Der leicht hysterische Unterton in Annes Stimme hatte mich alarmiert. Allein wie sie diesen Namen aussprach – Max Hülsenbeck hieß er, der neue Staatsanwalt – weckte unschöne Erinnerungen in mir, die jähe Zerwürfnisse, gelöste Verlöbnisse und einen überstürzten Auszug vor das innere Auge brachten. „Kelmsen findet ihn ja süß“, sagte sie, „aber der ist auch immer sofort verknallt. Frau Platzke meint, er sei ein arrogantes Arschloch. Also Max.“ Ich grübelte noch, wie viele Sekunden es dauern würde, bis sie mich bäte, den Kandidaten in Augenschein zu nehmen. Waidwunden Blickes stimmte ich ihrem Plan zu, sich ganz zufällig in Bücklers Landgasthof zu treffen. Ich würde einen Tisch für drei reservieren – zu viel Zufall soll man ja dem Zufall auch nicht überlassen.
Der protzige Sportwagen mit dem auffälligen MH stand bereits quer über zwei Parkbuchten vor dem Anwesen der Bücklerbrüder. Hansi geleitete mich zu dem Tisch, den Anne nebst Galan gerade besetzten. „Ein Irrtum“, log er, „aber Sie werden einen zauberhaften Abend verbringen.“ Da Anne in ihrem Schwarzsamtenen sich bereits niedergelassen hatte, blieb dem Kerl nichts anderes übrig, als sich mir gegenüber zu platzieren. Kaltes Feuer blitzte aus seinen Augen. Nun gut.
Leise plätscherte Klaviermusik durch die Stube. „Na?“, sah ich Anne an. Es funktionierte, denn sie hält einerseits alles, was sie nicht einordnen kann, für Filmmusik – der gleichförmige Brei, den man im Kino hört, erleichtert das – und kann sich andererseits keine Namen merken. „Lino Ventura“, sprach sie geistesabwesend. „Natürlich“, spuckte der geschniegelte Anzug lässig hervor, „das hört man doch. Ich habe letztens ein Mozart-Konzert von ihm gehört. Live natürlich.“ „Nein, wie gut“, rief ich aus, „Sie sind Musikfreund? Kennen Sie die Einspielung von Beethovens Saxofon-Sonate?“
Die Spiele könnten beginnen.
Unterdessen hatte der Filou bereits begonnen, Speckstückchen aus dem Feldsalat zu picken und den Tellerrand drehsymmetrisch damit zu verzieren. Nicht Annes peinlich berührtes Schweigen ließ mich frohlocken, eher, dass Max es nicht bemerkte. Er war zu vertieft in die speckige Zwangshandlung. Auch die gelbe Löffelerbsensuppe mit Entenfleisch nötigte ihm nur Gemäkel ab. Jedenfalls sei er nicht zum Eintopfessen die ganze Strecke gefahren.
Anne bat hektisch um Entschuldigung und ging, ihre Gesichtsfarbe zu korrigieren. Da beugte sich der Schmierlappen über den Tisch und zischte: „Hör zu, Du Ratte! Die Lady ist mein Revier, klar? Wenn Du nicht ziemlich zügig abschwirrst, wird es Dir Leid tun!“ Ich lächelte mein seligstes Lächeln. Anne nahm wieder Platz; ich hob den Riesling empor. „Ja, dann wollen wir wohl Brüderschaft trinken!“ Seine säuerliche Miene sprach Bände. Die Gläser klangen und er würde mich fortan duzen müssen. Jeder schaufelt sich sein eigenes Grab.
Inzwischen hielt Max Frankfurt noch für die Hauptstadt Hessens, schwor, dass Leberkäse zu viel Leber enthielte, und bescheinigte der Raumfahrt, mit der Teflonpfanne doch eine gute Tat vollbracht zu haben. Es war, alles in allem, Schwadronieren ohne Sinn und Verstand.
Hansi tischte den Bachsaibling auf; der war mit Krabben gestopft und sanft von einer Dillkruste ummantelt, artig thronte ein Reismützchen daneben und ein Löffelchen Blattspinat. „Der Wein hier“, schmatzte Hülsenspeck, „hat Kork.“ Der jüngere Bückler zuckte zusammen, teils wegen des Unsinns und teils wegen der apodiktischen Tonart. „Den Koch, aber zackig!“ Als Mann von Welt hätte man den Sommelier verlangt, doch zu Hülsenfruchts Erstaunen kam tatsächlich Bruno, unmäßig dick wie groß und mit einem grotesken Schnurrbart ausgestattet, der allein schon ein Grund war, den großen Künstler Fürst Bückler zu titulieren. „Der Wein hat Kork?“ Büchsenspeck war das Lauernde entgangen. Unvermittelt schrie Bruno Bückler los. „Kork? Ein 2004-er Wutzbacher Steinschlag, im Stahltank ausgebaut und im PVC-Schlauch mit integriertem Hahn ausgeliefert? Sie Klugscheißer!“ „Tja“, fügte ich trocken an, „wie meist in der Spitzengastronomie. Bruno, wie wär’s mit einem Dessert?“ Ich zwinkerte ihm zu.
Mit zittrigen Fingern löffelte Anne Mädchenröte und musste dabei ganz übersehen haben, wie dem Hülsenknilch die Johannisbeersauce in langen Fäden aus dem Mund lief. Vielleicht wollte sie es auch gar nicht bemerken. „Ich liebe diese Frucht“, schwelgte ich, „die feine Säure.“ Bruno lugte verstohlen in den Raum. Dass man sich mit der Essigessenz aber auch so verschätzen kann.
Max, der Bruchpilot, nahm zu den Schnäpsen Zuflucht. Was immer ihm Hansi da kredenzt haben musste, es ließ dem Courmacher die Augen aus dem Kopf und den Schweiß auf die Stirn treten. Er zückte die Brieftasche und die Autoschlüssel. Artig dienerte der jüngere Bückler mit der Rechnung. Da wand ich dem Schwankenden die Schlüssel aus den Fingern. „Herr Staatsanwalt“, spottete ich, „wir wollen doch unsere Fahrerlaubnis nicht aufs Spiel setzen.“ Die roten Flecken in Annes Dekolletee machten bereits Anstalten, als geschlossene Fläche den Hals hinaufzusteigen. Ihre Stimme klang wie Stacheldraht. „Rufen Sie dem Herrn ein Taxi.“ Sie rauschte ohne ein Wort des Abschieds hinfort.
Anne stapfte über den Kiesweg, als hätte sie mit dem Geröll noch eine persönliche Rechnung zu begleichen. „Das darf doch alles nicht wahr sein! Bring mich von hier weg, und zwar so schnell wie möglich!“ „Ach“, sagte ich und hielt ihr den Schlag auf, „es war doch ein bezaubernder Abend?“
Satzspiegel