Hölle

6 10 2021

„Das klingt, sagen wir mal: interessant. Wirklich, das klingt sehr interessant. Allerdings muss ich Sie dahingehend enttäuschen, dass wir unsere Wähler ein bisschen länger kennen, und da muss ich Ihnen sagen, dass das nicht funktionieren wird. Den Deutschen können Sie nicht mit Zukunft begeistern, der will Angst. Nackte Angst.

Deshalb haben wir ja auch nicht begriffen, warum die CDU diesen inkohärenten Wahlkampf macht – auf der einen Seite Panik vor den bösen Linksfaschisten schüren, die einen an die Wand stellen, wenn man seine Bratwurst nicht gendert, auf der anderen Seite von Zukunft reden. Zukunft, meine Güte – das ist fast schon wieder so schlimm, dass der Deutsche davor auch Angst kriegt. Das hat die Partei ordentlich versemmelt.

Den Vertrauensverlust können Sie doch nur in den Griff kriegen, wenn Sie den Menschen zeigen, dass Sie ihn vor den großen Gefahren in Schutz nehmen. Dass das deutsche Volk bald nicht mehr existiert, weil innerhalb der nächsten Jahrzehnte Millionen islamistischer Afrikaner Deutschland überfluten und uns zur Minderheit degradieren, das muss man den Menschen plausibel machen. Das werden sie auch glauben, denn wenn es dann nicht eintritt, dann haben Sie als Regierung einen guten Job gemacht. Es ist nicht so einfach, das mit den Masken und den Corona-Infektionen ging etwa in dieselbe Richtung, und zum Schluss waren alle sauer, weil sie sich nicht angesteckt haben. Da muss ein bisschen kommunikatives Feingefühl her, das kriegen Sie nicht mit diesen Schießbudenfiguren. Aber der Ansatz ist richtig.

Es ist ja auch kompliziert, wenn die Menschen plötzlich merken, dass es reale Gefahren gibt, die sie bisher nicht wahrgenommen haben. Da säuft ein ganzer Landstrich ab, obwohl die Partei den Leuten vorher gar keine Angst davor gemacht hat. Sie sehen, das stellt uns plötzlich vor die Aufgabe, dass wir politisch handeln müssen – politisches Handeln, wer hat denn das vorhersehen können? Das ist eine der Ängste, mit denen man sich in dieser Partei beschäftigen muss. Die Bürger ahnen ja gar nicht, was das für uns heißt. Wie soll man sich so seinen Kernaufgaben stellen?

Es ist ja ein bisschen so wie mit der Religion. Da wissen Sie nicht genau, ob es diese Hölle auch wirklich gibt, aber die Schilderungen sind schon mal konsistent und inhaltlich so schlüssig, da ist ein Beweis schon nicht mehr notwendig. Die Religion bietet Ihnen jetzt die Versicherung vor der Hölle, vorausgesetzt, Sie tun alles, was man Ihnen sagt. Das ist ein verhältnismäßig fairer Deal, denn wenn Sie hier auf die Religion verzichten, können Sie es in der Hölle nicht mehr so einfach korrigieren und müssen mit den Konsequenzen Ihrer Entscheidung leben. Gut, leben… – Sie wissen, was ich meine. Das Prinzip ist aber klar, selbst wenn Sie uns völlig umsonst gewählt haben, weil es die Hölle gar nicht gibt, das Ergebnis ist dasselbe, und wenn nicht, können Sie uns das Gegenteil nicht mehr beweisen.

Wir haben uns extra einen Kandidaten besorgt, der glaubt, dass es nach dem Tod irgendwie weitergeht, und deshalb machen wir andere Politik als zum Beispiel ein Kommunist, der bis zum Lebensende dringend mit allen Mitteln das Paradies auf Erden schaffen will. Das ist dann eine typisch linke Forderung, die ist irgendwann erfüllbar, dann haben Sie das Paradies, und dann gucken Sie blöd aus der Wäsche, weil Sie Ihren Wählern nicht mehr versprechen können, dass noch irgendwas kommt. Da nützt Ihnen auch keine Weiter-so-Rhetorik, das merken die Menschen. Sie müssen zumindest Angst erzeugen, dass irgendjemand das Paradies kaputt machen will. Oder dass jemand die paradiesischen Zustände ausnutzt, obwohl ihm das nicht zusteht. Und dazu brauchen Sie dann Feindbilder.

Wobei die möglichst diffus sein sollten, um die Forderungen zu formulieren. Mit ‚Ausländer raus‘ können Sie im Grunde nicht verkehrt machen, da ist noch nicht entschieden, wen Sie als ausländisch betrachten und wen sie wo raus haben wollen. Dass das verfassungsrechtlich nicht geht und technisch sowieso nicht, das ist ja völlig zweitrangig. Aber es ist eine Forderung, die können Sie jahrzehntelang auf jedes Wahlplakat schmieren. Einmal haben wir in Deutschland den Fehler gemacht, so eine wirre Hoffnungs- und Zukunftskampagne zuzulassen, mit der Botschaft, dass wir das schaffen können. Dass wir das ernsthaft schaffen! Sie sehen es doch selbst, wie das die öffentliche Wahrnehmung vergiftet hat, wir konnten mit ‚2015 darf sich nicht wiederholen‘ diesen staatszerstörerischen Populismus gar nicht mehr einhegen. Wenn Sie Angst säen wollen, muss sie zwingend auf fruchtbaren Boden fallen.

Ab da kann man die Bürger auch wieder sich selbst überlassen, Stichwort: Eigenverantwortung. Wenn sie dann alles falsch machen, sind wenigstens nicht wir schuld. Wir können zwar die Folgen als bedauerliche Einzelfälle abarbeiten, und das war’s auch schon. Mehr ist von uns nicht zu erwarten. Sie haben recht, man müsste den Menschen viel mehr Entscheidungsfreiheit wegnehmen, aber das ist in dieser Demokratie nicht ganz einfach. Sie ahnen ja nicht, was wir da schon alles versucht haben. Angst vor Corona anheizen – ging nicht, da Merkel. Mehr von diesem Digitaldings versprechen, das wäre nur wieder Hoffnung gewesen. Wenigstens werden wir als Partei jetzt in der Opposition mal sehen, was wir an Ängsten bewältigen können. Hoffentlich nicht zu viel, man soll sich ja nicht von seinen Wählern entfernen. Melden Sie sich gerne, wenn Sie wieder Ideen haben, aber bitte nichts mit Zukunft. Wir sind mit dem Thema durch. Endgültig.“


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6 10 2021
Umleitung: VS-Sachsen, vier apokalytische Reiter, Hölle, ohne Anklage in Gewahrsam, Frauengeschichte, Hagener Haushalt. – zoom

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7 10 2021
Zitat des tages | Schwerdtfegr (beta)

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