Gernulf Olzheimer kommentiert (DCCXV): German Branding

24 05 2024
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Zu den am weitesten verbreiteten Irrtümern über die Ökonomie zählt noch immer, dass deren Maß die reine Zahl ist, die sich an Umsatz, Profit oder Dividende ablesen lässt, gleichgültig, wie, wo, von wem sie erwirtschaftet wird. Schnell merkt aber der Betrachter, wie jener Wettbewerb, bei dem alle ihr Seelenheil in Börsenkursen und Shareholder Values suchen, eine zutiefst irrationale, immer schon auf Nationalmythen fußende Veranstaltung ist, die mit Abstraktionen wie Erfolg oder Wohlstand verklärt wird, ohne auch nur im Entferntesten mit dem Land zu tun zu haben. Was auch immer jüngst an alberner Verklärung über die Republik wabert, dies hier sei die Heimstatt der Küchenbauer, der Autohändler und Ingenieure, denen man aber schleunigst das Handwerk legen muss, falls sie nicht endlich dieses verdammte Fusionskraftwerk an der endlästigen Thermodynamik vorbei erfinden, in diesem Gefolge kommt stets die wirre Vorstellung, irgendein im Erbgut niedermolekular verschwiemeltes Talent sei dafür verantwortlich. Und damit werben wir dann, als gäbe es nicht überall auf der Welt Brot, Radios oder Bohrmaschinen. It’s called German Branding.

Ansonsten ist der Teutone ja gern international aufgestellt, kauft asiatische Fertiglebensmittel, die mit dem aufgedruckten Herkunftsland so viel zu tun haben wie ein chinesisches Rückentattoo mit der taoistischen Lehre, und hält beides für legitim, da kein nationales Tabu verletzt wurde. Ansonsten aber ist der Michel ein fleißiger Nostalgiker, der noch in dem Teil der Vergangenheit lebt, als die Wertarbeit tatsächlich aus der BRD stammte: Stereoanlage und Röhrenfernseher, Waschmaschine und Armbanduhr, alles von Helden der Arbeit konstruiert und fürs Volkswirtschaftswunder West sorgsam geklöppelt. Wie seinerzeit die Reiseschreibmaschine wird auch bald die Fotovoltaik im technischen Museum die Staubfäden anziehen, ein Produkt auf Weltniveau, das leider von der innovativen Fossilindustrie ins kapitalistische Ausland vertrieben wurde. Gewiss, noch könnten deutsche Experten Kohlekraftwerke aus dem Boden stampfen, Atommeiler oder jede Menge Gasheizungen, aber der Schreibmaschine ging es eben nicht anders. Mag das Ding im reinen Gebrauchswert auch deutlich höher gelegen haben als die Schwarzwälder Kuckucksuhr, die Zeit lässt sich bei beiden nicht zurückdrehen. Auch wenn es immer wieder versucht wird.

Wie wenig Berechtigung dieser nationalistische Brauchtumsterrorismus hat, zeigte ironischerweise der britische Merchandise Marks Act, der ab 1887 die seit jeher protektionistische Wirtschaft auf den randeuropäischen Inseln vor kontinentaler Ware schützen sollte: alles, was nach England ausgeführt wurde, musste einen deutlichen Herkunftsnachweis tragen, um die Verbraucher zu warnen. Leider nahm die ausländische Ingenieurskunst in den folgenden Jahrzehnten besonders im Reich einen derartigen Aufstieg, dass Made in Germany vom Ramsch- zum Qualitätssiegel wurde. Diese Nation hatte vor allem im Bereich des Außenhandels schon immer ausgeprägt selbstzerstörerische Neigungen.

Und so ruht sich die deutsche Wirtschaft, darin mehreren zivilisatorischen Erscheinungsformen wie Arbeitswelt oder Sozialstruktur vergleichbar, vor allem aus in der Erinnerung an eine gute alte Zeit, die es so nie gab. Hat die westliche Welt wie im Rausch alles an Halbleitertechnologie, Textil- oder Pharmafertigung in sogenannte Niedriglohnländer verschoben, weil dann alles so billig und schnell zu beschaffen war, bekam sie die Rechnung dafür, in Gestalt von bröselnden Lieferketten, mangelnder Versorgung zur Unzeit und erheblicher Teuerung, von fragwürdigen Arbeitsbedingungen ganz zu schweigen. An und zu heult noch hysterisch eine staatliche Stelle, vor der nächsten Pandemie müsse es aber germanisch gestrickten Mundschutz geben, falls der fernöstliche Markt nicht liefern könne oder wolle – irgendwer marschiert da immer irgendwo ein oder kennt irgendwen, der das auch gerne tut oder täte – und dann ist auch wieder Ruhe, weil wir wieder einen Industriezweig weggemobbt haben, weil die Anleger das bestimmt so wollten.

Der richtige deutsche Fußball ist inzwischen zu historischer Größe geschrumpft, aber das ist auch die Autoindustrie. Etwa 700.000 Menschen arbeiten noch in dieser Branche, halb so viel wie im IT- und TK-Sektor, während allein der Tourismus gut 2,8 Millionen, das Gesundheitswesen 4,7 Millionen Personen beschäftigt. In einem Land, in dem der Spracherwerb mit Mama – Papa – Auto anhebt, wird man sich überlegen, wem man die Subventionen wohin pumpt, weil man ja ohne das Kulturgut Individualverkehr keinen Tourismus mehr hätte, und es käme auch keiner mehr in die Klinik. Wir leben in einer gründlich glorifizierten Wahnvorstellung, während unsere German Angst zum Markenartikel wird: Bedenken first, Zurückweisung second. Es sind die Fremden, die uns auf das typisch Deutsche zurückwerfen, auf unsere Fähigkeit, uns in der Opferrolle zu suhlen, die uns keiner mehr nimmt. Der Exportschlager der Nation ist, nicht schuld zu sein, an gar nichts. Das macht uns so schnell keiner nach. Nennen wir es doch der Einfachheit halber Leitkultur.


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2 responses

24 05 2024
Siewurdengelesen

Derweil das „Kapital“ so oder so immer dort hausieren geht, wo es am meisten abwirft – Made in XYZ hin oder her. War das eigentlich schon mal anders außer das „früher“ der Transport vielleicht noch teurer war wie die Löhne der eigenen Arbeiter?

Aber es gibt ja auch Leute, die nach dem Genuss der entsprechenden Medien glauben, dass an der Börse echtes Geld gehandelt wird…

24 05 2024
bee

Noch sehr viel früher kostete der Transport (so gut wie) gar nichts, weil Menschen Verbrauchsmaterial waren. Obwohl, so viel anders waren die Zeiten auch wieder nicht

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