Social Freezing

30 10 2014

„Suuuper Idee! ganz tolle Sache, das ist mindestens an die, ach was: noch mehr ist das wert – suuuper, das versetzt den Vorstand in Ekstase, und dann das Controlling erst! Die sind ja für Abbau immer zu haben. Sonst würden sie nicht immer diese Hirnschlagopfer bei uns entsorgen.

Das ist natürlich eine geniale Sache, so eine Zeitschrift so ganz ohne verwertbare Inhalte. Das ist echt voll total Kultur und so: nichts reinstecken, aber alles rausholen. Finde ich echt suuuper, das. Und wenn wir das jetzt noch durch alle Bereiche durchdeklinieren, dann kann man das echt zum Modellfall machen. Ist doch das, das liegt ja wohl voll total auf der Hand: keine Redakteure mehr, dann hat man keine Personalkosten mehr, und dann hat man auch nie wieder Personalprobleme! Das ist so voll suuuper, das wird viel besser als erwartet!

Ach so. Gut, wir hatten das schon bedacht. Der eine da, dieser Typ aus dem, nee, nicht aus dem Controlling, der hatte einen Schulabschluss. War wohl ein Praktikant. Der meinte dann so, wenn wir alle Redakteure rauswerfen, haben wir auch keine Redaktion mehr. Haben wir natürlich als linke Hetzpropaganda von Gewerkschaftstypen abgetan. Aber irgendwie müssen wir das transparent machen. Falls die Aktionäre kritische Fragen stellen, muss man doch vorbereitet sein.

Wir haben die Lösung, aber sie ist viel einfacher als erwartet – sage ich jetzt nur, weil das der Vorstand bei solchen Sachen auch immer sagt: wir kaufen die Texte einfach. Ist doch suuuper, was? Finde ich jedenfalls. Finden wir alle. Und das wird voll der Gewinn, weil: wenn man die Texte kauft, dann bestimmt der Markt den Preis! Das doch so suuuper, das ist schon echt voll total suuuper, oder? Oder!?

Das wagen die nicht. Das würden die echt nicht wagen, auf einmal alle arbeitslos zu sein. Ich meine, soziale Verantwortung, das ist keine Einbahnstraße. Nur weil wir diese Arschlöcher alle auf die Straße setzen, werden die doch nicht plötzlich arbeitslos. Das wagen die doch nicht! Ich meine, es gibt doch für alles einen Markt – aber doch nicht für Arbeiter, oder? Die können doch nicht alle arbeitslos sein und dann plötzlich ins Callcenter gehen oder zu Schlecker. Geld ist doch nicht alles im Leben, das müssen die doch wissen!

Wir haben ja schon mal geguckt, aber wo dieser Internet-Oettinger die wieder heißmacht mit dem Urheberrecht, wir werden uns die Texte echt irgendwie besorgen müssen. Schülerpraktika? Kann man machen. Da müssten wir die Rechtsabteilung fragen. Die wird nicht gekündigt, keine Angst. Ohne die wären wir echt aufgeschmissen!

Klar, wir wollen die Vielfalt und Kreativität des modernen Lifestyles irgendwie auch widerspiegeln, und das möglichst auch in medialen Inhalten. Aber das sagt ja noch nichts über die Produktion, da sind wir im Prinzip ja erstmal ohne Vorgaben, oder? Gut, die erwartete Umsatzsteigerung sollten wir nicht unbedingt um fünfzig Prozent unterschreiten, aber das kriegen wir schon hin. Mehr als vierzig, oder sagen wir mal: fünfundvierzig werden es nicht. Vorerst.

Aber suuuper, das machen wir doch sofort! Das mit den Leserreportern ist natürlich eine suuuper Idee, das greifen wir bei uns doch sofort auf! Was die reportieren sollen? Mir doch wumpe, Hauptsache ist doch: kostenlos! Es kostet nichts, das ist der Punkt!

Vielleicht mal eine Kooperation mit so einem Rezeptblog. Beauty. Was die moderne, emanzipierte Frau heute so interessiert. Schminken, Kochen, Schuhe, Kinder. Was man ohne große Aufbereitung halt so hinkriegt, damit es schon jetzt so aussieht wie der Qualitätsjournalismus von morgen.

Aber dafür wird ja die Führungsebene unseres Magazins aufgestockt! Ist das nicht eine Nachricht? Suuuper! Wir schaffen Topjobs im Mediensektor, und damit das klar ist: es liegt nicht am Geld, denn was diese paar Tussen da in der Redaktion nicht mehr reingesteckt kriegen, das reicht doch noch lange nicht, um die Spitzenmanager zu bezahlen, die ab sofort unser Magazin ganz nach vorn in den Auflagenzahlen der – Quote? Sind Sie noch ganz frisch in der Birne!? Wir holen uns doch keine Frauen in die Chefetage, was sollen wir denn mit denen anfangen? Social Freezing? so viele Eier kann man ja gar nicht einfrieren, und am Ende kommt noch eine von den Muttis auf die Idee und adoptiert am Arbeitsvertrag vorbei so ein afrikanisches Baby! Da kriege ich doch die Krätze!

Das ist unerlässlich – wir sind schließlich eine deutsche Zeitschrift. Auf einen Schreiber kommen dann zahlenmäßig zweieinhalb Vorstände. Damit wir eine gute Work-Life-Balance haben. Falls sich einer von denen um die Schreiber kümmern will. Wir sind ja jetzt bei Bertelsmann so sozial, wir stellen das so lange frei, bis wir aus Versehen eine Stiftung dafür gegründet haben. Die kümmert sich dann darum, dass die Honorare der Schreiber kontinuierlich minimiert werden, damit mehr von den Schreibern von ihrem steigenden Einkommen leben können. Suuuper Sache, aber das wollte ich Ihnen eigentlich noch gar nicht… –

Ich!? Aber ich bin doch seit fast zwanzig Jahren bei Ihnen… Sie können mich nicht einfach… Das glaube ich jetzt nicht! Nur, weil ich damals freiwillig die Leitung für das Online-Ressort übernommen habe, wollen Sie mich…“