Gernulf Olzheimer kommentiert (DCCIV): Telefonieren im öffentlichen Raum

8 03 2024
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Am Anfang schraken die Bewohner der weiten Graslandschaften zusammen, sobald es von den Höhenzügen jodelte oder hohles Gewummer aus geklöppelten Baumstämmen drang. Rauchzeichen versetzten sie in Alarmbereitschaft. Semaphor und singender Draht zeigten erstmals den Gewinn an Zivilisation, indem das Mitteilungsbedürfnis des Hominiden seinesgleichen nicht mehr auf den Geist ging, oder es zumindest nicht mehr als Primärziel der Kommunikation scheinen ließ. Seelenruhig sah der Mensch den Flug der Brieftaube, nahm Eingang und Ausgang des Telegrammboten gelassen wahr, und endlich war wieder die Stufe der jäh drohenden Hirnembolie erreicht mit jenem Apparat, dessen Gebimmel im Augenblick bedingte Tötungsabsicht erzeugte, weil jemand ums Verrecken mit seinem dämlichen Geschwätz keine Sekunde länger warten wollte. Heute aber, der Schnur ledig und nicht mehr an die Behausung gebunden, nutzen alle diese nur noch anachronistisch als Fernsprecher bezeichneten Mobilkröten, die bei jeder unpassenden Gelegenheit und damit auch überall auf diesem Globus klingeln, vibrieren, blinken und mit allerhand Warnungen der Mitwelt bedeuten: gleich quarrt eine Knalltüte die Umgebung zu, und das im öffentlichen Raum.

Der Drang der Deppen, die gesamte Umgebung mit ihrer überflüssigen Präsenz zu belästigen, hat in Zeiten der allgemeinen Verfügbarkeit technischer Hilfsmittel nicht abgenommen. Im Gegenteil, mit der Marktsättigung immer neuer Taschengeräte, die als Lärmquellen ihr soziales Störfeuer durch jede zufällig entstandene Personenkonstellation ballern, eskalieren Lautstärke und Penetranz jeglicher Art von Kommunikation, die ohnedies überflüssig ist. Keine Sau interessiert sich für den, der überall und zu jeder Zeit über jedes Thema redet – geht ihm das Thema aus, redet er einfach weiter – und damit die ungewollte Aufmerksamkeit aller anderen einsaugt wie ein Schwarzes Loch das Gestöber von Materie und Energie. An den unmöglichsten Orten, wo der Berufsirre zwischen zwei Trennwänden sein Wasser abschlägt, im Restaurant, in der Warteschlange und sonst irgends, wo sich ein Geplagter findet, nervt er alles mit dem Gespräch, dessen andere Hälfte nur er wahrnimmt. Es gibt keinen Rückzugsort mehr, der Brüllmüll hat den Planeten unterjocht.

Die Kieferchirurgie kennt Fälle, bei dem der Telefonierer erbost Stille für sich erheischt, damit er ungestört in seine Quakbüchse plärren kann, worauf hilfsbereite Zeitgenossen das Ding zum dauernden Verbleib in seinen Rüssel schieben. Auf mildernde Umstände darf man immer plädieren, wo sich das Gespräch vor Publikum als sorgfältig inszeniert und damit doppelt endlästig entpuppt, und nicht wenige Telefonate werden wohl geführt, um zu zeigen: der Kacklappen hat ein Handy. Jedes Geplapper hätte eine SMS sein können, jeder halbstündige Dialog eine Angelegenheit von zehn Sekunden. Die infantil anmutende Nutzung der Gesprächswerkzeuge zum geradezu niedermolekular verzahnten Kontakt mit anderen klebt leider an den Falschen fest.

Mag eins den verbalen Bauschaum unter freiem Himmel, notfalls in Ladengeschäft noch dulden, da hier der Ausgang dem Leiden ein Ende setzt, in der Zwangslage der abgeschlossenen Situation hört der Spaß auf. Spätestens im Wartezimmer, wo zu den körperlichen Beschwerden die psychische Folter durch den gemeinen Laberlurch kommt, der das in weiser Voraussicht angebrachte Verbotsschild tapfer ignoriert und trotzdem seine Beziehungsprobleme samt Planung der Freizeitaktivitäten auswalzt, wird die Botschaft von Sartres Huis clos überdeutlich: die Hölle, sagt das Kammerspiel, das sind die anderen. Schrödingers lebende Leichen wünschen sich den eigenen Tod, wenn das spontane Ableben der anderen nicht zu bewerkstelligen ist. Jedenfalls wurden die humanistischen Züge aus der existenzialistischen Vision akribisch entfernt, was bleibt, ist eine grob verschwiemelte Vorstellung von Ewigkeit, was auf unbegrenzte Gesprächsdauer ausgelegte Mobilfunktarife auf modernen Geräten mit Hochleistungsakku und Powerbank nicht eben erträglicher machen.

Doch es gibt eine Steigerung. Mobiles Gefasel im mobilen Bezugssystem, auf Straße und Schiene und möglichst noch im Ruhebereich, erzeugt wie aus dem Nichts die Notwendigkeit zum Business Call, jenem potenzprotzigen Gesabber beanzugter Wichtighuber, die vor der Welt die Monstranz ihrer in Wirtschaft und Politik einzigartigen Bedeutung erigieren müssen. Flucht ist unmöglich. Evolutionär sinnvoll wäre nur Angriff, vor allem dann, wenn die Quelle des gemeinschädlichen Outputs damit aus dem Genpool getilgt wird. Früher konnte man die Telefone noch leicht in den Flugmodus versetzen, doch in den modernen Zügen lässt sich dafür leider kein Fenster mehr öffnen. Die logische Konsequenz wird der in die unermesslichen Weiten des Weltalls abdriftende Astronaut sein, der der kompletten Raumstation mit seinem Nach-Hause-Telefonieren derart auf den Zwirn geht, dass die Kollegen ihm einen Spaziergang im interstellaren Medium spendieren. Kein Anschluss unter dieser Nummer. Der gewünschte Gesprächsteilnehmer befindet sich im Schwarzen Funkloch.


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