Glühwein mit Schuss

24 11 2021

„… werde es auch bei einer zunehmend sich verschärfenden Corona-Lage Weihnachtsmärkte in Bayern geben. Ministerpräsident Söder habe sich allerdings entschieden, dass es in diesem Jahr nur ohne den Ausschank alkoholischer Getränke im…“

„… zu Protesten in der Bevölkerung kommen werde. Zahlreiche CSU-Ortsverbände seien wütend und entsetzt, dass es keine Freiheit mehr für das Brauchtum gebe, sich in der Öffentlichkeit zu…“

„… habe Söder betont, dass man auf einer Veranstaltung mit Maskenpflicht ohnehin keinen Punsch zu sich nehmen könne. Die Frage, warum der Verkauf von Fruchtsaft und Limonaden weiter erlaubt bleibe, sei wegen eines technischen Fehlers und des plötzlichen Endes der Gespräche dann nicht mehr im…“

„… dass sich dazu die Drogenbeauftragte der geschäftsführenden Bundesregierung nicht äußern werde. Die Gefahr sei für Ludwig zu groß, dass die Bürger durch ein Verbot des kulturell akzeptierten Alkohols zum Konsum tödlicher Rauschgifte wie Marihuana ermuntert würden, was Risiken für die Volksgesundheit und den kriminellen…“

„… im öffentlichen Raum stattfinde. So dürfe eine Kontrolle auf vorherigen Alkoholkonsum, den sogenannten Vorglühwein, nur mit Einverständnis der Gäste durchgeführt werden und sei auch nur zu beanstanden, wenn die Blutalkoholkonzentration ein für die öffentliche Sicherheit relevantes Maß überschritten habe, so dass die Wirkung des…“

„… die Umfragen der Christsozialen von Söders Entscheidung beeinflusst würden. Im zweiten Jahr, in dem es kein Oktoberfest gebe, könne dieses Eintreten gegen den kollektiven Alkoholkonsum für einen Stimmverlust in Höhe von mindestens…“

„… auf den Freistaat Sachsen ausgeweitet werde. Wie Ministerpräsident Kretschmer in einer Pressekonferenz betont habe, werde auch in seinem Bundesland zu nichtalkoholischen Events kommen, was zur Vermeidung riskanter Gruppenbildung in den Innenstädten und damit zur Senkung des…“

„… oder einen Vermittlungsausschuss einsetzen wolle, der die Interessen der Bürger gegenüber der Bayrischen Landesregierung vertrete. Allerdings sei der Vorschlag, spezielle Masken mit einer Öffnung für einen Trinkhalm an die Marktbesucher zu verkaufen oder selbst gelochten Mundschutz zu erlauben, aus hygienischen Gründen nicht bis in…“

„… der sächsische Bürgerprotest Saufen ist Freiheit nicht gerichtlich verboten werde, solange es nicht zu Rauschtaten komme. Im Falle von Gewaltdelikten unter dem Einfluss von Alkohol sei nochmals zu bedenken, dass die strafmindernde Wirkung des…“

„… in Franken mehrere Märkte bereits von den Schaustellern abgesagt worden seien. Ohne den Ausschank von Glühwein, Glögg und Punsch falle deren Hauptumsatzquelle weg, was letztlich zu keiner rentablen Teilnahme mehr an den…“

„… spare alleine die Stadtverwaltung Leipzig im Entsorgungsbereich mehrere zehntausend Euro ein. Im Schnitt müsse bei einem Weihnachtsmarkt mit Verzehr alkoholischer Getränke pro Tag eine Menge von gut einem Kubikmeter Erbrochenem von den Straßen der sächsischen…“

„… Umsatzeinbußen in erheblicher Höhe zu befürchten seien. Aldi Süd werde auf etwa zwanzig Millionen Tetrapaks zu einem Liter Glühwein sitzen bleiben, was sich auch auf das Weihnachtsgeld der Mitarbeiter und die Boni der…“

„… dass das Kulturprogramm auf den Märkten in diesem Jahr gestrichen werde. Die Stadt Leipzig führe dafür allerdings nicht den Infektionsschutz als Grund an, sondern habe die Vermutung, dass die Musik von nüchternen Besuchern kaum…“

„… auf den bayerischen Märkten gleichzeitig Zelte für eine mobile Corona-Schutzimpfung aufgebaut werden sollten. Die Landesregierung sei unter dem Motto Glühwein mit Schuss angetreten, die Impfquote nochmals um…“

„… würden Chemnitz und Dresden mitgehen und einen alkoholfreien Weihnachtsmarkt für die Bürger ausrichten. Weidel habe das Einknicken der CDU vor der offenbar muslimisch gesteuerten Anti-Alkohol-Hasspropaganda des Volksverräters Kretschmer als unleugbaren Beweis für die weitere Islamisierung Deutschlands bezeichnet und fordere von den Sachsen, sich notfalls mit Waffengewalt gegen den Unrechtsstaat zu…“

„… warne ein Sprecher der Corona-Leugner vor dem Betreten der bayerischen Weihnachtsmärkte. Man wolle die Bürger in einen total ungewohnten Zustand der Nüchternheit versetzen, um sie dann auf Befehl der Pharmaindustrie totzuspritzen. Dies könne nur durch orale Einnahme von Brennspiritus mit Schmierseife und Lindenblütenhonig bei gleichzeitiger Injektion von…“

„… hätten erste Tests mit am Körper befestigten Kunststoffblasen stattgefunden, um mit Hilfe eines Saugschlauchs mitgeführten Glühwein zu trinken. Ein 23-jähriger Leipziger habe durch einen in der Leistengegend geplatzten Katheterbeutel schwere Verbrühungen erlitten und sei ins Klinikum St. Georg eingeliefert worden, wo er sich einer…“

„… sei die Polizei auf Eskalationen vorbereitet. Man habe in Bayern mehrere Hundertschaften trainiert, Menschentrauben um Süßwarenstände mit unmittelbarem Zwang zu eliminieren. Darüber hinaus könne ein Hubschraubereinsatz die…“

„… es organisatorisch zu kompliziert sei, bei den Besuchern Impfnachweise oder Schnelltests auf Echtheit zu kontrollieren. Man setze vielmehr auf die Eigenverantwortung der Menschen, die nur eine friedliche Weihnachtszeit und ein gesundes…“





Heiße Weihnachten

18 12 2013

„Ich bin schon sehr gespannt auf Ihren Bericht“, teilte Fritzler mir mit. „Wir treffen uns in der Filiale Wandsheider Chaussee, ja?“ „Meinetwegen“, seufzte ich und legte auf. Dabei wusste er doch zu genau, was ich auf den Tod nicht leiden konnte. Einkaufen in der Weihnachtszeit.

„Damit sind Sie nicht allein“, hatte Minnichkeit von Trends & Friends mir zugesichert. „Wer geht schon in den letzten Wochen vor dem Fest gerne einkaufen? Sie müssen schon eine ganze Menge an Leidensfähigkeit besitzen, nicht alle Tassen im Schrank haben oder – guten Morgen, Frau Schwidarski!“ Mandy zog missbilligend die Augenbrauen hoch. „Sie wollten doch Fritzlers Kaufparadies besuchen, oder?“ Ich nickte. „Dann wird’s aber mal Zeit. Der Laden öffnet in einer halben Stunde, und Sie wollen doch einen Parkplatz bekommen.“

Das Geschäft lag recht weit außerhalb der Zivilisation, war allerdings schon von Weitem sichtbar. Eine geräumige Halle erstreckte sich entlang des Flusstals, viel Platz für das ultimative Shopping-Vergnügen. Mein Magen meldete leisen Widerspruch an. Doch da stand er auch schon in der Tür, breit grinsend und ohne einen Anflug von typisch weihnachtlich ho-ho-hoheitsvollem Gewicht. „Sie sollten sich unsere Preisknaller ansehen“, begrüßte er mich. „Die Herrenmoden sind gleich links, Sie mögen sicher ein Paar Stiefel oder unsere klassischen Sets aus Kammgarn und – ach was, kommen Sie erstmal rein.“

Aktionsware empfing mich an der Eingangstür. Eine karierte Wolljacke war gerade so weit herabgesetzt worden, dass dem durchschnittlichen Besucher die Augen tränten. Bestimmt lauerten die roten Mäntel mit dem unverbrüchlichen Pelzkragen hinter der Rechtskurve, vermutlich gab es hier auch die Instant-Beschallung besinnlicher Feierstunden in Form von Christfestplatten, Sprühschnee und Einwickelpapier für Geschenke, die am Tag der Bescherung gekauft wurden. Fritzler winkte ab. „Sie irren sich gewaltig.“ Ungläubig schaute ich ihn an, doch er ließ sich nicht beirren. „Ich setze auf antizyklisches Shoppen, gerade für die Opfer der Konsumgesellschaft. Kommen Sie herein, hier ist absolut weihnachtsfreie Zone.“

Tatsächlich – nirgends war auch nur die kleinste Spur weihnachtlichen Brauchtums, weihnachtlicher Dekoration oder weihnachtlichen Zubehörs zu finden. Es roch nicht nach Zimt und Marzipan, keine goldenen Kugeln hingen von der Decke, und aus den Lautsprechern näselte ein Tenor, wie lau doch diese Sommernacht gerade sei. „Wir sind das Kontrastprogramm“, sagte Fritzler nicht ohne einen gewissen Stolz. „Hier kann man noch Mensch sein, Sie sehen es ja selbst.“ Mehrere Männer, die ansonsten nur mit Mühe in ein Fachgeschäft für Bademoden gebracht worden wären, betrachteten aufmerksam die aktuelle Schwimmbekleidung in großen Größen. Ein dicklicher Herr mit breitem Scheitel probierte Plastiksandaletten in gewagten Farben, ein anderer, möglicherweise sein Bruder, begutachtete mit fachmännischem Blick Schnorchel, Schwimmflossen und ähnliches Zubehör für den Strandurlaub. Vermutlich sehnten sie sich nach nichts mehr als nach einem Last-Minute-Flug in den Süden. Ein schöner Traum, aber eben ein Traum.

Einen Gang weiter standen die Kugelgrills in Reih und Glied. „Das geht zu dieser Jahreszeit natürlich immer“, bestätigte Fritzler. Ich mutmaßte, dass es sich bei einigen durchaus auch um Kunden auf der Suche nach passenden Festtagsgeschenken handeln könnte. „Gut möglich“, wandte er ein. „Aber wir setzen doch deshalb keinen vor die Tür. Integratives Marketing ist unser Geschäft. Wir geben keinen Kunden auf.“

Einen Gang weiter wurde mir klar, was das bedeutete. Eine bunte Kollektion von Lenkdrachen zog die Käufer an, keiner fühlte sich vernachlässigt. Im Gegenteil, sie widmeten sich aufmerksam ihren Luftfahrtmodellen und waren schier unablenkbar bei der Sache. „Wenn man sie einmal Blut lecken lässt“, erklärte Fritzler, „dann hat man sie als langfristige Kunden gewonnen. Schließlich setzen wir auch keinen Kunden unter Druck. Sie können alle auch bis zum kommenden Herbst warten, die Hauptsache ist, dass sie dann wieder hier sind.“

Glückliche Menschen standen in der Kassenschlange, glückliche Menschen mit prall gefüllten Tüten. Offenbar war dies eine Goldgrube, und es lag nicht nur am antizyklischen Angebot. Dazu wirkten die Kunden mit ihren festlich anmutenden Paketbergen viel zu froh und munter. „Besuchen Sie uns unbedingt auch im Mai“, riet Fritzler. „Sie werden sehen: unsere Glühwein-Wochen sind ein absolutes Muss!“





Shopschwerenot

18 11 2009

Kornmöller zupfte an den silbernen Girlanden, die wie überdimensionales Lametta im Tannengrün klebten; der Budenzauber sah aus wie die Bad-Salzschlirf-Variante einer Las-Vegas-Dekoration, bunt, glitzernd und penetrant. Er beugte sich zu mir herunter. „Und, wie finden Sie’s?“ Ich teilte ihm mit, dass mein Magendurchbruch unmittelbar bevorstünde. „Wunderbar“, jubilierte Kornmöller, „wenn Sie es nicht ausstehen können, werden die anderen Kunden es lieben!“

Der kleine Karren an der Seite des Korridors war mir schon zuvor zwischen den weihnachtlichen Versatzstücken aufgefallen. Ob es sich um einen umgebauten Golfwagen handelte? „Ganz recht“, bestätigte der Geschäftsführer der Superkauf-Passage, „wir nehmen Carts dafür. Die Windschutzscheibe haben wir natürlich komplett umgebaut, wie Sie sehen.“ Ich riskierte einen Blick. Tatsächlich, das Flachglas war einem Plasmabildschirm gewichen. „Damit werden wir die Umsatzrekorde brechen“, jauchzte Kornmöller. „Wir werden das ganze Weihnachtsgeschäft revolutionieren mit unserem total neuartigen, kundenfreundlichen Shopping-Angebot. Es wird einfach grandios sein!“ Mir schwante Schlimmes; ausgehend von den schauderhaften Adventsdekors in Kunststoffspritzguss sah ich goldbeflitterte Engel Haushaltswaren anpreisen, leicht bekleidete Damen im Autozubehör und jede Menge Nikoläuse im Spielwarenbereich. Mein geistiges Auge tränte ergriffen. Doch Kornmöller wischte das alles mit einer Handbewegung fort. „Das alles war gestern! Wenn Sie heute noch jemanden erreichen wollen, müssen Sie mit der Zeit gehen und ein völlig neues Einkaufsgefühl kommunizieren – Shopping wie im Internet!“ „Soso“, antwortete ich mokant, „wie im Internet. Ich kann die Ware nicht anfassen, das Produkt sieht so ähnlich aus wie das Symbolfoto, die Ware ist nicht lieferbar, da noch nicht hergestellt oder noch nicht auf Lager, und zu guter Letzt bin ich einem Betrüger aufgesessen?“ „Quatsch“, schnaubte er, „alles billige Vorurteile! Setzen Sie sich, ich zeige es Ihnen!“

Wir bestiegen den Einkaufs-Wagen. Kaum saß ich in auf der unbequemen Bank, begrüßte mich die leiernde Stimme meiner virtuellen Ladenhüterin. „Herzlich willkommen bei Ihrem persönlichen Einkaufsbummel Sie werden jetzt im Menü die einzelnen Abteilungen sehen wenn Sie eine Abteilung auf dem Touchscreen berühren halten wir an.“ „Sehr praktisch“, befand ich, „mehrere Abteilungen, und ich darf mich frei entscheiden – revolutionär!“ Kornmöller musste den leisen Spott in meiner Stimme überhört haben, jedenfalls fragte er sofort nach. „Sie sagten doch vorhin, dass Sie eine Krawatte und neue Schuhe bräuchten.“ Er tippte auf die Schuhabteilung. Bilder zischten über den Schirm. Die Stimme hub wieder an zu leiern. „Der Vacuumat Z-3000 ist die völlig neue Synthese aus Sandstein und schonend feuervergoldeter Schafschurwolle mit 30% Majoran er setzt Maßstäbe dank seiner enormen Strahlungssicherheit bei gleichzeitig vollverzinkter, kalorienarmer Beschleunigung und ist auch in Ihrem Garten das modische Accessoire für den Weltfrieden.“ „Sehr gut! Ich bin begeistert!“ Er grummelte. „Nein, ich bin wirklich begeistert. Jetzt noch etwas über Herrenschuhe, und ich könnte dieses Ding glatt ernst nehmen.“

Das Gefährt teilte mir mit, dass es gar keine Schuhe im Einkaufszentrum gäbe; gleichzeitig schossen lauter Pop-ups mit Aktionsangeboten in die Höhe, darunter auch edles Schuhwerk für Herren. Ich piekte den Finger hinein und lauschte der monotonen Botschaft: „Die Abteilung die Sie gewählt haben ist derzeit nicht verfügbar bitte besuchen Sie stattdessen auch unsere Abteilung Herrenschuhe und feine Lederwaren.“ „Das nennt sich jetzt bestimmt Multitasking“, schätzte ich. „Wie toll muss dann erst Multimedia sein. Fast so, als hätte man den Schuh in der Hand.“

Wir navigierten durch die Schuhregale, die es offiziell gar nicht gab – das Ressort befand sich in einer Seitennische der Baustoffe, links neben dem Zubehör für Perlstickerei und Völkermord – und ich fand einen halbwegs akzeptablen Budapester. „Sie können das Modell natürlich heranzoomen und drehen.“ Kornmöller fingerte auf dem Screen herum, doch nichts tat sich. Ich kratzte mich am Kopf. „Vielleicht sollten wir das System jetzt neu starten, um die Veränderungen anzuzeigen?“ „Das ist völlig normal“, beeilte er sich, mir mitzuteilen, „es hakt manchmal ein bisschen. Ah, da ist ja die Produktinformation.“ Und wieder schnarrte das einschläfernde Getön vor sich hin. „Dieser Herrenschuh in klassischem Schwarz ist ein Schuh den Sie zu vielen Gelegenheiten kombinieren werden er besteht zu 100% aus Llllllllllllllllll…“

Das Ding hing. „Sie hatten Recht“, höhnte ich, „ein völlig neues Einkaufsgefühl.“ Da Kornmöller bereits hektische Flecken im Gesicht trug, legte ich nach. „Ihre Karren fahren also auf einem Crash-Kurs? Da müssten wir uns jetzt überlegen, was wir machen. Ach Gott, er ist ja offen – alle Fenster schließen fällt also flach.“ Er lief krebsrot an und stieg aus dem Fuhrwerk. „Hübsches Blau übrigens. Was halten Sie davon, die Fehlermeldungen auch farblich individuell zu gestalten?“ Wutentbrannt trat der Weihnachtsgeschäftsmann gegen die Karre. Ich tröstete ihn. „Lassen Sie den Kopf nicht hängen, Kornmöller. Das wird schon. Und bis dahin drücken Sie den Leuten am Eingang einfach einen schönen Katalog in die Hand. Das ist ja auch fast wie Einkaufen.“