Gernulf Olzheimer kommentiert (CDLVIII): Sterneküche

5 04 2019
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Irgendwann einmal müssen dem Koch eines gut beleumundeten Lokals sämtliche Vorräte zur Neige gegangen sein. Oder er hatte sich vorgenommen, die Hülsenfrucht an sich derart zu transzendieren, dass das Ergebnis seines Geschmors eine bis dato nicht vorgekommene aromatische Nuanciertheit ans Zäpfchen zaubert, die ihn weltberühmt macht. Oder er hatte sich zu oft die hängenden Bratpfannen an die Birne gekloppt und delirierte am Herd frei vor sich hin, Erbsen zählend, Erbsen kochend, bis am Ende eine einzige übrig blieb, die er mit etwas Beiwerk auf einem monströsem Teller dem Gast auftrug, der erstaunt feststellen musste, eine derartige Erbse bisher nie verzehrt zu haben. Da der Hominide zu drei Vierteln aus Ruhmsucht besteht, bewarb der Maître alsbald seine Erbse und gewann einen Preis dafür, den er stolzgeschwollen ins Fenster klebte. Die Sterneküche ward geboren.

Jene Form der Gastronomie hat sich komplett von ihren Wurzeln entfernt, aus essbaren Produkten eine mehr oder minder warme Mahlzeit zu erstellen und sie dem Gast zu kredenzen, der aus Hunger und Gaumenfreude ein- und wiederkehrt, um den Laden am Laufen zu halten. Hin und wieder verzeiht der zahlende Esser dem Koch wirr auf den Teller geschwiemelte Experimente, doch ist jenseits von Pfefferminzcurrywurst mit Sauerkraut meist schon die Suppe gelöffelt, denn was die geschmacksfreie Inszenierung von Einzelteilen mit verzweifeltem Aufwand hervorbringt, steht in keinem Verhältnis mehr zum Eigentlichen.

Und so schmurgelt der Chef aus einem Korb Modegrün – Algen, Bärlauch, japanischer Spinat – einen Topf voll Pampe, die nachlässig unter zwei Gemüsescheibchen getupft oder mit dem Löffel aufs Porzellan gekleistert die besondere Note des siebten Gangs ausmachen soll. Passt nicht zum halb rohen Fisch, also muss es sich um einen gekonnten Kontrast handeln, taucht aber zu Bauschaum verstärkt als orthogonaler Festkörper neben einer gekleckerten Sauerampfer-Senfsaat-Emulsion auf dem Kolibrispiegelei wieder auf. Der Wareneinsatz beträgt eins zu eins – eine Tonne Grünzeug, ein Löffel Püree – und besonderen Wert legt das Haus auf exklusive Zutaten. Während andere noch ihre regionalen Wurzeln betonen, sucht der Hochgastronom seine in gelblichem Dunkellila schimmernden Babykarotten ausschließlich in einem Biobetrieb rechts neben dem Regenwald, da hier die Nussaromen im Rohzustand noch eine kleine Idee mehr Bitterstoffe zu haben scheinen als in der mauretanischen Möhre, die nur noch die Konkurrenz verkocht. Hier hebelt eine Fachkraft in Dinkelplätzchenpanade frittierte Hühnerfüße auf drehsymmetrische Lotoswurzelquerschnitte, die zuvor eine Nacht lang in einer Ziegenkäse-Fenchel-Marinade geruht haben, bevor die Küchenhilfe sie mit Andenfelsquellwasser durchspült und auf einem Lamapullover trocken tupft. Kenner können in drei von fünf Fällen sofort erkennen, ob es sich um die begehrten Pflanzenteile der Silberbaumartigen oder um lappigen Discountertoast handelt, wenn auch nicht am Geschmack.

Ursprünglich waren die Sterne erfunden worden, um Automobilisten, die durch die Gegend dieselten, standesgemäß zu verköstigen. War doch das Kraftfahrzeug eher eine Angelegenheit der obersten Zehntausend, die natürlich nicht mit jedem Dorfgasthof zufrieden sein durften, um nicht ihren Ruf als Kilometerfresser zu beschädigen – ein Stern bedeutete passable Speise am Wegesrand, für zwei durfte ein Umweg einkalkuliert werden. Drei Sterne jedoch, und es handelte sich tatsächlich um ein kostspieliges Vergnügen, waren der Anlass zu einer eigenen Fahrt über Land. Bis heute hat sich wenig geändert an diesem Bezug. Die Extremküche ist gestartet als Rennen, in dem die Bestplatzierten einen Pokal abkriegten, den sie ins Fenster stellen konnten, um ihre Dominanz in einem halbwegs tauglichen Wettbewerb zu demonstrieren, hat sich inzwischen aber zur komplett abgehobenen Show gewandelt, in der ein paar elitäre Selbstdarsteller ihre fahrphysikalisch sinnfreien Tuningexzesse zelebrieren, eine Leistungsschau von Frontschürzen und Heckspoilern, die der eine oder andere mit Fuchsschwanz an der Antenne ausgestattete Zaungast noch ehrfürchtig für bare Münze nimmt. Was als notwendig deklariert wird, die im tiefsten Winter aus Neuseeland eingeflogene Waldbeere mit Ananasgeschmack, die zu zentimetergroßen Rauten geschnitzt mit der Pinzette auf den Tellerrand gehebelt dem Serviergut allenfalls den optischen Touch von Einzigartigkeit verleiht, weil alle es tun, steht in einigermaßen krassem Missverhältnis zur betriebswirtschaftlich vernünftigen Tätigkeit. Die Köche könnten ihren Schmodder auch gemütlich in Kunstharz gießen und in die Galerie hängen, das Ergebnis ist dasselbe: der Esser findet in diesem Schauprozess nicht mehr statt.

Schon wenden sich die ersten Köche ab vom Getöse, schalten einen Gang herunter und geben alle ihre Auszeichnungen zurück, um sich auf eine vernachlässigte Fertigkeit zu stürzen: auf das Kochen. Allein das geht nicht, denn das Totholz hat die Auszeichnungen nun einmal veröffentlicht und nimmt sie nicht wieder mit. Das Urteil der Jury kümmert sich weder um Koch noch Kellner und um den Gast schon gleich gar nicht. Wer den Preis verleiht, ist der eigentliche Star, was auf dem Tisch passiert, allenfalls schmückendes Beiwerk einer Marketingaktion. Wie hätte man darauf nur kommen können.