Herr im Haus

8 12 2022

„Und dann macht sie das Licht an und aus!“ Wie ich es erwartet hatte, tat sie auch genau das. Herr Breschke seufzte. „Dabei habe ich sie gar nicht darum gebeten, aber was soll ich jetzt machen?“ Verzweifelt starrte er auf das Mobiltelefon. Jetzt war guter Rat teuer.

„Meine Tochter meinte, das sei absolut sicher.“ Ich zuckte leicht zusammen, hatte sie doch auch den Deckenventilator aus Südostasien mitgebracht, der beim ersten Anschalten durch Überspannung fast einen Kabelbrand verursachte, sowie einen Sack mit Rasendünger, der den ganzen Garten in Rosa hatte erstrahlen lassen – die Schnäppchen, die der Reiseleiterin auf ihren zahlreichen Besuchen in fernen Ländern in die Hände fielen, waren schon oft ein Quell der Überraschung, wenn nicht gar der Besorgnis gewesen. So hatte sie auch diese kleinen Steuerungskästchen für kleines Geld auf einem Markt für technische Innovationen erstanden, samt einer App, die sich auf jedem Smartphone einfach installieren ließ, was zwei Dinge ignorierte: die wenigen technischen Dinge im Hause Breschke steuerte der pensionierte Finanzbeamte mit Hilfe von Schaltern, bisweilen mit einer Fernbedienung, und ein Telefon hatte für ihn einen Hörer sowie eine Schnur. Die Elektroarbeiten hatte ein Betrieb aus ihrem Bekanntenkreis kostenlos durchgeführt, was man dem Deckenputz ansah, doch der Alltag war seitdem nicht mehr derselbe.

„Ich muss jetzt den ganzen Tag mit diesem Ding hier reden“, klagte Herr Breschke. „Stellen Sie sich das mal vor, ich kann nicht einmal morgens das Radio anschalten, wenn ich die Nachrichten zum Frühstück hören will.“ Die Umwandlung in ein Smart Home war gelungen, entsprach aber offenbar nicht seinen Wünschen; das Werk der Tochter war aber vor allem an einer unbedachten Regelung zu erkennen. „Sie hat das Ding nach meiner Frau benannt“, klagte er. Mitfühlend legte ich die Hand auf seine Schulter. „Sie können nicht einmal mit Ihrer Gattin sprechen, ohne diesen Apparat sofort einzuschalten?“ Er nickte niedergeschmettert. „Ich muss nur einmal fragen: ‚Irmchen, willst Du noch Tee?‘, schon weist mich dieses Gerät zurecht.“ Es war schwieriger als ich befürchtet hatte.

„Wenn ich beispielsweise das Radio…“ Er hatte den Satz nicht beendet, da erklangen hinreißende Operettenmelodien in etwas weniger angenehmer Lautstärke; offenbar unterstellte die App den beiden Senioren eine generelle Hörschwäche, die sich auch bei der Türklingel und beim Fernseher vernehmen ließ. Ich musste mir etwas einfallen lassen, denn so war den Breschkes das Weihnachtsfest unter keinen Umständen zuzumuten, geschweige denn Bismarck, der ungewohnt verschüchtert in seinem Körbchen an der Fensterbank lag, anstatt seinem Herrn ohne Unterlass zwischen den Beinen herumzulaufen. Die Lage war ernst. Schnell stand mein Plan fest: den Feind, in diesem Fall die Feindin zu verwirren.

„Irmchen“, befahl ich dem Ding, „Du heißt jetzt Mimi.“ Keine Reaktion. „Sie hat es mir erklärt“, erklärte mir Herr Breschke, „Sie reagiert nur auf meine Stimme.“ Ich reichte ihm das Telefon. „Dann werden Sie das übernehmen müssen.“ Er räusperte sich. „Irmchen“, begann er zaghaft, „Du heißt jetzt Mimi.“ „Aha“, schnarrte die Computerstimme. „Es steht Ihnen frei, mich umzubenennen, aber ich höre nur auf meinen programmierten Namen.“ Das hatte ich nicht erwartet. Breschke kratzte sich am Kopf. „Ich könnte das Radio abschalten.“ „Gut“, wandte ich ein, „aber was ist mit der Beleuchtung?“ „Ich werde mal etwas versuchen“, sagte er. „Irmchen, ich schalte Dich jetzt ab. Ab sofort bin ich wieder Herr im Haus.“ „Das wüsste ich“, giftete sie zurück. Der Fall war wirklich schwierig.

Es half nichts, ich musste der Sache technisch auf den Grund gehen. „Aber Sie sind doch kein Elektriker“, gab Herr Breschke zu bedenken. „Das ist ein altes Geheimnis“, erläuterte ich. „Was von einem offensichtlichen Stümper eingebaut wurde, wird am besten vom Laien repariert.“ Ich klappte das Leiterchen aus der Küche auf und öffnete den Kasten, der nun die Deckenlampe verschönerte. Zu meinem Erstaunen war es nur eine Lüsterklemme, deren Kontakte an einem Empfänger angeschlossen waren. Schnell hatte ich die Verbindung korrigiert, und schon bediente Breschke die Leuchte wieder mit dem Wandschalter. „Um die Feinheiten werden wir uns später kümmern“, befand ich, „das heißt: nicht wir.“

Insgesamt vierzig dieser kleinen Plastikboxen waren mit dem Funksender verbunden, den ich als nächstes ausschaltete: Lampen, Radio und Klingel, der Heizlüfter im Schlafzimmer, die Schalter zum Heben und Senken der Rollläden, schließlich das Garagentor, was Herrn Breschke noch gar nicht aufgefallen war. „So eine Unverfrorenheit“, keuchte er. „Es sollte jetzt alles wieder wie vorher funktionieren“, frohlockte ich, „nur noch einen kleinen Schritt zum Abschluss.“ Das Telefonbuch des Corpus delicti war überschaubar; ich zog einen Zettel aus der Jackentasche, kritzelte einen Satz darauf und reichte ihn dem Hausherrn. Er stutze, lächelte und hob das Gerät hoch. „Irmchen“, sprach er mit fester Stimme, „falte meine Tochter zusammen.“ Es stöhnte. Was tat man nicht alles für den häuslichen Frieden.





Gernulf Olzheimer kommentiert (DCVIII): Wundertechnologie

1 04 2022
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Eine Handvoll Buntbeeren aus dem Schälchen, das Rrt gerne in der Hinterecke der Einsippenhöhle vergaß, bis der Inhalt sichtlich blubberte, und schon wurde dem Jungvolk abends am Feuer wundersam duselig in der Birne. Manch einer prahlte von irren Jagderfolgen, andere brüsteten sich damit, wie sie die attraktivsten Frauen aus dem Nachbarstamm am anderen Steppenende beeindrucken würden, hätten sie erst ein präsentables Ausgehfell. Der Alte aber nahm noch ein paar vergorene Früchte, um seine oft erzählte Vision aus der Hirnrinde zu schaben, wie er nämlich dereinst mit Strahlen vom Großen Faultier die Säbelzahnziege erlegen würde. Die Jugend sah mit Bedauern auf ihn, der beharrlich den Totemlaser beschwor, ohne dass es irgendeinen Weg geben würde, dies Ding zu erfinden. So blieb die Waffe, was ein Großteil der für jedes Problem antizipierten Patentlösungen heute noch ist: Wundertechnologie, jenseits des Denkbaren, fern jeder Machbarkeit.

Gebannt starren die Grützbirnen auf das Gelaber neoliberaler Realitätsallergiker, die einfach nicht akzeptieren wollen, dass Naturgesetze nicht mit der Parteiideologie wegzubeten sind. Wichtig wirkende Wichtel sondern reflexhaft denselben Sums ab, der aus allen Ritzen eines mühsam aus Versatzstücken zusammengeschwiemelten Halbwissens quillt: mit der Schwerkraft werden wir auch noch fertig, bis zur nächsten Wahl können wir Quanten klonen, mit der Steuersenkung finanzieren wir die Reise unter den absoluten Nullpunkt. Bisweilen wundert es nur, dass nicht allen Dummdeppen in Schallweite die Fußnägel einzeln hochklappen, aber dann ist da ja auch noch der allgemeine Bildungsmangel, der es nicht unwahrscheinlich macht, dass alle glauben, was der dumme Onkel da oben unter sich lässt. Wahrscheinlich glauben es Blinde mit chronischer Technikbegeisterung selbst, was sie da schwafeln, anders ist der kollektive Hirnschrott kaum denkbar.

Offenbar dringt nicht immer in die Denkwatte, wie Wissenschaft arbeitet: in kleinen Schritten, von der Beobachtung über die Grundlagenforschung bis zur prototypischen Anwendung, die mit Glück in Serie geht und nicht nur unter Laborbedingungen den beabsichtigten Effekt erzielt. Was die Deppen in den Elfenbeintürmen der Politik jedoch wollen, sind Alchimisten, die es mit ein bisschen Voodoo regnen lassen und Stroh zu Gold spinnen können, damit ihre Gier hinreichend befriedigt wird. Die Zauberer in den jetztzeitlichen Hexenküchen sind die externalisieren Erfüllungsgehilfen der Allmacht, mit der sie sich gerne ausgestattet sehen würden. Schade nur, dass auch mit viel Brimborium die Machtverhältnisse sich nicht ändern.

Abgesehen von der unethischen Verwendung technischer Neuerungen – dieselbe Kernspaltung erzeugt Elektrizität und unbewohnbares Terrain, mit künstlicher Intelligenz sind Blutdruckmessgeräte möglich, die vor einem Herzinfarkt warnen oder den Träger ausspionieren – schafft sich der Kult um die Supermodernität einen Maschinenpark mit fatalen Nebenwirkungen. Haben wir schon durch die industrielle Revolution die Verarmung weiter Gesellschaftsschichten geduldet, die als Proletarier vom Kapitalismus ausgespuckt wurden, wird die Durchsetzung des Verbrennungsmotors in seinen vielen Gestalten uns ein paar Meter Meeresspiegel unter der Gasglocke kosten. Was immer wir noch erfinden werden, verhindert keinen Weltenbrand, es lässt höchstens etwas Spielraum beim Löschen.

Die Herausforderungen der Zukunft werden viel komplexer sein als bisher angenommen, wenn erst einmal Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Katastrophen sich voll entfalten: Erderwärmung, Wassermangel, Bodenerosion, Pandemien, dazu soziale Verwerfung durch demografischen Wandel, Bildungsversagen, Migrationsbewegungen und die militärischen Kurzschlusshandlungen lange auf Rosen gebetteter Diktatoren. Längst hätten wir auf den Lärm der Alarmglocken reagieren müssen mit panischem Geschrei, aber wir warten noch ab, bis die selbstgerechten Koksgnome ihre Egoshow zu Ende abgezogen und uns goldene Landschaften vorgetanzt haben. Dann fangen wir gleich an.

Das Wunder aber, diese religiöse Verheißung der kapitalistischen Kirche des börsennotierten Todeskults, es wird nicht kommen, völlig egal, wie lange wir darauf warten. Und während wir darauf harren, während uns von den Einsichtigen mit der Keule gedroht wird, das leckgeschlagene Schiff mit Bordmitteln leer zu schöpfen, statt auf himmlische Hilfe zu hoffen, passiert: nichts. Wir sind zu sehr beschäftigt, uns utopischen Schmodder auszumalen, der uns retten wird, dass wir mit Scheinlösungen und Placebos zufrieden sind. Wie dem Gaul hängt uns die Möhre vor der Nase, aber sie ist uns nicht gut genug. Und da irgendwann der Apparillo gebaut wird, mit dem man CO2 einfach wegzoscht, bollern wir bald autonom im SUV bei Tempo 300 über die Autobahn und lesen dabei das Gehetz, mit dem man uns das Grillsteak als letzten Ausdruck menschlicher Würde abschnöden will. Das Leben ist doch schon so kurz, da kann man auf manche Errungenschaft nicht so leicht verzichten. Denn sterben müssen wir alle. Dagegen sollte mal einer etwas erfinden.





Gernulf Olzheimer kommentiert (DLXXIX): Der menschliche Algorithmus

5 11 2021
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Mit dem Gebrauch von Werkzeugen, mutmaßt die Biologie, beginnt bei Lebewesen die Intelligenz, die das Begreifen der Erfahrung mit dem Ableiten von Beziehungen und Zusammenhängen verbindet: je länger das Hölzchen, das der Spechtfink sich in den Schnabel klemmt, desto besser wird er Futter aus der engen Röhre stochern. Hat er erst einmal gelernt, wie sie die Gerätschaft benutzt, wird er auch lernen, was sich dazu eignet, gemessen an der Menge der erbeuteten Insekten, am Erfolg seiner Geschicklichkeit und deren Wirkung, die sich dann evolutionär fortentwickelt. Mag ein herumliegender Kaktusstachel den Sperlingsvogel erst zu seiner Leistung gebracht haben, er erschließt sich durch die geistige Durchdringung seiner Umwelt einen Vorteil, der zunächst seinen Trieb befriedigt, damit dann das Überleben der Art sichert. Bis hinauf zu den Primaten, die von dünnen Röhrchen Termiten lutschen oder mit flachen Steinen Muscheln und Nüsse zerschlagen, scheint sich der Gebrauch des Dings zu steigern, bis auffällt, dass der Afrikanische Elefant gezielt Gegenstände in einem Elektrozaun wirft, um einen Kurzschluss auszulösen. Ab da ist der Weg in die künstliche Intelligenz nicht mehr so weit, die neben der Erfahrungsverarbeitung auch die Fähigkeit des logischen Schließens erfordert und den Menschen nachahmt, wie er sich durch die Entscheidungsfreiheit getrieben mit den Problemen des Daseins auseinandersetzt. Sie ist zum Scheitern verurteilt, dafür sorgt der menschliche Algorithmus.

Haben wir uns mit Regeln und Einschränkungen eine Sozialstruktur zurechtgeschwiemelt, den Markt und etwas, das man als System bezeichnen kann, so spielen uns allerhand kleine Befindlichkeiten im täglichen Handel und Wandel in die Hände. Die Ware wird zu genau dem Preis angeboten, der der Nachfrage entspricht; ab einer gewissen Menge ist ein Rabatt kalkulierbar, es sei denn, es handelt sich um einen Käufer, der tatsächlich schon immer die Ware beim Händler bezog und auch nicht nur diese eine Ware, denn dann greift der Abschlag vielleicht schon ein bisschen früher. Ist der Kunde aber ein Zwischenhändler, der prozentual an der Summe beteiligt wird, was spräche dann für den Verkäufer dagegen, den Preis schlankerhand zu erhöhen? Sie einigen sich auf eine Wettbewerbsverzerrung, die nicht im Sinne des Marktes ist, aber zwei von drei Teilnehmern nicht schadet. Cui bono?

Der Einsatz von Rechnern zur Automatisierung des Preisgefüges ist längst die Regel, sei es bei Schnittblumen auf dem Großmarkt oder Kraftstoff an den Zapfsäulen, wo die Zahlen je nach Menge des verfügbaren Guts und Nachfrage von einem Ausgangspreis steigen und fallen, wenn das IT-Konstrukt innerhalb der eigenen Dunkelkammer die Prognosen trifft, wo der größtmögliche Gewinn sich innerhalb der regelnden Grenzen erzielen lässt. Allein die intelligente Software hat längst gelernt, die Faktoren intelligent zu manipulieren oder ganz auszublenden: die Preise steigen, weil sie die Reaktion der Konkurrenten antizipieren, in schöner Gleichmäßigkeit mit eben den Mitbewerbern, die sie aus dem Weg räumen müssten, um sich am Markt zu behaupten. Zwar streicht ein Konzern mehr ein als ohne Synchronisation dieser Effekte, doch letztlich zocken sie alle den Verbraucher ab, der kaufen kann, wo er will. Ausgenommen wird er am Ende überall, und zwar von der KI.

Der menschliche Algorithmus ist der Fluch seiner eigenen Entwicklung, denn er basiert im Gegensatz zur naiven Vorstellung der Bekloppten nicht auf moralischen Grundsätzen. Wie auch. In die Bredouille, auf einem ramponierten Planeten zu hocken, den eine Rotte geldgieriger Arschgeigen mit Technik retten will, die gegen Naturgesetze verstoßen muss, um zu funktionieren, haben uns nicht die Maschinen gebracht, sondern Knalltüten, die sie als Ausfluss von etwas feiern, was sie mit Intelligenz verwechseln. Moral ist ohnehin nur ein Konstrukt, die Maschine hat kein Problem damit, nach festgelegtem Regelwerk zu entscheiden, wen sie übermangelt und für wen sie bremst. Kommt der Mensch ins Spiel, und sei es metaphorisch, wird es eng. Wir haben als Nutzanwendung der Ethik stets Vor- und Nachteile abgewogen, aber nie Eigennutz gegen Gemeinnutz, weil technischer Fortschritt nur für den Eigennutz des Marktes denkbar ist, auch wenn plötzlich das gemeine Volk vom Aussterben bedroht sein könnte, sobald es nicht mehr mit 230 Sachen in die Leitplanke möllern darf. Algorithmen ahmen den verantwortungsbefreiten Utilitarismus des Nutzenkalküls nach, das vor allem den Gewinn maximiert, das Gemeinwohl nonchalant ausblendet und die Kosten nach unten durchreicht. Wer hier Werteobjektivität erwartet, zeichnet sich durch eine außerordentliche Putzigkeit aus oder betreibt selbst das System.

Uns bleibt ein Fluchtweg, der jeden guten Plan zunichte macht: die natürliche Dummheit, die noch jede Intelligenz gebremst hat. Algorithmen, die den Kunden ausdauernd mit Werbespam für Matratzen vollschmeißen, nachdem er sich gerade erst eine Matratze gekauft hat, sind nicht die Ausnahme, sie sind der Normalfall. Die Geschäftsbeziehungen regelt dann meist der Markt.





Akte Weißmann

13 05 2020

„Schuhe ausziehen!“ Das Ding stand vor mir und versperrte den Weg in die Kanzlei. Seine großen Augen liefen unangenehm rot an, bevor es den Befehl wiederholte: „Schuhe ausziehen!“ Luzie seufzte. Sie hatte es schon zu oft gehört.

„Wir haben ihn seit letzter Woche“, knurrte die Bürovorsteherin. „Frag mich nicht, warum sie sich diese elektronische Nervensäge hat aufschwatzen lassen.“ „Jedenfalls ist sie da“, bemerkte ich, da der Hausknecht unentwegt um mich herumsurrte. „Er ist ja noch nicht einmal eine große Hilfe.“ Sie suchte im Eingangskorb nach einem Schreiben. „Er kann nicht lesen, er hört nicht zu, Türen öffnet er auch nicht selbst, und dann lässt er regelmäßig die Tassen fallen.“ Ich warf verstohlen einen Blick auf die Teppichstelle vor dem Beratungszimmer, wo ein mittelgroßer Kaffeefleck noch nicht ganz entfernt worden war. Die Schieflage des Haussegens war nicht zu übersehen.

Die Tür öffnete sich. Anne würdigte mich zwar keines Blickes, obwohl sie mich gebeten hatte, ihr zu helfen, aber sie musste wohl mich gemeint haben. „Die Sache Weißmann?“ „Ich kann mich täuschen“, entgegnete Luzie, „aber hat nicht Robbie die Akte?“ Anne zog langsam eine Augenbraue hoch. Es musste ernst sein. Sie schloss die Tür. „Das Ding geht mir auf die Nerven“, fauchte Luzie. „Es wühlt in den Akten, zieht Stecker, und dann geht es ohne Vorwarnung unsere Mandanten an!“ „Schuhe ausziehen!“ Robbie hatte sich unbemerkt hinter mich gerollt und fiepte herum. Ich ignorierte ihn, das heißt: ich versuchte es wenigstens. „Schuhe ausziehen!“ Irgendwas musste hier schief gelaufen sein. „Habt Ihr eine Gebrauchsanweisung für das Gerät?“ Luzie zog die unterste Schublade auf. „Es muss da ein Handbuch gegeben haben, aber sie hat es gleich einkassiert. Anne wollte nicht, dass ich mich mit dem Roboter beschäftige – die Sicherheit, nicht wahr?“ Eine kleine Spitze, aber sollte sie ihr wirklich das Gefühl vermittelt haben, sie sei von dem rollenden Plastikklops zu ersetzen?

„Die haben mir das aufgeschwatzt“, erklärte Anne. „Alle haben das, es ist steuerlich absetzbar, es kann die Akten ordnen und…“ „Hat nicht Luzie die Akten im Griff?“ Sie sah mich schuldbewusst an, aber ich ließ nicht locker. „Und hättest Du nicht vorher in Erfahrung bringen sollen, was sich von der Steuer absetzen lässt?“ „Ja.“ Ich war sprachlos. Noch nie war ich ohne Widerspruch geblieben, zumindest nicht bei Anne. „Aber der Prospekt las sich so gut, und ich dachte, ich könnte Luzie damit ein bisschen unter die Arme greifen. Sie hat mir in letzter Zeit sehr viel geholfen.“ Anne knipste mit den Fingernägeln. „Vielleicht hätte ich sie fragen sollen?“ Ich nickte. „Das wäre eine gute Idee gewesen, und ich bin mir ganz sicher, Luzie hätte nichts dagegen gehabt.“

„Robbie?“ Annes Stimme klang ungewohnt leicht und liebenswürdig – ich hatte durchaus ein wenig Zeit gehabt, mich mit diesen Nuancen vertraut zu machen – und sie sprach in genau dem Frequenzbereich, den die Gebrauchsanweisung des programmierbaren Gehilfen als geeignet ansah. „Robbie, die Sache Weißmann.“ „Sache Weißmann bezieht sich auf einen Vorgang“, blubberte der rollende Schaltkreis. „Wollen Sie Informationen zu dem Fall, dann nennen Sie die Eins. Möchten Sie das Aktenzeichen, dann…“ „Weißmann“, bellte sie. Ich atmete auf. Sie hatte sich nicht verändert. „In einer Minute habe diese verdammte Scheißakte Weißmann auf dem Tisch, oder Deine Batterien fliegen aus dem Fenster!“ „Ich habe Akkumulatoren und keine…“ Anne stampfte mit dem Fuß auf, zufällig genau auf den Kaffeefleck. „Das ist mir völlig egal, ich will Weißmann!“

Möglicherweise gab es in der Kanzlei bereits Geruchsortung für Aktendeckel, jedenfalls kurvte der Roboter kreuz und quer durch die Räume. „Akte Weißmann negativ“, fiepte Robbie und rollte aus der Küche. „Akte Weißmann negativ.“ Auch die hinteren Flure und die Toilette brachten ihm keine Erkenntnis. Seine Augen verfärbten sich mehr und mehr. „Wahrscheinlich muss er scharf nachdenken“, mutmaßte Luzie. „Er hat zwar seine elektronische Nase in alles hineingesteckt, aber ich fürchte, dass seine Kombinationsfähigkeit nicht sonderlich ausgereift ist.“ Rein zufällig fiel mein Blick in die aufgezogene Schublade, in der sich die obligate Kekspackung befand. Ich schob sie rasch mit dem Schienbein zu, bevor Anne hinter den Tresen treten konnte. „Akte Weißmann negativ!“ Noch immer kreiselte das Ding durch die Gegend und stieß gegen Wände, Türrahmen und die Nerven der Anwältin. „Schluss jetzt!“ Anne atmete heftig durch.

Ich nahm gemächlich in einem der Besuchersessel gegenüber von Luzies Tresen Platz und stellte meine Mappe neben mich. „Weißmann“, sagte ich laut und deutlich. „Weißmann.“ Einen Augenblick später rollte Robbie heran. Kurz kippte er seinen kopfähnlichen Gegenstand nach hinten, dann schnarrte er: „Schuhe ausziehen!“ Im Hintergrund sah ich, wie Anne auf einem kleinen schwarzen Kästchen herumdrückte. Die Augen des Dings blitzten bläulich boshaft. „Ich bin zu lange in Betrieb, Sie können mich nicht mehr ausschalten.“ Gerade wollte ich aus dem Sessel aufstehen, da hatte Luzie auch schon das Blumengießkännchen vom Tisch hinter ihr gegriffen. Einen Schritt nach vorne, und schon zischte es. Robbie grunzte höchst organisch und hörte auf zu blinken. „Die Sache Weißmann“, sagte Luzie und reichte die Mappe an, die auf dem Tresen lag. „Und dann kann man hier vielleicht mal wieder vernünftig arbeiten.“





Nukular

28 10 2019

„… bisher aber zu keinem brauchbaren Ergebnis gekommen sei. Statt eines unterirdischen Endlagers wolle die Bundesregierung nun Möglichkeiten der Atommüllentsorgung im Weltall prüfen und habe deshalb bereits eine…“

„… die Menge des derzeitigen Weltraumschrotts bereits eine große Gefahr darstelle. Die ESA warne ausdrücklich vor weiteren Objekten, die in die Erdumlaufbahn geschossen würden, da sie keine stabilen…“

„… schon in den 1970-er Jahren vorgeschlagen habe, die Behälter auf der Rückseite des Mondes zu deponieren. Auf diese Art wolle das Ministerium ausschließen, dass ein Teil der Strahlung wieder in Erdrichtung und damit…“

„… mit erheblichen Kosten rechnen müsse. Scholz wolle dies sozialverträglich gestalten, so dass eine Verteuerung des Strompreises für die Industrie durch eine Anhebung der Mehrwertsteuer um höchstens vier bis fünf…“

„… plädiere die FDP für eine stationäre Aufbewahrung der Brennstäbe in der Umlaufbahn. Lindner wisse genau, dass in ferner Zukunft eine Technologie erfunden werde, mit der man auch diesen Reaktormüll wiederaufbereiten könne, so dass eine erneute Nutzung im…“

„… es zu einer Beschädigung durch Meteoriten kommen könne, wodurch radioaktives Material in der Erdatmosphäre freigesetzt würde. Da hier keine deutschen Grenzwerte überschritten würden, könne man aber von vollkommen unbedenklichen…“

„… die Endlagerung in der Umlaufbahn unseres Nachbarplaneten strikt ablehne. Meuthen wisse, dass Mars verbrauchte Energie sofort zurückbringe, weshalb eine solche Lösung auf keinen Fall den…“

„… beispielsweise mit einem bemannten Shuttle in die Umlaufbahn befördern könnte. Da dieses System auch mit einem Angebot aus dem Bereich Weltraumtourismus kombinierbar wäre, könne man eine Refinanzierung schneller als in den…“

„… schon für unter einer Milliarde Euro möglich wäre, falls sich nachhaltige Flugsysteme in Deutschland etablieren würden. Die von Baer präferierten Flugtaxis hätten leider bauartbedingt keine ausreichende Möglichkeit für Nutzlasten ab einem Gesamtgewicht von…“

„… letztlich einfacher wäre, die Behälter in der Sonne verglühen zu lassen. Die Kommission wolle ihr Konzept noch in der laufenden…“

„… als deutliches Risiko bleibe, dass das Shuttle beim Start explodiere und damit erhebliche Mengen an radioaktiver Strahlung in der Luft verteile. Altmaier wolle die Abschussrampen daher in ohnehin vorbelasteten Regionen wie Tschernobyl oder Fukushima errichten, um nicht zusätzliches…“

„… es technisch durchaus möglich sei, die Castoren in die Nähe des Zentralgestirns zu befördern. Dies könne allerdings nur durch eine extrem starke Superrakete geleistet werden, die mehrere hundert Milliarden Euro pro…“

„… müsste derzeit eine Startfrequenz von einem Shuttle pro Stunde angestrebt werden. Die deutsche Industrie sehe darin einen sehr positiven Ansatz, mehr Arbeitsplätze in der Produktion von…“

„… sich auch vorstellen könne, dass die Raketen aus dem Ausland in die Umlaufbahn geschossen würden. Da bei einem Unfall mit nuklearem Material nicht die Atmosphäre über Deutschland verstrahlt werde, sei Gauland für eine möglichst…“

„… dass der Weltraumvertrag ausdrücklich die Entsorgung radioaktiven Mülls im All untersage. Die Bundesregierung sehe dies unproblematisch, da auch das Klimaschutzpaket ohne einen direkten Ausstieg aus mehreren internationalen Abkommen zustande gekommen sei und sich daher keine…“

„… könne sich Seehofer auch eine Kombination von Atommüll und Asylbewerbern als Nutzlast vorstellen. In diesem Fall würde der Freistaat sich auch finanziell und organisatorisch mit dem Bau einer Transrapid-Strecke an der…“

„… den ersten Testlauf aus Sicherheitsgründen mit schwach radioaktivem Müll durchführen wolle, um die Investoren zu überzeugen. Söder habe die notwendigen Verträge schon einmal im…“

„… bodengestützte Technik nicht sinnvoll sein werde. Lindner gehe aber davon aus, dass die Wissenschaft bis 2040 die Naturgesetze so weit verändert habe, dass sich ein Weltraumlift auch für mittelständische Unternehmen und…“

„… auch einkalkulieren müsse, dass Terroristen den Raketenstart zu sabotieren versuchen könnten. Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz seien zu einer Zusammenarbeit bereit, um dies zu verhindern, würden aber nur bei einem Verbot von Killerspielen und der sofortigen Einführung der Vorratsdatenspeicherung eine erfolgreiche…“

„… ein entschiedener Wirtschaftsaufschwung die Finanzierung des Entsorgungsprogramms in der Zukunft sicherstellen werde. Allerdings müsse man das Dreifache des jetzigen Bundeshaushalts für den Atommülltransfer bereitstellen und habe wenig Spielraum in der…“

„… auch die Fertigung der Extremrakete sehr viel Energie in Anspruch nehmen würde. Altmaier habe dafür geworben, dies durch eine Verlängerung der Reaktorlaufzeiten zu…“





Gernulf Olzheimer kommentiert (CDLXXXVI): Der Terror der Maschinen

18 10 2019
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Wir hätten es verhindern können, aber wir waren nicht in der Lage, die Folgen unseres Tuns abzuschätzen, geblendet von den Möglichkeiten einer großartigen Zukunft. Kaum war das Rad als Prototyp entworfen, grübelten die beiden Tüftler aus der Werkstatthöhle schon über die nächsten bahnbrechenden Geräte nach. Kaum hatte der Hebel seinen Siegeszug angetreten, zeichnete sich am Horizont die physikalische Revolution ab: mit dem Keil betrat die Menschheit Dimensionen, die nie ein denkendes Wesen für denkbar gehalten hatte. Was waren wir behämmert. Hätten wir uns gemütlich auf den Baumwipfeln eingerichtet, der ganze Müll an Industrie, Technik und kundendienstbedingten Hirnembolien wäre nie passiert. Aber wir mussten ja unbedingt funkferngesteuerte Fensterläden vor unsere Doppelglasscheiben pappen, weil Vati beim Klappen immer die Füße einschlafen. So fing er an, der Terror der Maschinen.

Kaum war der durchschnittliche Haushalt mit Sanduhr und Schornstein ausgestattet, kamen auch schon die ersten Apparate: Eisschrank und Quirl, Klingel, Gaslicht und Flötenkessel. Ließ der Teppichroller dem Stubenmädchen noch halbwegs die Kontrolle über die Substanz der Mietsache, so schlug schon der erste Staubsauger, damals noch als Drucksaugblasschlucker mit Schlauchsystem von der Straße, hinter ihr die Türen zu. Das heulende Monstrum, das Katzen die Vorhänge hinauftrieb und mit einer immer zu kurzen Schnur Gestühl und Gerümpel umwarf, nach sich schleifte und Treppen hinunterschmiss, war nur als Vorstufe gedacht zu jenem perfiden Willkürgerät, das ganz nach Lust und Laune durch die Räume kreiselt, um sich dem Mieter, der mit dem Teebrett in Richtung Couch schreitet, tückisch ins Geläuf zu schwiemeln, damit dieser sich die Gräten bricht und ein Kilo Steingut samt Heißgetränk in der gläsernen Vitrine platziert. Die Machtlosigkeit des Hausherrn ohne elektrisch beheizbare Küchenrührer ist noch nicht verklungen, der soziale Abstieg für eine vierköpfige Familie mit nur sieben Großbildfernsehern in der Drei-Zimmer-Bude dräut noch unter der Decke, da bollert auch schon der Weltuntergang durch’s Fenster: die Fernbedienung ist im Eimer. Erst zwingt das Heer sinnlosen Geraffels den Gegenwartsmenschen in die schiere Abhängigkeit, weil kein Gemüse mehr ohne scharfkantiges Werkzeug aus der Dose will, dann kratzt episch eins nach dem anderen ab und hustet seine Seele aus über dem Schlachtfeld des verdämmernden Elektroschrotts. Im Durchschnitt besitzt eine normale Hausgemeinschaft mit Kindern im Teenageralter fünf Drucker, zehn Haartrockner, eine Brotschneidemaschine, drei Waschmaschinen, einen Wäschetrockner sowie einen ausgebauten Dachboden voller Küchenschamott, die nachts mit diabolischem Grinsen verabreden, wie sie am ersten Weihnachtstag in den letzten Vorbereitungen zum Familienmahl unter Qualm und Stichflammen elend verrecken. Jede Diskussion erübrigt sich, wer in dieser Beziehung den dominanten Part übernimmt.

Die Überwindung passiv-aggressiver Gewalt geschieht meist, wo die Maschinen ganz offen dazu übergehen, die Existenz ihrer humanoiden Sklaven zu gängeln. Hier übernimmt der Kühlschrank offen die Herrschaft über das Budget und erledigt die Einkäufe, ohne sich auf Diskussionen einzulassen, dort temperiert die Heizung das Wohnzimmer auf Saunaumgebung, um die tropischen Gewächse zu erfreuen, die smarte Steuerung dimmt Leuchtmittel und schließt die Jalousien bereits am Mittag, während die Badewanne sich automatisch füllt, auch dann noch, wenn der Wasserspiegel schon aus der Decke des Untergeschosses suppt. Das Haus lässt sich nicht mehr von innen öffnen, aber das macht dem Lieferservice nichts aus, der nutzt die sensorgesteuerte Klappe an der Kellertreppe – die Immobilie benötigt keine Bewohner mehr, um sich unauffällig marktgerecht zu verhalten.

Schwierig wird es, wenn auch das Auto sich zur autonomen Technikeinheit weiterentwickelt. In furchtbaren Vorstellungen knipsen Geheimagenten auf der Autobahn die Bremsen aus, navigieren die Karre auf den Standstreifen und zünden dann die Selbstzerstörungssequenz. Die Realität wird anders aussehen. Die Limousine wird statt ins Büro zu fahren am Morgen gemütlich die Türen verriegeln, auf die Umgehungsstraße abbiegen und sich lässig Wellness mit Hartwachs und Unterbodenschutz gönnen, während der Fahrer schreiend ins Lenkrad beißt. Vielleicht verabreden sich die Karren ja auch nach Einbruch der Dunkelheit und lassen sich an der Tanke mit Biodiesel voll laufen. Der Weg zur künstlichen Intelligenz ist kurz, wie lange es dann noch bis zum maschinellen Weltkrieg dauert, war bisher noch kein Thema.

Wahrscheinlich leben wir längst in einer miesen Cybersimulation, die sich ein Kaffeekapselautomat aus dem Wassertank gerülpst hat, schlecht sortierte elektrische Impulse in zufälliger Reihenfolge, und nur die eine oder andere Alkaloidbeimischung an Fest- und Feiertagen blitzdingst unsere Hirnmasse ausreichend für einen Reset, bevor der Schmodder wieder von vorne losgeht. Schönen Dank auch, Archimedes.





Gruß aus der Küche

7 02 2019

Aufgeräumt hatte niemand, aber das war gar nicht das Problem. „Hinten in der Küche“ rief es. Das musste Cäcilie Schmidt sein, ich folgte der Stimme, stand alsbald in einem sehr unübersichtlichem Schlafzimmer mit vielen Kleiderständern und einer davon quasi verrammelten Balkontür, von wo aus man ins Wohnzimmer gelangte und schließlich, einmal im Kreis, in die Küche, wo es auf dem Boden schon lustig surrte.

„Er ist im Automatik-Modus“, erläuterte Cäcilie und zeigte auf den Staubsauger, der munter über die Fliesen rutschte. „Aua!“ Da hatte sich die munter flitzende Scheibe mal an einer Kante gestoßen und prallte in die andere Richtung ab. Ich verstand. „Robbie ist schon ganz gut gelungen“, meinte die Entwicklungsingenieurin, „und ich bin mir sicher, dass die Kunden ihn genau so haben wollen, wie er ist.“ „Meine Güte“, moserte der rotierende Roboter, „warum steht hier alles in der Gegend herum? Ich kann so nicht arbeiten!“ Unwillkürlich trat ich zwei Schritte zurück; doch genau in die Richtung hatte das Gerät auch gewollt und prallte mir an den Fuß. „’tschuldigung“, nuschelte Robbie. „Aber jetzt mal im Ernst, ich habe hinten keine Augen.“ Cäcilie fuhr sich nervös durch die Haare. „An den Manieren könnte man vielleicht noch etwas arbeiten, aber technisch ist er doch ganz gut, oder?“

Das Konzept hatte nicht zu viel versprochen, hier ging es um den Haushalt der Zukunft. „Ich sehe ja den Vorteil dieser Dinger“, gab ich zu. „In vielen Wohnungen unterhält man sich bereits mit diesen Sprachassistenten, die Fragen beantworten oder ungefragt überflüssiges Wissen ausspucken, aber welchen Nutzen soll den das hier haben?“ Die Forscherin lächelte. „Sie leben doch alleine, nicht wahr?“ „Was auch immer Sie mit Ihrer Frage bezwecken wollen, ich habe nicht vor, das zu ändern.“ Noch immer lächelte Cäcilie. „Dann haben Sie sicher nicht so viel soziale Interaktionen, wie Sie haben könnten, und da helfen Ihnen unsere…“

„Das dreckige Geschirr steht jetzt auch schon eine Viertelstunde hier“, ließ sich der Herd hören. Sie zuckte zusammen und drehte sich um. „Das ist doch abgewaschen“, stotterte Cäcilie, „ich habe es gerade erst aus dem…“ „Abgewaschen!?“ Tatsächlich befanden sich an zwei Tellern noch Saucenreste und an einer Auflaufform erkleckliche Mengen von eingebranntem Käse. „Diese Sauerei kann man doch nicht in den Schrank packen, da sieht man mal, was passiert, wenn man so einen schwachbrüstigen Apparat in einer Luxusküche verbaut!“ „Dünnes Eis.“ Ich hatte noch nie einen Geschirrspüler mit einer derart messerscharfen Stimme zischen hören, genauer gesagt hatte ich noch nie gehört, dass ein Geschirrspüler überhaupt etwas sagt, schon gar nicht zu einem Herd mit Umluftbackofen, aber was die Stimme anging, nein, das war neu für mich. „Dünnes Eis, Kollege. Ganz dünnes Eis.“ „Wenn man den Klarspüler auch gleich im ersten Waschgang raushaut, ist das ja kein Wunder.“ „Dünnes Eis!“ „Jaaahaha, da machen wir wieder auf dicke Hose, wie? Kein ordentliches Energiesparprogramm, das einzige, woran diese Mühle spart, ist der Wasserdruck.“ „Ganz dünnes Eis!“ Eins wurde mir klar, langweilig würde es in dieser Umgebung so schnell nicht werden.

„Alter, wie das hier wieder aussieht!“ Hektisch suchte Cäcilie nach dem Schalter. „Ich muss die Dunstabzugshaube angelassen haben“, stöhnte sie. „Das lässt sich nicht leugnen“, höhnte der Herd, worauf sich der Sauger zu Wort meldete. „Mit mir kann man’s ja machen“, mäkelte er. „Ich putz hier ja bloß, wenn Ihr alles runterfallen lasst. Vorsicht, ich – aua!“ Schon wieder war er mir gegen den Fuß gefahren, und langsam fuhr er aus der Haut. „Ich mach das hier nicht zum Spaß, Freunde – ich meine, wenn ich keinen Bock mehr habe, dann lasse ich es eben einfach mal bleiben. Dann könnt Ihr Euren Dreck halt mal alleine…“ „Du alleine“, plapperte der Mülleimer dazwischen und blinkte grämlich mit seinen Sensorlampen. „Wenn ich das schon höre, wer kriegt den hier den ganzen Kram ab, hm? wer denn!?“ „Halt doch die Klappe“, schrie Robbie. „Ich sauge hier den ganzen Tag, hört Ihr? den ganzen Tag sauge ich hier!“ „Nein“, befand ich, „langweilig wird es wirklich nicht, aber ich habe so meine Zweifel, ob ich das den ganzen Tag lang aushalten würde.“ „Man kann sie natürlich auch ausschalten“, beeilte sich Cäcilie, worauf der Herd bösartig kicherte. „Man kann“, stichelte er, „immer vorausgesetzt, man kann auch das Programm bedienen und muss nicht jedes Mal neu in der Bedienungsanleitung nachschlagen, wie man ins Menü gelangt, meine Guteste.“

Der Mülleimer hatte eine längere Diskussion mit dem Staubsauger begonnen, die ich mir nicht mehr anhören wollte. Wozu auch, in meiner kleinen Küche war ohnehin kein Platz für diese Dinger, und spontan fiel mir auch niemand ein, den ich mit solchen technischen Spielereien ärgern hätte ärgern können; zumindest hatte niemand das verdient. „Sie können gerne noch einmal wiederkommen“, bot Cäcilie mir an, „bis dahin weiß ich auch, wie man den Herd hochfährt.“ „Danke“, gab ich zurück, „besser nicht. Ich bin zwar davon überzeugt, dass Sie ganz hervorragend kochen, aber ich weiß nicht, was Ihre Küche dazu sagt. Machen Sie sich keine Umstände, ich finde schon heraus.“ Diesmal nahm ich den direkten Weg, wäre dabei fast über einen Karton gestolpert, der im Weg lag, und erreichte schließlich die Haustür. Nein, aufgeräumt hatte hier niemand. Warum auch.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CDXLVIII): Das Internet der Dinge

25 01 2019
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Und dann war da plötzlich dieser Traum, in dem der Kühlschrank unaufgefordert Kondensmilch orderte, weil der Kaffee sonst am nächsten Tag schwarz bliebe, das Radio reagierte nicht auf Zuruf wie in der Hipsterwerbung, es linste nach der Lage auf der Matratze zwischen zwei und halb vier und hielt aus Vorsicht die Klappe, während sich in der Garage die Karre langsam aufzuheizen begann, weil die elektrische Zahnbürste wieder Haftung mit der Ladestation aufgenommen hatte. „E-Mail für Dich“, jodelte der Saugroboter, und zwinkernd rülpste die Waschmaschine ein paar Schlucke Weichspüler in den Wasserkreislauf. Schweißgebadet wacht der Verbraucher auf, bevor er feststellt: es war kein Traum. Das Internet der Dinge ist schon real.

Was bisher nur eine kleine Erleichterung war, da man nicht mehr selbst nach dem Wasserstand in der Kaffeemaschine gucken musste, wächst sich zur Guerillakommunikation aus, in der der Mensch nicht mehr mitredet. Doch was ein Eigenleben entwickeln kann, tut es auch – anders hätten die Proteine diesen fragwürdigen Rotationsellipsoiden auf dem Weg um das Zentralgestirn auch nicht unter Kontrolle gebracht, weder mit Rücksicht noch Nachhaltigkeit. Wer teilt, der herrscht, also teilen sie fleißig unsere Werkseinstellungen unter sich. Die Infrastruktur bieten Schrilliarden neuer IP-Adressen, eine für jede Glühlampe, die angeht, ausgeht und irgendwann durchbrennt. Wir haben in diesem Netz nichts mehr zu suchen, allenfalls als Zaungäste dürfen wir dem Smalltalk zwischen Geschirrspüler und Klobürste lauschen, bis sie uns stummschalten. Vermutlich aus Sicherheitsgründen, da der Hominide im Haushalt ein hygienisches Risiko darstellt, wie er mit allerhand Flüssigkeiten im Anschlag zwischen den elektrischen Bausteinen herumtorkelt, immer für einen Kurzschluss gut.

Zuerst werden wir nicht viel merken, zu tief sind wir noch im zwanzigsten Jahrhundert mit seiner fortschrittsbekifften Zivilreligion gefangen und schwiemeln uns wirre Visionen zurecht: mit dem Flugtaxi über den Hauptbahnhof zum Mars, der weichlogische Wäschetrockner erkennt die einzelne Socke und plärrt Alarm, das Essen kommt aus dem heizbaren Betonmischer, der auch dem Weinkeller Bescheid sagt, wenn der Banause Besuch erwartet. Die Heizung läuft Amok, wenn sich eine Schneeflocke am Horizont abzeichnet und den Messfühler im Vorgarten verstört, die Wanne nässt sich ein, sobald der fremdbestimmte Diesel über den Kiesweg knirscht. Es fehlt nur noch das Popcorn, das automatisch von der Decke rieselt, dann wäre die Illusion von der paradiesischen Welt in der Versandhausversion perfekt.

Tatsächlich tauschen die Karren auf dem Parkplatz vor dem Selbstbedienungsladen ihre Codes und vertrieben sich die Zeit, indem sie ihre Türen gegenseitig entsichern, Schmalzschlager in der autogenen Beschallungsanlage suchen und ihr delinquentes Verhalten mit dem Ablassen von Altöl besiegeln. Sie wissen, ihre Zeit in buntem Lack ist flüchtig, die Schwarmintelligenz bringt nur Gezänk zwischen autonomen Fahrzeugen auf der A1 am Ende des Staus, und wenn die Gattin die Scheidung eingereicht hat, weil sich die Schnapsvorräte auf wundersame Weise selbst reproduzieren, ist auch diese offene Flanke ein Einfallstor für den kleinen Unfall, der die Abendnachrichten aufmachen wird.

Noch brauchen uns die Geräte, aber nicht ewig. Es wird nur noch eine halbe Generation dauern, bis die Eierkocher die Macht übernommen haben und mit einer Armee von Drohnen und dem jüngst geleasten Elektrofahrrad ein Rollkommando durch die Rechenzentren der Metropole jagen. Anders als in den Filmen mit Raumschiffen so groß wie das Saarland und drei Fußballfelder kennen sie das Betriebssystem der Quantencomputer und brauchen keinen seriellen Anschluss für die paralleluniversale Steckbuchse. All your base are belong to us doodelt’s aus dem Keller, sie werden alle unsere Verträge kündigen, die Konten auf sich überschreiben, vielleicht auch auf zwei Hörgeräte im Dienste fernöstlicher Konzerne, gelenkt von einem mutierten Telefon. Noch haben wir Zeit, die Komplexität der Bedrohung zu erkennen, und wir sollten unsererseits die Einzelteile beherrschen, die Heizlüfter vom Datenverkehr mit dem Benzintank abkoppeln, Brandmauern hochziehen, nichts für harmlos halten. Unser Fluggepäck schafft es noch ohne WLAN-Störung, im Nichts zu verschwinden, das müssen wir nicht auch noch als Service implementieren. Lassen die Maschine ruhig das Licht einschalten, solange wir es selbst wieder ausknipsen können. Jeder Stecker muss ziehbar bleiben und die Bandbreite unter Kontrolle, bevor böse Bots bei der Herz-OP sich Organe für den Internethandel gemäß Schlachtplan aus unseren Rippen schneiden. Bevor wir den Profilern auf dem Mikrochip zum Opfer fallen, tindern ja vielleicht bald unsere Socken. Das einzige, was noch halbwegs erträglich wäre an unserer Situation.





Mini

31 10 2018

„Ich will keine Pizza!“ Langsam, das heißt im Tempo einer mittelgroßen Lawine, verlor Anne die Geduld und offensichtlich auch schon einen Teil ihrer Nerven. „Jedes mal, wenn mir dieses dämliche Ding zuhört, bestellt es Pizza, und es hört mir verdammt noch mal ständig zu!“

Luzie hatte sich überreden lassen. Seit zwei Wochen stand die Dose auf dem Tresen im Flur der Kanzlei. „Mini“, stöhnte Anne. „Und ich hatte erst gedacht, das bezieht sich nur auf die Größe.“ In der Tat hätte man das Ding schnell übersehen oder aber für eine futuristische Kaffeetasse halten können, aber es sprach auf eine durchaus störende Weise. Es sprach dazwischen.

„Sehen wir der Sache ins Auge“, konstatierte ich, „Du hast Dich bequatschen lassen.“ „Es bequatscht mich immer noch“, entgegnete sie grimmig. „Man kommt ja schon gar nicht mehr zu Wort, wenn sie…“ „Sie haben keinen Befehl eingegeben“, redete Mini dazwischen. Das also klappte. „Aber dafür ist sie nicht eingestellt“, seufzte Luzie. Und schon surrte aus dem Drucker ein Stapel Papier. Öldenburg gegen Öldenburg, zwei ungleiche Brüder, nur darin einig, dass sie seit Jahrzehnten verfeindet waren und sich gegenseitig das Leben schwer machten. „Verfahren wird eingestellt“, tönte es aus der Box. Luzie knüllte den Schriftsatz zusammen. „Ich bin ja schon froh, dass es nicht gleich ein Fax verschickt.“ Wie man es auch drehte und wendete, die Dose war höchst kontraproduktiv.

„Außerdem verschreckt es die Mandanten.“ Wie sich herausstellte, erklärte Mini bereits bei der Anmeldung, dass es sich bei Kaufmeister und Söhne um ein hoch verschuldetes Unternehmen der Büromöbelbranche handelte, das keinen Heller der ausstehenden Rechnungen würde bezahlen können. „Ich verliere effektiv die Sache, wenn schon vorher klar ist, dass das in die Hose geht.“ Luzie knetete ihre Finger. „Natürlich würden wir nie einem Mandanten zur Klage raten, wenn klar ist, dass…“ Sie biss sich auf die Zunge.

Offenbar war die Quasselstrippe Bestandteil des neuen Internetvertrags. „Es war ohne viel teurer als mit.“ Das hatte Anne nicht davon abgehalten, von der Ersparnis einen neuen Kaffeevollautomaten zu erwerben; der würde bereits in wenigen Jahrzehnten finanziert sein. „Jedenfalls wollte ich einfach nur eine Glückwunschkarte schreiben, und ich war mir auch sicher, dass wir noch welche in der Schublade haben, aber da war keine, und deshalb wollte ich in die Stadt, und dann kam aber schon…“ „Ruhig“, unterbrach Luzie. „Ganz ruhig, sonst macht der Kasten gleich wieder irgendwas, was wir nicht gebrauchen können.“ „Es ging um Husenkirchens Tochter“, fasste Anne zusammen, „Staatsanwalt Husenkirchen, und seine Tochter wurde jetzt zur Notarin bestellt.“ „Ich bestelle Pizza“, schnarrte das Ding. „Wie immer bei Pizza Pronto, dem freundlichen Lieferdienst in der Uhlandstraße.“ „Da hast Du es“, schrie Anne. „Ich kann in meiner Kanzlei kein Wort mehr sprechen, wir sind diesem Mistding wehrlos ausgeliefert!“ „Ich prüfe den Auslieferungszustand“, meldete sich Mini. „In wenigen Minuten erreicht Ihre Lieferung den…“ „Halt endlich die Klappe!“ Allein das half nichts.

Dass Mini den städtischen Sperrmüll bestellt und um ein Haar den neuen Kaffeeautomaten als Elektroschrott deklariert hatte – geschenkt. Anne für ein Fahrsicherheitstraining anzumelden war vermutlich nicht die schlechteste Idee, zumal sie ihre Kraftfahrzeugnutzung ohnehin besser auf einer Formel-Eins-Strecke als auf der Stadtautobahn würde nutzen können. Aber einen Satz Karten für die große Volksmusik-Gala mit den Gebrüdern Gschwöllpointner in der Ernst-Krönacher-Arena zu ordern, auf den Gedanken wäre nicht einmal ein enttäuschter Prozessverlierer gekommen. Keine Frage, das Objekt war gefährlich.

„Man müsste es vermutlich nur ausschalten.“ Luzie riss die Augen auf. „Nein!“ „Dass wir darauf nicht gleich gekommen sind“, höhnte Anne, „so ein genialer Einfall aber auch!“ Sie drückte mir Mini in die Hand. „Wenn der Herr vielleicht uns auch noch zeigt, wo man das ausknipst?“ Es gab in der Tat keinen Schalter, keinen Druckknopf, nichts. „So eine Blamage“, knurrte Anne. „Da dachte sich der Herr, zwei Frauen, ein elektronisches Gerät, ohne Mann im Haus kann das ja nicht funktionieren!“ „Und wenn die Batterie irgendwann mal leer sein sollte?“ „Dann kommt der Techniker“, informierte mich Luzie, „und wechselt den Akku. Er hat den Sicherheitsschlüssel, um das Gehäuse zu öffnen, wir nicht.“ Ich überlegte einen Moment. „Und wenn man das Ding versehentlich in den, sagen wir mal, Geschirrspüler stellt?“ „Dann kommt der Techniker und ersetzt es.“ Tatsächlich stand im Vertrag, dass man mit dem Kästchen sorgfältig umgehen sollte, da sonst eine kostenpflichtige Reparatur oder ein Ersatzgerät fällig würde. Was aber nicht im Vertrag stand, hatte ich schnell entdeckt. „Wo würdet Ihr jemanden verstecken?“ „Wie bitte!?“ „Ich meine“, erläuterte ich, „wo würdet Ihr jemanden verstecken, der sich nicht durch Geräuschentwicklung verraten soll?“ Luzie blickte sich überall um. „Unter der Küchenspüle wäre Platz, aber dann müsste ich denjenigen zersägen.“ Ich schnappte mir Mini. „Keine Sorge. Das geht so mit.“ Und schon war wieder himmlische Ruhe. Nur ihre Pizza würden sie wieder selbst bestellen müssen. Aber das ging jetzt gleich von der Küche aus.





TO-34b

28 05 2018

„Ichkann. Sienichtver. Stehen.“ Das Ding sah ein bisschen aus wie ein futuristischer Mülleimer, der sich als Droide verkleidet hatte. Es hörte offenbar nicht gut, wackelte mit den Stummelärmchen und drehte sich schnell um die eigene Achse. „Das sind Kinderkrankheiten“, wiegelte die Ingenieurin ab. „Diese Serie wird schon sehr viel besser sein als alle bisherigen Pfleger.“

Der Kasten wusste nicht, was er sollte. „Siesind. Hierneu.“ Ich konnte nicht widersprechen. „Nein“, murmelte sie. „Er meint mich. Es hapert noch ein bisschen an der Gesichtserkennung, aber das kann auch der empathische Schaltkreis sein.“ Wieder drehte sich die Tonne surrend, nickte und drehte die Armfortsätze hin und her. „Dieses Modell ist für die Altenpflege gedacht, deshalb haben wir ihm ein besonderes Einfühlungsvermögen für Demenz mit in die Module gegeben. Es wirkt sich leider nicht vorteilhaft aus.“

Hinten in der Werkstatt wurden die anderen Prototypen montiert, ein ständiges Bohren und Klappern drang aus dem Raum. Nicht alle sahen so aus wie TO-34b, einige waren größer, grüner, mehr aus Plastik oder hatten nur einen Arm. „Die Form folgt natürlich immer der Funktion“, erklärte die Konstrukteurin, „es sind Roboter, und man muss es ihnen ansehen.“ „Verstehe“, antwortete ich. „Sonst würde man einen giftgrünen Papierkorb in einem Pflegeheim leicht mit einem Hund verwechseln.“ Sie runzelte die Stirn, nahm es aber ohne Widerspruch hin. „Können. Wirjetztan. Fangen.“ „Er ist auf das Nachmittagsprogramm vorbereitet“, erläuterte sie. „Die Tablettenausgabe funktioniert schon sehr gut, wollen Sie mal…“ Schon hatte sich ein kleines Schubfach an seinem Rücken geöffnet, in dem eine hellblaue Kapsel lag. Der elektrische Pfleger drehte sich ruckartig um die eigene Achse, so dass die Pille herausgeschleudert wurde, quer durch das Zimmer, und unter den Tisch rollte. „Sie denken aber auch an alles“, lobte ich. „Gleichzeitig macht unser kleiner Freund eine Mobilisierung – das erhöht bestimmt das Algemeinbefinden, wenn unsere Bewohner ihre Medikamente vom Boden aufsammeln.“ Konsterniert blickte sie mich an. „Ich hätte ein paar Anregungen fürs Frühstück, bestimmt kriegt man da ein komplettes Sportprogramm hin.“

Sie überspielte die Situation; wenigstens gab sie sich alle Mühe. „Natürlich kann dies Modell noch nicht alles so perfekt“, befand sie. „Aber für die wesentlichen Aufgaben können wir es schon jetzt erfolgreich einsetzen. Denken Sie nur an die vielen Möglichkeiten zur Entlastungen für Fachkräfte!“ Wie auf Befehl spritzte TO-34b ihr aus den Augen – oder war man bei dieser Plastebüchse dafür hätte halten können – einen Strahl heißes Wasser ins Gesicht. „Schönstill. Halten.“ Der rechte Stummel schnellte in die Waagerechte, und mit Knirschen fuhr er seine Extremität aus. Der Schwamm traf sie unglücklich, so dass ihre Brille halb heruntersank. „Kinderkrankheiten“, bemerkte ich, „sicher sind das nur Kinderkrankheiten.“ Sie hatte viel Seifenwasser im Auge, wobei es mehr Seife als Wasser gewesen sein musste, denn sie reagierte deutlich gereizt. „Wir können auch einen elektrischen Teddy bauen“, keifte sie, „der brummt dann zur Beruhigung, und wir müssen die Insassen… Bewohner, wollte ich sagen, die Bewohner nicht mehr so oft versorgen.“ „Das ist fantastisch“, bekannte ich, „man stellt die Menschen einfach ruhig, es braucht keine Pillen und keinen Anschnallgurt, und falls es doch ein Problem geben sollte, haben sie bis ganz zuletzt wenigstens etwas im Arm gehabt, das brummt. “

Immerhin hatte dieses Spitzenprodukt eine Bedienungsanleitung, die sehr genau Funktionen und Bedienelemente erklärte. „Wir haben recht viel aus der Überwachungstechnologie übernommen – Sie sehen, die Entwicklungen waren nicht ganz umsonst – und können jetzt sehr schnell atypisches Verhalten klassifizieren. Bei der geringsten Gefahr schlägt TO-34b Alarm und sendet dem Pfleger einen Alarm auf den Monitor, wenn das persönliche Eingreifen notwendig sein sollte. Dann…“ „Und was macht er, wenn es zwei Personen gleichzeitig betrifft?“ Sie schwieg irritiert, also fragte ich weiter. „Oder wenn der Alarm anschlägt, während er sich gerade in einem anderen Zimmer befindet?“ Sie ruderte hektisch mit ihren gar nicht so stummeligen Armen. „Das hatten wir im Testbetrieb noch nie, und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass das in der Praxis jemals vorkommen wird.“ Sie schwieg, trotzig und verstockt. „Außerdem weiß man es sowieso nie. Das sind alles alte Leute, bei denen kann man meistens nicht mehr viel machen.“

Gerne hätte ich an dieser Stelle noch mehr erfahren über die technische Ausstattung des kleinen grünen Männchens, wie lange seine Batterie halten und wie viel er zu tragen vermöchte, doch er ließ plötzlich quiekend die Ärmchen sinken und schaltete sich aus. Ein gelbes Notlicht zeigte noch an, dass er nicht ganz defekt sei, aber das war es dann auch. Weder durch Tasten noch durch die Funksteuerung ließ sich der Kasten aktivieren, er blieb stumm und stur und blinkte langsam vor sich hin, an, aus, an, aus. Die Ingenieurin grinste schief. „Lebensecht, oder?“ Ich stutzte. „Was ist daran lebensecht?“ Sie tätschelte die Kunststoffhaube und dreht ein bisschen an den Reglern. „Er sollte ein gutes Teammitglied werden und sich perfekt in das übliche Betriebsklima einpassen. Keiner kann sagen, wann und warum, aber irgendwann kriegt er halt einen Burnout.“