Gernulf Olzheimer kommentiert (DCXXV): Sauftourismus

29 07 2022
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Wann auch immer es schiefgelaufen sein wird: es war früh. Rrt musste jede Menge Buntbeeren kauen, die Mesopotamier sauber Bier wegeimern, in den Klöstern wurde der Stoffgehalt optimiert, doch erst der moderne Mensch kann sich seinen Filmriss mit der gewünschten Dosis ansaufen. Kein Wunder, dass moderne, auf Performance gedrillte Grützbirnen aus dieser geradezu langweiligen Hölle des Hirnlösungsmittelkonsums ausbrechen wollen, die ihnen nur den kalkulierbaren Absturz bietet, der spätestens nach einem ganzen Tag Nüchternheit wieder in die wirtschaftliche Verwertbarkeit führt. Es gibt einen Ausweg, der so ähnlich funktioniert wie des Moralisten Neigung, den eigenen Garten sauber zu halten, indem er den Müll über den Zaun schmeißt. Man gibt sich dem Sauftourismus hin.

Manche Völker sind sich auch ohne militärische Ambitionen sicher, dass Reisen alleine nicht halb so befriedigend ist, wenn man nicht anderer Leute Hab und Gut in Schutt und Asche legen kann. Erst das Bewusstsein, in einem anderen Land als besonders widerlicher Zerebraldilettant aufzufallen, löst jene Befriedigung aus, die sich zu Hause einfach nicht einstellen will, auch wenn die Muster ähnlich sind. Wie der Spießbürger reflexartig zum Lachen in den Keller steigt, weil er da sein übliches Grundniveau wiedertrifft, lagert er seine gesamten Peinlichkeiten gerne in anderer Herren Länder aus – die Gefahr, in der eigenen Nachbarschaft als zivilisatorischer Fehlversuch erkannt zu werden, ist sofort gebannt. Dass derartige Enthemmung stets im Kollektiv stattfindet, ist kein Zufall. Ein gruppendynamischer Prozess nutzt die Nähe des Gleichartigen, um eine Homogenität des Handelns zu erzeugen, und sei es die Veranlagung zum Verwahrlosen in einer Art und Weise, wie sie andere Urlaubsgestaltungen, allen voran Camping, an Intensität und Geschwindigkeit nie wird bieten können.

Wo sich der Durst als Grundemotion einer tiefenbescheuerten Gesellschaft Bahn bricht, ist der ritualisierte Drogenkonsum nicht weit. Zwar wissen geübte Trinker auch die physische Nahtoderfahrung eines Volksfestes zu schätzen, doch beschränkt sich der Besuch auf der Bierwiese meist auf ein bis zwei Tage zuzüglich An- und Abreise zu festen Terminen und unter erheblichem logistischen Aufwand sowie unter finanziellen Belastungen, die man sich auch nur einmal im Jahr leisten kann. Die eine bis zwei Wochen dauernde Druckbetankung am Strand der einschlägigen Ferienparadiese jedoch kennt weder Einlasszeiten noch Sperrstunde, erfordert keine als standesgemäß erkennbare Kostümierung, die den gemeinen Klötenkönig in etwas noch Hässlicheres verwandelt, und findet weitegehend unter Negation aller bis dahin bekannten sozialen Normen statt. Kleinere Konflikte werden ad hoc mit Fausthieben geklärt, danach liegt man sich wieder lallend in den Armen und feiert seine eigene Verrohung.

Schon wehren sich die einschlägigen Inseln gegen den Einfall hedonistischer Horden, die außer Urin und Ruin nichts hinerlassen. Doch helfen die Appelle, sich an der Düne nicht die Kante zu geben und kein obszönes Liedgut zu grölen, nicht wirklich weiter, so dass den Einheimischen nur die Bremse bleibt: kein Suff im Sand, Geldbuße beim Verstoß gegen die Verordnung, Platzverweis, Einreiseverbot im Wiederholungsfall. Da tost des Teutonen Blut im Schädel, wird er doch behandelt, wie man das sonst zu Hause nur mit Ausländern machen würde. Von Abkanzelkultur schwiemelt er sich’s zurecht, von Rassismus gegen Reisende. Doch da sind den Gastgewerbetreibenden die Treudeutschen lieber mit grauer Socke in der Trekkingsandale, die noch zünftig Kohle ins Land tragen und es nicht zum Aufmarschgebiet ungehemmter Randaleros verkommen lassen. Die einschlägigen Kneipen sind inzwischen genau so dicht wie ihre ehemaligen Gäste, doch nicht einmal die Pandemie hat das Rudel der Blödföhne vertreiben können.

Denn die Knalldeppen auf der anderen Seite des Tresens haben es den Eimertrinkern leicht gemacht. Wer einmal mit Freibier angefüttert wird, sich die Birne komplett zuzulöten, mutiert nicht plötzlich zum kulturbeflissenen Wanderer, der individualreist und die malerische Zwei-Sterne-Pension mit ohne Frühstücksangebot bucht, um der Zwangsjacke des Gymnasialpädagogen (Deutsch, Geschichte) für vierzehn Tage ledig zu sein. Währenddessen zerlegt das Gehirngestrüpp im Furor die Inklusivhotellerie, wo man erst beim Einchecken erfährt, dass es die Alkoholika nicht mehr kostenfrei gibt oder nur noch in Mengen, die nüchtern nicht zu verkraften sind. So ist nun die Abstinenz der Untergang der trinkenden Klasse, die nicht genug Barschaft am Mann trägt, um den komatösen Dauerzustand zu erhalten. Tragödien spielen sich ab an der Bar, in Tränen aufgelöste Zecher bembeln sich auf Zeit die Reisekasse hinters Zäpfchen, damit sie nach einem Tag Alkoholvergiftung den Rückflug antreten können. Gut, dass das die Champagnerleichen in Ischgl nicht sehen müssen, aber da ist sich die Mittelschicht einig. Das ist natürlich etwas ganz anderes.





Lüftungsvorschriften

2 08 2021

„… vollständig kontrolliert werden müssten, um die Infektionen mit COVID-19 im Bundesgebiet so gering wie möglich zu halten. Die Polizei könne sich nicht um alle Transportwege kümmern, wolle aber so viele wie möglich im…“

„… die Zugverbindung zwischen Prag und München durchgängig genutzt werden dürfe. Es sei aber noch nicht geklärt, ob nach der Ausfahrt aus Domažlice oder vor der Einfahrt nach Furth im Wald eine Kontrolle von deutschen, tschechischen oder auch anderen Personen im…“

„… beklage Scheuer, dass die Ausländermaut rechtssicher und zuverlässig die Kennzeichen aller nichtdeutscher Fahrzeuge ausgefiltert hätte. Bei einer Vollkontrolle würde Deutschland Bußgelder in Höhe von…“

„… dass die Obergailbacher Straße auf der niedergailbacher Seite Richtung Gersheim nicht abgesperrt werden könne, da der Grenzübertritt für viele Berufspendler eine tägliche Angelegenheit sei. Der dadurch entstehende Rückstau, der inzwischen nicht nur durch das Saarland, sondern auch ins…“

„… eine Absperrung des Luftraums für die FDP nicht in Frage komme, da die Liberalen darin eine eklatante Verletzung der Grundrechte sehe. Ab einer gewissen Höhe von in diesem Zusammenhang getätigten Parteispenden könne man sich aber auf eine einvernehmliche…“

„… das Genesene zwar ihre Impfung, nicht aber eine Genesung per Formular bestätigen könnten, während die in der Erprobungsphase befindliche App nur die Genesung, aber nur eine Impfung, die nicht in Verbindung mit einer Infektion und der damit verbundenen…“

„… und Fahrer nicht über das Kennzeichen zu ermitteln seien, während ein Halter möglicherweise sein Fahrzeug für einen nicht abgesprochenen Grenzübertritt zur Verfügung gestellt habe. Man müsse in diesem Zusammenhang auch eine Gefährderhaftung und einen Generalverdacht für alle, die ein Auto oder einen…“

„…aus technischen Gründen bereits in Česká Kubice halten müsse. Leider habe das bayerische Innenministerium keine Befugnis, die Kontrollen auf tschechischem Staatsgebiet zu…“

„… darauf zu achten, dass im Ausland mit geschlossenen Fenster zur Kontaktminimierung mit der Außenluft gefahren werden müsse, während in Deutschland generell eine Belüftung durch das Öffnen aller verfügbaren…“

„… übergangsweise Schnelltests und Formulare für die Reisenden zur Verfügung stellen müsse. Die tschechischen Dienststellen seien nicht befugt, die deutschen Staatsbürger an einer Durchführung der nach deutschem Recht angeordneten Prüfung der nach jeweiligen Vorschriften des…“

„… werde die Polizei in Hamburg für eine stichprobenartige Kontrolle ausschließlich farbige Mitbürger mit unmittelbarem Zwang zu einer…“

„… nicht kontrolliert werden könne, ob ein Kfz nach dem Grenzübertritt den Fensterverschluss vorschriftsgemäß zur Anwendung gebracht habe. Es sei mit einer hohen Dunkelziffer unter den…“

„… die Überprüfung aller Reisenden eine unverhältnismäßig lange Unterbrechung für den Schienenverkehr bedeute. So sei die Fahrzeit von Domažlice bis zum nächsten Halt auf deutscher Seite von 21 Minuten auf etwa drei Stunden angewachsen, was sich für die nachfolgenden Züge um eine erhebliche…“

„… Auslandsreisen mit dem Motorrad ab sofort verboten werden müssten, da es den Fahrern nicht möglich sei, die Lüftungsvorschriften einzuhalten. Das Bundesverkehrsministerium habe bereits die Entwicklung eines luftdichten Integralhelms für…“

„… reiche es dem Gesundheitsamt im Cham, wenn die Fahrgäste bei ihrer Ankunft in Furth im Wald eine freiwillige Selbstauskunft über ihren Status als Getestete, Genesene oder Geimpfte abgeben würden. Man werde die unterschriebenen Formulare weiterhin im Zug sammeln, da die Fahrt bis zur oberpfälzischen Kreisstadt nochmals 14 Minuten in Anspruch nehme und als…“

„… die eine Testpflicht auf Surfer angewendet werden müsse, die versehentlich die deutschen Hoheitsgewässer verlassen hätten. Es sei noch nicht geklärt, ob das Bundesinnenministerium für die Überwachung von Sportlern ausreichend Flugtaxen aus der Entwicklung des…“

„… bereits nach dem ersten Testlauf nicht als befriedigend habe bezeichnet werden können. Die Übermittlung der Daten habe mehrere Stunden in Anspruch genommen und sei durch eine sehr hohe Quote an Scherzeinträgen wie Donald Duck, Micky Maus oder…“

„… dafür gerüstet sei, dass Fallschirmspringer in den deutschen Luftraum abgetrieben werden könnten. Kramp-Karrenbauer habe derzeit keinen Überblick, ob die Corona-Schnelltests, die von Bundeswehrangehörigen in zahlreichen Regionen angeboten würden, auch zeitnah in Krisengebieten und gefährdeten Regionen des…“

„… die Stadtverwaltung von Domažlice ein aus Plzeň besorgtes Faxgerät zur Verfügung gestellt habe, das die Selbstauskünfte der Bahnreisenden am Sonntag übermitteln könne. Die Verwaltung von Cham wolle jedoch weiterhin nur an Werktagen mit der Auswertung der…“

„… sich großartig entwickle. Auf einer Wahlkampfveranstaltung in Dortmund habe Laschet versichert, dass zur Unterstützung des Tourismus in Deutschland schnellstmöglich viele weitere Lockerungsschritte zur wirtschaftlichen…“





Oh, wie schön ist Sansibar

1 12 2020

„Wenn Sie perfekten Service wollen, empfehle ich Ihnen Tsingtau. Das ist nicht richtig deutsch, Sie bekommen sicher kein Schnitzel bei den Chinesen, aber für eine Woche sollte es reichen. Die Hauptsache ist doch, Sie können mit der ganzen Familie hinfahren.

Wir machen die Bestimmungen ja nicht, das sind die Ministerpräsidentinnen. Jetzt haben wir in den meisten Vorschriften ein komplettes Verbot von privaten oder touristischen Beherbergungen, und mit geschäftlichen Aufenthalten wird es langsam auch eng. Wenn Sie da nichts nachweisen können, dann droht Ihnen möglicherweise eine Geldbuße. Unser Glück ist, dass wir unsere Fokus seit Jahren auf den Kolonien gelassen haben. Das war zwischendurch mal sehr unmodern, vor allem nahm die Kritik zu, weil die Reiseveranstalter teilweise auch politisch unkorrekte Angebote im Programm hatten, aber jetzt sehen wir einen echten Vorteil für die Kunden und die Hotelleriebetriebe. China hat sich auf dem Reisemarkt zwar recht breit aufgestellt und bietet auch Pauschalreisen an, aber mal ehrlich: Vollpension in Wuhan? da können Sie ja gleich nach Sachsen zum Türklinkenlecken.

Bis vor ein paar Tagen hatten wir Samoa im Angebot, all inclusive. Hotel Deutscher Kaiser. Fünf Sterne, Ferienanlage des Jahres, nur deutsches Personal. Leider ausgebucht bis einschließlich dritte Welle. Da dürfen Sie mit zwanzig Personen in einen Wohnbereich, Alter egal, Kinder zählen nicht mit, und keiner fragt Sie, ob Sie aus einem Haushalt kommen oder eventuell doch nicht verwandt sind oder Nachbarn oder im selben Kegelverein. Das geht da alles, wenn man nur will. Ohne Quarantäne, ohne Test, alles ganz geschmeidig. Gut, wenn Sie mit der ausländischen Airline wieder abfliegen wollen, dann stecken die Ihnen ein Teststäbchen rein, das kommt Ihnen irgendwo hinten wieder raus. Das ist Ihr Risiko. Aber das wissen Sie vorher, weil Sie ja sonst den Vertrag nicht unterschrieben hätten.

Klar, Afrika ist auch sonst eine Reise wert. Die Hotels da sind klasse, die Landschaft ist echt ein Erlebnis, und wenn Sie Glück haben, sehen Sie noch ein paar Tiere, die sind bei weiterhin gutem Tourismus in spätestens zehn Jahren Geschichte. Unter anderen Umständen würde ich mir das jetzt nicht mehr entgehen lassen. Aber dieses Jahr noch nach Kamerun, Hessischer Hof, eine wirklich tolle Atmosphäre wie in der Frankfurter Innenstadt, das muss man gesehen haben. Wir fliegen ja nonstop, das heißt, wenn Sie in Köln oder München eine Maschine kriegen, dann sind Sie innerhalb von, ich muss jetzt mal nachrechnen, aber auf jeden Fall geht das schnell. Den Hauptstadtflughafen haben wir nicht auf dem Schirm gehabt, deshalb wir der ja auch nicht genutzt, und weil der momentan nicht genutzt wird, obwohl es auch so reibungslos geht, hat den eben keiner mehr auf dem Schirm. Das ist eine gute Entwicklung, finden Sie nicht auch?

Neuguinea soll um diese Jahreszeit auch ganz entzückend sein. Das Problem da sind eher die Einheimischen, die sich nicht in die deutsche Leitkultur integrieren lassen wollen. Dabei bringen wir denen den Fortschritt. In Neuguinea zum Beispiel gibt es keine überfüllten Intensivstationen. Gut, da gibt es gar keine deutschen Kliniken, aber das muss man jetzt ja nicht überbewerten. Wenn Sie da erkranken, sind Sie verhältnismäßig schnell auf den Marianen. Oder auf den Karolinen. Jedenfalls verhältnismäßig schnell im Vergleich zu Berlin oder Hamburg oder woher Sie sonst kommen. Dafür werden da die Vorschriften auch nicht besonders streng kontrolliert, oder eher vielleicht auch gar nicht. Wenn Sie ein ruhiges Weihnachtsfest fern der deutschen Bürokratie verleben wollen, können wir Ihnen diese Reise nur empfehlen.

Das einzige Problem sind die internationalen Artenschutzabkommen. Als invasive Spezies steht die Nordmanntanne auf zahlreichen Listen, Sie müssten dann schon einen Kunststoffbaum mieten. Ist bei den meisten Angeboten allerdings schon im Preis enthalten, wir kennen unsere Kunden. Am Kongo-Unterlauf haben wir mal versucht, eine Fichtenschonung anzupflanzen, aber das ging schief. Das hat die Übernachtungszahlen dann auch empfindlich geschmälert. Unsere Gäste sind ein gewisses Lokalkolorit gewohnt, und das kann man auch verstehen. Als Japaner möchten Sie auch nicht in ein Land reisen, in dem es keinen anständigen Tee gibt und keine pünktlichen Züge.

Oder Sie wählen unsere Klassiker, zum Beispiel Deutsch-Südwest. Internationales Publikum, die Österreicher kommen auch sehr gerne, weil man da besseres Deutsch spricht als bei denen zu Hause. Sehr weites Land, einer der ältesten Teile der Erdkruste. Heiß und trocken. Wenn Sie sich auf den Klimawandel vorbereiten wollen, dann sollten Sie das besucht haben. Weniger Bevölkerung als in Berlin, aber man kann sich da in der Wüste auch ganz gut aus dem Weg gehen. Also auch eine recht hohe Wahrscheinlichkeit, dass Sie tagelang keinem Maskenkontrolleur begegnen. Keine Busse, in denen Sie Dinger tragen müssten. Ab und zu mal Wildtiere, aber irgendwas ist ja immer.

Wir machen das nicht nur aus Eigennutz, denn sehen Sie mal, wir fördern auch die Wirtschaft in den Kolonien. Das ist zwar nicht für den Absatz gedacht, aber hier sehen Sie mal, dass es uns doch eine gewisse Entlastung bringt. Skifahren geht leider nicht, und wenn Sie mich fragen, wir sollten in die Entwicklung investieren. Mal so gesehen, wenn wir Sachsen loswerden könnten, das wäre das eine – aber was wäre das gegen Deutsch-Mallorca?“





Gernulf Olzheimer kommentiert (DXL): Urlaub im Wohnmobil

13 11 2020
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Die Evolution hat den Hominiden ziemlich karg ausgestattet. Seine Körperbehaarung fällt eher überschaubar aus, dazu muss er durch beständigen Werkzeuggebrauch seine physischen Unfähigkeiten ausgleichen. Sich zweckdienliche Aufenthaltsorte zu bauen, wie es Biene und Ameise tun, wie allerlei Weichgetier ein eigenes Haus mit sich führen, das geht ihm ab. Nicht einmal die Begabung findiger Krebse besitzt er, sich fremde Kalkausscheidungen oder ähnliche Gehäuse zu eigen zu machen, und so muss er mehr oder weniger vergänglich Laubhaufen in die Flora kippen, Erdhöhlen buddeln, sich in die Kavernen oberhalb der Erdkruste oder unter die troglodytentauglichen Felsformationen zu hocken, um einigermaßen geschützt zu sein vor Gefahr und Witterung. Doch was passiert, wenn sich die ganze Sippe auf die Wanderschaft macht, die Steppe im Sturm durchquert und sich auf einen Aufenthalt in der Fremde einrichtet? Man nimmt Sack und Pack mit, weil der eigene Hausstand ja auch ein Stück Heimat bedeutet, und sei es nur der Dreck unter den Fußmatten, auf den man nicht verzichten will. Ob die Völkerwanderung auch so begonnen hat, weiß keiner mehr, doch es liegt nahe, dass der Urlaub im Wohnmobil so seinen Anfang nahm.

Mindestens einmal im Jahr will der Jetztzeitler im sterbenden Kapitalismus den Schadstoffausstoß pro Nase auskosten und ballert per Jet oder SUV ein paar Tonnen Gas in die Atmosphäre, damit es seine Kinder mal wärmer haben als er – es besteht keine Notwendigkeit für touristisches Reisen, das ja auch nur so heißt, weil man um den Globus rast, damit man um den Globus rasen kann, um hernach zu verkünden, man sei um den Globus gerast. Die Erweiterung des Horizonts spielt allerdings nur eine untergeordnete Rolle, allenfalls kümmert es den Hohlpflock, wenn er seine Gesichtsprominenz in Form eines Selfies vor die Wahrzeichen dieser Welt tackern kann, damit man seine temporäre Flucht aus der Heimatgemeinde als beglaubigt betrachtet. Je weiter, desto besser die Reise – Bekloppte in Bilbao sind gut, Bescheuerte in Beijing besser, und wer es dreimal um den Rotationsellipsoiden schafft, kriegt die Ananas am Band verliehen – doch wir nehmen halt die Sehnsucht nach Geborgenheit mit uns, wo immer wir uns aufhalten. Bei den typischen Deppen der Flusenlutschergeneration äußert sich dies halt in Schreikrämpfen, wenn in einer kleinen beninischen Pension nicht die Zuckerflocken von Schwuppi-Süd auf dem Frühstückstisch stehen. Wir suchen das Abenteuer, aber es muss vollklimatisiert sein.

Einfachere Kaliber lassen die Eigentumsbude in der Eifel zurück und verwahrlosen in der Eifel, wo sie in einem semipermeablen Unterschlupf nach Bauart einer NVA-Schlichtbehausung auf nassem Grund sachte durchmatschen, dem Gaskocher beim epischen Versagen zusehen, ihren zivilisatorischen Status mählich auf die Jungsteinzeit zurechtstutzen und sich wieder nach kalten Dosenbohnen sehnen, wie man es in ihrer Elterngeneration kannte. Der Heldenmut wird meist mit Hautabschürfungen und einem kleinen bakteriellen Souvenir belohnt, aber das ist nicht das Ende der Geschichte.

Die Wohnhöhle als beengtes Bewegtbehältnis macht die eklatante Verlotterung des Freizeiters erst perfekt. Schwiemelt er sich vor Reiseantritt die rohe Botschaft zurecht, Freiheit und Unabhängigkeit in fernen Gefilden zu spüren, hier darf er unbeugsam wie Halbfettmargarine in Konfrontation mit der Realität hadern. Die Parkplätze sind besetzt, sein Nachtlager ist minimal ungemütlicher als auf dem herkömmlich ausgewiesenen Camping-Areal, wo Frischwasser, sanitäre Einrichtungen und allerhand Einzelhandel sein Wohlbefinden suchen. Natürlich spricht seine fahrbare Butze jedem Anspruch an die Bedeutung von Wohnen brachialen Hohn – der aus Geschäftstüchtigkeit aufgekommene Streich, Buden aus Sperrholz mit dem Rauminhalt von Särgen als Eigenheim zu verkaufen, hatte eine Basis. Die Pirouette hat hier ihren Ursprung genommen, denn wo sonst muss man einatmen und die Arme an sich quetschen, wenn man sich einmal um seine eigene Achse drehen will. Der Beknackte bolzt mit dem Schädel gegen Schrankfronten, knickt Knochen ein und zerrt sich die restmuskuläre Masse, wo immer er Verrichtungen versucht. Er schläft beschissen, da er es so haben wollte, ernährt sich von Dingen, die wie mittelalterliche Strafen schmecken, nimmt von seiner Umgebung eigentlich keine nennenswerte Kenntnis mehr und muss demgemäß auch nicht als Opfer seiner Selbstzerfleischung leiden; er ist der Täter, also verdient er es nicht anders.

So klobig der Karosserieklotz um die Ecke schrammt, so ungelenk ist auch sein Lenker. Zwar mimt er mutig Autarkie, kann auf dem Feldweg Fischstäbchen brutzeln dank Akkumulator, doch relativiert sich dies schlagartig, sobald der Reisende auf die Schüsselsitzgelegenheit angewiesen sein sollte. Spätestens nachts zeigt sich der große Vorteil des Gefährts. Wer einmal nach dem klärenden Gespräch mit der internistischen Einheit Probleme bezüglich körperlicher Stabilität hatte, weiß den Personentransporter durchaus zu schätzen. Ohne Genehmigung fällt darin keiner um. Und genau das wird es sein, was die Reisenden erleben: es ist die Hölle auf Rädern. Wer nach der Tour lebend wieder seine Meldeadresse erreicht, fühlt sich spontan zu Hause und erholt. Im Sinne der Volksgesundheit ist das nicht zu unterschätzen.





Beherbergungsverbot

20 10 2020

Vier Minuten nach zehn klingelte es. Er war spät, aber ich wollte mich nicht gleich am ersten Tag ärgern. Ich schloss die Wohnungstür und stieg die Treppe hinab, wo er mich empfing. „Kurzbein“, sagte er junge Mann mit einer kleinen Verbeugung und reichte mir sofort die Hand. „Ick wer nu Ihr Fremdenführa, wa!“

Natürlich hatte ich nicht seine Hand geschüttelt, dies war ja schließlich eine Maßnahme gegen die Ausbreitung der Pandemie. „Denn kommense ma“, lud er mich ein. Der Tag war etwas neblig, aber für die Jahreszeit angenehm hell. „Ick schlahre vor, wir jehn nu ersma nachn Hafen.“ Und so folgte ich ihm, wie er gemächlich die Straße hinab vor mir herging, den interessierten Blick links und rechts, ob es nicht etwas zu entdecken gab. Auf der anderen Seite hob Doktor Klengel grüßend seinen Spazierstock in die Luft und nickte herüber. „Det is die Kirche äääh… Sankt Borumil.“ „Bonifatius“, korrigierte ich, und ich musste es wissen. „Det neujotische Jebäude war im fuffzehnten Jahrhundat von Paul Göthe…“ „Der Mann hieß Jöhte“, warf ich ein, „bis auf das Jahrhundert ist der Rest richtig.“ „Jut“, murmelte Herr Kurzbein. „Det wer’ck ma merken.“ Ich runzelte leicht die Stirn. „Sie kommen wohl nicht von hier?“ Er lächelte erfreut. „Hört man det?“

Ab hier verlief der Weg ein bisschen holprig. An der Hauptpost konnte ich meinen Führer gerade eben noch davon abhalten, links in die Kaiserstraße abzubiegen. „Zum Hafen müssen wir natürlich hier lang“, bestimmte ich. „Jut“, antwortete Kurzbein. „Det wissense ehm bessa, wa!“ Es fing allerdings doch an zu nieseln, und so aufregend war der Hafen auch nicht, zumindest nicht, wenn man nur einen Steinwurf entfernt wohnt. Also beschloss ich, den Tag in meinem Feriendomizil zu verbringen. „Hier ist die Garderobe“, erklärte ich dem Guide, „wenn Sie sich frisch machen wollen, es hängt ein gelbes Handtuch für Gäste an der Tür.“ „Nee“, antwortete Kurzbein. „Ick bin ja keena.“

Auf dem Couchtisch lagen wie geplant ein paar alte Zeitschriften – sonst hätten mich Fischfang und Motorräder nicht so interessiert, aber im Urlaub war das etwas anderes. „Ick wer nu det Bett machen“, teilte mir Herr Kurzbein mit. „Dürft ick Ihn ooch ’n Heißjetränk ßubereitn?“ „Das ist sehr aufmerksam“, sagte ich, „einen Kaffee nehme ich gerne.“ „Is jut.“ Das Wetter verschlechterte sich zusehends, daher schloss ich das Fenster; normalerweise hätte ich das Personal dafür bemüht, aber man hat ja nun einmal so viel Zeit. „Sahrense ma“, ließ sich Kurzbein aus der Küche vernehmen, „wo hamse eijentlich den Vollautomatn vasteckt?“ „Im linken oberen Schrank finden Sie die Dose mit dem Kaffee, Filterpapier sowie die Mühle“, instruierte ich ihn. „Rechts ist der Filter, und den Wasserkocher sehen Sie ja.“ Er kratzte sich am Kopf. „Jut, denn wer’ck Ihnen ma so’n Kaffee kochen. A nich, det Se meckern dhun, det is keen Matschato.“ „Lassen Sie mal“, beruhigte ich ihn. „Ich bin das so gewohnt.“

Es dauerte eine halbe Stunde, bevor ich einen lauwarmen Kaffee serviert bekam. „Das ist schon mal sehr schön“, lobte ich. „Machen Sie das doch gleich noch einmal.“ Kurzbein runzelte die Stirn. „Det is nich inbejriffn“, murrte er. „Ick bin nua Faktotum, a det is ja nu keen Hausanjestallta.“ Jetzt wurde es mir aber doch zu bunt. „Herr Kurzbein“, begann ich, „dies ist ja nun einmal Teil eines großen Experiments – einer Urlaubssimulation, bei der die Gäste davon profitieren, dass die Hotelangestellten ihre Dienste vor Ort anbieten.“ Er lauschte stumm und misstrauisch. „Würde ich diesen Urlaub nicht buchen, hätten Sie auch keine Möglichkeit, Ihren Service direkt am Kunden auszuüben.“ „Det sahren Sie“, grummelte er. „Det Beherberjungsvabot, det hamse ausjedacht, damit det billija wird, wa!“ Das war harter Tobak. Oder sollte er am Ende recht haben und das alles war nur eine ausgeklügelte List der Tourismusindustrie, um Kosten zu sparen? „Jenau jenomm dürft ick Ihn jah nich uffnehm.“ Das verstand ich nicht. „Ick komm ja direktemang ausn Risikojebiet“, erläuterte er. „Da dürft ick Ihn jar keen Zujang jewährn, vastehnse?“

Es klingelte; Herr Kurzbein öffnete die Tür und nahm eine monströse Kühltasche entgegen, deren Inhalt er im Kühlschrank verstaute. Es handelte sich um je drei abgepackte Portionen eines Fertigmenüs, die im Wasserband erhitzt werden konnten. Auf dem Küchentisch lag eine geschmackvoll gestaltete Karte, die ich von nun an drei Tage lang bekommen sollte, um mir ein Abendessen auszuwählen. „wenn det nich passen dhut“, informierte mich Kurzbein, „denn könnwa ooch Pizza komm lassn.“ Das musste man dem Reiseanbieter zugestehen, er setzte auf regionales Kolorit und Kundenfreundlichkeit. Ich sah schon, ich würde mich in diesen drei Tagen wie zu Hause fühlen.

„Ick wer denn soweit.“ Mein Gastgeber hatte sich bereits angezogen und war drauf und dran, mich für den Rest des angebrochenen Tages mir selbst zu überlassen. „Die Örtlichkeitn kennse ja, im Kühlschrank ha’ck Ihn Bier rinjestellt, wennse noch Wunsch hättn, Zimmaßörwiss is innahalb von ßwee Stundn da.“ „Das hört sich gut an“, teilte ich ihm mit. „Bringen Sie bitte morgen noch ein paar von diesen Zeitschriften mit, die hier werde ich wohl heute ausgelesen haben.“ Herr Kurzbein verbeugte sich und ging, nicht ohne das Formular ausgefüllt und unterzeichnet zu haben, dass er allen vertraglichen Pflichten nachgekommen sei. Ratlos blieb ich zurück. Warum beschwerten sich so viele Menschen, dass sie nicht in die Ferne würden reisen können, wo es doch zu Hause auch schön ist?





Corona Tours

30 07 2020

„Das ist echt total dufte, die ersten haben sofort zugegriffen und sind total begeistert. Total gut. Wir haben zwei Hotels, direkt nebeneinander, direkt in Strandnähe, das wird ein super Urlaubserlebnis. Sie werden sich wirklich richtig super erholen. Falls Sie das wollen.

Wir glauben ja an das Menschenrecht auf eine individuelle Urlaubserholung, das ist bei uns in der Unternehmensbeschreibung auch so beschrieben, und wenn Sie sich einfach zwei Wochen lang ohne Sorgen entspannen wollen, dann können Sie sich mit uns auch zwei Wochen lang einfach so ganz ohne Sorgen entspannen. Total gut. Sie sind von Anfang an in den besten Händen – also keine leeren Sitze in der Maschine, wir können uns das nicht leisten und Sie wollen natürlich auch nicht auf dies Urlaubsfeeling verzichten, stimmt’s? – und das wird auch bis zum Ende so bleiben.

Bis zum Ende der Reise, nicht, dass wir uns da jetzt falsch verstehen. Unser Risikomanagement ist total professionell, das haben wir mit mehreren sehr professionellen Unternehmen abgesprochen, und da wir das für professionell halten, kann man das auch als professionell bezeichnen. Sie brauchen also gar keine Befürchtungen zu haben. Wir empfehlen in der Reiserücktrittsversicherung selbstverständlich das Tragen von Schutzmasken, weil es irgendwo in einem Vertragsbestandteil stehen muss, aber das ist ja auch nicht weiter kompliziert. Sie lesen das nicht, davon gehen wir mal stark aus, und wenn Sie es lesen, dann unterschreiben Sie es halt trotzdem, oder wir haben kein Problem, weil Sie dann nicht mit uns verreisen. Total easy, also vor allem für Sie. Wir kümmern uns um den juristischen Rahmen, Sie brauchen eigentlich nur mindestens zwei Wochen, in denen Sie nichts anderes vorhaben.

Dieser regionale Ansatz ist für uns total toll, da wissen wir schon: Reisewarnungen sind innerhalb der EU wichtig, aber Sie wollen sich ja entspannen und Urlaub machen, also muss Sie das kümmern? Eben. Es kann ja sein, dass die Einheimischen sich eher infizieren, aber ich frage Sie jetzt mal ganz ehrlich: wann haben einen deutschen Urlauber diese Einheimischen interessiert? Vielleicht kurz nach dem Krieg, weil man da seinen Kindern über den Weg gelaufen ist, ohne es zu wissen, aber das kann man heute ja ausschließen. Auf der anderen Seite haben wir für Sie in der Reiserücktrittsversicherung eine Bestimmung aufgenommen, dass Sie für die Infektionen in Ihrer Kommune nicht verantwortlich sind und sich auch nicht informiert haben, ob Sie ein Infektionsrisiko darstellen. Das müssen Sie gar nicht weiter ernstnehmen, wir wollen uns da nur absichern, falls die anderen Länder ihre Gesetze plötzlich ändern sollten. Dann muss man reagieren. Das werden Sie als Verbraucher sicher verstehen.

Dann haben wir ein paar Extras installiert, die sind auch total klasse für deutsche Kunden, weil die das ja nicht anders gewohnt sind. Wir haben für Sie selbstverständlich Frühstücksbüffet, ist zwar sonst verboten, aber die Hotels bauen das in der Kellerbar auf, da fällt das nicht so auf. Der Vorteil für Sie, es gibt ab acht Uhr Alkohol, je nachdem, ob Sie noch wach sind oder schon wieder. Total gut. Natürlich ist das nur für spezielle Gäste und wird sehr streng kontrolliert, aber nur bis zur Kellertür. Sie müssen die Masken also bis zur Kellertür mitnehmen und vorhaben, sie aufzusetzen, und was dann hinter der Kellertür ist, das wird dann nicht mehr kontrolliert. Unser Manager war mal Sicherheitschef bei einem Fleischproduzenten, der kennt sich mit Richtlinien aus. Total gut.

Was auch total gut ankommt, ist unser Service am Pool. Sie müssen da nicht mehr selbst Liegen reservieren, wir legen Ihre Handtücher schon vor Sonnenaufgang drauf. Sollte es da nichtdeutsche Gäste geben, brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Wir werden denen früh genug beibringen, wo der Hammer hängt. Das läuft total gut. Wenn das Personal sich schon freut, dass endlich wieder Deutsche da sind, dann werden Sie mit den paar Ausländern im Urlaub auch zurechtkommen. Also mit den Gästen. Die anderen leben da, das lässt sich nicht immer so schnell ändern. Denken Sie an den letzten Weltkrieg.

Diese Quarantänemaßnahmen müssen Sie nicht wirklich ernstnehmen. Das ist nur für den Fall, dass die Bundesregierung das tatsächlich anordnet, aber da wir jetzt die Kommunen in der Pflicht haben, ist es nicht wirklich ersichtlich, dass Sie als Urlauber irgendwelche Bestimmungen des Seuchenschutzes zu bedenken hätten. Wenn Sie jetzt zum Beispiel am Flughafen München, dann starten Sie ja unter Umständen auch schon mal in Hamburg-Altona, und wenn Sie auf dem Rückflug, das ist ja dann vertraglich total gut gesichert, dann werden Sie mit der Sportmaschine direkt in der Lüneburger Heide abgesetzt. Das ist dann viel dichter am Standort als München. Vor allem, wenn man sich da mit drei Rollkoffern den Weg bis zur nächsten Bundesstraße zusammengoogeln muss.

Wir denken an alles. Keiner weiß, wie sich die kommenden Monate entwickeln, und wenn Sie jetzt noch einmal eine schöne Zeit erleben, dann ist das für Sie und für alle eine hervorragende Zeit, in der wir uns total um Sie… – Einbettzimmer? Nein, das ist nicht das, was Sie denken. Nur für den Fall, dass wir medizinische Komplikationen haben. Also eher Sie.“





Gernulf Olzheimer kommentiert (DXIV): Übertourismus

15 05 2020
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Das Wandern mag des Müllers Lust gewesen sein, sobald sich der Nutzgrasanbau durchgesetzt hatte. Uga hockte nach wie vor in der Höhle und hatte genug zu tun, er verließ die Behausung nur, wenn tierisches Eiweiß auf dem Speisezettel fehlte oder das Brennholz knapp wurde. Der Gedanke, den Sonnenuntergang irgendwo am Rand der Steppe zu verbringen, wäre ihm vollkommen fremd gewesen. Hin und wieder lag er am Eingang der Behausung in der Sonne, um den Frauen bei der Arbeit zuzusehen. Andere Arten, etwas wie Freizeit zu verbringen, wären ihm komplett hirnverbrannt vorgekommen. Wir aber, die schon durchdrehen, wenn wir nicht zweimal im Jahr auf die Balearen hüpfen können, stellen das komplette Gegenteil dar mit unserem Reisedrang, dem bösartigen, rein auf Zerstörung ausgelegten Übertourismus.

Früher fügte sich der kapitalistische Europäer in lokale Gegebenheiten ein, bewunderte Bauwerke, lauschte fremder Sprache und adaptierte die eine oder andere Anregung aus Küche und Bekleidung. Vereinzelt brüsteten sich Schnösel mit Fernreisen, die in verwunschene Städte führten, und mählich setzte das dackeleske Ichsyndrom ein, auf Korsika nach deutschen Bratkartoffeln zu mäkeln. Mit dem wirtschaftlichen Aufstieg der Bausparer wuchs auch das Distinktionsgehabe der Angeber, denen ein Zimmer mit Mittelmeerblick nicht mehr reichte; es entstanden pittoreske Proletenbunker, die den einst malerischen Fischerdörfern eine amtliche Skyline ins Antlitz klotzten, und kaum war hier der Zug der Idioten Hauptsaison um Hauptsaison eingefallen, marodierte die begüterte Nachhut durch bürgerliche Gefilde, bis aus jedem Ladengeschäft ein buntes Restaurant mit Schweinepreisen wurde, damit die Einheimischen endlich nicht mehr in den billigen Ladengeschäften einkaufen mussten. So änderte sich alles, nur der Tourist war’s nicht mehr recht zufrieden, denn kaum hatte er alles so ordentlich mit Bums und Beton zugeschwiemelt, dass es so aussah wie bei ihm zu Hause, da mochte er die fernen Länder nicht mehr haben, denn da sah es ja überall wie zu Hause aus.

Das Heer der Pauschalkrieger allein verwüstete unterdessen mehrmals im Jahr Malle und soff sich komplette Hirnzentren weg, damit die nonverbale Kommunikation am Hotelpool leichter fiel. Nur die dezentrale Lage im Vergleich zur Rest-EU macht noch einen Unterschied, ansonsten ging diese Verdichtung zivilisatorischer Ausfallerscheinungen durchaus als Blaupause sozialer Brennpunkte in der Heimat durch. Wer also etwas auf sich hielt, musste erfinderisch werden, um die letzten Paradiese dieser Welt mit offenporiger Beklopptheit in moribunde Schlachtfelder der Fremdscham zu verwandeln. Doch der Hominide ist ein gewitztes Kerlchen und hart im Nehmen, weder die regionale Häufung von Terroranschlägen in gesellschaftlich desolaten Bananenrepubliken noch die dafür verantwortlichen Diktaturen korrupter Militärs machen ihm Sorgen, auch die Neigung zur Naturkatastrophe stattet ein Urlaubsland für ihn eher mit angenehmem Grusel aus. Hier und da bembelt sich der Dummschlumpf an der Bar des Feriengulags den Aufenthalt schön, weil er sich einbildet, sein Cluburlaub unter den willfährigen Kulis im Niedriglohnsektor würde dem bettelarmen Volk wenigstens ersparen, alle Kinder auf den Strich zu schicken.

Die Reisesucht hat längst krankhafte Züge angenommen, wenn die Knalltüten hastig auf die Malediven jetten, bevor ihre Flugreisen den Ozean über den Inseln ziehen, nehmen auf dem Rückflug schnell noch den Nordpol mit und gucken putzigen Eisbärenbabys beim gepflegten Verrecken zu. Für die Wintermonate werden schnell ein paar Berge aus dem Massiv gehobelt, dick mit Kunstschnee gepolstert und mit Autobahnzubringern vollgemüllt. Das Volk wird schichtweise an- und abgekarrt, kotzt ein bisschen in die Landschaft und benimmt sich ansonsten so, dass dem unbeteiligten Zuschauer die vollständige Vernichtung der Spezies nicht mehr als Verlust auffiele. Noch ein paar Runden, dann ist die abfahrtstaugliche Schneeausstattung nicht mehr finanzierbar, zumindest nicht für die Dödelrotte der Loipenloddel, die alle Jahre wieder in die Berge kommen. Irgendwann haben sie es kaputtgespielt, und keiner weiß, wie lange es noch dauert.

Unterdessen stapfen sie noch durch die großen Städte der alten Welt, Rom und Venedig, warten in der sengenden Sonne des sich wandelnden Klimas vor Brunnen und Basiliken, bis ihnen für ein paar Minuten Einlass gewährt wird, mit ihresgleichen die Selfiesticks vor dem Hauptaltar zu verhakeln, damit sie aus der Ferne mitbringen, was schon seit Generationen vor dem seligen Absterben nötig ist, um ein erfolgsgekröntes Leben zu demonstrieren: Bilder. Herr Brömseklöten auf dem Markusplatz, Herr Brömseklöten vor dem Eiffelturm, Herr Brömseklöten mit Frontschaden, weil er sich auf der Spanischen Treppe sauber aufs Maul gelegt hat. Es gibt keine Erklärung für diesen Hirnplüsch, es sei denn, man zieht Vaterlandsliebe ins Kalkül. Denn wer würde das Land, in dem er lebt, derart verschandeln und sich dann noch darin fühlen wie zu Hause?





Fremdenverkehrt

21 08 2018

Luzie kicherte. „Kniffke bringt diesmal sicher einen Beamer mit.“ Anne verdrehte die Augen. „Hör bloß auf“, stöhnte sie. „Noch einmal quer durch den Schwarzwald und zurück, das halten meine Nerven nicht aus.“ Ich wollte längst wieder gegangen sein, da läutete es auch schon an der Tür. Noch hätte ich die Möglichkeit gehabt, Reißaus zu nehmen.

Aber da war es zu spät. Kniffke, Großgrund- sowie Hausbesitzer und deshalb mit einem sehr kleinen, sehr karierten Hütchen ausgestattet, betrat in apokalyptischer Fröhlichkeit die Kanzlei. „Sie sehen ja fantastisch aus“, jubelte er, „wo waren Sie denn im Urlaub?“ Noch bevor Luzie hätte Luft holen können, fiel er seiner Anwältin um den Hals. „Mallorca, ja? Wusste ich’s doch!“ „Pyrenäen“, gab Anne trocken zurück, „und zwar im Herbst.“ Davon ließ sich Kniffke nicht abhalten, er zog einen Stoß Ansichtskarten, Quittungen und Bierdeckel aus der Manteltasche. „Langenscheid“, jodelte er. „Ich sage nur: Langenscheid!“ Anne begriff nicht. „Also wenn ich ins Ausland fahre, dann lerne ich doch ein paar Worte, um mich zu verständigen.“ Kniffke grinste von einem Ohr zum anderen. „Nein, bei Birlenbach, also in der Nähe von Diez. Das ist ja bei Limburg fast um die Ecke, wenn man unterwegs ist von Butzbach nach Koblenz, nicht wahr?“ „An der Mosel?“ Luzie biss sich auf die Zunge. „Natürlich nicht“, korrigierte Anne. „Am Rhein.“ „Limburg“, dozierte Kniffke, „liegt immer noch an der Lahn, aber Sie kennen sich da besser aus.“

Der Trick funktionierte immer wieder. Ich hatte es erst hinterher erfahren, aber genau das war Kniffkes Kunstgriff. Was nun folgen würde, war ein beim Erdaltertum einsetzender Vortrag über deutsche Lande unter besonderer Berücksichtigung der höheren Lehranstalt, garniert mit Postkarten, pointenfreien Anekdoten, absonderlichen Flur- und Straßennamen sowie einem ewig wiederkehrenden Lamento über die Unbeständigkeit des Wetters. „Ja, wenn man wie Sie immer nach Mallorca jettet, dann liegt man immer schön in der Sonne, aber direkt an der Grenze von Hessen zu Rheinland-Pfalz, in Hambach, Sie wissen schon, hatten wir auf einmal einen Regenschauer, das können Sie sich nicht vorstellen!“ Er zwinkerte. Er zwinkerte nochmals. „Das Hambach, verstehen Sie? Also nicht das, sondern das, ich meine: nicht dieses, also jenes eben, ja!?“ Und langsam begriff ich auch, warum er ein gern gesehener Gast war, sobald er ging.

„Sie“, und er tippte mir dabei auf die Brust, „Sie sind wahrscheinlich immer nur in Südfrankreich unterwegs, nicht wahr? Sagen Sie nichts, ich kenne Ihre Art – Mittelmeer, wahrscheinlich mehrmals im Jahr, aber was sage ich.“ „Nicht ganz“, entgegnete ich. „Eigentlich bin ich ausschließlich im Norden, und auch da habe ich meine bevorzugten Gebiete. Es gibt an der Küste ganz bestimmte Ortschaften, die würde ich Ihnen zu gerne verraten, aber wer weiß, dann sind sie bestimmt bald kein Geheimtipp mehr.“ Neugierig glotzte Kniffke mich an. Gut, dann würde ich also auspacken müssen. Ich zupfte ein Blatt Papier aus Luzies Drucker und zog einen Stift aus der Tasche. „Hier“, erklärte ich und zog eine gekräuselte Linie am linken Rand, „hätten wir dann die Küste, und dort gegenüber, das geht dann in Richtung Meer.“ Angestrengt folgte er meinen Ausführungen. Vielleicht schmiedete er bereits Reisepläne?

In der Tat war die Zeichnung etwas verworren, aber wer außer mir wusste das schon. „Wenn man nämlich von hier aus bei Kronsmoor losfährt, ist man schnell in Münsterdorf, aber man muss nur auf dem richtigen Weg bleiben, und schon ist man in Heiligenkampstedt.“ Er nickte. „Da waren wir mal, muss gut zwanzig Jahre, ach was, viel länger, und damals war das schon eine Attraktion.“ Das Nest hieß Heiligenstedtenerkamp, ich hatte es in der Hektik schlicht verwechselt, womit auch immer. Allein das tat der Sache ja keinen Abbruch. „Sie fahren dann immer so in Richtung Elbe, das ist gar nicht zu verfehlen, und kurz vor Krumpelstede taucht eine große Windmühle auf, da halten Sie sich dann links und biegen in die Allee ein, die nach Böhringsbüttel führt.“ Anne nickte. „Sehr schön“, bestätigte sie. Kniffke seinerseits nickte noch viel heftiger. „Famose Gegend“, freute er sich und rieb sogleich die Hände. „Das ist doch bei – wie hieß dieser Ausflugsort noch gleich?“ Ich kritzelte ein bisschen auf der entstehenden Landkarte herum. „Also wenn das hier“, sagte ich und deutete auf ein Kreuz mit zwei Pfeilen, „wenn das hier die Straße nach Eddelhusen ist, biegen Sie hier Wödelwurth ein und kommen da an der Kanalbrücke raus, wo der Feldweg in Richtung Diekstede-Kaakbek abgeht, aber Vorsicht!“ Ich beugte mich zu ihm herüber. „Hier“, flüsterte ich verschwörerisch und kringelte dünn auf dem Papier herum, „ist die alte Mühle von Klütenkoog nach der letzten Sturmflut hingezogen, den berühmten Wülsterer Knusperkäse kriegen Sie da nur noch am Samstag!“ Hastig griff er nach dem Papier. „Ich muss das mit meiner Frau besprechen“, keuchte er. „Wir haben im Herbst nur noch drei Tage Urlaub, das muss man nutzen!“ Und schon war er fort.

„Und Du hast wirklich gar kein schlechtes Gewissen?“ Ich schaute Anne entgeistert an. „Ich bitte Dich“, antwortete ich mit großer Verwunderung, „selbst wenn er in dieser Einöde die Müllverbrennungsanlage entdecken sollte, was will er da am Wochenende schon groß anrichten?“





Die schönste Zeit des Jahres

18 12 2017

„Kontinentales Frühstücksbüfett mit Extras, alle Zimmer mit Wannenbad und Kabelfernsehen, voll klimatisiert, Whirlpool, Wellnessbereich, Fitness, Schwimmbad, natürlich beheizt, das kriegen Sie ja mittlerweile überall auf der Welt. Teilweise sind wir hier in Deutschland ja auch schon ganz gut darin. Deshalb muss ich das ja nicht auch noch anbieten.

Die Leute wollen sich etwas gönnen, die wollen etwas erleben, neue Erfahrungen machen, da sind wir ganz vorne auf dem Markt. Der Tourismus ist ein verlässliches Geschäft, man muss ihn nur immer wieder neu erfinden, und das ist ja das Schöne daran: keine Herausforderung unserer Zeit bleibt ohne eine angemessene Antwort. Wir haben unser Konzept gefunden, und jetzt kommen die Kunden.

Katastrophengebiete? Ich bitte Sie! Das Geschäft hat sich sozusagen von selbst erledigt. Früher hätte man noch Reisegruppen nach Japan schicken können, wegen Erdbebengrusel. Aber die fliegen heute einfach mal für eine Woche nach Tokio, all inclusive, Sushi, Geisha, Sony, und wenn’s ruckelt, kümmert es keine Sau. Da muss schon ein anderes Kaliber her. Erdrutsch in Nepal, das hätte man groß aufziehen können, aber nur wegen Nepal. Die Einwohner sind eh arm, das gibt uns Europäern so ein angenehmes Gefühl der Überlegenheit – Sie kennen das vielleicht von Afrika her, da brauchen die Leute keine Heizkosten zu bezahlen, können sich aber trotzdem keine warme Mahlzeit am Tag leisten. Das ist total doof, wenn plötzlich in Italien die Hänge abbrechen. Wer fährt denn nach Nepal, wenn er in Norditalien sehen kann, wie der Klimawandel uns plattmacht? Der Katastrophentourismus ist kein Geschäftsmodell für die Zukunft, das kann ich Ihnen schon mal verraten. Und wenn jetzt alle Leute auf der A7 ihr Handy dabei haben und filmen, wie ein Tanklaster ins Stauende brettert, dann wird auch keiner mehr nach Italien fahren. Zu wenig Action. Schockt einfach nicht mehr. Nein, Katastrophentourismus ist out. Wir sind auf Reisen in totalitäre Staaten gekommen.

Ach, Ägypten… das ist doch lächerlich, da beherrschen ein paar Islamisten an irgendeiner Regierung vorbei das Land, und wenn Sie an der Hotelbar zum Frühstück Schnaps bestellen, fragt Sie der Kellner, wie viel Sie wollen. Nordkorea, das ist unsere Preisklasse. Da gehen Sie aus dem Hotel raus, natürlich unter Aufsicht der Regierung, und stellen fest: überall Diktatur. Kein Auto aus diesem Jahrtausend zu sehen, nur große Plakate mit dicken Männern, die den Fortschritt verkünden. Keiner will mit Ihnen sprechen, weil Sie Ausländer sind. Zum Frühstück gibt es trockenen Reis, dünnen Tee und Kohl mit historischem Seltenheitswert. Und die Nachrichtensprecherin verkündet wie eine Walküre, dass die neuen Atomwaffen Ihre Heimat wegpusten, wenn es dem Führer gefällt.

Was meinen Sie, was wir für einen Zulauf kriegen aus den neuen Bundesländern! Die haben ja noch genügend Erfahrung aus der DDR, und dann kommen die Jüngeren, die wollen erst noch einen faschistischen Staat aufbauen und können hier schon einmal die Fassade sehen. Sehen Sie das als Hindernis? Also ich nicht. Wer einen faschistischen Staat mit aufbauen will, wird immer nur Fassaden sehen, bis es zu spät ist. Und das hat nichts mit Nachdenken zu tun. Wer denken kann, baut keinen faschistischen Staat auf.

Allein die Militärparaden! Wir hatten neulich einen älteren Herrn aus Sachsen-Anhalt, der hat uns angerufen, mit tränenerstickter Stimme hat der uns erzählt, was er erlebt hat. Die Fahnen und der Stechschritt und die vielen, vielen Raketen, denen man ansah, dass das alles Schrott ist. Der war so gerührt, er hat sich gefühlt wie damals in Rumänien unter Ceaușescu. Träumchen! Und für die anderen, also die Fraktion, die eigentlich gerne so richtig stramm rechts wären, aber aus Karrieregründen aufs Grundgesetz schielen müssen, denen sagen Sie: Sicherheit. Sie sind nirgends so sicher wie in einem totalitären Staat. Sie verleben dort die schönste Zeit des Jahres, abgeschirmt von den politischen und sozialen Spannungen, die Sie schon zu Hause nicht mehr sehen können, Sie haben jederzeit einen Aufpasser, der sich auf Schritt und Tritt um Sie kümmert, nehmen aber nicht als Überwachung wahr, weil Sie den Mann ja sehen. Außerdem verstehen Sie kein Wort von dem, was er sagt, es hört sich aber wichtig an. Also alles total klasse.

Natürlich betreiben solche Länder Waffenhandel und sind in internationale Konflikte verwickelt. Dann dürften Sie allerdings auch nicht mehr in die USA fliegen. Oder in Deutschland wohnen. Und das System wird auch nicht durch Tourismus am Leben erhalten. Wenn Sie davor Angst haben, sollten Sie auch nicht nach Ägypten fahren, weil Sie sonst den Islamischen Staat mitfinanzieren. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Aber Sie wollen doch das echte Abenteuer, oder? den Thrill, dass Sie die Reise unbeschadet überstehen und dabei richtig Spaß gehabt haben? Das ist unsere Marktlücke. Da geht die Reise hin, vertrauen Sie mir. Und was meinen Sie, was wir für ein Geschäft machen, wenn wir erst die Türkei mit im Programm haben!“





Traumurlaub

12 12 2013

Das also war das Reisebüro. „Unsere Spezialität“, betonte Fettcke. „Sie werden sich auf unseren Touren zu Hause fühlen, absolut zu Hause. Was daran liegt, dass Sie zu Hause sind.“

Mandy Schwidarski und mein sehr geschätzter Kollege Minnichkeit von Trends & Friends hatten mir den Hinweis gegeben, genauer gesagt: der Travel-Experte Maxim, der so viel reisen musste, dass er zu den Feiertagen nicht mehr reisen wollte. „Jeder reist zu den Feiertagen“, hatte Mandy gestöhnt, „weil die anderen zu den Feiertagen reisen, und die reisen, weil die anderen immer jammern, dass das Reisen an den Feiertagen so anstrengend ist, jedenfalls anstrengender als die Feiertage.“ So fasste ich den Plan, zum kommenden Weihnachtsfest zu verreisen. Oder auch nicht. „Wir verreisen Sie“, lächelte Fettcke. „Warum sollten Sie in einem schlechten, überfüllten Hotel genervt unter Genervten hocken, wenn Sie es sich doch auch auf dem Sofa gemütlich machen könnten?“ Natürlich spielte der Preisvorteil eine Rolle, andererseits war es schon verlockend, den Daheimgebliebenen zu zeigen, dass man gerade in der großen weiten Welt unterwegs war.

„Wenn Sie sich unser Sortiment anschauen möchten? London, Paris, die Malediven, Gnützburg an der Schlippe.“ Ich war beeindruckt. „Vielleicht nehme ich tatsächlich etwas Kleines, anderthalb Wochen im Hotel Royal dort dürften meinen finanziellen Möglichkeiten am ehesten entsprechen. Das wirkt sehr glaubwürdig.“ Fettcke faltete die Mappe auf. „Die Beschreibungen sind erstens sehr genau und werden ständig aktualisiert – hier sehen Sie beispielsweise einen Bildbericht über die Baustelle gegenüber des Landrat-Wübbepeter-Springbrunnens, die wie erwartet nicht in wenigen Tagen beendet war, sondern im kommenden Frühjahr ihr Silberjubiläum feiert, und der zweite Vorzug sind die ausführlichen Leitfäden, die Sie an die Hand bekommen.“ Man musste sich also nicht mehr auf die Reiseführer verlassen, die ja ohnehin einer vom anderen abschrieben, was das Zeug hielt, es gab Originalmaterial in Hülle und Fülle. „Das ist der Zoologische Garten“, stellte ich fest. Fettcke bestätigte es nach einem kurzen Blick. „Und da sehen Sie auch schon die Beschreibung der Müllkörbe, hier ist eine genaue Aufschlüsselung der Imbissbude am Bärengehege, einschließlich der einzelnen Mitarbeiter am Souvenirstand. Ihre Reiseberichte werden außergewöhnlich authentisch sein. Besser, als seien Sie selbst dorthin gefahren.“

Er reichte mir eine Checkliste. „Wenn Sie diese Formalitäten vielleicht erledigen würden? Das macht die Sache erheblich besser.“ Das allerdings verwirrt mich doch. Wozu musste ich meine Kamera abgeben und ein Telefon? „Ihre Lieben werden natürlich eine versehentlich abgesetzte SMS am Weihnachtsabend erhalten. Sie ordern ein Taxi, drücken aber irrtümlich auf die falsche Nummer – und wenn sie alle unter dem Weihnachtsbaum sitzen, werden sie den Querschläger lesen und an Sie denken. Sie aber haben nach Ihrer Rückkehr eine Geschichte zu erzählen.“ Fettcke schmunzelte. Ich begriff. „Wie beiläufig lasse ich ins Gespräch einfließen, dass ich eine Stunde auf meinen Wagen gewartet habe, und sie werden wissen, warum. Fettcke, Sie sind ja ein Genie!“ „Och“, errötete er, „man macht sich so seine Gedanken.“

Das mit der Kamera war schnell erklärt. „Wir drücken sie vertrauenswürdigen Touristen, die sich bei unserer Agentur ein kleines Zubrot zu den Reisekosten verdienen, in die Hand.“ „Dann knipsen die mit meinem Apparat sicher sämtliche Sehenswürdigkeiten“, schloss ich messerscharf, „genauso verwackelt und unscharf wie die billige Kamera, die man ihnen dalässt.“ „Und Sie haben eine Garantie“, erläuterte Fettcke, „dass Sie nicht die üblichen Postkartenansichten in perfekter Beleuchtung bekommen. Wir liefern Ihnen wirklich hundsmiserable Schnappschüsse mit unterirdischer Beleuchtung bei schlechtem Wetter. “ Ich händigte ihm die Kamera bereitwillig ein.

„À propos Postkarten.“ Fettcke schob mir einen Stapel über den Tisch. „Schreiben Sie schon einmal ein Dutzend, unsere Gewährsleute werden sie vor Ort einstecken. Sozusagen eine frankierende Maßnahme.“ „Ihr Service ist beeindruckend“, lobte ich. „Sie denken aber auch an alles!“ Einige Trinkgelder würden das Ihre tun; sollten Gäste nach mir fragen, das Hotelpersonal wüsste sofort, dass ich abends Kaffee trinke und öfters Opernkarten an die Rezeption senden lasse. Alles würde passen, ich bekäme ein lückenloses Alibi.

Er quittierte mir den Betrag und schob die Unterlagen über den Tisch. „Sie werden sehr zufrieden sein“, versprach Fettcke, „das ist eine gute Wahl.“ Über die Weihnachtstage würde ich einfach zu Hause bleiben, das Telefon stumm stellen und auf nichts reagieren. Morgen würde die imaginäre Fahrt beginnen, ich hatte also noch Zeit für einen kurzen Abstecher ins Kaufhaus, um Geschenkpapier zu besorgen. Sicher würde Hildegard nach ihrer Rückkehr eine Kleinigkeit zu schätzen wissen; gut, dass Minnichkeit beizeiten eine Flasche Parfum aus Mailand mitgebracht hatte. Da surrte plötzlich das Telefon in meiner Tasche. „75 Rue Saint-Louis en l’Île. Taxi, SVP.“ Sollte Sie etwa – ?