„Das haben wir doch alles schon versucht. Ich weiß, es ist Ihnen wichtig, ich will mich ja auch mit Ihrem Vorschlag beschäftigen, aber bleiben Sie doch bitte mal realistisch. Ich kann Ihnen gar nichts versprechen, im Gegenteil: das wird schwierig.
Dazu bedürfte es einer konzertierten Aktion aus Politik und Wirtschaft, und die sehe ich hier nicht. Ich mag mich täuschen, aber meiner Ansicht nach ist das hier schon aus soziokulturellen Gründen gar nicht möglich, vom Föderalismus mal abgesehen – da werden die Länder auch ein Wörtchen mitreden wollen, und wenn erst mal die Kommunen sich mit der Sache beschäftigen, dann gute Nacht. Machen Sie sich mal klar, was das an Verwaltungsaufwand bedeutet. Wir stecken mitten in der Digitalisierung, das kann man nicht mit der heißen Nadel stricken und alles noch mal machen, wenn die Prozesse auf den anderen technologischen Ebenen angepasst worden sind. Und woher nehmen Sie das Personal?
Also ich habe den Fachkräftemangel ja nicht herbeigezaubert, und gerade vor dem Hintergrund kann man der Bevölkerung so einen radikalen Wandel nicht zumuten. Jedenfalls nicht jetzt. Und kommen Sie mir nicht mit Innovationen, die neue Kräfte hervorrufen durch Synergieeffekte – ich bitte Sie, das kann man den Leuten im Wahlkampf erzählen, aber der Mensch ist nun mal ein Gewohnheitstier – mit Umerziehung werden Sie nichts erreichen, mit Verbotspolitik auch nicht.
Also ich finde das in der Theorie sehr reizvoll, aber das heißt ja noch lange nicht, dass wir das auch in die Praxis werden umsetzen können. Ganz davon abgesehen, dass das nicht mein Job ist, mein Tag auch nur 24 Stunden hat und wir dann wir dann den Dialog mit den anderen Parteien suchen müssten, das mag ein Problem sein, aber doch nicht meins! Ich würde das ja machen, aber ich bin Minister und nicht Bundeskanzler, also müssten wir erst mal eine Kabinettsmehrheit dafür organisieren, dann das Ding durch den Bundestag bringen, und am Ende macht uns der Bundesrat einen Strich durch die Rechnung. Oder der Bundespräsident. Oder Karlsruhe. Ich möchte nicht wissen, was wir uns dann in den Medien wieder anhören dürfen. Wir haben weiß Gott drängendere Probleme, denken Sie einfach an die Folgen für die internationalen Beziehungen, für die Wirtschaft und die Märkte und Ihre Chance auf eine sichere Wiederwahl. Ich denke auch an meine Chance auf eine sichere Wiederwahl, und Sie verstehen, welche Prioritäten ich da setze.
Ich kenne mich damit nicht aus, aber ich kann mir vorstellen, dass wir das Grundgesetz ändern müssten, und am Ende verstößt es auch noch gegen EU-Recht. Das hauen uns die Gewerkschaften um die Ohren, wir riskieren einen Generalstreik, wir machen uns noch zum Gespött der Leute. So eine Forderung stellt man doch nur, wenn man von allen guten Geistern verlassen ist oder es mit voller Absicht darauf anlegen will, vom Parlament abgefrühstückt zu werden.
Machen Sie sich mal klar, was da an Kosten auf uns zukommen würden. In drei Jahren könnte man sich noch mal mit der Sache beschäftigen, aber jetzt? Das Problem ist dringend, da haben Sie recht, aber das heißt ja auch, es läuft uns nicht weg. Wenn Sie sich damit profilieren wollen, dann nehmen Sie sich die Zeit, arbeiten das gründlich aus, und dann schlagen Sie es noch mal vor, wenn die Zeit reif ist.
Und wie soll ich die Mittel dafür lockermachen? Glauben Sie, wir haben eine Gelddruckmaschine im Keller? Wissen Sie, ich will ehrlich sein: ich finde Ihre Idee bescheuert. Wir müssen uns hier dreimal am Tag solchen Mist anhören, alles nett gemeint, aber aus der Luft gegriffen, nicht durchdacht, was weiß ich – Schwachsinn halt. Seien Sie ein lieber Mensch, verschonen Sie mich mit dem Scheiß.
Doch nicht schon wieder! Was meinen Sie, wie oft ich das jetzt im Lauf meiner politischen Karriere gehört habe. Mein Gott, aus welcher Mottenkiste haben Sie denn das ausgegraben? In Deutschland funktioniert das einfach nicht, und das wissen Sie sehr gut. Bis jetzt sind wir ganz gut ohne diese Idee gefahren, also sollten wir jetzt nicht die Pferde scheu machen. Vorschlag zur Güte: wenn man uns Untätigkeit vorwirft, Ideenlosigkeit, mangelnden politischen Willen oder Handlungsunfähigkeit, dann ziehen Sie Ihr As aus dem Ärmel. Bis dahin verschonen Sie mich bitte damit, okay?
Also kurz und gut: es geht einfach nicht. Sie sind ja als Wissenschaftler immerzu geneigt, irgendwelche Theorien zusammenzuspinnen, aber das ist hier keine sozioökonomische Bastelstunde! Das kriegen Sie nicht durch den Bundestag, die Opposition wird das verwässern, am Ende kommt das Gegenteil von dem raus, was wir uns vorher vorgestellt hatten. Ich will Ihnen nicht grundsätzlich widersprechen, aber haben Sie schon mal über die Folgen nachgedacht? Ja? Wirklich? Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber ich habe nicht den Eindruck, und wenn Sie jetzt ein kleines bisschen Ihren Grips anstrengen, dann kommen Sie ganz bestimmt selbst darauf. Versuchen Sie’s einfach, das haben andere auch geschafft. Außerdem wurde das bisher noch nie versucht.
Ihr Vorschlag mag ja interessant sein, aber wie kriegen wir hier den Bogen zu unserer Leitlinie hin? Der Wähler will doch eine stringente Politik, die er auch als zielgerichtet begreift. Ich würde das erst mal an die Ausschüsse weiterleiten, die sind ja für die fachlichen Entscheidungen zuständig. Das muss refinanziert werden, und Steuererhöhungen kriegen Sie nur über meine Leiche. Auf lange Sicht ist das ein Verlustgeschäft, was sage ich: ein Riesenloch im Haushalt, das kann sich unsere Volkswirtschaft gar nicht leisten. Denken Sie mal an die Schlagzeilen – wollen Sie wochenlang Spießruten laufen? Ich jedenfalls nicht.
Goldene Regel: wenn es einigermaßen läuft, lassen Sie die Finger davon. Alles andere würde die Märkte nachhaltig verunsichern. Das hat doch mal dieser, wie hieß er noch – auf jeden Fall hat er es versucht, und dann musste er zurücktreten. Ich gehe so ein Risiko auf gar keinen Fall ein.
Wir haben das immer so gemacht, weil es eben immer schon so gemacht wurde. Wenn Sie eine Allergie gegen einen funktionsfähigen Staat haben, dann sollten Sie irgendwohin auswandern, wo es den nicht gibt. Die Zeiten haben sich geändert, heutzutage kann man nicht ständig irgendwas Neues ausprobieren. Außerdem haben wir nicht genug Schilder, also lassen Sie mich endlich in Ruhe mit Ihrem Tempolimit!“
Satzspiegel