Wahre Liebe

14 05 2015

„Verdammt noch mal, wir passen eben einfach perfekt zusammen!“ Anne war, was half’s, wütend. Ich hatte ihrem Furor nichts entgegenzusetzen, viel schlimmer noch: die gute Sache machte es ja auch erforderlich. „Wen sollte ich denn mitnehmen? etwa Hülsenbeck, diesen elenden Schlawendrian?“ Die Entscheidung war gefallen. Es konnte nur einen geben, und der war für sie bedauerlicherweise ich.

„Sie ist die einzige Tochter von Staatsanwalt Husenkirchen“, informierte mich Anne über das Offensichtliche. „Und sie würde diesem Typen zu gerne näher kommen, aber er ist nun mal furchtbar gehemmt.“ „Verstehe“, konstatierte ich, „ich werde also auf die Schnelle ein bisschen Polnisch lernen, Atomphysik studieren und ihm beibringen, dass er die junge Dame zu ehelichen hat, weil er ansonsten Ärger mit der deutschen Justiz bekommt.“ „Erzähl nicht immer so einen Unsinn“, fauchte sie. „Ich habe ihnen nur einen Abend unter glücklichen Paaren versprochen, und da sonst keiner aufzutreiben war, werden wir eben alleine gehen.“ „Deine offiziell inoffizielle Liaison mit Max ist also inoffiziell nicht mehr offiziell“, konstatierte ich. Die kleine Blumenvase verfehlte meinen Kopf um wenige Millimeter. „Mit ihm kann man sich doch nirgends blicken lassen“, schimpfte Anne.

Wir waren ein bisschen zu früh bei diesem Edelitaliener. „Warum hast Du mich überhaupt hierher geschleppt“, maulte Anne. Ich blickte mich reflexartig nach kleinen Blumenvasen um. „Weil Dich hier noch keiner kennt“, zischte ich zurück. Die Stühle waren zu schwer, die Pfefferstreuen waren zu groß, und da waren die junge Frau Husenkirchen und ihr polnischer Physiker. „Sie haben wieder diese großartigen Spaghetti“, juchzte Anne. „Weißt Du noch, wie neulich, als wir meine Eltern eingeladen haben?“ Vermutlich mochte man bei Husenkirchens keine Spaghetti. Oder sie waren etwas pikiert, dass sie keiner zu uns eingeladen hatte. Aber es klärte die Fronten.

„Er kocht so gerne“, ließ sich Anne vernehmen. „Und bei Euch? Ihr müsst doch ein Lieblingsgericht haben, oder?“ Mit etwas Hilfestellung hätte ich Grzegorz in ein Fachgespräch über Suppen verwickeln können. Oder über Gartenmöbel. Oder spontane Selbstentzündung. Es stellte sich heraus, dass er hin und wieder das Theater besuchte. „Ja, wir gehen auch zu gerne hin“, schwindelte sie. „Schatz, was haben wir noch letztes Wochenende gesehen?“ „Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats, dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade“, soufflierte ich. „Schiller“, seufzte sie. „Er liebt die Klassiker.“ Sophie Husenkirchen hüstelte vernehmlich. Kein Wunder, sie verstand nicht einmal etwas von moderner Kunst.

„Wir haben den Kredit nur bekommen, weil er seine Eigentumswohnung als Sicherheit hat.“ Dies Knirschen mit den Zähnen machte mich langsam nervös; unterdessen fiel mir auf, dass es meine eigenen Zähne waren. „Sie hat sogar schon Pläne für meinen Geburtstag“, frohlockte ich. Leider vergebens. Dass mir Sophie vor ein paar Wochen erst gratuliert hatte, war ihr schon wieder in Vergessenheit geraten. Und da hielt man Männer immer für oberflächlich.

Inzwischen verkündete Anne, dass ich ein großartiger Weinkenner sei – was nicht ganz gelogen war – und ein höchst erfolgreicher Segler – für einen bekennenden Nichtschwimmer, der nie einen Fuß auf schwimmende Objekte setzte, eine etwas unvorsichtige Aussage – und bekam nicht viel mehr als interessierte Blicke. Ich kam mir vor wie ein Zootier. „Außerdem komme ich wieder zum Lesen“, ging ich zum Gegenangriff über. „Sie braucht derart viel Zeit im Bad, ich habe endlich mal den gesamten Proust im Original geschafft.“ Grzegorz musste es verstanden haben; er litt heldenhaft. „Und nachdem sie ihr Schuhregal aus dem Schlafzimmer genommen hat, sah ich auch endlich einen tieferen Sinn darin, den Dachboden auszubauen.“ Annes Blick fixierte das Tischchen neben der Kasse. Die roten Dinger sahen aus wie Blumenvasen.

Vielleicht hatte ich es nicht richtig verstanden. Die junge Husenkirchen und ihr Begleiter hatten kurz den Raum verlassen, als Anne vor Wut platzte. „Dass Du immer nur an Dich denken musst“, schnaubte sie. „Es ist doch wohl nicht zu viel verlangt, wenn wir einmal einen netten, harmonischen Abend mit Freunden verbringen, ohne dass Du wieder alles mit Deinen bösartigen Bemerkungen kaputt machen musst.“ Ich wollte etwas entgegnen, kam aber nicht mehr dazu; wahrscheinlich war das auch besser für mich. „Und wenn wir schon dabei sind, warum hast Du mich in dieses komische Restaurant geschleppt? Die haben hier nicht einmal ein anständiges Bier auf der Karte! Musst Du Deinen Kopf immer durchsetzen? Und bist Du eigentlich zufrieden jetzt?“ Sophie hatte schon eine Weile zugehört. Anne gefror und drehte sich ganz langsam um. Sie sah in das entrückte Lächeln der Freundin. „Am Anfang war ich skeptisch“, sagte Sophie, „aber jetzt weiß ich, dass Ihr beide wirklich ein wundervolles Paar seid. Hoffentlich werden wir auch einmal so.“