Die Konkurrenz schläft nicht

22 08 2016

Luzie schob tröstend den Keksteller über den Tresen. „Das Schwein hat mich dreimal reingelegt“, kaute Paulsen, „dreimal! Ich weiß kaum noch, wovon ich meine Gehälter bezahlen soll!“ Er langte noch einmal ordentlich zu, dann kam Anne auch schon aus dem Beratungszimmer. „Hümpel mal wieder“, knurrte sie. „Alle Jahre wieder.“

Schon der alte Heinrich Wilhelm Paulsen, seines Zeichens Großvater des jetzigen Chefs, hatte an der Ecke Lessingplatz einen Feinkostladen unterhalten. Die Zeitläufte brachten es mit sich, dass er den Titel eines Kaiserlichen Hoflieferanten für ff. Colonial-Waren nur wenige Jahre innehatte, dann kümmerte man sich hierzulande um ganz andere Dinge. Der Enkel indes studierte nicht Kunstgeschichte, wie es Bismarck prophezeit haben würde, er baute nach und nach das Ladengeschäft aus, mietete den angrenzenden Hinterhof, baute eine kleine Küche ein für ein Delikatessenbüfett und hatte schließlich ein stattliches Lager, aus dem er die Gasthäuser der Stadt zu beliefern begann. Kennengelernt hatte ich ihn durch die Bücklerbrüder; Bruno, der in seinem Landgasthof Entenkeule süßsauer kochte und Aal grün, von Freunden und Kritikern ehrfürchtig nur Fürst Bückler gerufen, hatte oft seine Auswahl an frischem Obst und Geflügel gepriesen, namentlich dann, wenn kein anderer liefern konnte.

„Die Konkurrenz schläft nicht“, klagte Paulsen, doch nicht aus Gewohnheit, wie es der Kaufmann zu tun pflegt, sondern mit ernstem Hintergrund. „Es wurde immer schwieriger in den letzten Monaten, und da kam mir der Großauftrag von Hümpels Gartenlokal gerade recht.“ August Hümpel hatte eher im Sinne der Generationenfolge gehandelt, er war der missratene Spross einer Dynastie von Köchen und Kneipiers, der hier und da ein neues Etablissement aus dem Boden stampfte, es in einem Jahr zugrunde richtete und durch allerlei Finten und Kniffe, so dass er nämlich niemandem die Schulden bezahlen musste, an einem anderen Ort wieder von Neuem anfing. Anne blätterte einen dicken Stoß an Rechnungen durch. „Das liefern Sie alles“, fragte sie ungläubig. Nicht ohne Stolz nickte Paulsen. „Sie bekommen keine besseren Rebhühner im Umkreis von hundert Kilometern.“ Gerade von denen hatte Hümpel immer gerne bestellt, anfangs auch prompt gezahlt, doch das war nicht lange so gegangen. „Ein ordentlich durchgezogenes Mahnverfahren nach dem anderen“, konstatierte die Anwältin. „Und Sie haben den Gerichtsvollzieher hinzugezogen, wo es nötig war?“ Paulsen nickte. „Immer.“ Als wäre es ihm besonders peinlich, fügte er hinzu: „Sogar eine Taschenpfändung haben wir vornehmen lassen.“ Trotzdem fehlten gut fünfhundert in seiner Kasse, um für diesen Monat die Angestellten zu entlohnen. „Ich dachte, Ihnen fällt etwas ein?“ Anne legte die Stirn in Falten. „Mal sehen.“

„Da ist der Lump“, presste Paulsen zwischen den Zähnen hervor. Wir klemmten zu dritt in dem Sportcabriolet. Reichlich Gäste saßen draußen auf dem kiesbedeckten Platz zwischen Blumenrabatten und Efeuranken. „Ich drehe ihm den Hals um, dem verdammten…“ „Nichts dergleichen“, zischte Anne dazwischen. „Die Angelegenheit werde ich rein juristisch regeln, und zwar ganz diskret und ohne Aufsehen zu erregen.“ Wir hatten nicht mit dem Temperament des Delikatesshändlers gerechnet. „Ich drehe ihm den Hals um!“ Schon wollte er die Tür von innen aufreißen, als er plötzlich bemerkte, er saß auf der Rückbank. „bremsen Sie sich“, sagte Anne trocken. „Was ich jetzt gar nicht gebrauchen kann, sind irgendwelche Extratouren.“

Ihr Plan bestand darin, gemeinsam mit Paulsen das Restaurant zu betreten, den Geschäftsführer zu verlangen und ihm die Nichtanwendung schwerster Strafen nur dann zu versprechen, wenn er sofort und bis auf den letzten Heller die geschuldete Summe herausrücken würde. „Hier haben Sie ein Exemplar der Kostenaufstellung“, instruierte Anne ihn, „das umfasst auch meine…“ „Hümpel“, brüllte er. „Hümpel, Sie elendes…“ Mit einem Satz war der Geprellte auf den Wirt zugesprungen, rieb ihm die Rechnung unter die Nase und schrie ihn aus voller Lunge an. „Wenn Sie nicht sofort Ihre Schulden begleichen, dann…“ Schon drehten sich Gäste peinlich berührt um. „Dieser Vollidiot“, rief Anne aus. „Gleich fliegt er raus, und das macht es nur noch schlimmer!“ Doch nichts davon geschah – Paulsen folgte ins Haus, man hörte die beiden nach Kräften sich gegenseitig bezetern, und das ging für eine ganze Weile so. Der Ausgang schien immer weniger gewiss.

Da zupfte ich Anne diskret am Ärmel. „Die Küchentür“, flüsterte ich. „Rasch!“ Schon waren wir im Gang zur Küche, der auf den Garten hinausführte. Zwei weiße Schürzen hingen dort, bestellt und nicht abgeholt. Wir blickten einander an. Im Nu hatten wir die Vorbinder um die Hüften geschlungen und zwei Tücher über den Arm gelegt. „Bereit?“ Sie nickte, und so schritten wir leutseliger Miene auf dem knirschenden Kies von Tisch zu Tisch. „Verzeihung“, sprach ich mit geschmeidiger Stimme ein älteres Paar an. „Wir haben gleich Schichtwechsel, wenn ich bei den Herrschaften schon einmal abziehen dürfte?“

„Das Hausverbot haben Sie sich ganz allein zuzuschreiben“, rügte Anne. „Man schmeißt nicht mit Tellern nach einem Gastwirt. Schon gar nicht, wenn es seine sind.“ Paulsen senkte schuldbewusst den Blick. „Das dürfte genügen“, tröstete ich ihn und reichte ihm ein dickes Bündel Scheine nach hinten. „Und mir wäre jetzt nach Rebhuhn. Auf zu Bücklers!“


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