miete und gibt ihnen ein bisschen Geld, damit sie nicht verhungern – sie sind inzwischen schwer magenleidend, es gibt keinen Grund mehr für sie, anständig zu essen – aber dann sind sie schon nicht mehr dieselben. Sie sind gebrochen. Wir brechen sie.“ Ich stellte die Tasse ab. „Damit sie beschädigt sind? traumatisiert und entwürdigt?“ Blume klappte den Aktendeckel zu. „Damit sie merken, dass das System mehr Macht hat – und nicht sie die Macht über das System.“ Er goss Tee nach. Und lächelte.





Scheibchenweise

3 02 2010

„Nein, der Chef hat’s ja noch nicht entschieden, gell? Noch nicht endgültig. Da müssen wir alle ein paar Tage noch warten, bis wir wissen, ob wir die Steuersünder zu fassen bekommen. Ja, ich kann mir vorstellen, dass das schwierig ist für Sie. Wie meinen? Neutralität? Können wir nicht garantieren, das macht der Herr Doktor Schäuble selbst.

Da können wir jetzt leider noch keine Rücksicht nehmen, tut mir Leid. Besteht denn bei Ihnen ein rechtlicher Klärungsbedarf?

Aber sicher, das kann schon ein richtiges Strafverfahren werden mit Gefängnis und so weiter, das muss Ihnen klar sein. Es ist ein Vergehen, das hat Ihr Anwalt Ihnen schon ganz richtig erklärt, aber trotzdem mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren… Dafür gibt es eben das Legalitätsprinzip, da kommen Sie in einem Rechtsstaat nicht drum herum. Ja wollen Sie das denn? So toll ist es doch auch nicht, für die paar Millionen den ganzen Rechtsstaat… Wieso Datenschutz? Sagen Sie mal, auf welcher Seite stehen Sie eigentlich?

Ein Problem? Guttenberg? Mal ganz davon abgesehen, dass seine Probleme hier so gut wie keinen mehr interessieren, welches Problem hat denn der Verteidigungsminister mit den Daten? und mit dem Rechtsstaat? Weil die Ermittlungen sich nicht an den Datenschutz halten? Sagen Sie mal, wo leben Sie denn eigentlich? Seit wann haben sich Ermittlungen unter dieser Regierung an den Datenschutz zu halten und der Datenschutz an den Rechtsstaat und der Rechtsstaat an… Hallo? Ist Ihnen nicht gut? Lockern Sie mal die Krawatte, das hört sich ja gefährlich an, wie Sie schnaufen!

Natürlich kennt sich der Herr Guttenberg mit Schwarzgeldkonten aus. Schließlich hat er ja als Anlageberater gearbeitet.

Aber denken Sie mal an das Preis-Leistungs-Verhältnis! Zweieinhalb Millionen für 1.500 mutmaßliche Steuersünder, da lassen Sie mal jeden dritten einen Treffer sein, da kostet Sie ein überführter Bösewicht nur 5.000 Euro! Haben Sie überhaupt eine Ahnung, wie viel Geld der Herr Doktor Schäuble seinerzeit in Videoüberwachung und Abhörtechnik und Computerviren gesteckt hat, und dann wollte und wollte doch dieser verdammte Bombenanschlag nicht kommen! 5.000 Euro für so viele böse Verbrecher, denen man alles in die Schuhe schieben kann, was die Bundeskanzlerin in den letzten Jahren… Keine Geschäfte mit Kriminellen? Du liebe Güte! Wir hätten doch sonst kaum den Herrn Doktor Schäuble gefragt, gell?

Wieso Erpressung? Der Herr Doktor Schäuble erpresst doch keinen. Ach so meinen Sie das. Ja, das ist doch Unsinn. Wissen Sie, wenn Sie illegal Giftmüll entsorgen oder eine Fahrerflucht begehen und werden dabei beobachtet und es erpresst Sie damit jemand, glauben Sie denn, dass Sie schon straffrei ausgehen, nur weil Sie das Opfer einer Straftat geworden sind? Ach, was schwätzen Sie denn da! Das ist doch bloß zur Vertuschung, damit können Sie uns nicht kommen. Außerdem kennt sich der Chef mit so was ganz genau aus. Vor allem, wenn es um höhere Beträge geht.

Jetzt sagen Sie schon, gehören Sie dazu? Sind Sie in den Daten drin? Wollen Sie denn nun oder wollen Sie nicht? Und was wollen Sie eigentlich?

Man munkelt ja, dass es schon eine ganze Reihe anderer Scheiben auf dem Markt waren. Sozialhilfe und Schwarzarbeit und solche Sachen, verstehen Sie? Wir sind ja froh, dass noch keine CD aufgetaucht ist mit den Finanzen der CDU. Nein, da müssen Sie bestimmt etwas verwechselt haben. Wenn unsere amerikanischen Verbündeten alle unsere Kontobewegungen sehen wollen, dann dient das der internationalen Sicherheit, und die muss Vorrang haben. Auch vor der Verhältnismäßigkeit, natürlich. Nein, ich sage doch, da verwechseln Sie etwas. Die Schweiz ist noch kein Schurkenstaat.

Wie kommen Sie darauf? Das ist doch absurd! Die Geheimdienste und der Verfassungsschutz halten sich selbstverständlich immer streng an die Gesetze! Wie kommen Sie bloß auf den Gedanken, hier würde mit zweierlei Maß gemessen? Zelle? Ach so, Celle. Aber weshalb Celle? Ich weiß nicht, worauf Sie da anspielen. Sind Sie ganz sicher, dass Sie nicht etwas auszusagen hätten?

Freilich, wir haben da längst einen Plan. Alles in der Schublade. Abrufbereit. Dem Herrn Doktor Schäuble werden wir nämlich sagen, dass mit den hinterzogenen Steuern möglicherweise Terroristen unterstützt werden. Da schaltet der sofort um auf erkenntnisunabhängige Generalkriminalisierung und kauft alles, was er kriegen kann. Wenn wir dem Guttenberg dann erklären, auf so einer CD könnte der ganze Sommerspielplan der Taliban drauf sein und das komplette Organigramm von al-Qaida, meinen Sie, der würde hier noch von Datenschutz anfangen? Na? ist das nicht genial?

Das dürfte nicht das Problem sein. Wir haben dem Herrn Doktor Westerwelle erzählt, die CD enthalte ein Best-of-Leistungsträger, da wollte er sie natürlich sofort… hallo? Sind Sie noch dran? Hallo? Merkwürdig. Da stimmt doch etwas nicht – und warum wollte der eigentlich wissen, ob der Preis noch gilt?“