Kümselkorn bedeckte den Tisch mit gelben Formularen, blauen Formularen, rosa Formularen, grünen und grauen Formularen, Prospekten, Falt- und sonstigen Blättern sowie Formularen. „Diese neue Gebäudelebensversicherung ist kombinierbar mit der Hausratshaftpflicht“, murmelte er. „Aber das kann ich ihnen erst sagen, wenn wir die Prämie berechnet haben.“
Der Teufel musste mich geritten haben; normalerweise hätte ich diesen Altmeister der nervlichen Zerrüttung nie in meine Wohnung gelassen, doch es klingelte, und ich öffnete die Tür im Glauben, Hildegard sei schon von ihrer Tagung zurückgekehrt. „Nur eben noch die Preisliste von der Dingsda-Versicherung“, tröstete er mich, in dem er auch das Sofa und die Hälfte des Stutzflügels mit bunten Tabellen bedeckte. „Die rosanen sind für Kfz und Hundehaftpflicht mit und ohne Pferd, Haus und Kfz, und die grauen Blätter sind für unsere Privatkunden.“ „Was sind bei Ihnen Privatkunden“, fragte ich irritiert, während Horst Kümselkorn an seinem Zeigefinger leckte. „Wenn ich Sie nicht in Ihrem Arbeitszimmer besuche, sondern im Wohnzimmer, dann ist das ja nichts Berufliches, oder?“ Und er schüttete das Parkett mit Zetteln zu.
„Was soll das denn jetzt bedeuten: ein ganz neues Versicherungskonzept?“ Er zupfte sich die Krawatte zurecht. „Wir haben uns da etwas vollkommen Neues für die Kunden überlegt. Wir haben nachgedacht!“ „Das ist immerhin eine Nachricht wert“, spottete ich, „und was ist dabei herausgekommen?“ „Dass wir die Glasbruch und die Gebäudehaftpflicht – ach, ich zeige es Ihnen einfach mal. Warten Sie!“
Kurz nach der zweiten Tasse Tee – ich hatte nur eben das Kräuterbeet umgetopft, die Wasserflecke aus dem Schleiflack gerieben und einen Korb Taschentücher gebügelt – fand Kümselkorn das betreffende Blättchen. „Die Risikohaftpflicht ist eine ganz neue Versicherung, die wir nur ganz ausgewählten Kunden anbieten.“ „Welchen denn“, fragte ich, „und bin ich etwa darunter?“ „Wird sich zeigen“, beschwichtigte mich der Hausierer. „Das entscheiden wir immer erst im Einzelfall. Bei Ihnen würde ich sagen: nein.“ Er machte eine ausladende Bewegung über den ganzen raum hinweg. „Alles das hier – der Stutzflügel, die Bücherregale, die Blumen, die auf dem Bücherregal stehen, die Bücher, die sich in den Bücherregalen befinden, sowie die – “ „Jetzt ist aber mal Schluss“, schnitt ich ihm das Wort ab. „Wonach wird man bei Ihnen beurteilt, Kümselkorn? Anzahl der Bücher?“ Er betrachtete aufmerksam das Brandschadenfall-Ausschlussformblatt für Agrarbetriebe und rutschte unruhig auf seinem Sessel herum.
„Für die Wirtschaftlichkeit müssen wir uns entscheiden, die Versicherungsleistungen möglichst genau anzupassen.“ Er zog eine mehrfach gefaltete Tabelle hervor uns klappte sie auf. Es genügte, das Küchenfenster zu öffnen, das Papier hing bloß bis zum ersten Stock hinab. „Wir müssen also im Bereich Hausrat und Sturmschaden schauen, ob nicht zu viele einzelne Gegenstände betroffen sind – oder ob wir dafür die Kombi-Versicherungen nehmen.“ Ich war verwirrt, doch Kümselkorn behielt die Ruhe. „Natürlich ist das für Sie nicht einfach, aber schauen Sie: so viele Bücher, dazu zwei Fenster und ein Balkon, das ist für eine einfache Hausratversicherung zu viel. Das können wir gar nicht bezahlen.“ „Haben Sie nicht früher immer diese ganzen Ausschlussklauseln gehabt?“ Er nickte schuldbewusst. „Wir mussten sie leider abschaffen. Bei der Verkehrsrechtsschutz mit Reise-Kranken-Zahnzusatz haben wir den Schadenfall auf alles beschränkt, was atomare Einwirkungen hat – und dann bietet der Konzern das ausgerechnet in Japan an.“ Ich schwieg betroffen.
„Aber die neuen Kombi-Produkte“, ergänzte Kümselkorn hektisch. „Sie können natürlich eine Risikolebensversicherung für Ihren Glasbruch oder Berufsunfähigkeit bei Sturmschäden an Ihrem Hund absichern lassen, aber das ist nur der Anfang. Die private Pflege-Vollkasko mit Kfz-Sterbegeld, die müssen Sie mal probieren! Das schafft nicht mal die Demenz-Ausfallversicherung mit Garantie-Vorsorge-Ausschluss-Sparrückstellungsfonds!“ „Was ist denn nun an diesen Dingern kombi?“ „Wir versichern immer mehr als einen Bereich“, erklärte er, „Kfz oder Eigenheim oder wichtige Dinge wie Gesundheit und Rechthaben – Sie kombinieren einfach.“ „Und wenn ich jetzt Kfz mit dem Rechthaben kombiniere…“ Kümselkorn strahle. „… zahlt Ihre Versicherung immer den Schaden am Auto oder den Rechtsstreit. Falls es nicht anders vorgesehen ist.“ Ich stutzte; Horst Kümselkorn zuckte zusammen. „Wenn ein Schaden an Ihrem Fahrzeug entsteht, dann fällt automatisch die Kfz-Versicheung aus, und die Rechtsschutzversicherung gilt ja nur in Verbindung mit der Kraftfahrzeug. Und umgekehrt.“ „Sie meinen, ich habe davon überhaupt keinen Vorteil?“ „Doch“, strahlte er, „wenn Sie eine Versicherung abschließen, fallen im Schadenfall zwei aus. Das sind 100% Ersparnis! Außerdem können Sie ja frei kombinieren, Zahnzusatz und Reiserücktritt mit und ohne Kapital mit und ohne Lebensversicherung, ganz nach Ihrem Geschmack. Und da wir eine Direktversicherung sind, können Sie uns ohne Umwege Ihr Geld überweisen.“ „Und dann?“ Kümselkorn raffte den Stapel zusammen. „Haben Sie hoffentlich die Rechtsschutz mit Sturmschaden.“
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