Supermarketing

8 03 2011

07:48 – Kaum hat Karlheinz D. (43), der Leiter der örtlichen Supi-Filiale, seinen Laden aufgesperrt, da fällt sein Blick auf die gegenüberliegenden Straßenseite. Quer über die Fassade der Kaufdas-Niederlassung spannt sich ein Transparent mit roten Lettern: „Obst und Gemüse – frisch und gesund!“ Karsten F. (50) drapiert Kohlrabi und Äpfel in der Auslage. D. knirscht zornerfüllt mit den Zähnen. Diese billige Provokation lässt er sich nicht bieten.

08:02 – Während sein Stellvertreter Rudi T. (48) ihm die Leiter hält, hängt D. das eilig mit Filzstiften aus dem Sonderangebot gemalte Spruchband „Vitaminreicher Genuss mit Obst und Gemüse!“ über den Supi-Eingang. Karsten F. erbleicht. Dieser Doppelschlag lässt ihn in den Grundfesten seiner Macht erzittern. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf.

08:21 – Ein kurzes, aber heftiges Brainstorming der Kaufdas-Mitarbeiter bringt das für alle überraschende Ergebnis: es ist nicht unmöglich, den Gegner mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. „Fleischlos!“ verkündet der Pappaufsteller an der Fassade. Mehrere Passanten zucken irritiert die Augenbrauen über die angebotenen Äpfel.

08:27 – Hart schlägt die vegetarische Offensive dem Supi-Personal ins Gesicht. Mit allem hätte man gerechnet, nur nicht mit der perfiden Kraft des Faktischen. Rudi F. und Kassiererin Claudia Sch. (25) nippen verzweifelt an ihrem Automatenkaffee – mit einem Jubelschrei springt Sch. auf, kritzelt „Koffeinfrei!“ auf die Rückseite eines ausgedienten Aufstellers und schiebt eine Stiege Sellerie auf den Gehweg. Die Attacke des Feindes scheint abgewehrt.

08:42 – Kaufdas zögert nicht. Die Ausweitung der Kampfzone ist ohnehin nur eine Frage der Zeit, also ergreift Karsten F. mutig die Gelegenheit. Die Pyramide aus Eierkartons wird von einem überdimensionalen „Zuckerfrei!“ gekrönt.

08:50 – Auch die Supi-Filiale verfügt über die fragilen Hühnerprodukte, weshalb Claudia Sch. mit ihren Kolleginnen Sabrina P. (29) und Heike M. (56) den kompletten Vorrat in den Eingangsbereich verlasten. Erregte Diskussionen über Produktfeatures und Kundennutzen begleiten die Gewaltaktion, Filialleiter D. beendet den Disput mit einem Machtwort und einer zweckentfremdeten Tafel vom Imbissstand: „Von echten Hühnern!“ Seine beherzte Tat lässt die Untergebenen sprachlos zurück. Die Kunden ebenso.

09:17 – Kurzfristig kommt der Geschäftsbetrieb bei Kaufdas zum Erliegen. Azubi Ole J. (19) verbarrikadiert versehentlich den Eingang mit einem Rollcontainer voller Frühblüher – Primeln, Alpenveilchen und Buschwindröschen – da er das bereits fertig positionierte Schild „Fettfrei!“ nicht gelesen hat. Erregte Proteste von der anderen Straßenseite lassen in Chef Karsten F. jedoch den Entschluss reifen, den Zufallstreffer zu einer neuen Strategie auszubauen.

09:33 – Bahnbrechende Originalität kann man dem Supi-Team nicht vorwerfen, dennoch langt eine Palette voller Gartenerde im Zehn-Liter-Gebinde, um das Plakat „Alkoholfrei!“ zu rechtfertigen. Beide Seiten richten sich auf einen langen, erbitterten Stellungskrieg ein.

09:40 – Es wäre nicht Kaufdas, zöge die Belegschaft nicht an einem Strang: Azubi J. und Lagerist Chris W. (34) stemmen eine Ladung Kondensmilch in Weißblechdosen in die Nische zwischen Schiebetür und Käsetheke. „Beste Qualität!“ verkündet der dreieinhalb Quadratmeter große Papphänger über dem Großgebinde. Durch einen Zufall hängen die beiden Angestellten das Schild seitenverkehrt auf. Die Büchsenmilch lagert nun unter dem Hinweis: „Dermatologisch getestet!“ Diskussionen mit langjährigen Kundinnen geht Filialboss F. aus dem Weg.

10:07 – Die Aufrüstung über das Maß der konventionellen Mittel hinaus war nur noch eine Frage der Zeit; Supi-Strategin Melinda H. (39), hauptberuflich im Fleischereifachverkauf, nagelt resolut neunzöllige Stahlstifte in den Balken über der nun nicht mehr verschließbaren Tür, um sie mit grober Landleberwurst zu behängen. Passanten sehen der energischen Frau entgeistert zu, wie sie vor ihren Augen ein Bettlaken mit „Ohne Zusatz von Holzspänen!“ beschriftet und neben den Würsten in den jungen Frühlingsmorgen hängt.

10:16 – Das Kaufdas-Geschäft wird von ohrenbetäubendem Kreischen erfüllt. Insgesamt fünfzig Bürostühle, denen wegen eines Produktionsfehlers die Gumminoppen an dem Füßen fehlen, schrammen über den Bodenbelag. Der rote Pfeil, der auf jeder Stuhllehne prangt, deutet auf den Vorteil des Möbelstücks hin: „Grundwasserschonend!“ Karsten F. ist erschöpft, aber zufrieden. Jetzt kann sich alles wenden.

10:22 – Alles könnte sich wenden, doch auch Supi schläft nicht. Statt des Spirituosenregals füllen dutzendweise Korbständer mit Tütensuppen die Ost-West-Passage durch den Laden. Ein Störaufkleber auf dem Boden verkündet die klare Botschaft an den Kunden: „Keine versteckten Zusatzkosten!“ Der Erfolg ist mäßig.

10:40 – Rechtsanwältin Tanja O. (37) verschafft sich Gehör bei Kaufdas. Ob es Karsten F. passt oder nicht, die Juristin macht dem Filialleiter unmissverständlich klar, dass ein einziger Apfel mit Wurm ausreicht, um das Produktmerkmal der Fleischlosigkeit hinfällig werden zu lassen. Die Kollegen räumen das Obst ab. Sie ahnen, wer ihnen das eingebrockt hat. Sie sinnen auf Rache. Dieser Krieg wird schmutzig.

11:23 – Verstörte Supi-Kunden irren durch die Gänge. Der Hinweis „Ohne künstliche Aromastoffe!“ oberhalb eines Spaghetti-Kartons lässt sich nicht kommunizieren. Die Verbraucher weichen auf Kochbeutelreis aus.

11:37 – Keiner bemerkt Tim A. (28), der mit Cordhut, falschem Bart und dicker Sonnenbrille den Kaufdas durch den Hintereingang verlässt, um unauffällig in den Laden der Konkurrenz zu schlendern. Mit einem einzigen Handgriff hat er seine hinterlistige Tat begangen. Zur Tarnung erwirbt A. bei Supi noch eine Packung Gebissreiniger, die er bar bezahlt und nach dem Verlassen des Geschäftes sofort in einen Papierkorb wirft. Siegessicher ballt er die Faust. Filialleiter F. tupft sich den Schweiß von der Stirn.

11:54 – Ein längeres Kolloquium war der letzten Ausschilderung vorangegangen; während Karlheinz D. die Formschönheit des Produktes betont wissen wollte, legte Aushilfe Jenny E. (22) auf die Größe besonderen Wert. Die Supi-Kräfte einigen sich schließlich auf „Naturidentische Form!“ und geben der Tiefkühlpizza eine neue Chance, sich in der Verbraucher-Awareness zu etablieren.

12:00 – High Noon bei Kaufdas! Schon wieder muss O. die wettbewerbsrechtliche Front begradigen, da der Mitbewerber gegenüber ihnen die illuminierte Reklame „Aus 100% Wasser!“ streitig macht. Eine improvisierte Befragung der Kunden ergibt, dass dies als eine ganz normale Eigenschaft angesehen wird, die das Vertrauen in eine ordnungsgemäße Erzeugung stärkt. Die Käufer sagen einheitlich aus, sie würden andere Tomaten gar nicht mehr kaufen.

12:25 – Sabrina P. setzt auf Trading-up. Die Eier-Pyramide scheint ihr für Supi nicht mehr recht geeignet, sie erweitert die Schalendinger zur politisch korrekten Ware und beschreibt die Hinweistafel mit: „Ohne Kinderarbeit hergestellt!“ Es scheint, als sei biologische Kriegführung eine nicht auszuschließende Option.

12:34 – Kaufdas eröffnet den nun folgenden Schlagabtausch mit Walnüssen und „Biologisch abbaubar!“, von Supi mit Bananen und „In biologisch abbaubarer Packung!“ nur müde gekontert. Doch die Kontrahenten gönnen sich keine Atempause, auf „Im Einklang mit der Natur verpackt!“ (Zwiebeln im Kunststoffnetz, Kaufdas), folgt „Im Beisein einer Bezugsperson verpackt!“ (Magerquark, Supi), bevor sich die Fronten erneut verhärten.

12:48 – Triumphgeheul trifft auf Wutgeschrei. Tanja O. reibt Karlheinz D. eine strafbewehrte Unterlassungserklärung unter die Nase. Das Supi-Sortiment weist Tafelsalz als „Chemisch rein!“ aus, was es nachweislich nicht ist – die ruchlose Tat von Tim A., ein unauffälliges Schild am Regal des Mitbewerbers zu montieren, hat gefruchtet. D. tobt und kündigt den totalen Krieg an.

13:10 – Im Kaufdas knallen die Korken. Billiger Sekt, gespendet von Chris W. aus einem speziellen Depot in den hinteren Ecken des Lagers, lockert die Denkleitungen des Personals – waghalsige Werbeideen entstehen, während die Hemmschwelle rapide sinkt. Eine sehr gefährliche Kombination, die mit Wellness-Wäscheklammern und der Haarbürste für den Single-Haushalt die ersten Erfolge zu feiern versucht. Seit einer Stunde ist in keinem der Geschäfte ein Kunde zu sehen.

13:33 – Säckeweise kippt das Supi-Personal Kartoffeln in die mit Plastikfolie ausgekleideten Drahtkörbe. Der heilige Zorn über die erlittene Schmach schweißt die Belegschaft in der Anstrengung zusammen. Mit vereinten Kräften hieven sie ein von Lichterketten umschlungenes Riesenschild „Individuell geformt!“ an die Ladendecke. Es blinkt. Ab und zu bleiben Fußgänger stehen. Ein Lokalreporter verwechselt den Discounter mit einer Kunstgalerie und befragt die sichtlich verlegene Einzelhandelskauffrau Gina Ö. (31) nach ihrem persönlichen Verhältnis zu Beuys. Ö. gibt an, mehrere nette Jungs zu kennen, macht aber keine weitergehenden Angaben über ihre Pläne, durch individuelle Spiritualität und Mitverantwortung das Verhältnis von Mensch und Kartoffel neu zu definieren.

13:49 – Natürlich ahmt Kaufdas den Kartoffel-Clou sofort nach, wenngleich die Auszeichnung „Limitierte Sonderauflage! Einzelstücke!“ trotz der Untermalung mit Drehorgelklängen nur eine billige Kopie bleibt.

13:57 – Trommelfeuer! Claudia Sch. schmeißt wahllos Damen- und Herrensocken in einen mit Papierstreifen dekorierten Waschkorb und klebt den Zettel „Im Anwesenheit eines Bischofs sortiert!“ daran. Längst ist jede Vorstellung von Moral aus der Supi-Armee verschwunden.

13:59 – Ein Werk von Sekunden ist es, dass Ole J. das kippelnde Regal mit Feinstrumpfhosen quer in den Gang mit Gebäck und Süßwaren zerrt. Ein Hinweis „Vom Papst gesegnet!“ krönt seine kühne Tat. Kaufdas kann es schaffen.

14:04 – Erschöpft, aber im steten Bewusstsein, dass in der Erfüllung der Pflicht das Heil liegt, schaufelt Heike M. Margarinepäckchen auf eine mit Alufolie verkleidete Europalette. Wird Supi noch zu retten sein? Keiner weiß es, und inbrünstig streift ihr Blick das verknitterte, in aller Eile mit Klebebuchstaben improvisierte Schildchen: „Ganz im Sinne des Dalai Lama produziert!“

14:45 – Zwischen beiden Geschäften entladen sich längst die entnervenden Salven einer schier endlosen Materialschlacht. Mit letzter Kraft schleudert Kaufdas H-Milch im Karton auf den Gegner („Kühe wurden keinen Erdstrahlen ausgesetzt!“), doch Supi antwortet mit einem Ausfall auf abgepackten Eisbergsalat („Unter strengsten Datenschutzvorkehrungen gewaschen!“). Das Verdun des Detailhandels scheint vollends in die Sackgasse geraten zu sein.

15:02 – Karlheinz D. fällt als erster; der ranghöchste Supi-Kämpfer nestelt an einer blütenweißen Papierserviette, um die Waffenstillstandsverhandlungen einzuleiten. Ein Blick der Truppe zu Melinda H. genügt, und die stämmige Frau greift zu ihren Wurstwaren. Mit einer ganzen Lyoner (Handelsklasse I) streckt sie den Oberbefehlshaber nieder und verstaut ihn im Kühlraum. Wie zum Hohn baumelt die Wurst in der Vitrine: „Hergestellt in Brandenburg gemäß der Speziellen Relativitätstheorie!“

15:17 – Azubi Ole J. und Lagerist Chris W. haben es begriffen: der Krieg ist die höchste Steigerung menschlicher Leistung. Im Angesicht völliger Verderbnis, lallend und geschunden, schmeißen sie ohne Rücksicht auf Verluste Honig und Konfitüren in einen Bottich, überstrahlt von der Aufschrift: „Nicht im Widerspruch zum Grundgesetz!“ Längst befinden sich auch die Kaufdas-Söldner in Trance. Es gibt kein Entkommen mehr. Der Krieg ist zu Ende. Es gibt keinen Sieger.

15:28 – Unterdessen hat sich Karlheinz D. mit Hilfe seines Taschenmessers aus dem Supi-Kühlraum befreit. Sein ganzes Wesen schreit nach Vergeltung, auch wenn es möglicherweise seine letzte Handlung sein sollte.

16:03 – Während im Hauptquartier der Kaufdas-Generalität noch vereinzelte Stimmen zu hören sind, die über die kognitiven Dissonanzen zwischen Produkt (Kunststoff-Wäscheleine, 25 Meter, farbig sortiert) und Reklame („Für die schlanke Linie!“) diskutieren, schleicht sich Supi-Filialist D. hinter den Frischbacktresen, manipuliert mit einigen gezielten Griffen den Ofen und geht in Deckung.

16:04 – Nach wenigen Sekunden schwillt das sonore Summen knapp oberhalb der Hörschwelle bedrohlich an, doch da ist es auch schon zu spät: der überhitzte Backofen birst und speit spitze Stichflammen. Das mit Pappplakaten komplett verstopfte Ladenlokal brennt binnen weniger Augenblicke lichterloh. Schwarze Wolken quellen gen Himmel. Beim Eintreffen der Feuerwehr bemerken Schaulustige, wie Karlheinz D. mit rußverschmiertem Gesicht nach einer Schachtel Gebissreiniger in einem öffentlichen Papierkorb fischt. „Porentief ungezuckert“, stammelt er und lässt sich widerstandslos wegführen. So endet ein Tag in einer Kleinstadt, in der die Menschen einfach nur in Ruhe ein paar Einkäufe erledigen wollten.





Gernulf Olzheimer kommentiert (XXIX): Verpackungen

16 10 2009
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Die Vernunft ist ein kostbar Ding; bisweilen so kostbar, dass der Dauerdemente sie gleich nach dem Betreten der Außenwelt an der Garderobe abgibt. Ohne Widerspruch lässt er sich aus Handteller und Kaffeesatz den größten Stuss vorlesen und nickt mit hohlem Kopf dazu. Dass der Mond aus grünem Käse sei, glaubt er eher als dem Schild Frisch gestrichen an der Holzbank. Schwappt dies Gewitter aus Form, Farbe und Lautstärke über den Eichstrich, so setzt beim Beknackten schlagartig Unzurechnungsfähigkeit ein.

Dass Intelligenz ein evolutionärer Irrweg ist, zeigt der Synapsennachzügler an Verpackungen. Im Normalzustand erscheint die Regalkulisse eines Supermarktes nur als Anhäufung beliebiger Waren, doch unter Drogen oder ohne geistige Gegenwehr wird die Umgebung zu einem bunten Paradies der falschen Vorspiegelungen. Im Großraumsarg lauert der tiefgekühlte Pigmentsurrealismus. Besäße der Debile Zeit, Hirn und Geschmacksnerven, um sich das auf Plastefolie vierfarbig aufgemöllerte Gemüse zuzubereiten, das ihm der Serviervorschlaghammer in die Netzhaut dengelt, müsste er nicht die Floradarsteller mampfen. Boden- und Zahnpflege unterscheiden sich lediglich durch Konsistenz und Geruch. Wer unter lebensbedrohlicher Paprika-Allergie leidet, greift zu Brotaufstrichen, die das Nachtschattengewächs auf dem Deckel abgebildet haben; es dient unzweideutig als Beweis, dass die Schmiere unter Abwesenheit von Paprika in den Behälter gesuppt war. In analoger Manier werden auch Erdbeerjoghurt, Schokoladenkekse sowie lachshaltiges Tierfutter gefertigt. Im Güterverkehr existiert der Begriff der Betrugsabsicht nicht. Erst wenn das überteuerte Erdnusstütchen im Billigflieger vor Erdnüssen an der Innenseite warnt, weiß der Passagier, dass es Lebensformen gibt, bei denen noch ein paar mehr Schrauben locker sitzen.

Wer im Vollbesitz seiner semantischen Kräfte die Hygienebatterie betritt und auf einer Papierware den Ausdruck samtstark entdeckt, sei sich Mitleids gewiss. Dergestalt angemeiert zu werden ist sich der kaufende Knalldepp schon nicht mehr bewusst, wenn er ein als kakaohaltig tituliertes Getränkepulver – hieße in etwa: Inhalt besteht nicht ausschließlich aus Rübenzucker und künstlichen Farbstoffen – mit dem Aufdruck „extra schokoladig“ verziert sieht. Ist die Plörre mit nennenswertem Anteil an Kakao gepanscht und also derart kakaoig, als wäre an ihrer Statt Kakao drinnen (dann könnte man wenigstens einen der beiden Inhaltsirrläufer einsparen), oder hat Doktor Mabuse bloß beim Zusammenrühren eine Tafel Vollmilch durchs Labor geschmissen? Tragödien lauern im brauen Sud, bevor man ihn in den Drahtkorb gehebelt hat.

Ein weites Feld stecken Light-Lebensmittel ab; im Gegensatz zu ihrer Bezeichnung führen sie zu schweren Ausfallerscheinungen, wenn im Stauraum zwischen den Ohren die letzte Birne ausgeknipst wird. In Ermangelung organischer Konservierungsstoffe und Geschmacksträger wie Fett und Zucker, die der Behämmerte für die Erfindung außerirdischer Invasoren hält, werden Light-Käse, Light-Quark und sonstige Light-Wesen auf niedermolekularer Ebene mit Substanzen verdrillt, die in anderen Haushalten die Scheiben abdichten oder das Kleinkraftrad hurtig über den Schotter knüppeln lassen; folgerichtig protzt die Geschmacksangabe Natur auf dem Schmierkäse, der unter unsäglichen Mühen auf den Geschmack von Westwind im Ostharz getrimmt wurde – Wunder der modernen Chemie. Ein Kohlenstoffring mehr, und es wäre ein Kautschukeimer geworden.

Die Entfremdung schreitet wacker fort. Längst gebiert der Schlaf der Wirklichkeit Dinge, die an Unmögliches grenzen: Landjoghurt aus industrieller Massenproduktion, sahnelosen Sahnepudding, sensitive Seife (die vermutlich den Kontext lernt, während man sie auf die Flossen schwiemelt) und Fruchtsaft mit Zusatznutzen (das Fallobst wird im Nadeldrucker unter Kohlepapier zermatscht). Das Leben ist eine große Mogelpackung. Wer sich im Handbuch der Knochenfische bereits nach dem Laichgebiet der Seelachse totgesucht hat, gewinnt eine Instant-Beerdigung in der endzeitlichen Vorderschinken-Dose: maschinell zerfetzt wie die Formsau aus der Designerschnitzelanlage. Büchse und Aufschrift neigen zu dialektischem Verhältnis, und gerade der Bescheuerte aus dem Land von Goethe, Kleist und Westerwelle fühlt sich an selige Zeiten erinnert, als noch der Schutzwall das einig Vaterland spaltete. Das historisch bedeutendste Schwindelgebinde war doch die DDR, denn sie war weder deutsch – vielmehr internationalistisch, schließlich hatte der Russe auch keine Apfelsinen – noch demokratisch, von der Republik mal ganz zu schweigen. Aber schön war’s doch. Denn das Kaufhallensortiment war so hässlich, dahinter konnte sich nur Ehrlichkeit verbergen.





Um jeden Preis

25 06 2009

„Meine Güte! Immer regst Du Dich gleich so auf!“ Hildegard fuhr mich an und fast einem parkenden Wagen in die Seite. Dabei hatte gar nichts gesagt, als sie verkündete, dem neuen Einkaufszentrum einen Besuch abzustatten. Sie muss mein langes Schweigen – ich hatte gut eine halbe Sekunde Zeit gehabt, ihr zuzustimmen – als passive Aggression aufgefasst haben. „Außerdem brauchen wir noch ein paar Sachen, am Wochenende kommen wir wieder zu nichts.“ Meine vorsichtige Andeutung, es sei Montag und kurz nach halb zehn, überging sie.

Gegen Mittag fanden wir einen Parkplatz. Der Sprit würde, so überschlug ich im Kopf, gerade noch bis zur nächsten Tankstelle reichen. Ein gutes Omen. Wir passierten die Eingangstore und fanden uns in einem wirren Getümmel. Das erforderte eine sofortige Strategiediskussion. „Wir brauchen zwei Wagen“, befahl Hildegard, „sonst schnappen sie uns alles weg.“ So bewegte ich zwei Drahtkörbe durch das Chaos, schiebend wie ziehend.

Hildegard blieb wie angewurzelt stehen. Ihre Augen ruhten auf dem Schild über dem Kühlregal. „Fruchtquark“, stammelte sie, „und nur 49 Cent!“ Ich machte sie zaghaft darauf aufmerksam, dass sie weder Frucht- noch Kräuter- noch sonstigen Quark zu essen pflegte, doch sie hörte nicht. „30 Cent pro Packung! Weißt Du, wie viel wir hier sparen?“ Sie stemmte Quarkschälchen, bis der erste Wagen leise knackte. Mit Mühe konnte ich das schwere Gefährt in Bewegung setzen. „Da! Kiwis!“ Dass die Strahlengriffelfrüchte bereits überreif bis matschig waren, musste ihr entgangen sein, doch rief ich Hildegard in Erinnerung, dass ich auf die grünen Beeren allergisch reagiere. Eine Scheibe genügt, mir den Hals zuschwellen zu lassen. Ob sie mich überhaupt verstand? Schon war sie in die Bananen eingefallen und wuchtete eine Staude empor. „Was wir da sparen!“ Da knickte ihr Absatz – oder war sie auf einer der Schalen ausgerutscht, die den Boden bedeckten? – und sie landete mitsamt der bräunlich-gelben Schläuche im kippelnden Korb. „Und Birnen! Und Äpfel! Und noch Birnen!“ Es gab keinen Zweifel, Hildegard hatte den Verstand verloren. Ein akuter Anfall von Kaufrausch hatte sich ihrer bemächtigt.

Zwei Schichten Nüsse – Haselnüsse, Walnüsse, Erdnüsse, Paranüsse, Kokosnüsse, Pekannüsse, Cashewnüsse sowie Nüsse – später ging Hildegard dazu über, Teebeutel in den Trolley zu schaufeln. Ich trinke keinen Beuteltee. Nicht einmal der Hibiskus-Brennnessel-Mischung mit der feurigen Blutorange auf dem Päckchen konnte ich etwas abgewinnen. Sie auch nicht. Aber bei 89 Cent pro Schachtel sind Kompromisse unausweichlich.

Wahrscheinlich würde sie vom Ersparten ein Lustschloss in Südfrankreich erwerben. Oder gleich einen Hotelkomplex in Dubai. Man soll nicht kleinlich sein in solchen Angelegenheiten.

Lautstarkes Keifen riss mich aus der süßen Träumerei. Eine feiste Endvierzigerin, deren Antlitz krebsrot und verschwollen aussah, hieb Hildegard rhythmisch eine Putenoberkeule in den Rücken, während sie mit den Hackenschuhen verzweifelt Halt suchte in der Kühltruhe voller Geflügelfleisch. „Das ist meine Entenbrust“, schrie sie, „ich habe sie zuerst gesehen!“ Entsetzt sah ich, wie sie mit dem Truthuhnbollen zum finalen Hieb ausholen wollte, da hatte Hildegard eine Gans zu fassen bekommen. In letzter Sekunde schleuderte sie den steinhart gefrorenen Vogel der Kontrahentin ins Gesicht, dass diese ins Hühnerklein grätschte. Chicken-Nuggets flogen in alle Himmelsrichtungen. Ein Suppenhuhn für 1,99 begrub ihre Überreste zwischen Putenbrust Handelsklasse A und Hähnchengebein in Pappe. Hildegard erhob sich. Genugtuung stand ihr ins Gesicht geschrieben. „Ich habe die Grillspaß-Hähnchenschenkel gerettet“, rief sie triumphierend, „die letzten Packungen! Das Kilo zu 3,69!“ Während sie die Monatsproduktion einer mittleren Geflügelzuchtfarm in den Karren verfrachtete, fielen mir die Damenhygieneartikel auf, die aus dem Gitterboden in die Freiheit drängten. Hildegard hatte nie Binden benutzt, nicht einmal mit Kamille und Pfefferminz. Das war nicht unser Wagen. „Weiß ich ja“, keuchte sie und stapelte panierte Vogelbeine, „aber da ist die Mehrfruchtkonfitüre drin, die vorhin schon vergriffen war.“ Ich war gerührt. Sie würde ab jetzt jeden Morgen mit mir frühstücken. Auch wenn sich nach elf Jahren Mehrfrucht auf dem Brötchen möglicherweise eine gewisse Monotonie einstellen würde.

Was folgte, waren verhältnismäßig geringe Mengen an Raps-, Oliven-, Maschinen- und Sesam- und Diesel- und Schmier- und Sonnenblumenöl, Vollkornbrot und Schwarzbrot und Weißbrot und Graubrot, Schmierkäse, Schnittkäse, Schimmelkäse und Fleischkäse, Schnittlauch, Lauchzwiebeln, Zwiebelmett, Mettwurst, Wurstsalat, Salatköpfe, Kopfwehpulver, Pulverseife, Seifenkraut, Krautwickel, Wickelkinder, Kinderwagen, Wagenheber und einige Dinge, die nicht mit einem Mindesthaltbarkeitsdatum versehen waren wie der Industriestaubsauger und die Tischtennisplatte.

Der Bezahlvorgang wurde jäh unterbrochen, als die Kassiererin, unermüdlich die Waren über den Scanner schleifend, mit einem Schmerzensschrei zusammensackte. Der Arzt diagnostizierte einen ausgekugelten Arm. Ich zückte die Kreditkarte und stutzte. Doch Hildegard griff ein. Das Auto, meinte sie, würden wir nie wieder so günstig los wie jetzt.

Erschöpft saßen wir auf dem Parkplatz. In den Strahlen der sinkenden Sonne sahen wir ein letztes Mal das gleißende Metallic der Karosse, die die Lageristen in die Halle des Kauftempels schoben, wo sie sicherlich ein Sonderangebotsschild tragen würde. Ich spürte meine Beine kaum noch. Es wurde auch langsam empfindlich kalt. Doch ich fühlte mich geborgen und blickte in eine rosige Zukunft, Seite an Seite mit Hildegard. Sie würde immer Mehrfruchtkonfitüre für mich haben.





Homöopathische Dosen

13 04 2009

Samstags versorge ich mich mit dem Nötigsten – Katzenfutter, Katzenstreu, Kondensmilch – und bugsiere unter Kindergeplärr und Müttergefauch meinen Einkaufswagen durch den Supermarkt. Was es da alles zu entdecken gibt! Den elften Joghurt, die neunzehnte Knoblauchsauce. Plötzlich dickt sich das Blut in meinen Arterien ein. Vor mir steht etwas, das ich nicht sehen will, und doch starre ich es an. Wie kopulierendes Ungeziefer auf der Torte. So abstoßend, dass es schon wieder ethnologisch interessant wird. Tütenbratkartoffeln.

Was macht man damit? In der Pfanne verkokeln lassen und statt Schrot verschießen? In Kunstharz gießen und an die Wand nageln, um Kinder zu erschrecken? Angehenden Medizinern als Ekeltest vorsetzen, damit sie später im Sektionssaal nicht in offene Leichen brechen?

Zwei Forderungen stellt der Verbraucher und wäre zum Morden bereit, um sie durchzusetzen. Zum einen will er oben Abfall reinstecken und unten Qualitätsware rausziehen. Von der Kunst, Kartoffel gemächlich bei richtiger Temperatur im richtigen Speckfett zu braten, hält er nichts, denn es muss ja zweitens auch schnell gehen. Inzwischen verfügt die deutsche Durchschnittsküche nur noch über dschungelerprobtes Survival-Kit: Dosenöffner plus Kochgeschirr. Nach der Kindheit an der Gulaschkanone lassen Deutsche nichts verkommen und schlucken noch die letzten Reste. So sie nur abgepackt sind. Geschwindigkeitsrausch beim Garen, so sieht das aus. So schmeckt es auch. Denn satt reimt sich nicht zufällig auf platt.

Nun hat, was viele Esser inzwischen erfolgreich verdrängen, selbst Paul Bocuse Konserven auf den Markt gebracht. Er hätte es lassen sollen. Denn war der Normalhedonist der Siebziger auch mutiger geworden, akzeptierte er außer Braten mit Kartoffel auch Ente in Rosa unter Japan-Lampen und Fisch, der an der Gräte glasig war, es blieb nicht bei vernünftigen Neuerungen. Ab sofort wurde jedwede Schandtat für die Ewigkeit aufbewahrt, teils in Blech, teils in Glas, und sie waren fruchtbar und vermehrten sich. Sie bevölkerten als mutierte Mischgemüse- und Krokettensimulationen das Territorium von TK-Tuka-Land.

In den schlimmsten Nächten, nach Erbsensuppe mit Speck im Vereinshaus und einer ganzen Flasche Korn im Schädel, sehe ich die Bilder aufsteigen. Da sind sie, 1968 ist gerade verarbeitet, sie füllen den Tisch mit Rahmspinat, Scampispießen und Pizza, eben noch knackhart im Schockfrost, jetzt schon labberig auf orangefarbenem Geschirr. Sie brechen sich reihenweise die Knöchel, weil sie auf ihren Plateaustiefeln im Flokati hängen bleiben. Ich erwache schreiend. Mit dem Flokati auf der Zunge.

Denn die Verzehrteufel haben nicht nur hirnverbrannte Pfannengerichte dem unschuldigen Konsumenten aufgeschwatzt, sie haben mit der Penetranz von Zwiebelhackern – nur Vollignoranten nutzen den Hau-drauf-und-Schluss, um noch die letzte Zelle zu zerfetzen, und sind verwundert, dass die ätherischen Öle sich flugs aus der Knolle verabschieden – puren Dreck in die Supermärkte getragen. An der Spitze dieser Qualzüchtungen in Weißblech steht unangefochten jene Fischhappen-Brühe, die sich rotzfrech Bouillabaisse nennt. Eine Bouillabaisse ist kein Eintopf. Sie ist eine Platte von Fisch, Gemüse und Meeresfrüchten, zu denen der Sud gelöffelt wird, sekundiert von geröstetem Brot und Rouille oder, je nach Konfession, Aioli. Wer eine Lauge jener Art als Bouillabaisse zu bezeichnen wagt, hat auch keine Skrupel, Tierfutter in Mehltunke einzudosen und dem Kunden via Etikettenschwindel als Tafelspitz anzudrehen.

Manche Sünden hat der Satan überhaupt nur in Verbindung mit der Blechbüchse unters Volk jubeln können. Allen voran die Ravioli, den Fehltritt von Pseudopasta und überwürzter Restbratwurst ins Tomatenplasma. Aus folkloristischen Gründen kann man die Dinger noch im Supermarkt aufbewahren. Etwa in der Spielecke für unsere Kleinen, die sich eine Ration Teigbrei aus der Dosenpyramide ziehen dürfen. Von ganz unten, versteht sich. Auch zum Dosenwerfen sind sie geeignet, da ihre kompakte, quasi texturfreie Masse beim Schleudern keinerlei Unwucht erzeugt. Mit einer Portion Ravioli bekäme man die Glasfront eines Schnellrestaurants in Scherben. Das nenne ich mal angewandte Kulturförderung.

Nun gibt es kleine Helfer, die auch ich gerne auf Vorrat stehen habe, um ungeladene Gäste schnell und unbürokratisch mit einer warmen Mahlzeit im Bauch wieder in die raue Wirklichkeit zu entlassen, ohne mir ein schlechtes Gewissen und zu viel Abwasch aufzuhalsen. Da wären zum Beispiel die Linsen mit Suppengrün, die einer improvisierten Kartoffelsuppe körniges Gepräge verleihen. Dose auf, den Inhalt in den Durchschlag schütten – erstens ist die Kochsalzlösung geschmacksfrei und zweitens bedarf ein solide bereiteter Eintopf keiner lebensverlängernden Maßnahmen, im Gegenteil – und in die zuvor mit dem Pürierstab in samtige Geschlossenheit überführte Suppe einrühren. Gerne darf ein Döschen Sauerkraut an der Häckselpartie teilnehmen, woraufhin Mettwurstscheibchen in der Sache versteckt werden. Das ist von Haute Cuisine so weit entfernt wie Karl Moik von Musik. Aber im Gegensatz zum Mutantenstadl hat dies Tradition und bleibt nach der Einnahme drin.

Und manche konservativen Ansätze haben feine Lebensmittel neu verfügbar gemacht. Da wären Pfirsiche, die im Dosendunkel ihre Unterzuckerung loswerden. Oder Ananas. Oder die Schwarzwurzel, als Spargel des kleinen Mannes geschmäht und der Garant, wie man die ganze Küche im Nu in einen Schweinestall verwandeln und dabei das Gemüse noch unappetitlich braun anlaufen lassen kann. In konservierter Form machen die Stangenabschnitte problemlos Salate, Suppen und einen Auflauf, von dem niemand etwas übrig lässt. Das ist nicht nur Bequemlichkeit, das ist eine Erweiterung der kulinarischen Durchschlagskraft jenseits aller konventioneller Mittel. Vorausgesetzt, man bedient sich der Dinge nur in homöopathischen Dosen.





Die fremde Zivilisation

25 03 2009

„Jetzt komm schon! Immer muss man auf Dich warten!“ Krkl schwang das dritte Bein aus dem Transitator und sprang auf den Boden. Wie ein Gummiball hopste er auf und ab. Dabei gab er helle Quietschlaute von sich. Doch wer sollte sie schon hören, mitten in der Nacht auf dem Parkplatz.

Ungehalten verschränkte Xtrp die Vorderarme. „Hör jetzt auf mit dem Unsinn! Wir sind ja nicht zum Spaß auf diesem Planeten. Außerdem haben wir nur Zeit, bis der Stern wieder leuchtet. Jetzt komm endlich!“ Krkl beruhigte sich. Obwohl er ein bisschen beleidigt war. Man hatte ihn ausgewählt, den Planeten zu erkunden, und jetzt dufte er nicht einmal die Schwerkraft ausprobieren? Sie machten sich noch ein bisschen schmaler und schlüpften unter der Tür durch. Der Supermarkt bekam den ersten außerirdischen Besuch seit seinem Bestehen.

Sie wanderten die Regalfronten entlang. Xtrp schaute auf Marmeladengläser und Knäckebrot. Unterdessen hatte sich Krkl vor der Kondensmilch postiert. „Es scheint zu stimmen, sie haben jede Menge Rohstoffe.“ „Woraus schließt Du das?“ „Ganz einfach“, antwortete Krkl, „sie verpacken ihr Plasma in leichten und schweren, durchsichtigen und undurchsichtigen Behältern. Sie vergeuden ihre Ressourcen.“ Es stimmte also, was man den Erdbewohnern nachsagte: dass sie unvernünftig, verschwenderisch und nachlässig mit ihren Stoffen umgehen. Schon hatte sich Krkl eine Packung mit Milchportionsdöschen gegriffen und die Folie entmaterialisiert. Er wog eine der runden Schalen in der Hand und drückte leicht auf den Deckel. Mit einem Schwall schoss die Milch in die Höhe. „Meine Güte!“ Xtrp wischte sich die Spritzer aus dem Auge. „Was für eine beschränkte Rasse! Sie setzen alles daran, das Plasma möglichst hässlich und unpraktisch zu verpacken, aber die Hülle schützt es gar nicht. Das ist ja katastrophaler, als ich gefürchtet hatte.“ Er griff sein Aufzeichnungsgerät und gab die Nachricht ein: „Technologisch völlig zurückgeblieben. Mangelhafter Umgang mit Rohstoffen.“

Schon waren sie in einer anderen Regalreihe. Es war Sommer, und sie fühlten die Hitze noch in der dunklen Umdrehungszeit. Einladend präsentierte sich ein Kugelgrill. Daneben stand eine Batterie von Grillkohlesäcken – schließlich war dies ein deutscher Supermarkt. Xtrp schnupperte. „Das scheint also ihre Nahrung zu sein.“ Er öffnete einen Sack und schob sich ein Stückchen Kohle in den Schlund. Krkl tat es ihm gleich. Kaum hatten sie nur ein bisschen davon an ihre Gaumenplatten gerieben, schüttelten sie angewidert ihre Zungen aus. „Bäh! Das ist ja scheußlich! Dagegen war ja der infrarote Schleim aus dem Sombreronebel direkt eine Delikatesse!“ Xtrp gab die nächste Nachricht ein: „Ernähren sich von Abfall. Niedriges Kulturniveau.“ Währenddessen beroch Krkl die Grillanzünder. „Auch nicht viel besser. Ich fürchte, ihr hohes Aggressionspotenzial hängt mit ihrer Nahrung zusammen.“ Xtrp zog die Augenbraue hoch. „Warum sollte hier ein Zusammenhang bestehen?“ „Überleg doch mal“, antwortete Krkl, „wenn Du den ganzen Tag dieses ekelhafte Zeug essen müsstest, würdest Du auch durchdrehen.“

Sie litten unter der Hitze. Was kein Wunder war, denn sie fühlten sich eher bei 270 Kelvin wohl. Stöhnend schleppte Xtrp sich über den Boden. Da erblickte Krkl ein großes Reservoir, das kaltes Gas auszuatmen schien. Mit allen Beinen gleichzeitig hüpfte er hinein. Jauchzend wälzte er sich zwischen Fischstäbchen und Spinat. „Hier ist es angenehm, komm rein!“ Xtrp beäugte vorsichtig das Behältnis. „Offenbar ein Sicherungsschrank. Möglich, dass sie einige spezielle Substanzen nur in temperierten Gasgemischen aufbewahren. Allerdings scheint mir diese Sache nicht sehr durchdacht – der Inhalt ist nicht vor mechanischer Belastung geschützt und es gibt nicht einmal eine Sicherungsschranke. Sehr merkwürdig, das Ganze.“ Krkl öffnete eine Tüte Mischgemüse. „Sie sind alle standardisiert geformt. Vielleicht sind es Medikamente?“ Xtrp stöhnte auf. „Das hat uns gerade noch gefehlt. Guck Dir bloß mal die Mengen an. Entweder sind diese Erdlinge alle chronisch krank oder einfach nur ständig am Pillenschmeißen. Völlig degeneriert.“

Endlose Reihen von Flaschen wanderten die beiden entlang. Krkl drehte einige von ihnen auf. „Alles leicht entzündliche Flüssigkeiten. Sagte das Amt nicht, dass sie hier Verbrennungsmotoren und ähnlich antiquierte Technik anwenden?“ „Dann muss es sich um Energieträger handeln.“ Xtrp versuchte die Sorten zu zählen, gab es aber schon nach kurzer Zeit auf. „Das ist doch reiner Unsinn. Schau Dir das an! So viele Sorten Treibstoff! Jede Maschine verlangt eine eigene Zusammensetzung. Wer hat sich denn diese Technik ausgedacht?“ „Lauter niedermolekulare Substanzen“ – hier goss Krkl gerade eine Flasche Weizenkorn auf den Boden – „mit einem sehr schlechten Wirkungsgrad. Selbst antike Verbrennungsmotoren kommen mit den Zeug nicht zurecht. Es verdunstet, bevor man die Maschine auch nur auf Touren kriegt.“ Es war niederschmetternd. Sie hatten mit allem gerechnet, aber das war wirklich eine herbe Enttäuschung.

Da hatte Xtrp einen silbernen Kunststoffklotz entdeckt. Mit zwei Händen hielt er ihn, mit zwei anderen untersuchte er die Steuerelemente. „Sei vorsichtig“, ermahnte ihn Krkl, „möglicherweise ist sie geladen.“ Doch da war es schon zu spät. Xtrp war mit einem seiner sieben Finger versehentlich auf die falsche Taste geraten. Mit voller Lautstärke quoll Hansi Hinterseers Stimme aus dem Kasten. Sie stopften sich alle verfügbaren Hände in die Membranen. Hektisch fummelte Xtrp an dem Kasten, bis er endlich den Drehknopf fand. „Das war aber in allerletzter Sekunde!“ Krkl schlenkerte aufgeregt mit den Armen. „Unglaublich – sie lagern ihre Massenvernichtungswaffen einfach so in einem öffentlichen Depot! Das ist ja unverantwortlich!“ Er konnte sich gar nicht wieder beruhigen.

Verstört trippelten sie zum Ausgang und strebten dem Transitator zu. Krkl fischte mit der vierten Hand ein kleines blaues Zettelchen von der Sichtkuppel. „Was soll das sein?“ „Keine Ahnung“, sagte Xtrp, „wahrscheinlich eine primitive Art der Kontaktaufnahme. Oder wir sind aus Versehen in einer Sicherheitszone gelandet.“ Und er zeigte auf die weißen Striche, die den Parkplatz überzogen.

Sie stiegen in den Transitator und aktivierten die Sensoren. Krkl lauschte dem leisen Sirren des Vibrationsfühlers. Es konnte losgehen. Ein letzter Blick auf das schwach beleuchtete Gebäude, dann drückte er den Taster. „Frzw, wir kommen wieder hoch. Das lohnt nicht. Auf diesem Planeten gibt es keine Spuren von intelligentem Leben.“