Gernulf Olzheimer kommentiert (DXCIV): Greenwashing

10 12 2021
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Auf der Suche nach Wahrheit landen wir alle früher oder später beim Werbefernsehen. Kieksende Kids rumpeln in luxuriösen E-Panzerwagen über naturbelassene Straßen aus Bio-Beton, an deren Spontanvegetation unter schadstofffrei blauem Himmel glückliche Kühe käuen und die Landschaft mit veganem Methan nachhaltig bereichern. Voller Engagement verkünden miserabel synchronisierte Teenager ihre Entschlossenheit, das von der Politik kurz nach der Unterschrift getonnte 1,5-Grad-Ziel als real existierenden Surrealismus zu begreifen, in atmosphärischen Farben für ACME inszeniert. Als würde das nette Kohlekraftwerk um die Ecke die Landschaft mit Gänseblümchenextrakt vollballern, schwabbert uns die Konzernpropaganda die Hirne zu: wir tun was, quasi jetzt gleich sofort. In drei Jahren. In fünf. Oder zehn. Oder nie. Irgendwas tun wir aber, und sei es nur Greenwashing.

Wahrscheinlich hat man komplette PR-Tanks ins Rhetorikseminar geprügelt, damit die Grütze schneller durchgeht als ‚Bestes Waschmittel‘ oder ‚Leckerste Vollkornreiswaffel westlich des Rheins‘. Eine Rotte geldgieriger Arschgeigen rutscht auf dem eigenen Angstschweiß aus, weil die restliche Menschheit längst gemerkt hat, wie viel Dreck der Kapitalismus mit sich herumschleppt. Schon klebt die Wirtschaft Fantasiebömmel auf die FCKW-freie Baumwolle, als würde man kalorienarmes Wasser unter die Menschheit jubeln – immer bescheißt die Leute, passt schon, wenn sie nichts merken. Je wolkiger das Versprechen, innerhalb der folgenden ölfzig Jahre kein Dingsda zu verblasen, desto lauter der Jubeltutenchor der geistig Untertunnelten.

Natürlich geht uns alle das Etikettengeklebe der Ökonomen etwas an, wenn wir nicht als tumbe Gesellschaft der chronischen Aufschieberitis auf den Leim gehen wollen. Schon juchzt die einzig wichtige Industrie, die Kraftfahrzeuge ausstößt, das Stromauto sei so supi, es sei an Urstheit mit dem an sich schon duften Benzintöff nicht zu vergleichen. Wir erinnern uns, die Dieselschleuder wurde uns auch als Erlösung vom Auspuffgetöse herbeigebetet und mit hastig zusammengeschwiemelten Szenarien des Weltuntergangs verglichen, um dem gemeinen Nappel den Erwerb der Heizölkarre zu insinuieren – besser als ein Meteoriteneinschlag während der allgemeinen Nudelknappheit zur Helene-Fischer-Welttournee wäre es allemal gewesen.

Aber egal, die professionellen Klimaleugner, die unsere – unsere? wir haben den Schmodder mit den Gewinnen bezahlt und kommen jetzt auch noch für die versteckten Subventionen auf, bevor die Steuer fürs Katastrophenschutzprogramm uns den Boden unter den Füßen wegreißt – Kohle zur Abwehr der Zukunft verbraten, schleimen sich aalglatt an den Zielkonflikten entlang. Ein Cent pro Plastikbeutel würde reichen, frohlockt der gemeine Discounter, schaufelt sich mit der Methode eine halbe Million per anno rein und vergisst zufällig, wie sein übriges Grünzeugsortiment in Kunststofffolie geraten ist. Da barmt’s aus der Bierbranche, der Kunde könne gar nicht so viel von der Plempe saufen, wie der Hersteller Regenwald retten möchte – ungelöst aber bleibt, warum der Braumulti zehnmal so viel in die Reklame investiert wie in die Aufforstung. Bald stampfen stinkende Kreuzfahrtpötte den Restozean aus der Existenz, macht aber nix: an Bord gibt’s ja nur noch Handtücher aus nachhaltigem PVC-Textil, da kann man den Ausstoß der schwimmenden Kohlendioxidfabriken schon mal vernachlässigen.

Überhaupt ist die Grünwäscherei der mutige Versuch, die ganze Bevölkerung für geistig nicht satisfaktionsfähig zu verkaufen. Gäbe es nicht die Inseln aus kreisendem Plastik auf den Weltmeeren, hätten wir nicht längst Kleinstteilchen in jeder aus dem Wasser gefischten Nahrung, die an der eigenen Heiligkeit zugrunde gehenden Propagandalappen würden hoffen, dass niemand sich für ihr Geseier interessiert. Sie retten sich in die Zuversicht, dass der Verbraucher schlicht nicht alles boykottieren kann, wenn er irgendwie überleben will, oder aber ganze Produktgruppen ausblenden muss, Fahrzeuge und Fisch, Smartphones, Spielwaren, Tourismus. Und wer wäre schon so konsequent, ein Leben ohne Leberwurst aus ökologischen Motiven zu wählen.

Früher oder später wird es im Zeitalter der Wissenschaftsfeindlichkeit zum Schulterschluss mit dem Hokuspokus kommen, mit Homöopathie und Heilern, die die Schadstoffbelastung für Menschen in unseren Breitengraden wegpendeln, Globuli für Klimagestresste verordnen oder freie Energie aus Erdstrahlen gewinnen wollen, die gegen ordentlich Kohle das Chi oder irgendeine andere Schusswunde im Bewusstsein wegbügeln und uns alle zu Frieden und Freiheit helfen, damit wir nicht mehr merken, wenn der Planet uns mit Schmackes loswerden will. Als Alternative werden alle kritischen Stimmen, die nach Transparenz rufen, für Querulanten gehalten, die uns alle in den Ökoterrorismus treiben wollen. Bis dahin werden wir regional geerntete Bierdeckel, Recycling-Rollmops mit Stochern aus kontrolliert geschnitztem Qualitätstotholz, natürliche Aromen und naturidentische Natur erdulden und irgendwann als Normalfall akzeptieren. Irgendwer klatscht da sicher ein Bio-Siegel drauf. In Grün.





Gernulf Olzheimer kommentiert (DXVIII): Ekelwerbung

12 06 2020
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Keiner weiß wirklich, wie es angefangen hat, es liegt jedoch nahe, dass der römische Statthalter Marcus Tullius Stultus vor dem Gastmahl einen seiner etatmäßigen Sänger auftreten ließ, der beim Aperitif mit Lerchenzungen und Otternasen mäßig klampfte und alsbald ausrief: „Fußgeruch!“ Schnell und unbürokratisch war die Stimmung im Eimer, der Präfekt sparte gebratenen Fasan, allerlei Obst, Wein und Zuckerzeug. Immer wieder schön, wie es ihm gelang, die Gesellschaft aufzulockern und im Gespräch zu bleiben. Leider geriet sein Beispiel in den kommenden Jahrhunderten nicht hinreichend in Vergessenheit, denn bis heute müssen wir es leiden, wie noch das deutsche Farbfernsehen in epischer Breite und täglich zur schönsten Sendezeit seinen wehrlosen Zuschauern in den Neocortex ballert, und das in Gestalt der Ekelwerbung.

Zur schönsten Sendezeit, das heißt: im Alltag meist kurz vor oder im Zieleinlauf der abendlichen Nahrungsaufnahme, wenn die Studierenden bereits das Bewusstsein erlangt haben und Senioren noch nicht sediert sind, die familienfreundliche Stunde, die nach Erwerbsarbeit und Sozialkontakten ganz der Entspannung dienen soll. „Ich bin Entwicklerin in einem großen Unternehmen für Hundeleinen“, jodelt’s da aus der Glotze, „deshalb kenne ich mich mit hartem Stuhlgang aus!“ Nach dreißig quälenden Sekunden beendet die Darmleuchterin ihr Gewürge und leitet ansatzlos in den nächsten Spot über, der in barocker Plastizität von Diarrhö singt, als gäbe es damit einen Krieg zu gewinnen. Spätestens nach der zweiten Einheit an Verkaufsförderung von Bauchheilmitteln kommt dem wehrlosen Zuseher die ganze Plempe mit Hochdruck aus allen anderen Körperöffnungen entgegen, spätestens bei der bunten Reizdarm-Reklame fliegt der Flimmerkasten mit Fahrtwind durch die ungeöffnete Scheibe und touchiert final die Straßenoberfläche.

Früher meuchelten Hüfthalter noch diskret die Damen, heute setzen sich völlig verseifte Mimen vor die Kamera und spielen jugendlich bewegte Pärchen, die einander bei einem guten Rotwein die Vorzüge einer Zahnpasta preisen, weil das Zeug die Blutung oberhalb der Beißer wegschwiemelt. Wer herausfindet, welche Gesellschaft das abbilden soll, ist herzlich eingeladen, sich bis zum Ableben in deren Obhut zu begeben und möglichst nie mehr in die zivilisierte Welt zurückzukehren, um mit derlei Geschmacksverkalkung eine ganze Nation in die kollektive Übelkeit zu treiben. Drüben in der Küche schält vermutlich das Gespons Kartoffeln und salzt bedächtig nach, während adoleszente Gutausseher, die wir selbst gerne sein wollen – zumindest ist es das Ziel der Filmchenfuzzis, uns eben dieses in die Birne zu pfriemeln – die unerträgliche Seichtigkeit des Neins zum Nagelpilz zelebrieren. Nagelpilz, wer ist nicht im Thema, wenn sich hippe Typen um Lifestyle-Themen wie Enddarmausstülpungen oder entzündete Haut dank bakterieller Superinfektion unterhalten, auf dass sich alles am Ende easypeasy im Arm liegt. Vermutlich bricht sich das brüllend über die Schulter, aber wir wischen’s ja nicht weg.

Ja, tröpfelt’s aus dem Kanal, die Vorderseite ist auch schon dran. Allerlei Zeug zum Naturheilen in Pille-Palle-Form gegen permanente Entwässerung im fortgeschrittenen Mannesalter dräut uns, und jetzt wird auch klar, was die Propagangster wollen: die komplette Aufmerksamkeit der von Enkeltrick und Apothekenpostillen umzingelten Generation, die sich mit Baldrian, Knoblauch und Kürbiskernen gegen irreversible Alterungserscheinungen mästet, vorsichtshalber den Gegenwert einer Mahlzeit in Form von Nahrungsergänzungsmitteln in die Diät einpreist und jede Kasperade sofort kauft, weil die Nachbarn es sicher auch tun. Steht der Quark erst einmal gut sichtbar bis prominent in der Drogerie, hebelt ihn sich der eine oder andere Ruheständler für teuer Geld in den Wagen, ob es hilft oder nicht.

Früher fielen den Benutzern der falschen Paste wenigstens noch Zähne aus, dass eine griechische Tragödie nichts dagegen war. Üble Schmutzränder krusteten sich an der Keramik entlang. Vorläufiger Endpunkt des Grauens war die Katastrophe namens Gefrierbrand, die dem Kurzgebratenen unmittelbar vor dem Besuch des Vorgesetzten dräute. Alles vom Tisch, Körperscham und Psychohygiene, es geht munter zurück in die infantile Phase der schwindenden Scham, mit der die Demenz sich anschleicht – wer sonst, wenn nicht Herrschaften im kaufkräftigen Ruhestand, ist hier gemeint, der sich vor lauter sickerndem Sekret und nässenden Ausfallerscheinungen nicht angesprochen fühlte? Noch hat man uns diverse Hygieneartikel nicht im lebensechten Gebrauch gezeigt. Unerschlossen ist das Würgegefühl beim Einsatz diverser federnder Zahnbürsten. Aber sollte sich die Check-24-Familie jemals zum Thema Verstopfung äußern, brennt die Mattscheibe. Versprochen.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CDLXXV): Personalisierte Werbung

2 08 2019

Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer


Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Geben, so säuselt das Über-Ich, ist seliger denn Nehmen, und nicht zuletzt die sozialen Events wie Potlatch und Weihnachten sind schuld daran, dass alles in die Brüche geht, was mit der Übereignung von Gütern zu tun hat. Wer ahnt schon, dass der für die Hälfte des Jahres komplett egale Onkel schon zwanzig blaurote Schlipse im Schrank hat, bevor man ihm den nächsten andreht. Es soll tief aus der Persönlichkeit des Schenkenden stammen und zugleich eine wirkliche und wahrhafte Lücke im Besitz des Beschenkten schließen. Nicht so die Industrie, sie erfüllt uns zwangsweise die Wünsche, die wir gar nicht hatten. Einmal versehentlich vor den Socken stehen geblieben, zack: personalisierte Werbung für die nächsten Wochen.

Dabei ist es dem Algorithmus wumpe, ob der Angebotsbesucher die Fußbekleidung für sich selbst, die Nachbarin oder seine Schwagerschaft erwerben wollte, hinfort nervt ihn im Netz jede noch so verfügbare Socke in Blaurot, dann auch in Schwarz, bio oder Zehnerpack, weil: das Monster weiß, dass Erwerb und Nutzung von Socken nicht kategorisch ausgeschlossen werden können, also reibt es dem Opfer sein Angebot noch und nöcher unter die Nase. Schlösse man von vornherein aus, dass es sich um einen Abstinenzler handelte, dem man folglich an jeder Straßen Ecke Schnaps ins Gesicht hielte, die Chancen stünden weniger schlecht, ihn in kürzester Zeit in den Vollrauch zu befördern. Die Socke verliert.

Kunden, die Schnaps gekauft haben, kauften auch eine Axt. Der Algorithmus ist blind, er setzt folglich auf Cross Selling und wedelt mit allerlei Schneidwerkzeug, Hackinstrumentarium und Objekten, die dauerhaft milden Frieden zaubern. Nicht, dass es einen irgendwie interessieren würde, was die Black Box der Marketingabteilung dort in die Hirne der Konsumenten schwiemeln will, im Zweifel verstärkt sie lediglich den Wunsch nach mehr Schnaps. Doch nicht einmal das interessiert das Programm; lässt sich der Kunde vom ewigen Geweimer der in die Netzhaut gefrästen Bilder so weit bringen, dass er endlich zuschlägt – mit Axt oder ohne – bleibt die Intelligenzsimulation in der Kiste lernunfähig. Nach dem Kauf von Schnaps kommt Schnaps, Schnaps und Schnaps. In einer wirren Welt wäre dies sinnvoll, aber nach dem Erwerb einer Waschmaschine gleich noch eine anzupreisen, die billiger, besser und sofort lieferbar wäre, hätte ungefähr die Durchschlagskraft von Socken. Genau diese ungezielte Penetranz ist es, die den Zweifel an der Intelligenz jeder Künstlichkeit nähren.

Dazu wird der Überbringer der klebrigen Botschaft gleich in Sippenhaft genommen. Ob es sich um eine Primatenpostille oder aber um linksintellektuelle Wirtschaftsnachrichten handelt, das Medium ist auch hier die überflüssige Botschaft. Längst wird der von der Seitenlinie plärrende Troll wahrgenommen als Bestandteil der Publikation und zieht deren Sympathiewerte in den Keller, zumal da, wo die ökofundamentalistischen Klima- und Friedensapostel ihr Geschäftsmodell offensichtlich mit Nötigung für Konsumschrott aufpumpen. Schnell und gründlich den eigenen Ruf kompostierbar zu machen geht damit blitzschnell und porentief.

Weil personalisierte Werbung mitnichten das ist, was als reine Mitschnackerei dem Nutzer auf die Plomben geht, sondern eine erhebliche Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs darstellt. Je mehr ein Individuum seine Existenz in wolkige Bereiche nicht greifbarer Datenspeicher ausweitet, desto mehr wird es auf Gedeih und Verderb vertrauen müssen, dass etwas da bleibt, wo es gesprochen wurde. Einmal nach Socken zu suchen oder gar eine Axt zu kaufen ist ein Akt, der Privatautonomie voraussetzt und fordert – nach der Tat aber in jedem anderen Raum und zu anderen Zeiten, auf jedem Gerät und in jedem Kontext verfolgt zu werden mit dem immergleichen Schmodder, der aus jeder Ritze quillt und die Privatsphäre zu einem Ort der Unmöglichkeit macht. Es ist nicht personalisiert, was sich der Vertrieb ausdenkt, sie nehmen es persönlich; wir werden sie kennen lernen, so wie sie uns kennen gelernt haben, trotz offenbarer kognitiver Schwächen bei der Unterscheidung von Oberfläche und Realität. Selbst ihr Geschäftsmodell, dem Nutzer gegen einen mittelgroß permanenten Obolus das zwanghafte Wiederholen der Gewalttaten zu ersparen, zeigt nur, dass der Kunde in diesem Fall, wo er nicht zahlt, lediglich das Produkt ist, Opfer einer solipsistischen Werbeindustrie, die aus reinem Selbstzweck ihre Kunden verschreckt, um besser zu sein als die Konkurrenz. Doch gibt es Mittel, dem Müll zu entgehen? noch nie hat auf dem Wochenmarkt ein Händler realiter Axt und Socke nebeneinander gelegt. Höchstens Äpfel und Birnen. Was ja auch irgendwie logisch erscheint und daher kundenfreundlich.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CDXLIII): Der Inseratenteil

7 12 2018
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Was der durchschnittliche Renaissancemensch getan hätte, sähe er sich in der regionalpolitischen Beratung mit Brechreiz erregend billiger Reklame für Lupen oder Haarwuchsmittel konfrontiert gesehen, kann man heute nur mutmaßen. Vielleicht hätte eins der venezianischen Edelmännchen bei der Anfrage, ob er nicht zwischen zwei zünftigen Intrigen schnell den Palazzo verscheuern wolle, mit einer hübschen kleinen Bootspartie geantwortet und kanaltaugliches Schuhwerk aus Fertigbeton in die Gondel verlastet. Im Hintergrund posaunt eine dreichörige Sinfonie von den Rängen, zur Linken massakriert das Faktotum gerade die Dummdüse, die eine neue Kollektion Satteltaschen mit in die Kirche geschleppt hat zum informellen Verkaufsgespräch unter Freunden – am Gesäß, Kunde als wäre nichts geschehen? Nur wir müssen uns von derlei aus den Ritzen der Information quellendem Lärm den Tag versauen lassen, weil wir in der Gegenwart vegetieren und es für zumutbar halten. Es ist aber nur der lnseratenteil.

Früher, als das wichtigste Massenmedium noch aus totem Holz geschwiemelt wurde, hätte man den Schmalz en bloc auf den Boden schütteln können, wie alle Beteiligten an diesem Gesellschaftsspiel es eigentlich als konstituierend annahmen: der Kaufmann druckt billige Reklame im arttypischen Umfeld, der potenzielle Kunde ignoriert es aus Selbsterhaltungstrieb. Der gehobene Bedarf vom Möbel aufwärts wucherte vorsichtig in redaktionell eingehegte Bezirke, gab sich zunächst behutsam und stilvoll, bevor auch er in den allgemeinen Brüllmüll der absatzwirtschaftlichen Chöre einfiel. Der Großteil der Bedarfslenkung allerdings machte aus seinem Getrommel keinen Hehl, pappte sich die Bezichtigung, dass tatsächlich Propagandistenwerk zuhanden war, wie einen Warnhinweis obenan: cave, hier plärren die Sirenen, stopft Euch aus, was Euch ausstopft. Aber der Holzschliffjournalismus ging den Weg des Allzuirdischen, wir holen uns das Gebröckel der unteren Lustigkeitsliga auf dem Schirm nach Hause und lesen in den Aggregatoren von bescheuerten Präsidenten, bekloppten Eliten und der Gleitsichtbrille, ohne die kein Feuilleton überlebensfähig wäre. Willkommen in der Hölle.

Deutschlands schönste Insekten, das Fernsehen als amoralische Lehranstalt, die Spritpreise tauchen alles in eine milde Weltuntergangsstimmung. Dazwischen popelt der Newsflash jene Sehhilfe in die Netzhaut, als müsste aus dem Werbeblättchen plötzlich ein seriöses Journal geworden sein, nur, weil drei Viertel der atmenden Freifläche von Agentursülze ausgegossen sind. So fühlt es sich an, als hätte man eine Freifahrt auf der Waschmaschine vom Balkon gewonnen: man kommt irgendwo an, aber was man mit sich in die Tiefe nimmt, braucht’s in diesem Moment sicher nicht.

Alternativ greint der Treppenlift, das Viagra der Zehnerjahre, den angesilberten Kundenstamm in die Hirnembolie; Hörgerät und Lebensversicherung stehen dem freiwilligen Kunden auf dem Vorderfuß und demonstrieren noch einmal eindrucksvoll: wo der Krempel nichts kostet, ist der Verbraucher die Ware. Längst haben die Optimierer es aufgegeben, zielgruppengerecht Vieh vor die Flinte zu treiben, per Schrotschuss rülpsen die Marketingflacharbeiter den ökonomischen Klamauk in die Zwischenräume, die der Sinn noch sein lässt, und längst haben auch die nicht ganz verhaltensauffälligen Nutzer kapiert, dass das Netzwerk unser Gebaren analysiert, aber eben nicht sinnvoll, sondern mit maximal bescheuertem Ergebnis, damit sich die wehrlosen Menschen am anderen Ende der Leitung auch wahrhaftig unter Dumm-Dumm-Beschuss fühlen können. Der Begriff der Marktpenetration bekommt dabei gleich eine ganz neue Bedeutung.

Was kostet ein SUV in Bad Gnirbtzschen wirklich? Es interessiert keinen, der dieses verbale Granulat zwischen den Fingern verrinnen lässt, es hinterlässt nur den nachhaltigen Eindruck, in den Werbeabteilung der Trollkonzerne habe sich eine endgültige Realitätsallergie festgesetzt, die buntes Gewese an die Wände tapeziert, sich um dessen Wirkung aber einen Fisch interessiert, was immer er auch kosten möge. Wir sollten inzwischen lauter schreien, um der drohenden Nullinformation zu entgleiten, die uns den Cortex verseift und die Straße zur Grenzdebilität aufschottert. Es sollte einklagbares Recht werden, wie man die Zeitung auf dem Parkett selektierte, den online gebotenen Tinneff vom weißen Rauschen zu befreien, damit sich die Synapsen nicht irreversibel verkleben.

Spätestens im übernächsten Jahr wird es wieder Sandwichmänner geben, die mit Pappe vor dem Hintern und einem Brett vor dem Kopf durch die fußläufigen Bereiche der Städte diffundieren, und diesmal werden sie die Konsumenten hinterrücks anfallen, in die Waden beißen und ihnen einen Pfund Fleisch ausrupfen, wenn ihnen keiner beim Singsang zuhört. Wir aber werden nach ihnen schlagen und treten, und wenn sie schon einmal auf dem Boden liegen, massieren wir sie gleich ins Geröll ein. Niemand braucht diese Distraktoren. Wir müssen bloß noch wissen, wie viel uns der Spaß kostet.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CCCXXXIX): Slice of Life

5 08 2016
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Das spanende Verfahren war mangels Werkstoff noch nicht etabliert, die Materialkaltverformung bis dato rein auf Unfälle im Gesichtsschädelbereich beschränkt, da zeigte Rrt anlässlich eines auf der Haut gerösteten Mammuts seinem Schwager den letzten Schrei der Innovationsmesse vom Markt an der großen Felswand beim Tümpel: den Faustkeil. Jessas, ward da ein Geschrei los – der Anverwandte begriff sofort, wozu man das Ding nutzen konnte. Keine fünfzigtausend Jahre später jodelt es von der Mattscheibe, wie man sein Klo schrubbt, Brillen trägt oder die digitalen Endgeräte vors Maul hält. Man vertraut ja nur dem, was man sieht. Notfalls in einem Slice of Life.

Die Werbung beschreibt dem Konsumenten den Alltag des Konsumenten, und zwar exakt so, wie er sich im Kopf eines zugekoksten Unkreativdirektors nach zwei bis zehn Meetings mit dem alternden Firmenpatriarchen zusammengeschwiemelt hat. Fröhliche Kinder, aus grob entsehntem Kalbshack, Milchpulver und Fleischkleber geklöppelt, ohne Poren oder dreckige Fingernägel, in tiefensauberer Polyestermischgewebefaser sowie mit modischem, aber keinesfalls flamboyantem Schuhwerk, wie zu erwarten hyperaktiv und mit dem typischen, wie ins Gesicht gedroschenen Grinsen gestraft, turnen um kurz nach sieben durch das quasi aseptisch geleckte Einfamilienhaus, fallen jubelnd in eine wie aus dem Katalog für unfunktionales Protzmobiliar mit zwei eingeschlafenen Händen zusammengeschusterte Wohnküche ein und lassen sich mikrometergenau in Standardscheiben gelasertes Mischbrot, quasi auf niedermolekularer Ebene krümelfrei, mit einer aus Zucker, Altöl, Nüssen und Zucker gequirlten Pampe schmecken, als wäre gerade der Feiertag, Mariae Hirnabsaugung oder Tag des Flötenschlumpfs, an dem man vor der Schule noch frühstücken darf und nicht einen Festmeter Sumpfholz kleinsägen muss. Die Eltern des Klonmaterials, gestärkt, gebügelt, bis zur Unkenntlichkeit manikürt, pomadisiert und in Gesichtshöhe sandgestrahlt, haben nur diese eine Sorge, den Nachwuchs nicht ohne Saccharose in die Welt zu entlassen, und verdammt noch eins, sie werden es schaffen. Es hängen Arbeitsplätze an der Wahnvorstellung, viele Arbeitsplätze, und vor allem der Gedanke, dass jeder, der den Schmadder auf die Stulle klatscht, von der intrinsischen Motivation getrieben ist, in diesem Bild zu leben.

Aber Pustekuchen. Die Nussschmiere war in der Vorstellung des Bekloppten die allerletzte Rettung, bevor Blauhelme aus dem Kühlschrank stürmten, die einzige Lösung eines zu schnell eskalierenden Problems mit all seinen Implikationen, Spliss, das nächste Revival von Modern Talking, Atomkrieg in Korea, Til Schweiger als Testimonial für eine Gottfried-Benn-Gesamtausgabe. Nur ein rascher, beherzter Griff zum Glas wendet die Apokalypse noch ab, südamerikanische Singvögel brüllen durch die Küchenfenster, der Tag kann doch noch einmal durchstarten, alles auf Anfang. Der Kunde ist noch mal zufriedengestellt.

Doch hat die aus intellektuellem Bauschaum mit reichlich Glutamat gedengelte Wirklichkeit den Verbraucher ansatzweise über den Sekundenschlaf der Vernunft hinaus berührt? Der gemeine Hohlrabi verneint; zufriedene Produktverwender verwenden zufrieden ein Produkt, wiewohl man ihnen ansieht, dass sie dieses Zeugs nicht wirklich bräuchten, um weit über dem Durchschnitt der Zielgruppe zu sein: nölende Blagen schlurfen maulend aus dem total verkalkten Bad, die Flecken der Fertigpizza noch in epischer Breite auf der Bangladesch-Jeans verteilt, während Mutti ihnen kalten Toast auf die Teller pappt, der Alte schiebt sich die fünfte Zichte in den Rachen, weil er gleich wieder auf den Bau muss, sein Frühstück entspricht dem Reinheitsgebot und benötigt den mundgesägten Kapselheber aus dem Manufactum-Katalog nicht mal im Vollkoma.

Menschen wie Du und ich, nur dass sie eben nicht diese rissigen Nägel vom Spülen haben wie Du – ich habe zwar auch maschinenuntaugliches Glas mit Goldrand, aber im Gegensatz zu einem Hartzarsch wie Dir kann ich mir eine Feudelfee leisten – Kassenvieh aus der gefühlten Mitte der Gesellschaft ist der Fokus der Marketingabteilung, die aus Nacktmullen zusammengeklömperte Truppe im Keller der Entscheidungsempfänger, wie es außerhalb von Sekten, Armeen und Parteien selten miserablere Kreaturen geben dürfte. Man braucht sie, aber nur wie Gummihandschuhe beim Wühlen im Modder, und sie geben dies Gefühl getreu an den Konsumenten weiter. Vergeblich hofft der Affe im Vertrieb auf das Imitationsgebaren der vom Kapitalismus konditionierten Stumpfklumpen – das noch so emotional herauskleckernde Narrativ ist für die Tonne, wenn sich auf der Mattscheibe eine Rotte Arschlöcher tummelt. Wir sind bereit, alles in Kauf zu nehmen, den Atomkrieg, Spliss, notfalls auch Til Schweiger. Aber verarschen, Freunde, verarschen können wir uns auch selbst.





Bleiben Sie dran

28 06 2016

„… seien die betroffenen Kreise der Ansicht, der Einsatz von Werbeblockern habe juristisch keinen Bestand und müsse daher umgehend durch ein Bundesgesetz…“

„… mache der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft ein Menschenrecht auf Reklame geltend. Man könne beispielsweise in Ländern wie Nordkorea sehen, wie das Fehlen von ausreichend Produktinformationen ein ganzes Volk in eine tiefe wirtschaftliche Depression…“

„… sei auch medienpolitisch als äußerst problematisch zu betrachten, da durch eine bewusste Ausblendung von Werbeanzeigen die Nutzer nur einen Teil der ihnen zur Verfügung gestellten Informationen auch wahrnehmen könnten. Dies unterstütze die momentan überall geäußerte Skepsis an der Neutralität der…“

„… in einer ersten Testreihe versucht, mehr personenbezogene Werbung abzudrucken. Es sei jedoch schwierig gewesen, vor der Produktion des Magazins mehrere Hunderttausend Leser nach ihren Konsumgewohnheiten zu…“

„… einen Totmann-Knopf an den Radiogeräten anbringen wolle, der alle dreißig Sekunden einmal gedrückt werden müsse. So wolle man verhindern, dass Hörer den Schalter mit Hilfe von Klebefilm, abgebrochenen Zündhölzern oder…“

„… erfolglos eingestellt worden sei. Das geplante Modell, Kioskkäufer nach den von ihnen gewünschten Anzeigen zu interviewen und ihnen nach einer Wartezeit von wenigen Wochen ein personalisiertes Nachrichtenmagazin zur Abholung in die gewohnte Verkaufsstelle zu senden, habe sich überraschend als finanziell nicht mehr…“

„… man erst einen Spielfilm sehen könne, nachdem ein sechzig Minuten dauernder Block aus Werbespots die…“

„… als technisch nicht beherrschbar bezeichnet habe. So könne ein gezieltes Umschalten auf einen Sender, der gerade keine Werbepause bringe, nicht verhindert werden, was die Reichweite empfindlich…“

„… das Modell über einen Sensor verfüge, der in der mitgelieferten Couch integriert werden müsse. Nur bei Vollbelastung schalte sich der Bildschirm an, so dass auch während der Werbeunterbrechung eine Anwesenheit vor dem…“

„… sich als verkehrstechnisch viel zu unsicher herausgestellt habe. Die Betätigung des Schalters während der Fahrt sei so gut wie nicht möglich, ohne die Konzentration auf sein Autoradio mehr als erforderlich…“

„… nicht intelligent genug sei. Testpersonen sei es gelungen, während der Werbepause einen Kartoffelsack, Hunde, Bierkästen und…“

„… als Brückentechnologie Radios anbieten wolle, die nur einen einzigen Sender empfangen könnten. Dies sei zwar im Fall von Autoradios und mobil betriebenen Geräten für die Benutzer sehr unattraktiv, verhindere aber ein unkontrolliertes Umschalten besser als jede…“

„… würden die Magazine mit jeweils zwei zusammengehefteten Seiten verkaufen, auf deren Außenseite sich Werbeanzeigen befänden. Erst nach dem Auftrennen der Heftung sei es möglich, den redaktionellen Content im…“

„… einen kombinierten Gewichts- und Wärmesensor in die Sitzmöbel einbauen wolle, damit die Zuschauer das Fernsehgerät nicht mit Büchern oder einem Stapel…“

„… es beim Kauf von Zeitschriften normal geworden sei, die Seiten zu trennen und sofort mit der Werbung nach innen wieder zusammenzuheften. Ein gesetzliches Verbot könne nach Ansicht des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger nur ein erster Schritt in…“

„… im Testhaushalt ein unbeteiligter Großvater während der Werbepausen quer über die ganze Couch gelegt worden sei, während die anderen Familienmitglieder sich in der Küche, im Keller oder im…“

„… sich die Landesmedienanstalten nicht hätten darauf einigen können, wer die Durchführung des Projekts leiten solle. Eine vorherige Anmeldung für Hörzeiten bei einem in der Bundesrepublik frei empfangbaren Rundfunksender müsse wegen der zu erwartenden Personalengpässe wenigstens sechs Monate im Voraus…“

„… müsse das Problem hardwareseitig angegangen werden. Ein kombinierter Sensor mit einer Empfangseinheit für RFID-Chips, die sich in der Unterwäsche der jeweiligen Zuschauer befänden, weise zwar einen nur mäßigen Komfort auf, biete aber bessere Kontrollmöglichkeiten als die…“

„… den Versuch als wenig durchdacht bezeichnet habe. Die Organisation der Mediaagenturen halte ein jeweils ganzseitiges Layout mit Werbeanzeigen auf der rechten Seite zwar für geeignet, die Einnahmen zu steigern, es könne aber nicht verhindern, dass die Leser die Zeitschriften auch weiterhin im umgeschlagenen Zustand…“

„… könne nur dann funktionieren, wenn die vorher angegebene Gruppengröße und die vom Gerät festgelegte Sitzposition genau eingehalten werde. Zufällige Besucher könnten nun nicht mehr zum Fernsehen in der Wohnung bleiben, sofern sie nicht als zuvor registrierte…“

„… müsse der Gesetzgeber vorbeugen, dass sich Radiohörer nicht durch gleichzeitigen Konsum von Printmedien abgelenkt fühlten, wobei besonders die simultane Betrachtung von Anzeigenwerbung für Konkurrenzprodukte ein schwerer Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der werbetreibenden…“

„… argumentiere der Hersteller vor allem mit leistungsschutzrechtlichen Bedenken. Wer sich nicht für ein Gerät habe registrieren lassen, dürfe nicht einfach Werbespots aus diesem…“

„… Radiogeräte im Büro neu bewerten müsse, da die hörenden Personen jederzeit ohne vorherige Ankündigung aus dem Raum…“

„… in einem nächste Schritt zufallsgesteuerte Abfragen nach Menge, Anordnung und Inhalt der Werbespots in einer Filmpause zu zeigen, bevor das Programm weiterlaufe. Nur so könne sichergestellt werden, dass sich die Streuverluste in einem für die Werbeindustrie tolerierbaren Rahmen…“

„… eine Sonderregelung für Public Viewing und Zeitschriftenauslage in Frisiersalons und Arztpraxen finden müsse. Der Multi-User-Mode sei eine Reichweitenerhöhung, für die der Leser bzw. Zuschauer nochmals gesonderte Gebühren…“

„… müsse die Reizstrommanschette vor jeder Fernseherbenutzung angelegt werden. Es sei nicht auszuschließen, dass bei dreißig Minuten langen Werbeblöcken die Aufmerksamkeit unter ein akzeptables Maß sinke, weshalb mit kurzen, aber deutlich spürbaren Stößen von…“





Feigenblatt

27 04 2016

„Weiß ich jetzt auch nicht, irgendwas mit Rente, Altersarmut, rot, halbfett, zwanzig Punkt. Muss man sehen können, sonst haben wir keinen Umsatz. Denken Sie an die Auflage, die beginnt beim Titel.

So, jetzt bin ich wieder bei Ihnen. Chef vom Dienst ist echt eine Herkulesarbeit. Eigentlich bin ich hier nur eine Art Hausmeister, für den Inhalt ist die Redaktion zuständig, für die Herstellung der Verlagsleiter und für den Anzeigenteil dieser eine Typ von dieser einen Partei, die immer gegen die Arbeitslosen hetzt, weil wir nie mehr als zwanzig Prozent Rendite machen, aber wenn’s in die Hose geht, dann werde ich gefeuert. Meistens ist auch wieder keiner greifbar, die müssen gegen das Ende der Printmedien dreitägige Konferenzen auf den Malediven veranstalten oder im Fernsehen die ungezügelte Gier freier Mitarbeiter beweinen. Da ist der Tag ausgefüllt, und wenn Sie gerade Ihre Blutalkoholkonzentration wieder gepegelt kriegen, dann kommt Heiko Maas.

Keine Ahnung, wie man so was hinkriegt, vielleicht haben sie einer Laborratte das Großhirn abgesaugt, das Vieh wurde verstrahlt, und dann haben sie es bei der SPD in die Recyclingtonne gekloppt. Keine sexistische Werbung – haben Sie eigentlich eine Ahnung, wie man das macht? Ich will das nicht wissen. Keine sexistische Werbung, und als würde das nicht schon reichen, will er die herabwürdigende unter Strafe stellen. Haben Sie eine leise Ahnung, was ich seither mit den Deppen aus der Anzeigenabteilung durchmache? Dagegen ist ein SPD-Parteitag das Paradies auf Erden!

Sie können gerne mal gucken: Unterwäsche. Damenunterwäsche. Die kaufen Damen ab und zu für Herren, manche auch für andere Damen, und manche kaufen die für sich selbst. Sollen wir den Modellen alle einen Kittel anziehen, damit sich die Kinderschutzbeauftragte keine Erkältung holt? Ich finde das ja lächerlich, aber die Anzeigenabteilung will das ab sofort boykottieren. Das sei alles ganz schlimm frauenfeindlich.

Abgastest, wie viele Marken haben wir jetzt? Gelb hinterlegen, nee: grau, Feinstaubfarbe, haben Sie da? Ich will das sehen! Schicken Sie gleich an die… oder hier, warten Sie mal: Damenparfüm in einer Flasche für Haushaltsreiniger. Sie finden das witzig? Spiel mit sexuell konnotierten Klischees der Produkte, Ironisieren des Snobeffekts durch dessen Entgegnung im Pseudotrash, Trivialisierung des Zitats bei gleichzeitigem Aufbrechen der stereotyp gekoppelten Produkt-Verpackung-Identifikation? Sparen Sie sich den Werbemüll, ich finde das schlicht und ergreifend widerlich. Ich muss es aber abdrucken, weil die Anzeigenabteilung das letzte Wort hat. Und die lassen sich gerne von Werbern einwickeln, wenn’s denn in Geld ist.

Haben Sie mal Reklame für Heimwerkermärkte gesehen? für Schwingschleifer? Kettensägen? Das nenne ich diskriminierend! Ich jedenfalls fühle mich diskriminiert, wenn da so ein Höhlenmensch durch den Schlamm rutscht, nur um den Nachbarn zu beweisen, dass er für seinen Garten den Spaten von der richtigen Marke gekauft hat. Die Botschaft ist doch: wenn Sie mit dem falschen Chromosom auf die Welt gekommen sind, verwandeln Sie sich in Ihrer Freizeit zu einem unzurechnungsfähigen Troglodyten, der Sachbeschädigung zur Kunstform erklärt. Wollen Sie das sehen? Ich schon mal nicht.

Warten Sie eben, das kommt ein Fax rein aus der Medienredaktion. Irgendwas mit Topmodels. Können wir natürlich nicht bringen, sonst macht die Konkurrenz gleich wieder eine Kampagne gegen uns daraus. Sie sehen, das hat früher oder später Auswirkungen auf den redaktionellen Teil, weil wir immer mit der Schere im Kopf arbeiten. Das darf man aber nicht Zensur nennen, die ist nämlich in Deutschland per Grundgesetz verboten. Dass man sich selbst zum Konsumobjekt degradiert, damit der kapitalistische Warenfetischismus die ausgebeutete Klasse nochmals moralisch erniedrigt – vergessen Sie’s. Das toleriert die SPD nur, wenn Sie Hartz IV kassieren. Wir machen hier eine Zeitschrift für den internen SPD-Hausgebrauch: ein Feigenblatt.

Ich muss gerade eben zweigleisig – nein, so war das nicht gemeint – aber wenn Obama schon mal in Europa ist, wollen die Anzeigenleute natürlich die perfekt abgestimmte Reklame. Also auf das, was seine Frau trägt. Das ist aber nicht sexistisch, wenn Sie das nur richtig einordnen. Sie ist ja nicht die Präsidentin. Wenn wir die Bundeskanzlerin auf die Farbe ihrer Hosenanzüge reduzieren würden, dann könnte der Anzeigenleiter… also ich würde dann meinen Hut nehmen können.

AfD-Artikel, die können Sie schon gar nicht mehr schreiben. Die Parteispitze steht hier schon mit den Mistgabeln im Anschlag vor dem Haus. Wenn Sie keine sexistischen Sachen mehr bringen, dann knicken Sie ein vor dieser linksgrünen Altparteienmafia, die das ganze Volk zu paternalistisch-gleichgeschalteten Gutmenschen umerzieht – und wenn Sie sie doch drucken, dann sind Sie ein Schwein, das die Frühsexualisierung verschwulter Kinder zur Verweiblichung der wehrfähigen Christenrasse… ach, ich will mich jetzt nicht über Höcke aufregen.

Warten Sie mal eben, wir müssen den Andruck terminieren. Heidi Klum weg, dann machen wir den Produktcheck Würfelzucker, irgendwas mit Job und Erziehung, aber nichts mit Frauen und so, das geht in dieser Ausgabe gar nicht, und dann… – Haben Sie noch einen Augenblick Zeit? hm, Titel? Weiß ich auch nicht. Ach egal. Titten gehen immer.“





Preisfrage

4 09 2012

Es war weitaus weniger ärmlich, als ich befürchtet hatte. Der helle Marmorboden der Eingangshalle spiegelte das Licht wider, das durch die hohen Fenster hineinfiel; zwei abstrakte Gemälde hingen wichtig an der Wand und spielten Geschmack; die unmotiviert lächelnde Empfangsdame wies mit einer großzügigen Armbewegung auf die ledernen Sessel. Hier also ging gerade ein Autokonzern zugrunde.

„Unser Problem sind nicht die Kunden“, befand Hüpfner. „Unser Problem sind die Absatzzahlen. Es sieht katastrophal aus. Es liegt am Preis.“ Der Wagen in der Mitte des Showrooms machte einen soliden, wenn auch etwas beschränkten Eindruck. Nach einem längeren Gespräch mit meinem Bankberater, einer zweiten, ziemlich ausführlichen Erörterung, einer Woche banger Wartezeit und eines dreiminütigen Anrufs von Anne beim Bankdirektor würde ich mir das Stück auch zulegen können, obgleich ich nicht wüsste, wozu ich ihn brauchte. „Nein, das ist es nicht. Er ist zu billig.“ „Das sehe ich“, erwiderte ich. „Und deshalb müssen Sie jetzt den Preis senken, damit er noch billiger wird?“

Das Problem, so der Verkaufschef, bestand also darin, dass die falschen Leute das Geld besaßen. „Wenn Sie eins unserer Modelle kaufen wollen, haben Sie meist gerade eben das Geld dafür – wenn Sie aber ausreichend Geld haben, dann werden Sie keinen Gedanken an solch ein Auto verschwenden. Nicht einmal als Zweitwagen.“ Ich runzelte die Stirn. „Die Oberklasse läuft ja bestens“, erläuterte er. „Das Geld ist vorhanden. Wir müssen nur noch einen Weg finden, es den Kunden aus der Tasche zu ziehen.“ Er grinste. „Ich weiß auch schon, wie.“

„Geltungskonsum“, erklärte Hüpfner, „ist der Schlüssel zum wirtschaftlichen Erfolg einer Ware. Die Höhe des Verkaufspreises steht in keinem Verhältnis mehr zum Produkt. Ob Sie diesen Wagen für 15.000 oder 25.000 oder 45.000 verkaufen, das ist letztlich egal.“ Ich musterte das Auto mit kritischem Blick; es war ein fabrikneuer Wagen, ordentlich geputzt und poliert, ein paar Mal hatte jemand darin gesessen, doch niemand hatte dieses Fahrzeug je über eine Straße gelenkt. Sogar der kleine Klebestreifen, der den Aschenbecher auf dem Armaturenbrett verschließt, war noch nicht abgelöst worden. Die schwarz lackierte Karosserie zeigte mehr als deutlich, dass es sich um einen Wagen aus der unteren Mittelklasse handelte, keinesfalls um einen Luxusgegenstand. „Und doch“, sprach Hüpfner im Brustton der Überzeugung, „und doch werden sie sich für dieses Modell entscheiden. Der Preis ist hoch, aber nicht zu hoch.“ „Das mag sein“, antwortet ich. „Für 50.000 würde ich jedenfalls lieber einen Perpedes kaufen, und darüber fangen die preiswerteren Maserinis an.“ Er nickte. „Ab einer bestimmten Summe haben wir das Problem, dass wir den Kunden Qualität liefern müssen.“ Das verstand ich. „Man hat es nicht leicht im Leben.“ Ein tiefes Seufzen begleitete seine Worte.

Natürlich hatte die Werbeagentur ganze Arbeit geleistet. Stimmungsvolle, ungemein kontrastreiche Fotos auf schwarzem Grund zeigten das an sich eher durchschnittliche Automobil von allen Seiten. „Einen griffigen Slogan bräuchten wir noch.“ Hüpfner kratzte sich am Kopf. „ Etwas wie ‚Nicht für jeden‘.“ Ich schmunzelte. „Da jeder sich für einen besseren Autofahrer als alle anderen hält, dürfte das funktionieren.“ Möglicherweise hatte er die Doppeldeutigkeit nicht ganz begriffen; er winkte ab. „Dann doch lieber: ‚Nicht für jeden, aber für Sie‘“ „Zu umständlich“, bemängelte ich, „und zu viel negative Aussage. Das kriegen wir besser hin.“ „Und wenn wir einfach nur den Preis aufs Plakat…“ „Dann haben wir eine Hälfte der Kunden verprellt, und das Schlimmste daran ist, wir werden nie erfahren, welche Hälfte es war.“

Hüpfner grübelte. „Der ist seinen Preis wert.“ „Das wollen wir doch stark hoffen“, warf ich ein. „Aber der Preis ist doch zweitrangig. Die Qualität übrigens auch, wenn Sie es vergessen haben sollten.“ „Wir müssen unser Auto gegen die Bedürfnisse des Kunden verkaufen“, jammerte Hüpfner. „Was habe ich mir da nur ausgedacht!“ „Nicht gegen die Bedürfnisse des Käufers“, beruhigte ich ihn. „Nur gegen die Bedürfnisse dessen, der sich dieses Ding eben nicht kauft. Sollte Sie das überraschen, dann frage ich mich ernsthaft, was Sie eigentlich vom Kapitalismus bisher mitgekriegt haben.“

Da stand der Wagen, schwarz und nicht allzu verheißungsvoll, ein Popel Rekrut mit Zwei-Liter-Dieselmotor, Schrägheck und 160 PS, nichts Halbes und nichts Ganzes. „Wenn Sie so wollen, ist es ein Auto für die ganze Gesellschaft.“ Hüpfner verstand nicht gleich. „Wir gehen sonst davon aus, dass die Kunden den Wagen für sich kaufen.“ „Oder aber für ihre Familie“, unterbrach er, „und denken Sie an die Autos, die auch von der jüngeren Generation – “ „Egal.“ Ich ließ ihn den Gedanken gar nicht erst zu Ende führen. „Sie kaufen ihn eben nicht, weil sie ihn brauchen, sondern weil sie den Bedarf und den sie deckenden Kundennutzen inszenieren. Sie wollen diese Karre nicht haben, Sie wollen nur, dass Ihr Nachbar denkt, dass Sie sie brauchen.“ „Das klingt nicht logisch“, maulte er. „Wer würde deshalb ein Auto kaufen?“ „Haben Sie sich nie gefragt, warum es derart viele Geländewagen in der Innenstadt gibt?“

Das Plakat war einigermaßen gelungen. Sie hatten nicht das beste Bild ausgesucht, aber man konnte damit zufrieden sein. Da stand also der durchschnittliche Wagen, stimmungsvoll und ungemein kontrastreich fotografiert auf schwarzem Grund. „Den muss man sich erst mal leisten.“ Ich bin sicher, Hüpfner hatte es begriffen.





Werbeunterbrechung

13 06 2011

„Geschmacklos! Wie finde ich das geschmacklos!“ Anne stellte ihr Glas hart auf die Tischplatte und wollte schon zur Fernbedienung greifen; ich hielt sie zurück. „Sicher kann man über manche Werbung streiten, aber schließlich werden diese Meisterschaften im Hallensegeln davon finanziert, und dazu muss man eben…“ „Das ändert nichts an der Tatsache, dass ich diese Reklame nachgerade unanständig finde. Man müsste so etwas überhaupt nicht zeigen dürfen!“ „Gut“, wandte ich ein, „dass man den Verteidigungsminister auftreten lässt für eine Reiseunfallversicherung, das ist nicht gerade glücklich.“ Anne grummelte. „Ja, nimm sie ruhig alle in Schutz, nur weil es Dein Beruf ist. Der Verbraucher zählt ja für Euch nicht mehr!“

Was musste Anne auch die Erdnüsse oben auf dem Schrank lagern – man hätte behaupten können, aus reinem Selbstschutz, aber das wäre boshaft. So reckte ich mich aus, die Wasserflasche in der anderen Hand, und plötzlich rutschte der Teppich auf den Küchenfliesen unter mir weg. Ich stieß mir den Kopf an der Tischkante. Als ich zu Boden ging, hörte ich gerade noch, wie ein Aktenkoffer neben mir abgestellt wurde. Der Mann war so freundlich, mir aufzuhelfen. „Sie sind hoffentlich versichert“, fragte er. Ich blickte ihn verwirrt an. „Herr Kaiser, wie kommen Sie hier in die Küche?“ Er lächelte. „Wir sind überall. In jedem Winkel Ihres…“ „Und Sie essen mal lieber ordentlich Käsewürfel statt fettige, gesalzene Nüsse!“ Frau Antje stellte die Büchse auf den Küchentisch. „Warten Sie, ich rolle Ihnen eben einen rein.“ Und sie rollte. Augenblicke später befanden sich anderthalb Zentner Käse im Raum. „Das kann doch nicht wahr sein“, stöhnte ich, „woher kommt das ganze Zeug bloß? Das ist doch vollkommen unrealistisch!“ „Machen Sie doch nicht mich dafür verantwortlich“, schimpfte sie zurück. „Schließlich habe ich mir den Unsinn nicht selbst ausgedacht!“

„Das ist das Neueste, in der Tat: Hauptwaschen mit 60 Grad!“ Clementine schleppte einen ganzen Berg Tischdecken in die Küche. „Reinweichen im Hauptwaschgang, das wäscht nicht nur sauber, sondern…“ „Raus!“ „Rein, mein Guter, rein!“ Sie war nicht davon abzubringen und füllte die ganze Waschmaschine mit den Decken. „Was wollen Sie denn auch noch hier“, herrschte ich Clementine an. „Sie sehen doch, dass es hier nichts zu…“ „Das ist statistisch nicht zu vermeiden“, informierte mich die Waschfrau. „Wir überziehen die ganze Nation seit Jahrzehnten mit diesem Gewäsch, sind in jedem Haushalt präsent – der Kunde will das so, der Kunde kriegt’s dann auch – und es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir auch in diesem Haushalt auftauchen. Stochastik, Sie verstehen. Mit einer mittleren Wahrscheinlichkeit p kommen wir gegen 2052 wieder, bis dahin können Sie waschen, wie Sie lustig sind.“ Sie tippte sich an die blütenweiße Schirmmütze und blickte sich um. „Nebenbei, Geschirrspülmittel müsste nachgekauft werden.“ „Geschirrspülmittel? Ja aber…“ „Kein Aber“, lächelte Tilly. „Sie baden gerade Ihre Hände drin.“

Ich floh. „Soll ich Ihnen einen Kaffee machen?“ Wer war denn das jetzt schon wieder? „Sie kennen mich doch bestimmt“, lächelte die Dame in der Seidenbluse. „Ich koche immer den vollmundigen Kaffee mit dem runden Aroma.“ Skeptisch musterte ich sie, konnte aber das Gesicht ebenso wenig einordnen wie ihre Stimme. „Gut“, gab sie zerknirscht zu, „ich bin die Vorher-Frau, die die halb leeren Tassen wieder abräumt.“ „Das hat mir ja gerade noch gefehlt“, knurrte ich und trat in den Flur.

Der Bär drehte sich um die eigene Achse und fiepte. „Ich kann ja nicht einfach so in den Wald gehen“, quiekte er. „Aber das Klo ist ja besetzt.“ Ich musterte ihn missmutig. „Wer sind Sie?“ „Ich habe auch das Toilettenpapier mitgebracht, aber da sitzt mein Kollege.“ Es keuchte hinter der Tür. „Der Hustinettenbär, Sie wissen schon.“ Unter mir watschelte ein ausgewachsener Pinguin in Richtung Küche. „Kühlfach“, sagte er knapp. „Wenn neben Ihrer Schokolade da noch Platz für mich sein sollte. Sie als Hominide scheinen ja nicht gerade unter zu stark ausgeprägtem Verstand zu leiden.“ „Was wollen Sie damit sagen?“ Er lächelte mich ironisch an und zeigte auf seinen Leib. „Ein Bauchnabel. Bei einem Vogel. Sie wollen mir erzählen, Sie verstünden etwas von Biologie?“ Und er trottete weiter, immer in Richtung Küche.

Langsam verlor ich die Geduld. Ich rüttelte an der Tür zum Bad – plötzlich flog sie auf. Ein älterer, kahlköpfiger, hagerer Mann im Arztkittel trat auf mich zu. „Eine starre Zahnbürste“, teilte er mir mit, während er eine matschige Tomate mit dem nämlichem Reinigungszubehör auf seinem Kittel verteilte, „kann Ihr Zahnfleisch…“ „Glauben Sie ihm kein Wort“, kreischte das kleine, bunte Männchen. „Er ist nicht einmal ein richtiger Doktor, er ist nur eine Erfindung!“ „Oh mein Gott!“ Der Zahnarzt schmiss alles von sich und rannte schreiend den Flur entlang. „Es ist Herr Zahnstein! Ich… muss weg!“ „’tschuldigung“, nuschelte es hinter mir. „Kann ich mal eben telefonieren?“ Robert T. Online hatte offensichtlich kein Netz. Ich packte ihn am Kragen. „Gehen Sie mir aus den Augen“, zischte ich, „sonst mache ich Ihnen gleich das HB-Männchen!“

„Darf ich Ihnen ein Pfefferminztäfelchen anbieten?“ Der Mann im schwarzen Anzug hielt mir das silberne Tablett direkt unter die Nase. „Wo kommen Sie jetzt her“, sagte ich verdutzt. „Ich habe Sie gar nicht…“ „Oh, Mortimer!“ Die Dame an seiner Seite stopfte sich bereits mit Schokolade voll. „Mein Name ist Claudia Bertani“, prustete sie kauend hervor, „und ich hasse nichts so sehr wie Kirschen.“

Mit einem schrillen Schrei kam die weiße Kreatur aus der Küche geschossen. „Nicht reingehen“, plärrte das kleine Ding mit den bunten Punkten, „gehen Sie da bloß nicht rein!“ „Wer sind jetzt Sie?“ „Ich bin der kleine Hunger“, stellte sich die Kreatur vor. „Und da drinnen – oh nein!“ Brüllend stürzte sich ein aufgedunsenes, gelbes Monster mit roten Augen vom Küchenschrank. Es wedelte mit einem gleißenden Samuraischwert und krakeelte unablässig auf Japanisch. „Sie müssen es irgendwie besänftigen“, flüsterte der kleine Hunger, „aber wie nur? Es ist der Riesenhunger auf ein Instant-Ramen mit Soja-Huhn-Geschmack. Das bekommen Sie nur im Supermarkt in Yokohama.“ Ich gab nur eben dem Marlboro-Mann Feuer, dann krempelte ich die Hemdsärmel hoch und schritt auf den tobenden Koloss zu. Ich musste die Falte im Teppich auf dem Küchenboden übersehen haben.

„Es ist nicht viel passiert“, sagte Doktor Klengel und betastete meine Stirn. Anne reichte ihm einen Beutel mit Eiswürfeln. „Am besten halb liegend, halb sitzend in bequemer Position, zwei bis drei Stunden, dann hat sich sein Kreislauf auch wieder stabilisiert. Aber schalten Sie besser den Fernseher ab. Die Reklame regt ihn immer so auf.“





Er, sie, es

12 04 2011

„Ich lasse mich überraschen.“ Bis auf den nervösen Unterton, ihre hektischen roten Flecken im Gesicht und den lauernden Blick merkte man Anne ihre grenzenlose Neugier gar nicht an. Sie nestelte an ihrer Handtasche und kippte den Inhalt ihres Portemonnaies aus. „Dann werde ich mal zu den Schuhen gehen“, verkündete sie, „wir sehen uns nachher im Café, ja?“ Schließlich blickte sie sich auf dem Weg zur Rolltreppe dreimal um, als fürchtete sie, ich könnte unerwartet im Boden verschwinden. Und wer würde ihr dann einen Toaster zum Geburtstag schenken?

Sekunden später befand ich mich in der Obhut einer Fachverkäuferin für Haushaltswaren. „Gute Wahl“, zwitscherte sie, „mit einer leckeren Scheibe Röstbrot starten Sie frohgemut in den Tag!“ Ob ich ihr gleich zu Beginn erzählen sollte, dass Anne im Halbschlaf nicht mehr als Orangensaft, Espresso und eine Zigarette zu sich nahm? „Ich rate Ihnen zum Luxusmodell. Der Tostaturo 3000 vereint rassiges, elegantes Design, das die Damen schon beim Frühstück in ihren Bann zieht, mit der Heizpower von 1300 Watt. Sie werden sich ein Frühstück ohne dies Gerät gar nicht mehr vorstellen können!“ Zaghaft bemerkte ich, dass es sich nicht um mein Frühstück handelte. Ein Geschenk für eine Freundin, mehr nicht. Unvermittelt korrigierte sie den Sitz ihrer Brille. „Kleinen Moment“, sagte die Verkäuferin schnippisch. „Ich will sehen, was sich da machen lässt.“

Tatsächlich hatte Annes Toaster momentan den Status inne, der ihm von Rechts wegen ohnehin zustand. Als Dekoration von einigem Retro-Charme noch hübsch anzusehen, als Küchengerät aber unbrauchbar, und da Anne ihn sowieso kaum benutzte, machte es auch gar nichts, dass der Brotröster nach einer Phase intensiver Arbeit, in der er röstete, als bekäme er Steinkohlesubventionen, in allgemeine Verweigerungshaltung übergegangen war. Die Glühwendel gab das Glühen auf und verlegte ihre Kernkompetenz ganz aufs Wendeln. Nun wäre Max Hülsenbeck, der schmierige Staatsanwalt, nicht Max Hülsenbeck, hätte er den Brotbäher nicht mit einem Messer zu reparieren versucht – natürlich unter Strom, im eingeschalteten Zustand und bis ein Lichtbogen ihn durch die Küche fliegen ließ. Seitdem brauchte Anne, abgesehen vom Schrank, einer Küchengardine und dem Service, das unter Hülsenbeck zu Bruch ging, einen neuen Toaster.

„Wenn Sie den hier mal anschauen möchten?“ Die Haushaltsdame trug einen rosa geblümten Karton heran, auf dessen Breitseite das bereits bekannte Toastermodell abgebildet war. Es hieß Toastino Lady. „Formschön und leicht zu reinigen, dazu bereitet er das Röstgut äußerst schnell und effektiv zu dank der 1300 Watt.“ Ich war irritiert. „Formschön? Ich dachte, das sei rassiges Design?“ „Für Männer“, versetzte sie kühl, „Frauen haben eher den Blick fürs Wesentliche. Deshalb hat der Toastino auch einen abnehmbaren Brötchenaufsatz.“ „Der hier als Roll-Gadget auf der Packung steht“, entzifferte ich. „Wie um alles in der Welt denkt man sich diesen Blödsinn aus?“ „Genderspezifisches Marketing“, belehrte sie mich. „Zwei vollkommen identische Toaster, die in zwei vollkommen unterschiedlich aufgemachten Kartons stecken – unterschiedliche Aufschriften, unterschiedliche Namen, alles für die Zielgruppe. Sie sehen bei sich eine Power Control mit Zero Switch, richtig?“ Ich beugte mich über die Damenpackung. „Das heißt in Ihrer Version Fleximatic Knusprigkeits-Skala mit Einknopf-Schnellabschaltung.“ Sie nickte. „Frauen und Technik. Wir verstehen sie und gehen mit ihr um, müssen aber kein Theater darum machen.“

„Den Burn Guard hat das Mädchenmodell aber auch?“ „Heißt hier Wellness Definition Bräuner, funktioniert aber ähnlich: wenn braun, dann fertig. Übrigens hat der Toastino einen QuickFresh Defroster für Tiefkühlbrötchen.“ „Der entspricht wahrscheinlich der Freeze2Fire Function beim Tostaturo.“ Sie schloss die Verpackung. „Und, habe ich Sie überzeugt?“ „Ganz und gar“, spöttelte ich. „Aber ich bin mir noch nicht ganz sicher, welchen von beiden ich nehmen soll. Und dann gäbe es da sicherlich noch ein paar Dinge zu klären. Nicht, dass Sie sich eine Reklamation einhandeln.“ Anne ist nun mal eine exzellente Juristin, was so gut wie alles erheblich erschwert – wo sie Mängel anzeigt, ist der Konkurs eines Unternehmens nur noch eine Frage der Zeit. Ich kicherte. „Vor allem sollten Sie den Toastino als ‚Toastsie‘ anbieten. Für die feministische Küchenarbeit kommt doch ein ‚Toast-er‘ überhaupt nicht in Frage.“ Sie blickte mich ausgesprochen frostig an. „Noch lachen Sie, aber das wird Ihnen vergehen. Eine neue Zeit bricht an, wenn es Handrührgeräte und Bügeleisen gibt, die auch Frauen verstehen.“ „Das also ist es?“ Ich bemühte mich ernsthaft um Mitleid. „Es reicht also nicht, dass wir Männer die Frauen verstehen, es müssen auch die Bügeleisen können?“ Sie drehte sich brüsk um. Leider nahm sie den Tostaturo 3000 mit, jenes Wunderding, das täppischen Männern mit seiner Slice Self-Centering Funktion noch im Zustand geistiger Umnachtung das Einlegen von Brotscheiben erlaubte und somit eine Hälfte der Menschheit vor dem Aussterben rettete.

Annes Augen leuchteten. „Und, hast Du es? Bekomme ich ein Geburtstagsgeschenk? Was ist es denn?“ Ich hievte den Karton auf den Tisch. „Es ist eine Toasterin.“