Gernulf Olzheimer kommentiert (DLXXXIV): Der ökologische Verzichtsdiskurs

1 10 2021
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Was tut er nicht alles, der Mensch. Fährt mit dem Auto zur Arbeit, kauft Gemüse in Einmalplaste und benutzt nie die Pinkeltaste. Kein Wunder, dass die Polkappen verkochen und der Permafrost sich in die Atmosphäre verabschiedet. Wäre er doch nur vernünftig, sagen alle, wir könnten Klimaziele mit lockerer Leichtigkeit wuppen und uns selbst feiern für diesen Sieg der Vernunft – aber nein, es muss der energieineffiziente Kühlschrank sein, aus dem er seinen Schampus zwitschert, damit er die alte Umweltsau in den Hühnerstall kriegt. Der Mensch ist dumm, das ist unbestritten, aber lässt sich das abstellen? Zur Not mit konsequentem Verzicht?

Fehlverhalten, das haben Debatten um innere Sicherheit und Wirtschaftskraft uns eingehämmert, beginnt in der kleinsten Keimzelle der Gesellschaft. Der ordentliche Bürger sammelt Buntmetall, gibt seine Spende für den Bürger in Uniform und hat die Nase gerne im Briefkasten des Nachbarn, der ja ein Volksverräter sein könnte. Natürlich braucht es kein Gesetz, um die Einhaltung der Kehrwoche in einem manierlichen Mietshaus sicherzustellen, das wird von den Erfüllungskräften schon organisiert, um zu klären, wer noch in der Kaste mitmachen darf. Und so übt sich der kapitalistisch sozialisierte Zonk in der Tugend des Mülltrennens, während der Strom spart und Verpackungen löffelrein zur allgemeinen Begutachtung an den Straßenrand verlastet. Fleißig nutzt er auch die modernen Möglichkeiten, die ihm das Netz bietet: hier und da, bereitgestellt von allen großen Ämtern und Verbänden, summiert er auf, was alles er tut und treibt, das CO2 in die Luft bläst. Wie viel Fleisch und Baumwolle hat der gemeine Mann verbraucht, wie oft ist er in den Urlaub geflogen, wie heizt er, und womit? Emsig schwiemelt er zusammen, was seine Selbstkritik in stattliche Form zu blähen weiß, und kriegt hernach das Ergebnis: schuldig mit Vorsatz. Wer Biogurken in Kunststoffpelle kauft, will halt ins Fegefeuer.

Dabei ist die Mär vom ach so privaten ökologischen Fußabdruck denn auch nichts anderes als ein relativ abgeschmackter PR-Stunt, den sich die Fossilienverbrennerindustrie ausgedacht hat, um dem durchschnittlichen Dreipersonenhaushalt den pechschwarzen Peter zuzuschieben, warum sich das Klima von Kipppunkt zu Kipppunkt hangelt. Der individuelle Verzicht, so greint’s aus der moralisch frisch gebleichten Etage, muss unbedingt sein. Wer da noch nicht seine Flusskreuzfahrt im Paddelboot macht, werfe die erste Grillwurst! Dazu gelingt es den Grünwäschern durch das abgeschrägte Framing locker, mit erhobenem Zeigefinger dem Volke die sittliche Überlegenheit unter die Nase zu reiben. Wie das Ökostrom aus eigenem Sonnenkollektor fürs Zehn-Zimmer-Passivhaus nutzt! Abgasfreie 600 PS! Rüben aus dem Hochbeet! Warum kann das denn nicht einfach jeder?

Weil es eben nicht jeder so einfach kann. Es ist eine politische Entscheidung, Windräder aus der Energieerzeugung zu verbannen und die gesamte Fotovoltaik mit Anlauf und Ansagen in die Tonne zu treten, samt aller Arbeitsplätze – wer dann seine elektrische Schleuder mit Diesel über die Autobahn schwiemeln muss, weil es dort keine vernünftige Schienenverbindung gibt, hatte eben keine andere Wahl. Das Altölkondom über dem Grünzeug ist bei Verbrauchern beliebt wie Pickel. Und wer in einer Mietwohnung lebt, hat kaum Einfluss auf Qualität und Alter von Sanitär- oder Küchenausstattung, Heizung und Dämmung, die er selbst bezahlen darf, damit sein Vermieter nicht plötzlich verhungert. Dazu kommt dann das Paradoxon der angeblichen Verbotsparteien als kognitiver Dissonanzgrundton, bei dem wir denken sollen, die Gewissensprüfung sei gleichzeitig unsere Schwachstelle und uns durch defizitäre Entscheidungen von Wirtschaft, Politik und System aufgedrückt. Das Muster funktioniert in aufklärungsfeindlichen Kreisen derart gut, dass es für beliebige Schuldzuweisungen herhält: wer nicht jeden Kriegs- oder Klimaflüchtling schnellstens in die zerbombte Heimat abschieben will, muss sich fragen lassen, ob er ihn im eigenen Wohnzimmer aufnehmen will, wie man auch Erwerbslosigkeit als individuelle Schwäche ansieht. L’État, c’est moi.

Wenn es mal so wäre. Das angebliche Wesen hat sich längst abgekoppelt und füttert die Frustration der durchschnittlich Engagierten, die irgendwann keinen Bock mehr haben, gegen die weltfremden Eskapaden einer Regierung zu demonstrieren, die sämtliche Klimakiller mit Subventionen polstert und Hilfsgelder aus dem Fenster schmeißt, als wäre eine Welt ohne Postkutschen und Schreibmaschinen nicht mehr existenzberechtigt. Solange Theoretiker sich trösten, dass die Gesellschaft den Menschen formt, können wir uns jeden Versuch in die Haare schmieren, die Verhältnisse zu ändern, wenigstens nicht auf wohlgesittete Art. Mit Fackeln und Äxten sähe die Sache gleich ganz anders aus, sie würde auch ungleich mehr Spaß machen. Natürlich muss die Menschheit sich in Verzicht üben, nur wollen eben nicht die verzichten, die bisher nichts mit Solidarität oder Verursacherprinzip am Hut hatten. Für sie war der Mensch ein schnell nachwachsender Rohstoff. Wir können auf diese Haltung verzichten. Und wir könnten es uns langsam auch leisten.