„Man muss mit Putin reden. Mit Nazis zu reden war schon immer sinnvoll – wir haben das bereits vor Jahren gemacht, und jetzt sind die fast so weit, im Osten die Landesregierungen zu übernehmen. Das ist doch ein großer Schritt für die Demokratie?
Es wurde schon viel Kritik am Bundeskanzler geäußert, dass er keine Waffen schickt, dass er nicht nach Kiew fährt, und jetzt? Jetzt wollen die Leute, dass er nicht mehr mit Putin spricht. Dabei ist doch Diplomatie so wichtig. Wenn wir das alle schon viel früher berücksichtigt hätten, dann wären wir jetzt in einer viel friedlicheren Welt und müssten uns keine Sorgen machen, dass nächstes Jahr Afrikaner nach Deutschland kommen, nur weil sie in Afrika kein Brot mehr haben. Und das kann ich Ihnen verraten, mit Putin reden oder noch eine Flüchtlingswelle, die Entscheidung fällt den Deutschen nicht schwer.
Der Bundeskanzler führt da ja keine geheimen Gespräche mit Putin, der sagt ihm nur das, was er in Deutschland auch die ganze Zeit sagt: dass er aus der Ukraine abziehen soll, dass er gerade einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg führt, dass es auf keinen Fall einen Diktatfrieden geben darf. Das ist nicht nur im Rahmen der Meinungsfreiheit total unproblematisch, das wird auch ein großer Teil der Deutschen so unterschreiben. Aber Sie müssen auch die Situation in Russland verstehen, da haben die weder Meinungsfreiheit noch unabhängige Medien, die das verbreiten könnten, schon gar nicht, wenn sich ein ausländischer Regierungschef wie der Bundeskanzler kritisch gegen den Präsidenten äußert. Wenn der Bundeskanzler also nicht mit Putin reden würde, wie er das jetzt tut – nämlich am Telefon, das nimmt Rücksicht auf seine Gesundheit und die russischen Sicherheitsinteressen – dann würde der vielleicht gar nicht erfahren, wie der Westen über ihn denkt. Für einen diplomatischen Austausch ist das nicht besonders förderlich.
Das ist auch ein Bestandteil der Zeitenwende. Wenn Sie an früher denken, da ist man vielleicht mal über Kriegsgebiete geflogen, aber keiner hat einen Staatsbesuch in Berlin gemacht, wenn er damit rechnen musste, jederzeit Bomben auf den Kopf zu bekommen. Heute fahren internationale Politiker in die Ukraine, zuletzt sogar mehrere in einem Zug, was für Putin vielleicht auch ein wenig schmeichelhaft sein dürfte, wenn man seinetwegen so ein Aufhebens macht. Der Westen ist ja sehr gut in diesen Krieg integriert, besser jedenfalls als in die Kriege der USA, da waren neben den Soldaten nur Journalisten dabei, und wir dürfen das jetzt auf keinen Fall nur für uns selbst nutzen. Wenn wir das als Putins Krieg bezeichnen, dann müssen wir ihn und Russland auch ins Kriegsgeschehen integrieren. Das würde sonst zu einer unnötigen Verhärtung der Fronten führen, dann dauern die Kampfhandlungen noch länger als unbedingt nötig.
Schauen Sie, Putin ist doch nicht dumm. Wenn der deutsche Bundeskanzler und der französische Präsident gleichzeitig in Kiew sind, dann weiß er, dass er beide mit einem gezielten Raketenangriff beseitigen kann. Wir können wohl davon ausgehen, dass etwaige moralische Überlegungen gar nicht erst getätigt werden. Aber dass er das nicht macht, ist doch zumindest schon mal ein Zeichen, dass es noch eine Chance auf Verständigung gibt. Man könnte es als Zeichen der Entspannung deuten, das wäre ein Entgegenkommen, das nicht viel kostet, uns zumindest nicht, und wenn die Ukraine damit im Gegenzug eventuell dem Frieden einen Schritt näher kommt, dann kann man das tolerieren.
Und der Bundeskanzler weiß ja auch genau, was er da tut. Er hat zum Beispiel ganz klar gesagt, dass er nicht einfach so nach Moskau reisen würde. Auf Einladung Putins vielleicht, das ist auch schon ein diplomatischer Schachzug. Die Anschuldigungen, die wir jetzt in der Presse lesen, dass der Westen in den vergangenen Jahren Fehler gemacht hat, die kann man auch nicht einfach so im Raum stehen lassen. Wir können und doch jetzt nicht auf das Niveau von Putin begeben und unsere Antwort auch im deutschen Fernsehen senden oder in der Presse verbreiten. Das kriegt man da ja nicht zu sehen oder zu lesen. Da muss der Westen jetzt einfach mal viel souveräner sein als Putin und auf solche Vorwürfe gar nicht erst eingehen.
Und außenpolitisch ist das auch notwendig – es wird immer so viel davon gesprochen, dass Putin sein Gesicht wahren muss, aber wer spricht denn bitte mal vom Bundeskanzler? Der kann sich nicht einfach so mit Putin an einen Tisch setzen, und wenn der noch so groß ist – der Tisch, nicht Putin – ohne international höchst negativ aufzufallen. Was er jetzt ja ohnehin schon tut, aber das nur nebenbei. Nein, da muss man vorher das Gespräch suchen, wenn man hinterher miteinander reden will. Wenn man nämlich immer nur darauf wartet, dass die Gegenseite irgendetwas tut, dann bewegt sich so schnell nichts. Und das kann doch keiner wollen.
Wenn wir nämlich mit konkreten Verhandlungen warten, könnte es durchaus sein, dass es sich schon um Kapitulationsverhandlungen handelt, und da weiß noch nicht mal einer, wer da kapituliert. Wenn das Russland sein sollte, weil gerade die Chinesen in Moskau einmarschieren, dann hilft uns das auch nicht weiter. Wenn es wir sind, weil Putin nach dem Baltikum und Polen Deutschland angreift, ist die Wiederwahl für die SPD auch im Eimer. Deshalb muss es jetzt konkrete Gespräche geben, um eine gemeinsame Lösung zu finden, möglicherweise in Form eines Stufenmodells, mit dem die Betroffenen gut und nachhaltig leben können.
Sie meinen, die hätten sich auf der Krim treffen sollen? Das verstehe ich jetzt nicht.“
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