Gefahrenlage

2 08 2023

„Rhodos ist out. Natürlich kriegen Sie da jetzt noch ein günstiges Doppelzimmer, aber da kann man nicht mehr hin. Das machen nur noch Touristen, und zu den wollen Sie ja wohl nicht gehören.

Außerdem ist das wieder einigermaßen safe, das heißt, Sie können da nächstes Jahr auch noch hin. Oder übernächstes. Irgendwann könnte es vielleicht echt eng werden, dann suche ich Ihnen gerne ein Hotel raus mit Blick auf den Waldbrand. Meerblick kann ja jeder, aber dafür muss man doch nicht nach Griechenland. Wir bieten Ihnen echtes Abenteuer an, das wird total super, mit etwas Glück kommt Ihr Gepäck wieder mit nach Hause. Wenn Sie die Reise überleben.

Das ist nun mal der Trend, mit dem wir uns als Reiseveranstalter befassen müssen, wenn wir noch Kunden haben wollen. Es wird ja immer schlimmer, man kann nicht mehr so wie damals planen, wenn die großen Besuchermagnete jetzt einfach so weg sind – in Österreich gibt es keinen Schnee mehr zum Skifahren, in Paris kommt man nicht mehr mit dem Auto in die Stadt, es wird wirklich immer schlimmer mit diesem Klimawahnsinn. Deshalb ist unser Geschäftsmodell jetzt noch aktueller, noch punktueller, eben nicht mehr diese Pauschalreisen wie früher, sondern schon sehr an der einzelnen Region orientiert.

Zum Beispiel Mallorca, früher der Klassiker, heute will man da hin, damit man einmal diese extreme Hitze übersteht. Das ist aus unserer Sicht auch durchaus nachhaltig, weil: glauben Sie mir, da wollen Sie kein zweites Mal mehr hin. Die Zahlen werden also recht schnell abnehmen, dann haben die Spanier die Insel wieder für sich, ab und zu entkommt noch mal ein Brite dem Brexit, aber das war’s dann. Das müssen wir dann eben abhaken, so leid mir das tut, aber es ist ja auch okay. Wer dann noch Extremwetter will, kann ja gerne nach Afrika fahren, unter Umständen retten wir so einen Teil der Bevölkerung mit Jobs in der Hotellerie, wenn der Rest auswandert, und für richtig Action können Sie dann von Lampedusa aus mit dem Kutter übers Mittelmeer schippern. Da würde ich dann an Ihrer Stelle gar nicht erst Gepäck mitnehmen, das landet eh als erstes im Wasser. Gewöhnungsbedürftig, ich weiß, aber Trends erkennt man ja daran, dass es immer jemanden gibt, der sie unbedingt mitmachen will. Und wir haben die richtigen Angebote.

Deshalb haben wir auch überall unsere Scouts, die sofort Kapazitäten buchen und uns die besten Angebote vermitteln. Hätten Sie vor vier Wochen nach Strandurlaub für die Familie gefragt, ich hätte Sie vor die Tür gesetzt – ohne Scherz! Bei dem Wetter an der See herumlatschen, das kriegen Sie auch woanders, dafür muss ich meine Zeit nicht mit den Kunden verplempern. Aber wir haben überall die heißesten Angebote, wenn ein Reiseziel sich im Attraktivitätsranking nach oben schiebt. Eine Woche Wattenmeer, absolutes Schnäppchen – wenn Sie jetzt anreisen, sehen Sie das brennende Schiff, dann wird der Kahn nach draußen geschleppt, und wenn Sie dann zu den letzten Besuchern gehören, bevor das ganze Gebiet ökologisch völlig verreckt ist, können Sie Ihren Kindern später aber mal richtig was erzählen. Einzigartig! Also ganz ehrlich, ich würde auf der Stelle zuschlagen. Und bei den Außentemperaturen ist mit Baden sowieso Essig.

Reiserücktrittsversicherung können Sie da natürlich knicken. Ich sag’s Ihnen ganz ehrlich, von diesen Prozesshanseln, die nach drei Wochen im Busch merken, dass ihnen die Moskitos in der Bude fliegen, haben wir die Nase voll. Die fahren nur in den Urlaub, um uns eine schlechte Bewertung zu verpassen und den Anwalt auf den Hals zu hetzen, damit sie nichts zu bezahlen brauchen. Die würden auch in den Bürgerkrieg fahren und sich dann über das Geballer aufregen. Hier entscheiden Sie sich nach jeweiliger Gefahrenlage, selbstverständlich in Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt, damit da keine Reisewarnung unter den Tisch fällt, und Sie dürfen sich auch selbst in den Medien informieren. Offiziell ist es ja nicht verboten, nach Australien zu reisen, und wenn bei uns im Prospekt Bilder von Koalas im Waldbrand sind, dann dürfen Sie die auch gerne zur Kenntnis nehmen. Alle reden von der Freiheit, hier bekommen Sie sie.

Asiatische Überschwemmungsgebiete? Das ist immer mal wieder im Kommen, man kann immer so schwer abschätzen, ob es da Tsunamis gibt. Aber ein Erdrutsch ist öfter mal drin, da sind Sie dann für ein paar Tage von der Außenwelt abgeschnitten, ohne Strom, im Starkregen, und wenn Ihr Hotel dicht genug an der Abbruchkante liegt, machen Sie mit dem ganzen Kasten eine malerische Talfahrt. Da wissen Sie dann, Sie sind definitiv der letzte westliche Besucher, der den Ort noch mit lebenden Einwohnern gesehen hat. Unwahrscheinlich schöne Kulturschätze, es gibt doch hübsche kleine Tempel aus dem 15. Jahrhundert – mit etwas Glück sind Sie dabei, wenn so einer im Schlamm versinkt. Das lohnt sich auch fürs Fotografieren. Dagegen sind die rauchenden Trümmer von Rhodos doch total langweilig, meinen Sie nicht auch? Deshalb ist unsere Devise: umdenken und das Reisen ganz neu für sich entdecken. Wenn der Tourist nicht zur Katastrophe kommt, macht nichts, früher oder später kommt die Katastrophe zum Touristen. Mal sehen wann das bei uns so weit ist – hier an der Ostsee.“


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2 08 2023
Umleitung: Merz‘ Tabubruch, Höckes AfD, Vernunft, Cannabis, Gefahrenlage, Journalismus auf Mastodon, Deutschlandticket für Schüler*innen im HSK – zoom

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