Gernulf Olzheimer kommentiert (DLXXIV): Träges Wissen

23 07 2021
Gernulf Olzheimer

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Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Es musste noch nicht einmal besonders viel in der Entwicklung des Hominiden schiefgehen, um die Ausbreitung seiner Art mit Hilfe einer Auslese zu regulieren. Ugas Schwippvetter hatte in seiner Jugend oft die wohlschmeckende Buntbeere direkt vom Strauch genascht und dabei die grünen Früchte ausgelassen. Zwar schmeckten die nicht bitterer als andere unreife Pflanzen, waren aber in diesem Zustand höchst unbekömmlich und wiesen mit Brechdurchfall und Wahnvorstellungen den Weg in die ewigen Jagdgründe. Im vollen Mannesalter, was seinerzeit nur ein paar Jahre später war, hatte sich der von Bratspieß und Körnerbrei verwöhnte Kerl nun also ans Sammeln gemacht, unter Ausblendung des Instinkts alles in den Verdauungstrakt gepfropft, was nahrhaft schien, und war alsbald abgetreten. Schuld war nicht seine Dummheit oder gar die reine Vergesslichkeit, das Problem war das träge Wissen.

Im Gegensatz zum aktiven Wissen, das aus der Erkenntnis der Dinge entspringt, sich in einen pragmatischen Zusammenhang einbinden lässt – Schuhe zubinden, Uhr lesen, bei Traueransprachen Fresse halten – und Lebensalltag, soziale Normen sowie das Überleben als Individuum erleichtert, ist das träge Wissen selten Sachverhalt oder begründet durch das Für-wahr-Halten. Aktives und passives Wissen kann schwinden, auf natürliche Art, wenn die Hirnrinde weich wird, Kollege Nachtfrost oder sein Begleiter Alkohol sich häuslich einrichten. Passives Wissen, die Hauptstadt von Honduras oder der Unterschied zwischen Altona und Altena, sind dabei nicht ganz so gefährlich, es sei denn, man ist gerade Quizshowkandidat oder will unbedingt als Bundeskanzler untergehen. Aktives Wissen wie die Fähigkeit, sich die Schuhe zuzubinden, ohne dabei Gleichgewicht und Impulskontrolle zu verlieren, ist da schon wichtiger; wer die Speicherkapazität der Biomasse des gewöhnlichen Bescheuerten auf dem Schirm hat, der weiß, warum der Klettverschluss erfunden wurde.

Es kann vielschichtige Gründe haben, dass das Wissen untertaucht. Zum einen wissen wir in alter Tradition immer noch, dass wir nichts wissen, was aber wir nicht wissen, wissen wir noch weniger. Wer nicht immer über eigenes Wissen nachdenkt – darf ich in die Kasse greifen, obwohl mich mein Amtseid eigentlich daran hindert, kann ich den ganzen Tag fadenscheinige Lügen rausrülpsen, die ein Eimer somnolenter Pantoffeltierchen als üblen Exponentialbullshit identifiziert – bekommt die schönsten Wissenslücken. Leider ist danach nicht mehr bekannt, wo sie sich befinden. Für Nappel, die nicht wissen, was sie denken, bevor sie nicht gehört haben, was sie sagen, kann die Lage schon mal garstig eskalieren.

Andererseits verheddern sich die meisten Lern- und damit auch nicht wenig Denkprozesse in einer gar nicht erst vorhandenen Struktur. Tschechische Vokabeln einzutrichtern mittels der Annahme, dass die reine Quantität der in die Birne geschwiemelten Wörter durch ein konstantes Verhältnis von Lern- und Vergessensleistung ausreicht, um irgendwann mit Bimsmethodik das Schweigen der Lemmata zu beenden. Das in vielerlei Fächern so berüchtigt wie sinnfreie Prüfungspauken variiert das Vorgehen, da reines Wissen verpfropft wird, eher in der Hoch- als in der Regelschule, und die notwendige Kompetenz zur Anwendung dieses Materials weder vermittelt noch examensrelevant verlangt wird. So kann sich der Kandidat fünfzig Sorten Hautpilz merken, von denen in der Praxis höchstens drei vorkommen, so dass er den Rest nicht einmal erkennen würde, wenn das ein Schild um den Hals trüge. Böhmische Begriffe und medizinische Terminologie hingegen als semantischer Smoothie brächte auch nichts. Nur zur Sicherheit, falls es jemand ausprobieren will.

Schließlich gibt es Deppen, die einmal Erlerntes nicht mehr anwenden können, weil die Anwendung auf nicht bekanntem Terrain sie überfordert: die Rettungsgasse auf der A1 lernen und auf der A8 nicht mehr wissen, wie es geht, auf einem braunen Klavier Stunden nehmen und dann am schwarzen Konzertflügel die Finger verknoten, ein Studium halbwegs zu Ende bringen, sich als Wissenschaftler etablieren wollen, Noten würfeln und dann mit Schnaps unter der Kalotte herumplärren, dass man seine verzweifelten Korruptionsbemühungen nicht von Wissenschaftlern korrigieren lassen will. Hin und wieder scheint das Wissen derart eng an den Kontext gebunden, dass schon eine minimale Veränderung der Uhrzeit ausreicht, um nachhaltiges Vakuum ins Oberstübchen zu saugen. Freilich ist das alles auch nur eine Mutmaßung, da wir nur erahnen können, wie weit sich ordinäre Dummheit zur Erklärung dieses Phänomens eignet, die so gut wie überall vorkommende Grundform jeglicher Niveauuntertunnelung, die wir erst bemerken, wenn wir auf Stelzen genau in die Löcher im Boden stapfen und eine flotte Einpunktlandung hinlegen. Der Trost der Welt scheint zu sein, dass jeder eine Chance bekommt, sich als dümmster Ernstfall im Laden zu profilieren. Bedauerlich ist die Quote derer, die diese Gelegenheit nicht verstreichen lassen wollen. Denn manchmal liegen die ewigen Jagdgründe wirklich, wirklich weit weg.





Gernulf Olzheimer kommentiert (DX): Enzyklopädismus

17 04 2020
Gernulf Olzheimer

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Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Es kommt häufiger vor, dass mehr oder weniger nette Menschen die Früchte ihrer Bildung mit einer gewissen Nonchalance ins Gespräch einflechten, beispielsweise, um ebendiese zu zeigen, nämlich die Bildung, über die sie anfallsweise verfügen, die sie in die heitere Causerie einflechten können oder in die ernsthafte Diskussion, je nach Thema, Art, Anzahl und Bildung der Gesprächsteilnehmer und natürlich dem Zweck der Unterhaltung. Um eine attraktive Dame mit kunsthistorischem Interesse zu beeindrucken, reicht es für gewöhnlich, wenn man in die Konversation einflicht, dass Rembrandts berühmte Nachtwache eigentlich bloß ein Repräsentationsbildnis des Hauptmanns Frans Banning Cocq ist, das aber im Laufe der Zeit derart nachdunkelte, dass man heute nur noch die Schäden des Kaminrauchs sieht, nicht mehr die wunderbare Licht-und-Schatten-Arbeit des Niederländers. Im Bewerbungsgespräch für die Position eines Drehers sollte man den Unterschied zwischen Schleifen, Fräsen und Läppen präzise herausarbeiten können. Man kann es auch umgekehrt probieren.

Muss man aber nicht. Denn im Gegensatz zur üblichen Klugscheißerei ist Enzyklopädismus nicht das Gelaber, das irgendwo aus dem Ruder läuft, sondern ein schwerer Zwischenfall, der bei Opfern zu nachhaltigen Schäden führt, weil sie Netzhaut und Trommelfelle perforieren in der aufkeimenden Hoffnung, damit für immer dem frühzeitigen Erguss überflüssigen Detailwissens zu entkommen. Die normale Kommunikation, so sie nicht rein themenfixiert verläuft, beschränkt sich auf statthafte Dinge wie Wetter, Mode oder die darstellenden Künste bis zum Abschluss des 19. Jahrhunderts, und der zwanghaft salbadernde Flusenlutscher, der in Verzweiflung die Biegung zur Ernährungsweise des Okapis sucht – der Paarhufer, der als einziges Tier seiner Gattung im kongolesischen Norden lebt – und allerhand Volten schlägt, um über Picasso, Effizienzlohn und die Zusammensetzung der Kalbsleberwurst – die aus grob entsehntem Kalb- oder Jungrindfleisch besteht, aber nur Schweineleber enthält, weil die vom Kalb im rohen Zustand widerlich bitter zu schmecken pflegt – endlich auf das Vieh kommt, um seinen angelesenen Schmodder in die Ohren der unschuldigen Hörer zu schwiemeln, koste es, was es wolle. Wer auf Gnade hofft, verliert.

Die Täter bewegen sich in der Umlaufbahn des Sozialentzugs und verbringen ganze Tage mit der Lektüre in jeglicher Hinsicht erschöpfender Gesamtdarstellungen osteuropäischer Historie, nur um an der Supermarktkasse noch schnell vom Stapel zu lassen, dass das Großbulgarische Reich bereits im 7. Jahrhundert mit der Unterwerfung unter die Chasaren schmählich endete. Bei gutem Wetter faselt der Honk über die nicht verkitteten Linsenpaare des Aristostigmats, das bekanntlich als Weiterentwicklung des Gaußschen Doppelobjektivs eine herausragende Rolle als Universalwerkzeug für alle Gelegenheiten spielen sollte. Noch vor dem Würgen folgt eine Abhandlung über die Echtheit diverser Zitate von Lenin bis Marie Antoinette, bis zum Ableben der Lemming auftritt, der für einen zielgerichteten Suizid schlicht zu blöd wäre. Mit etwas Glück ist es dann schon zu spät.

Die Verlagsbranche hat längst reagiert auf die Schwallerlei der Hohlrabis und bietet die Ware in konzentrierter Form als Kompendium bekloppten Mitteilungsdrangs zum terroristischen Gebrauch an. Endlich müssen Synapsenzombies nicht mehr in mühevoller Feinarbeit mehrbändige Lexika in die Klotzköpfe quetschen, weil sie den Schranz quasi in Sprühstärke vorliegen haben. Ein Viertelstündchen Muße im Kachelstudio, schon ist der intellektuelle Aufstocker für eine neue Runde Aggressionsbingo in der Warteschlange am Briefmarkenautomaten bereit. Ein paar Knalltüten werden den Bodenbelag mit Frontzahnspuren markieren, weil sie nicht hatten ahnen können, dass es in Afrika Gletscher gibt. Andere werden gedacht haben, Haie würden sich vornehmlich von passionierten, aber schlechten Schwimmern ernähren. Die Splittergebildeten sind also in der Lage, jeden mit zusammenhanglosem Verbalbauschaum die Gehörgänge derart zu fluten, dass auch schreiendes Wegrennen die Katastrophe nur verzögert.

Allein es gibt Rettung, denn auch hier lautet die Devise, dass man eine vernichtende Schlacht nur dann schlägt, wenn man dem Feind die eigenen Waffen entgegenhält. Jeden Schwatzanfall über die Ardennenoffensive, den Beethovenfries unter besonderer Berücksichtigung der Rechtslage beim Rückverkauf sowie das mitochondriale DNA-Depletionssyndrom ist ab sofort durch brutalstes Abwürgen zu bekämpfen. Wer es wagt, überhaupt die Klappe aufzusperren, wird umgehend mit der Tatsache konfrontiert, dass es sich bei dem ausschließlich in Australien lebenden Koala nicht um einen Bären, sondern um einen Beutelsäuger handelt, erkennbar daran, dass sein Gehirn kein Corpus callosum aufweist. Wenn dann noch nicht Ruhe im Karton ist, kommen ein paar strenge Nachfragen zum Schaffen Rembrandts. Es werden keine Gefangenen gemacht.





Gernulf Olzheimer kommentiert (XCIV): Wissenschaftseliten

25 02 2011
Gernulf Olzheimer

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Das Problem hielt seinen Einzug mit den ersten experimentellen Verhaltensweisen der Hominiden. Würde Ngg wie seine Vorfahren vom Mammut zermarmelt, bekämen Mbrr und seine Brüder die Art von Krämpfen, die der lustige rote Pilz bereits bei Klk und seinen Söhnen ausgelöst hatte? Nach und nach entwickelte die Horde von Blödblunzen das Rad, den mechanischen Webstuhl, die Kernschmelze und jene Art von Tiefkühlkost, die den Untergang dieses Planeten im kosmischen Zusammenhang eher wünschenswert erscheinen ließe, allein die Stellung des Wissenden unterlag diversen Änderungen in Richtung Niveauverlust, erst vom Wissenschaftler zum Beamten, dann vom Beamten zum Verwalter, inzwischen zur Randfigur einer Horde, die mit ihrem Namen nicht mehr zu tun hat: zum Pausenclown der Wissenschaftseliten.

Die Alma Mater als Findungsort komplexer Wirk- und Wirklichkeitszusammenhänge war in Paris, Padua und Oxford noch von Anflügen der gesamtgesellschaftlichen Verkalkung frei, da sie sich um keine intellektuell niederschwelligen Angebote aus politischer oder ökonomischer Kaste kümmern musste. Wer sich mit Philosophie oder Algebra befasste, hatte immerhin den Vorzug, zur internationalen Führungsschicht zu gehören, die auf Ländergrenzen herabschaute, auf Fürsten und ähnliches Wichtigkeitsimitat, ja auf die Kirche, die außer Glücksspiel, hektischer Bautätigkeit und einer latenten Neigung zu alberner Oberbekleidung nicht viel Interesse am Diesseits zeigte. Die Universität eroberte sich den Freiraum des Denkens und verteidigte ihn bis in die Zeit der Aufklärung, als die ersten Kalkhirn des Absolutismus die Bühne betraten. Und schon zeigte sich der Ansatz bei den Weichstaplern der Fürstenhöfe: eine Rotte vielseitig ungebildeter Pädagogen sollten in den freien Städten der Jugend Wissen in die Schädel pfropfen, um ein Renommierobjekt gegen die Hochschulen zu besitzen. Tatsächlich freies Wissen, nach klassischem Kanon geordnet, braucht der Bekloppte der verstaatlichten Gesellschaft nicht mehr, er bildet lieber die Wurstlutscher der von Inzucht und Müßiggang vorverdeppten Adelsschicht zu Juristen aus – keiner braucht sie, aber zum hauptberuflichen Topfblumenumschmeißer hätte der Glibber unterm Schädeldach eben nicht ganz gelangt. Wie dies Zeitalter mit Leibeigenschaft, Sklavenarbeit und Folter eine Menge schöner Dinge allein für die aufgehoben hat, die keine Steuern zahlen.

Der spätmoderne Wissenschaftsbetrieb, jene obskure Ansammlung von Drittmittelverbrätern und Dumpfdüsen, schließt an diese Tage nahtlos an. Zwar haben wir festgestellt, dass sich Astrologie und Astronomie kaum in ein gemeinsames Konzept schwiemeln lassen, aber die persönlichen Vorlieben geistig zu Gestrüpp entarteter Landesfürsten in Form etwa Homöopathielehrstühlen lassen sich als Pickel in der Hochschullandschaft deutlich sehen. Soziale Zusammenrottungen, die als Wahlvereine fungieren, sind die Trägersubstanz für jenen Wurmwuchs, der bereitwillig der Finanzwelt ein paar Spaßprofessuren und Hobbydoktorate zum Spielen gibt. Wissenschaft ist im engeren Sinne nur noch das Experimentierfeld für ausgesuchtes Personal, das für die Pharmafiosi Pillen schwiemelt, der Atomlobby kostengünstig Entsorgungsarbeiten abnimmt oder preiseffiziente Chemiewaffen ausheckt. Wer sich durch störende Intelligenz auszeichnet, Soziologie oder Pädagogik betreibt oder die Rituale byzantinischer Prägung im neueren universitären Betrieb einzudämmen versucht, die voodoogesteuerte Denkschule der Postdemokratie, hat in diesem Wunderkindergarten nichts zu suchen, zumal es sich bei den als Exzellenzcluster titulierten Hämorrhoidalerscheinungen der Bildungsferne meist um Juristen, Betriebswirte oder Politologen handelt, auch nicht einmal im weitesten Sinne wissenschaftsfähiges Gesocks, das Steuergelder schluckt und sich in der Schlange um Hirnspenden vordrängelt.

Die vom ehernen Grundgesetz der Beharrung im Nichtbeweglichen geprägte Hochschule rülpst Mittelmaß hervor, mühsam examinierte Volltrottel mit chronischem IQ-Schwund, die ein auswendig gelerntes Einmaleins für ausreichend erachten, sich als Privilegierte zu sehen – ein paar Semester haben sie sich an Trivialmüll abgekaspert, den vor 50 Jahren jeder Hiwi als Beleidigung betrachtet hätte, sie haben Scheinergebnisse zusammengefummelt aus vorgekautem Brei, Forschen nach Zahlen, und sind nun froh, wenn sie den Durchlauferhitzer der Kollateralmaden überstanden haben. Inszenierung ist alles, und damit sich diese Häkelkreise auch ja nicht von kritischen Wissenschaftlern ablösen lassen, werden sie umgehend wieder in den Lehrbetrieb eingespeist, um die künftige Generation der Synapsenverklebten zu geben, die seit Bologna nur noch den Namen gemein hat mit den Bildungsstätten vergangener Jahrhunderte. Eine Klasse politischer Bettnässer ist noch stolz darauf, sich selbst ein tiefes Grab zu schaufeln, perfekte Problemverdränger mit erwiesener Meisterschaft im substanzfreien Denken, die geklautes Tafelsilber verscherbeln, um sich selbst als Edelprodukt zu definieren. Sogar das Leistungsprinzip, von den neoliberalen Nachtjacken permanent ausgebrochene Losung, wird mit Macht in die Tonne getreten, denn wer würde sich noch für den universitären Betrieb anstrengen, wenn stinkend faule Vorzugsschüler überall an die Freitische geladen werden? Der Ausgang aus der selbst verschuldeten Beknacktheit war ein guter Ansatz zur Erleuchtung. Inzwischen haben die Bildungskasper ausgeknobelt, wer das Licht wieder ausknipsen darf. Warten wir ab, wer im Dunkeln worüber stolpert.





Gernulf Olzheimer kommentiert (LXXI): Vulgärpsychologie

20 08 2010
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

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Da besteht die Welt schon mal aus den guten, alten Zeichen, die man sich früh einprägt, weil es sonst unangenehm wird: roter Punkt meint heißes Wasser und Flossen weg. Die übrigen Dinge lernt man, peu à peu sortiert sich die Stichprobe in lebensfähiges Material und den großen Rest der Kompetenzattrappen, denen die Welt offensteht für jede Menge Blamage und Unfälle. Probates Mittel für die Interpretation der komplizierten Wirklichkeit ist und bleibt die Vulgärpsychologie, leicht zu handhaben, abwaschbar, selbstklebend.

Zum Beispiel Körpersprache. Wer sich mit verschränkten Armen vor die Mannschaft stellt, geht auf Distanz, wer beide Hände in den Hosentaschen verstaut, ist unsicher, und wer beim Reden die Hände knetet, hat ein Problem mit der Impulskontrolle. Zum Beispiel Physiognomie: Brillenträger mit Stirnglatze werden als professoral angesehen und meistens dementsprechend verehrt. Wer dagegen ein kräftiges Kinn hat, dem sagt man Willensstärke nach – in vielen Fällen genauso richtig wie das Gegenteil, bis auf alle die Weicheier und Jammerlappen mit Hundebacken, die jedoch mangels Willensstärke nicht besonders bekannt wurden. So haben Geschlechterfolgen sich mit illusionären Korrelationen herumgeschlagen und die beknacktesten Verbindungen ins Dasein geschwiemelt, bar jeder Vernunft und ledig jeglichen Sinnes.

Die Vulgärpsychologie arbeitet mit den Mitteln der Vorurteilsfindung. Sie unterstellt systematisch heimliche Kausalität, wo der Zufall nur ein Fahrrad mit einem Sack Reis in eine Raum-Zeit-Konstellation gepfercht hat, und hofft, dass die umherlaufenden Kasper nicht klug genug sind, die Beliebigkeit zu bemerken. Ganze Wissenschaften, Welterklärungsmuster, Fertigdenkgebäude werden auf solchem Treibsand der Logik errichtet, bis tief hinab ins Kellergeschoss der Esoterik, wo kein nennenswertes Nachdenken mehr erforderlich ist, um Zusammenhänge zwischen Kondensstreifen, Erdbeeren und Erdbeben zu erkennen.

Wie weit sich das volkstümliche Nichtwissen auf rezeptfreier Basis in die Kernbereiche unserer kranken Gesellschaft vorgefressen hat, sieht man an der Medizin. Jene Heilkunst, die ohnedies von 99% approbierten Patienten ohne Zuhilfenahme von Ärzten ausgeübt werden könnte – hier wären enorme Einsparpotenziale für die Politik, aber das will ja wieder keiner verantworten – hat die schönsten Gimmicks erfunden, ohne die kein austrainierter Hypochonder mehr mit seiner beschissenen Existenz zu Rande käme. Wer einmal von psychosomatischen Erkrankungen gehört hat, wird sie lieben. So flexibel und vielseitig, sinnfrei und gleichzeitig für jeden Scheiß zu haben! Was hat allein die Psychiatrie von den Persönlichkeitstypen und ihren schematisch zuzuordnenden Malaisen profitiert: Patient D. hat ein diffuses Angstsymptom und wird nach bekanntem Strickmuster unter kalten Füßen und Kopfweh, Nachtschweiß und Schwindel leiden, und ist er ohne Grund unangemessen traurig oder fröhlich oder beides im Wechsel, so ist er brav und die Diagnose stimmt. Krankheit als Weg, jeder Hautausschlag ist ein Problem mit der Außenwelt, Kurzsichtige haben meist nur Schwierigkeiten mit der Selbstwahrnehmung, und Mütter, die in der Schwangerschaft unaufhörlich die Außenwelt mit ihrem Mageninneren bepflastern, nehmen eine Ausstoßungsreaktion des eigentlich ungeliebten Fötus vorweg, auch wenn es sich um ein Wunschkind handeln sollte. Es ist korrekt, was sich erklären lässt, und ist es nicht willig, Gewalt ist billig. So auch jene bis ins Feine getriebene vulgäre Symptomatik angeblich indexikaler Formen, die dem Beschränkten als Akupunktur, Homöopathie oder Gesundbeten kostenpflichtig verabreicht wird, weil er es nicht besser weiß und nicht besser wissen will, mundus vult decipi.

Dass Dummheit nicht vor Anwendung schützt, beweisen die zahlreichen marktgängigen Fälle, die dem Hasenhirn alltäglich vorgesetzt werden. Die Wirtschaftswissenschaft, jene Steigerung des Voodoo ins Absurde, wartet mit einer Menge auffällig dämlicher Denkfehler auf, die sich schon bei flüchtigem Betasten als zurechtgebogener Blechschaden herausstellen: dass eine Lohnerhöhung prompt negative Effekte auf den ganzen Wirtschaftszweig habe, der im Domino-Verfahren gleich die komplette Volkswirtschaft in den Orkus risse, wurde bisher noch nicht überprüft, es lässt sich rechnerisch nicht verifizieren, also muss es wahr sein. Keine konservative Tageszeitung würde es je anzweifeln. Und wo würde es besser passen als ausgerechnet in der letzten Bastion der Verblendung – die Randbereiche der Gesellschaft, für die der Angeklagte im Strafprozess steht wie auch der Arbeitslose in seinem Alltag, sie sind letzte Opfer der vulgären Neurose um die Erklärbarkeit; denn brät sich der Normalverbraucher ein Stück totes Tier und trinkt eine Tasse Bier dazu, so ist er ein braver Bürger – tut es ein ohnehin Ausgestoßener, dann nur, um das egozentrische Urteil noch zu bestätigen: er darf es nicht. Und das zu wissen ist, wie auch nicht: Macht.





Gernulf Olzheimer kommentiert (XLIV): Halbwissen

12 02 2010
Gernulf Olzheimer

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Nicht alle Menschen können schwimmen und nicht allen gereicht diese Unkenntnis zum Nachteil – wenngleich es wesentlich wahrscheinlicher ist, während einer Überschwemmung sein Leben zu lassen, als durch Unfähigkeit zur topologischen Kombinatorik den Löffel abzugeben. Der Mensch sortiert, schließlich hatte die Evolution Beiwerk wie Rechtswissenschaft, Pädagogik und Philosophie noch nicht im Pflichtenheft, und tatsächlich ist mancher, der heute einen Aushilfsjob als unterste Schublade abgekriegt hat, glücklicher dran, wenn er dem Lochfraß im Schädelrund freien Lauf lässt. Es ist möglich, der kognitiven Durchschnittsbegabung im Limboschritt zu entwischen, und es macht den also gearteten Hominiden nicht einmal unglücklich, solange er Gas und Bremse grob unterscheiden, den Glasgegenstand um das Bier herum ohne großen Blutverlust öffnen und sein Erbgut weiterreichen kann. Eine friedliche Koexistenz in den wenigen Augenblicken, in denen man diese Primaten mit Personalpapieren nicht mehr ausblenden kann, wäre möglich, hätten sie nicht einen folgenschweren Fehler begangen. Sie wollten dazugehören. Sie haben es versucht. An uns bleibt es hängen.

Eins nur ist noch gefährlicher als Unwissen – das Halbwissen, der Todfeind von Aufklärung und Geist. Wer immer sich dem Thema Zivilisation von der Unterseite her nähert, versteht schlagartig, dass zahlreiche Kulturtechniken kognitives Vermögen erfordern; ebenso schlagartig geht diese Erkenntnis jedoch auch wieder verloren, und mit nassforscher Treuherzigkeit hebeln die Nachtjacken, deren genetische Dropouts gabelähnliche Gegenstände zum Irrwitz werden lassen, forstwirtschaftliches Großgerät durch die unschuldigen Koordinaten der Existenz. Den alltäglichen Kleinkram, Kochen, Kindererziehung, Schusswaffengebrauch, lernen sie aus dem Nachmittagsprogramm im Unterschichten-TV, weil Blanchieren und Ballern ja so leicht ausschauen, wenn die Onkels mit dem anwesenden IQ das erledigen. Aber ach, mundus vult decipi, und da haben wir den Salat: es scheitert an Feinheiten.

Im Kleinen ist es noch amüsant, wenn etwa das Personal aus der Riege mit Optimierungsbedarf die Mär vom eisenhaltigen Spinat für bare Münze hält, Arbeitgeberbeiträge als Geschenk der Brotherren preist oder Kolonien als Absatzgebiete fordert; man sieht’s mit leichter Heiterkeit, bevor man zu den wichtigeren Dingen übergeht. Unschön wird es, ginge der Bekloppte dazu über, seinen Nachwuchs mit Nitrit zu stopfen und ihm volkswirtschaftliche Knalldeppereien einzuflößen.

Denn der intellektuell seitlich leicht eingedellte Torfschädel ist nur unterwegs, um sich selbst und anderen maximalen Schaden zuzufügen. Er reibt die Brandwunden, die er sich aus reiner Dusseligkeit zugefügt hat, nach jahrhundertealten Hausrezepten mit absurden Substanzen ein, stellt die Finanzen komplett auf Flaschenpfand um und sucht die ganz große Blamage, wenn er bei der Zehn-Euro-Frage elend abschrammt. Dabei hält er sich selbst noch für einen Experten, der die aus kurzen Wachphasen in der Klippschule memorierten Grundregeln spielend aufsagen kann – keinen gelben Schnee essen, den Tankfüllstand nicht mit dem Streichholz kontrollieren, Steuersenkungsversprechen penetrant salbadernder Nervensägen für glaubwürdig halten – und bei günstigen Umgebungsvariablen bisweilen auch befolgt. Halbwissen reicht, der Rest ist Kür.

Aber es bleibt nicht dabei. Wird das Halbwissen erst aus der Perspektive des Beharrens betrachtet (der Halbwisser weiß ja zu wenig, als dass er auch noch sein Halbwissen kapierte), so entdeckt der partiell Beknackte vermeintliche Vorzüge seines halbgaren Hirnlottos: Vorteile durch Vorurteile. Was er als Instant-Intelligenz der beliebig griffbereiten Tüte entnimmt, muss wahr sein – folgerichtig fasst er sich Herz und Meinung vor, um mitzupaddeln im Tümpel der Halbschwimmer. Er fühlt sich im Recht und spürt, wie die sozialen Integration ihn am Stammtisch ereilt und die Lektüre gewisser schimpansenkompatibler Postillen erleichtert, die das Werk an den Teilverblödeten zu vollenden sich anschicken mit Papstpropaganda, Untertanengetön und Tittenbildern. Ist er dort angekommen, wo er erst nach längeren Qualifizierungsmaßnahmen geistig wieder auf dem Niveau wäre, um als Materialreserve für einen Zimmerbrand zu arbeiten, schlägt er selbst hartgesottene Abergläubige, Esoteriker und anderweitig verspulte humanoide Chromosomensätze. Was analytisch funktioniert, spielt er analytisch kaputt; seine Herangehensweise an logische Operationen ist ein vollwertiges Äquivalent zum Hirntod. Wo er hindenkt, hilft keine Hoffnung mehr. Und man kann nur rätseln, wann er sich beim Versuch, durch Null zu teilen, in die Luft sprengt. Darwin setzt sich wahrscheinlich durch, früher oder später, wenngleich auf entnervend langfristige Art. Bis dahin tröstet uns nur der Anblick von Elektrozaunpinklern, die die Bremsen ihres Kraftfahrzeugs gerne in Eigenregie heile schwiemeln. Man gönnt sich ja sonst nichts.





Gernulf Olzheimer kommentiert (XI): Alleswisser

12 06 2009

Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer


Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Der durchschnittliche Mensch unterscheidet sich in allerlei unveränderlichen Kennzeichen – Augenfarbe, An- oder Abwesenheit von Zähnen, Grad der krankhaften Adipositas – sowie erworbenen Merkmalen. Jeder ist nun mal seines Glückes Schmied und greift zu diesen oder jenen Ingredienzien, um sein Dasein auf diesem Planeten einigermaßen individuell zu gestalten. Während eher einfach strukturierte Gemüter sich bunte Muster unter die Epidermis pflügen lassen, greift der dem komplexen Habitus Geneigte zu einer höchst vielschichtigen Form, den gesellschaftlichen Background zu transzendieren. Er eignet sich Wissen an. Schon die Verlagerung des gesunden Schlafs von den Schul- in die Nachtstunden bringt ihm die Kenntnis der Grundrechenarten ein. Gelehrsame Exemplare können auf Anhieb den Unterschied zwischen einer Briefmarke und einem Alligator erfassen, was ihnen in entsprechender Situation einen taktischen Vorteil und erhebliche bessere Überlebenschancen sichert. Ganz oben auf der Skala rangiert der, der Lukasa als Hauptstadt von Sambia identifiziert.

Ganz unten turnen die Bekloppten mit, die zwar nicht wissen, was Sambia genau ist, aber schon mehrfach in Lukasa gewesen sein wollen. Kaum kommt das Gespräch einer halbwegs illustren Runde von Alkoholkonsumenten auf Gambia – eine eher kleine Einbuchtung an der Westküste, die sich jedoch nach diversen Alkaloiden in der Blutbahn ähnlich verschwiemelt ausspricht – schon leert der Intelligenzsimulant seine Luftblasen in die wehrlos erstarrte Gegend und sondert Halbwissen ab. Bis hierhin hätte man ihn für einen Blender halten können, der sich seine relative Wirklichkeit aus fixen Ideen strickt, um noch im größten Dickicht der Unwissenheit als Leuchtturm der Universalbildung zu erscheinen; über die Stufe des Besserwissers, der in punkto Funkenflug eher auf dem Niveau von Knallfröschen anzusiedeln ist, hangelt er sich bis zum Alleswisser herab. Ist der Bodenkontakt erreicht, so infiziert er andere Bescheuerte.

Der Alleswisser weiß, versteht und kennt alles. Er hat alles gelesen, gesehen und gehört, was je die geistige Umwelt verschmutzte. Im Kontakt zu harmlosen Schwätzern, die sich als Afrika-Experten ausgeben, weil sie bereits mehrmals Bildbände über den schwarzen Kontinent von außen betrachtet haben, brillieren sie durch profunde Kenntnis der Materie – sie haben den jeweils letzten in der Library of Congress verzeichneten Aufsatz über Elefantenzucht zufällig auch gerade gelesen, waren auch ein Jahr zuvor in Angola und hatten auch bis vor kurzem eine Einwandererfamilie im Obergeschoss wohnen, die dem Verzehr gerösteter Vogelspinnen nicht abgeneigt war. Statt zuzugeben, dass er beim letzten Differenzierungsversuch von Briefmarke und Alligator Tuchfühlung mit dem modernen Prothesenbau bekommen hat, würde der Alleswisser lieber kurzerhand behaupten, Gott zu sein und beim Absturz des Raumschiffs das Gedächtnis verloren zu haben.

Die perfekte Katastrophe droht dann, wenn der vereinzelte Homo sapiens in eine Herde von Alleswissern gerät. Schutzlos ist er der kranken Vorstellungskraft der Schaumschläger ausgeliefert, die ihn mit ad hoc zusammengesabberten Namen, Daten und Zahlen einkleistern: Hans von Bismarck hat mit Hilfe einer elektrischen Nudelmaschine das persische Weltreich begründet, erfand nebenbei den Fallstromvergaser und fand beim Einmarsch der Massageten in Bottrop den Tod durch vergifteten Würfelzucker – staatlich approbierte Wahrheiten, wie sie jeder Alleswisser im Großgebinde auswürgt, auf dass alle anderen Behämmerten eifrig mit dem Hohlschädel nicken.

Wissenschaftliche Untersuchungen ergaben, dass der Alleswisser den Trickster unter den amorphen Lebensformen zwischen Schwamm und Qualle darstellen. Er wechselt Zellstruktur, Geruch und Farbe schneller, als ein Fernfahrer im Sekundenschlaf benötigt, um von der rechten Spur die Leitplanke zu finden: eben noch internationale Koryphäe für anorganische Chemie und langjähriger Schüler von Russ Meyer, jetzt schon ausgewiesener Experte für Behaviorismus im Spätmittelalter. Er stapelt sich bis zur Decke hoch und wird erst dann zwangsgeerdet, wenn sich in sein Publikum der einzige natürliche Feind einschleicht, der ihn erbarmungslos zur Strecke bringen kann. Der Fachmann. Von Natur aus still und verschroben, erledigt er den Alleswisser durch einen kurzen, nachhaltigen Genickbiss, nachdem er ihn hinterhältig in die Enge getrieben hat – das von Steve Mutter herausgegebene Gesamtwerk des polnischen Nationaldichters Sammy Kolon enthält keine Seite 182, da es nicht erschienen ist. Pech gehabt. Knochen knacken, ein kurzes Pfeifen kündigt das Ende einer Existenz an. Wieder ein Bekloppter weniger. Es steht zu hoffen, dass er vorher niemanden mit in den Abgrund gerissen hat.