Gernulf Olzheimer kommentiert (CCLXIV): Krisenkulte

31 10 2014
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

So war es wohl mit Uga, und Rrt war auch dabei. Das Korn wuchs nicht, der Fisch schwamm zwar noch, aber größtenteils mit dem Bauch nach oben, und das Wetter war beschissen. Hr-t’i, die kleine Dicke mit der Warze, hatte ihren Job als Sonnenpriesterin gründlich verfehlt; die hastig ausgedachte Dämonologie, die die Gemeinde bei der Stange halten und den Nachschub an Opfergaben sichern sollte, war für die Tonne, und die Versuche, einen rächenden Wolf für die rebellierende Meute zu instrumentalisieren – der über Jahre als Antipode eingeführte Mondwolf, der in der Abenddämmerung die Sonnenscheibe verschlingt und sie am nächsten Morgen wieder hochkotzt – blieben so erfolglos, als hätte der HSV die Meisterschaft im Moostreten gegen die anderen Dinos versucht. Nichts von Zivilisation war zu sehen, doch das hinderte die Höhlenbewohner nicht, die bewarzte Pfäffin einfach links liegen zu lassen, um sich flugs einen Götzen zu gießen, das bronzene Kalb, das blöd in die Gegend glotzte und zum Humbahumba der Devoten mit Pauken samt Schalmei genau das zu tun, was Druckgussgötter werktags zu machen pflegen: nichts. Das war auch Mist, aber spurenweise ehrlich, entlastete die Psyche der Troglodyten und führte zum durchaus zukunftsfähigen Modell einer Religion neuen Typus. Geboren ward der Krisenkult.

Wann immer der Zustand, der sich irgendwann auch gegen größere Mengen an Alkaloiden durchsetzt und grausam die Wunden berührt – im Fachhandel als Realität erhältlich – wieder die Oberhand behält, zeigt sich die Tragfähigkeit institutionalisierter Stereotype, die metaphysische und magische Vorstellungen einer Gesellschaft zu Ritual und Wille gegossen haben, vielmehr: sie zeigt sich eben nicht. Das irdische Paradies findet nicht statt, die Konfrontation mit der verdrängten Furcht beflügelt wirre Vorstellungswelten, die sich durch allerhand Öffnungen ans Tageslicht helfen. Das säkulare Verlangen, den alltäglichen Tinneff von der Backe zu kriegen, gebiert im Sekundenschlaf der Vernunft seltsame Systeme. Für eine Religion wundert das nicht, wohl aber bei einer Spannungsintervention.

Denn wo sich der Hominide ansonsten kühl und planmäßig verhielte, schaltet er nun um auf weißes Rauschen. Schmeißen die Amerikaner hübsche Sachen vom Himmel, Konserven und Klamotten, so schnitzen sich die Melanesier nach deren Abzug Klötzchen zu Kopfhörern und Dachlatten zu Flugzeugen, locken mit Motorenbrummsimulation imaginäre Flugzeuge herbei, basteln lebensgroße Landebahnen als Tempelanlage und wundern sich, dass außer Vögeln nichts aus der Stratosphäre kippt. Die nativen Amerikaner selbst locken mit Gleisen und Büffelgestampf die Ahnen herbei, die pünktlich mit dem Zehn-Uhr-Zug kommen sollen. Im amazonischen Urwald drechseln sich die Experten Ghettoblaster im Maßstab 1:1, weil sie den Geist der kapitalistischen Rasse und seine angeblich zur Transzendenz fähigen Manen darin blubbern zu hören glaubten. Der geneigte Strukturalist ahnt es leise, alles völlig verseift.

Nicht wenige Brauchtumsvereine der organisierten Hirnendablagerung schwiemeln ihr Geschäftsmodell auf subtil bis plump geschürter Panik, dass der für die kommende Kalenderwoche angekündigte Weltuntergang je nach Wetterlage eventuell doch schon drei Tage früher kommen könnte – oder auch nicht, wen interessiert’s. Sie machen aus der Not ihrer Klientel eine Sekundärtugend, meistens eine, die mit viel Barem, Gutem, Schönem zu tun hat, das man dafür anschaffen kann. Die eschatologischen Kulte sprechen jeder Logik Hohn, vor allem ihrer eigenen. Wenigstens nehmen sie eine gründliche Entrückung für sich in Anspruch, Zombies auf Speed, Kurzstreckendenker wie das intellektuelle Geröll, das ihnen folgt.

Doch das Muster bleibt produktiv. Auch die jähzornige Anrufung der Ersatzgottheiten, Arbeit, Wachstum, Buchgeld, um sich gegen die letzten Reste von Wirklichkeit zu immunisieren, wie man im Dunkeln pfeift, damit dem Teufel die Ohren abfallen, auch dies ist hysterisches Gebet aus reiner Aussichtslosigkeit. Man erfindet neue Schemen und Schablonen, Symptome der Beknacktheit, wie sie das anberaumte Armageddon mit etwas Glück an den Rand definieren, um ein Quartal verzögern oder dem anderen Stamm in die Schuhe schieben, den eigentlich Schuldigen, weil die kleinere Ohren haben oder die falsche Muttersprache oder einen Kaiser oder keinen oder zwei. Nichts wirkt. Wie auch. Denn der Kult ist nur intellektuelles Glutamat und die zum Scheitern verurteilte Gewissheit, dass man durch ostentatives Geplärr Dinge wieder zum Leben erweckt – Bisonherden, Vollbeschäftigung – die längst im Stadium fortgeschrittener Verwesung sind. Zwar erst ganz zuletzt, aber: sie stirbt, die Hoffnung, und mit ihr der letzte Funke Zuversicht, dieser Scheiße heil zu entrinnen. Die kleine Dicke mit der Warze wäre heute Kanzlerin. Auch nur eine Messiasmarionette. Und der Marsch ins Verderben hätte nicht amüsanter sein können.