Donnerstag um halb zwei

6 06 2024

„Ich sage das in aller Deutlichkeit: das ist eine menschenverachtende Schweinerei! So geht man einfach nicht um mit Menschen, und wir sind alle Menschen, aber das scheinen manche in ihrem blindwütigen Egoismus ja schnell zu vergessen, wenn es um die eigenen Interessen geht!

Dass man das alles nämlich auf die Herkunft von Menschen reduziert, im Grunde genommen auf den reinen Zufall, wo jemand geboren wurde, wofür der ja auch gar nichts kann, auf die Eltern, und dann auf den Pass, der ja auch nur eine bürokratische Entscheidung widerspiegelt, das ist doch in letzter Konsequenz ein Werturteil, das wir uns moralisch nicht erlauben dürfen! Sie fragen sich, woher denn dieser ganze Rassismus kommt, die Einteilung in nützliche und unnütze Menschen, in erwünschte und unerwünschte – bald sind wir wieder beim unerwünschten Leben!

Das ist eine politische Entscheidung, sehen Sie das endlich mal ein, bevor Sie wieder die ganzen Vorurteile nachplappern. Auch der Pass ist eine politische Entscheidung: wem geben wir ihn, wem verweigern wir ihn, gehört der Mensch zu uns, darf er sich da und da aufhalten, darf er sich dauerhaft aufhalten, muss er sich zu einer Heimat bekennen, die gar nicht seine Heimat ist, oder darf er zwei Orte Heimat nennen, und welche Bewertung darf sich denn die Politik über dieses Heimatempfinden erlauben? Ganz sicher keine moralische, oder steht in den ganzen Verfassungen nicht irgendwas drin von Menschenwürde?

Die ganze Menschheitsgeschichte besteht nun mal aus kulturellen Kontakten, aus Völkern, die ihre Sprachen, Sitten und Gebräuche, ihre Religion oder ihre Kunst aneinander angeglichen haben, ihre Speisen und Getränke, Kleidung, Musik, was Sie wollen, und die stellen sich jetzt einfach hin und sagen: egal, falscher Pass. Diese unverhohlen rassistische Wertvorstellung, die ja überhaupt erst durch sekundäre Faktoren bestimmt wird – lassen Sie mich ausreden, ich erkläre Ihnen das noch – ist im Grunde genommen doch einfach nur ein Zeichen von Schwäche, von Selbstunsicherheit, die reine Ambivalenz, und da sind wir auch schon wieder bei der Opferrolle. Huhu, die haben uns unser schönes Land kaputt gemacht, das dürfen die nicht, unser schönes Land dürfen nur wir kaputtmachen, weil wir das nämlich viel besser können. Sagen Sie mal, haben die eigentlich noch alle Tassen im Schrank!?

Obergrenze, dass ich nicht lache – wie wollen Sie das denn bitte kontrollieren? Steht da ein Mann am Grenzzaun und macht Striche ins ein Notizbuch, und wenn die maximale Zahl fürs laufende Jahr erreicht ist, dürfen Sie noch rein, Ihr Mann bleibt draußen, die Tochter auch, und am Ende kommen die gar nicht mehr rein, weil sie nämlich schon mal nicht reingekommen sind? Wie absurd kann es denn bitte noch werden? Und dann gleichen Sie diesen Bockmist doch mal ab mit der Realität, manche sagen dazu auch: Gesetzeslage. Wir haben nämlich eine ganze Menge geltende Gesetze, manche von denen gelten sogar international und gleich für alle Menschen, völlig egal, wer da von wo kommt und wohin er will. Wird dann am Donnerstag um halb zwei das Gesetz außer Kraft gesetzt, weil irgendein Mann einen Strich im Notizbuch macht?

Sekundäre Faktoren? ach so, die. Das ergibt sich ja auch aus den Umständen. Wenn Sie sich nämlich in einem Land aufhalten, weil es einen guten Grund dafür gibt, und sei der auch sehr subjektiv, dann ist es ja geradezu grotesk, dass man auf Sie zukommt und sagt, Sie würden hier überhaupt nur stören. Am Anfang vielleicht, weil Sie die Sprache noch nicht so perfekt beherrschen und die Grußformeln nicht draufhaben, oder Sie bestellen das falsche Getränk, oder Sie können den Fahrplan nicht lesen, Sie sind zu laut oder zu leise, völlig egal, jedenfalls reicht es am Ende, dass Sie einfach nur da sind: Sie sind in diesem Land anwesend, und das wird automatisch als Störung gewertet, als bösartig, und Sie sind ein Parasit, weil Sie den anderen die Luft wegatmen, und irgendwann kriegen Sie dann den Volkszorn zu spüren. Weil Sie einfach nur da sind. Aber wehe, Sie werden in dieser ganzen Scheiße auch nur einmal laut, Sie reagieren nur einmal mit geistiger Überlegenheit, dann sind Sie sofort eine nationale Bedrohung, weil Sie aggressiv sind und sich nicht wie das Opfer verhalten, auf dem man einfach herumtrampeln kann. Und schon sind Sie in einer Schublade drin, und alle sagen: so sind die halt. Und zwar alle, die nicht zu uns gehören.

Wenn Sie nur einmal zynisch genug sind und rein wirtschaftlich denken, dann fällt Ihnen auf, dass alle diese Menschen wenigstens zu einer Sache gut sind: sie steigern das Bruttoinlandsprodukt. Ja, sie sind Wirtschaftsfaktoren, und sei es eben nur als Verbraucher, die einer Ökonomie ganz neue Märkte eröffnen können. Das ist Marktwirtschaft, und der Markt regelt nun mal. Wollen wir jetzt auch noch die Weltwirtschaft abschaffen, nur weil wir die Menschen in nützliche und nicht nützliche Subjekte im Sinne der Passbesitztheorie einteilen, auf ihre Mitwirkung als ökonomische Agenten verzichten und ganz toll autark den Laden an die Wand fahren? Weil das den nationalen Interessen auch so nützt, oder? Da kommt jetzt plötzlich überhaupt keine Reaktion mehr, weil das der neuralgische Punkt ist, richtig? Aber bei Menschenrechten und bei Moral, da können wir uns natürlich aufregen und alles als ideologisches Gesabbel ablehnen, stimmt’s? Ob das menschenverachtende Scheiße ist, hatte ich gefragt!

Ach, wer redet denn hier von irgendwelchen Asylanten!? Diese Schweine auf Teneriffa wollen eine Quote für Touristen aus Deutschland!“