Weihwasserschaden

19 03 2009

Die Kommission stellte noch einmal fest, dass gut drei Milliarden Menschen nicht über sauberes Trinkwasser verfügten, sofern sie überhaupt Zugang zu Wasser hätten. Die Zahl war erwartbar. Sie wurde veröffentlicht, erhielt kaum Aufmerksamkeit und geriet knapp drei Tage später in Vergessenheit. Eine Menge von Menschen, einer europäischen Kleinstadt vergleichbar, hatte sich inzwischen an diversen Erregern infiziert, nicht wenige von ihnen waren ohne Kenntnisnahme der Weltöffentlichkeit erwartungsgemäß verstorben. Die internationale Wasserkonferenz in Mombasa stand vor der Tür. Man würde noch genug Zeit finden, während der Veranstaltung in flammenden Sonntagsreden genug Bedauern abzusondern, wenn es nur ausreichend natriumarmes Wasser ohne Kohlensäure zum Ausspülen der Espressotässchen geben würde.

Die Gastrede des Papstes wurde schon im Vorfeld als einer der Lückenbüßer eingeschätzt, die das dreitägige Programm nicht eben informativer zu gestalten geeignet wären. Umso konsternierter war das Auditorium, als der Heilige Vater die Durstigen der Dritten Welt unmissverständlich aufforderte, auf Wasser zu verzichten. Auf jegliches Wasser.

Manche glaubten, sich nur verhört zu haben, doch Benedikt XVI. stellte seine Position noch einmal deutlich dar. Er erklärte, das Trinken von Wasser löse das Trinkwasserproblem nicht, sondern verschlimmere es nur noch. Spirituelles Erwachen sei nun vonnöten, die Solidarität des Katholizismus mit den Verdurstenden einmal ganz abgerechnet.

Möglicherweise hätten es die Beobachter als einen von zahlreichen Lausbubenstreichen des Oberhirten abgetan – man erinnerte sich an die Abschaffung der Vorhölle und an die Rehabilitation des Antisemitismus in der Karfreitagsliturgie – wenn der nicht nachgelegt hätte. Auf Anfrage verlangte der Vatikan nochmals mit ausdrücklichen Worten Enthaltsamkeit. Es gebe weiterhin keinen Diskussionsbedarf.

Erste Kritik setzte ein, als Bundeskanzlerin Merkel sich postalisch mit dem Wunsch nach Klarstellung an den Stellvertreter wandte; die Kritik entzündete sich weniger an der Tatsache, sondern vielmehr an deren Wiederholung – Merkel habe doch wissen müssen, dass sie nicht berufen sei, theologische Fragen zu beurteilen. Offizielle Stellen des Gottesstaates bemühten sich sogleich um Schadensbegrenzung; Ratzinger habe vielmehr symbolisch die Brüder und Schwestern in ihrer gewissermaßen unschönen Lage in die Arme schließen wollen.

Ähnlich albern wirkten die Versuche des Vatikanorgans BILD, die Sicht der Öffentlichkeit zu korrigieren. Franz Josef Wagners dialektische Turnübung, das Wasser des Lebens und die real existierende Wasserversorgung zu synthetisieren, misslang gründlich. Es hätte indes auch nichts geholfen. Der Weihwasserschaden war längst eingetreten.

Der Widerstand formierte sich rasch. Die Aktion Wasserzeichen fand raschen Zustrom. Ihre Idee, die Entwicklungshilfe aus den Fängen der EU zu lösen und stattdessen Genossenschaften in den bedürftigen Ländern zu gründen, stieß auf Zuspruch. Es blieb nicht bei Lippenbekenntnissen. Zu Tausenden verpflichteten sich die Unterstützer, ihre Kirchensteuern, die sie nun nicht länger zu zahlen bereit waren, in die Hilfsorganisation fließen zu lassen. Erste Projekte nahmen konkrete Gestalt an, als sich der Vatikan den Organisatoren anbot, Beistand zu leisten. Zwar sei keinerlei finanzielle Hilfe zu erwarten, doch sei der Papst persönlich bereit, moralische Vorschläge zu unterbreiten.

Einer Analyse des Bundesinnenministeriums, nach der der Verzehr von Trinkwasser hygienisch mangelnder Qualität die Haupttodesursache vieler afrikanischer Landstriche sei, folgte sogleich die Rechtfertigung des päpstlichen Erlasses; der Wasserverzicht sei durchaus als präventive Maßnahme gegen die drohenden Gefahren für Leib und Leben zu verstehen. Dies wurde nicht hinterfragt. Man wusste, das Bundesministerium des Innern kannte sich mit präventiven Maßnahmen zur Abwehr drohender Gefahren bestens aus – vor allem mit Gefahren, die aus derartiger Prävention drohen.

Mit gewohnt vitaler Rhetorik ergriff Joachim Kardinal Meisner das Wort. Er sorgte für nicht unerheblichen Aufruhr, da er in einer Talkshow erklärte, der Verzicht auf Trinkwasser sei auch unter Umweltgesichtspunkten positiv zu sehen. So bleibe mehr Brauchwasser übrig. Während der Wasserkopf der vatikanischen Verwaltung noch über einen Verbleib Meisners im Amt köchelte, meldeten die Agenturen, dass die Wogen der Empörung bereits sieben Millionen Mitglieder aus der katholischen Kirche gespült hatten.

Um der Körperschaft beizutreten – der Vatikan äußerte in diesem Zusammenhang die Hoffnung, dies würde in Afrika geschehen – empfahl die Glaubenskongregation nun die Anwendung der Trockentaufe. Wie dies Verfahren zu handhaben sei, wurde nicht näher erläutert. Da gleichzeitig der konventionelle Ritus allein gültig blieb und die Priester angewiesen wurden, täglich mindestens drei neue Mitglieder für den Bund zu gewinnen, machten sich gewisse kognitive Dissonanzen bemerkbar.

Als bekannt wurde, dass die Vatikanbank einen größeren Teil ihrer Gelder in Aktien sizilianischer Wasserversorgungsgesellschaften angelegt hatte, brachen alle Dämme. Der Vatikan wurde unterspült. Die Sintflut war kaum noch aufzuhalten, als der Papst heftig zurückruderte. Wasser, erklärte Ratzinger, sei ein Menschenrecht.

Seine Anmerkung, die katholische Kirche sei für Menschenrechte selbstverständlich nicht zuständig, soff im allgemeinen Jubel der Erleichterung ab.





Wir sind wieder Papst

4 02 2009

„… zu der Überzeugung gekommen, dass sie nicht im Gegensatz zum Schöpfungsplan und der Liebe Gottes stehen.“ Der Kurienkardinal warf das Papier wutentbrannt auf den Schreibtisch. „Guerreiro, das darf den Vatikan auf keinen Fall verlassen, hören Sie? Auf gar keinen Fall!“ „Euer Eminenz haben das wohl nicht ganz verstanden. Das Sendschreiben ist bereits veröffentlicht worden.“

Tatsächlich hatten die katholischen Bischöfe um sieben Uhr MEZ die päpstliche Botschaft in ihren Faxgeräten vorgefunden. Dazu erging eine Kopie an ihre privaten E-Mail-Adressen. Man weiß ja nie, was der Vorsehung so alles in die Quere kommt.

„Das kann nur eine Fälschung sein.“ „Eminenz, das Siegel spricht dagegen. Die Unterschrift. Das Schreiben hat ein Aktenzeichen. Wir können da nichts mehr ausrichten.“ Der Kurienkardinal griff mit zitternden Fingern in seine Soutane und zog ein silbernes Fläschchen heraus. Nach mehreren großen Schlucken blickte er den Kanzlisten fest an. „Das ist unser Untergang, Guerreiro. Er ist plemplem! Verhütungsmittel! Wir sind am Ende!“ Guerreiro runzelte ironisch die Stirn. „Deus lo vult.“

Die Presse überschlug sich. Eugen Drewermann war nicht zu erreichen. Uta Ranke-Heinemann gab in einem Interview mit dem WDR zu Protokoll: „Was Ratzinger sagt, ist richtig, Sie dürfen sich auf ihn berufen.“ Außerdem plädierte die Theologin in diesem Fall ausnahmsweise für Täterschutz. Der Osservatore Romano übernahm den im Bayernkurier erschienenen Leitartikel von Erwin Huber. Fotos von Berlusconis Fettnäpfchen-Beauftragtem, wie er die Pizzeria der vatikanischen Museen betrat, kamen sofort auf alle Titelseiten. Heiner Geißlers Gastkommentar flog ersatzlos aus allen Gazetten. Einige Leserbriefe, die Benedikt XVI. zum sofortigen Rücktritt aufforderten, wurden irrtümlich doch noch im Rheinischen Merkur abgedruckt. Die personellen Konsequenzen gingen schnell und ohne großes Aufsehen über die Bühne.

Für Heiterkeit sorgte der altkatholische Bischof, der in der Talkrunde witzelte, man würde jetzt das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit noch einmal überdenken. In der PR-Agentur ging es weniger ausgelassen zu. Der Sekretär der Disziplinarsektion hämmerte auf den Tisch, dass die Designertassen in die Gegend sprangen. „Was haben Sie sich da wieder für einen Dreck ausgedacht? Kondome für die Katholiken! Haben wir denn nicht schon genug Schlamassel?“ „Ruhig, Pater. Wir haben das einzig Richtige getan.“ Monsignore Tournon schaute entgeistert. „Sie haben was? Das Richtige?“ „Haben wir. Dann schauen Sie sich mal bitte den Score der letzten Monate an.“ Der Consultant drehte sein Notebook und deutete auf eine Kurve. „Der Börsenkurs Ihrer Firma. Sehen Sie diesen Knick? Das waren die Piusbrüder mit Herrn Williamson, der sich die Freiheit nimmt, die Gaskammern zu leugnen. Und dieser scharfe Zacken hier? Der unzurechnungsfähige Ösi, den Ihr Herr Chef partout zum Weihbischof machen musste. Und das hier…“ Der Priester begriff zuerst nicht. „Sie wollen damit andeuten, dass… Nein, unmöglich!“ „Wir werden dafür bezahlt, Ihre Managementfehler auszubügeln – schlimm genug. Was bleibt uns denn anderes übrig, als den Kurs anzukurbeln?“ Der PR-Berater hatte sich nun selbst in Rage geredet. „Wie soll man ein Unternehmen von der Größe ohne Controlling kontrollieren? Himmelherrgott, wie sollen wir den Laden konsolidieren, wenn wir vom Aufsichtsrat ständig torpediert werden? Wozu kriegen Sie Ihr tägliches Memo, wenn das Zeug sowieso im Kamin landet?“ Er packte den Sekretär am Kollar. „Kruzifix, warum haben Sie damals nicht den Lehmann gewählt? Muss man denn hier alles selbst machen?“ Das Diagramm zuckte kurz auf. „Na sehen Sie“, frohlockte er, „der Kurs steigt. Erste Notverkäufe. Scientology bröckelt. Sonntag sind wir wieder da.“ Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, seine Stimme wurde scharf. „Und wenn wir die Evangelikalen von der Bildfläche gefegt haben, kommen Sie bloß nicht auf die Idee, das als Ihre Leistung zu verkaufen. Ich warne Sie.“

Unterdessen feierte das Volk den Oberhirten. Während in Lateinamerika die Patres selbst die Gläubigen in langen Prozessionen mit Papa-Ratzi-Bildern zu enthemmten Sambarhythmen durch die Straßen führten, organisierten in Köln Schwule und Lesben die Demonstration. Binnen Stunden zogen Katholiken durch Deutschlands Innenstädte. Sie skandierten leidenschaftlich Wir sind wieder Papst und Ratze, gib Gummi. Joachim Meisner schäumte. Ob man da nicht etwas machen könnte. Man teilte ihm mit, man kann da nichts machen. Als der Amtsrichter den Kardinal sarkastisch fragte, ob der an Gummi-Geschosse gedacht habe, verließ Meisner zornig den Raum.

Der Werbespot für Benny Boy, das kardinalsrote Kondom (Geschmacksrichtungen Messwein und Milch mit Honig), wurde noch am gleichen Tag im Vorabendprogramm ausgestrahlt. Hella von Sinnen hatte spontan zugesagt.

„Hürlimann, haben Sie noch die Adresse von diesem Chilenen, ja? Gut. Dann bringen Sie mir den her. Und schnell, bitte.“ „Wäre es nicht besser, wenn wir… also ich meine… gewissermaßen für die Öffentlichkeit, Sie verstehen?“ Der Gardist vollführte eine ruckartige Handbewegung. „Ah, verstehe. Hm. Gut. Ist schon dreißig Jahre her, aber vielleicht klappt’s ein zweites Mal. Versuchen wir es.“ Und er faltete ergeben die Hände. „Im Namen Gottes.“