Gernulf Olzheimer kommentiert (DCL): Strategische Inkompetenz

10 02 2023
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Das Patriarchat hatte ja auch seine guten Seiten. So wäre dem Seniorchef des Installationsbetriebs in Nullzeit die Halsschlagader geschwollen, hätte er zusehen müssen, wie der Stift im zweiten Lehrjahr die sachgemäße Verdröllerung eines Blindflansches trotz mehrfacher praktischer Anweisung durch den Altgesellen wieder und wieder versaut. Zornerfüllt hätte er ihm das Rohr entwunden, ihm Ansatz und Druckprüfung der Verbindung eindringlich erklärt und ihn mit einer Erinnerungshilfe im Gesicht in den nächsten Anwendungsfall entlassen. Niemand wird es in diesen ehernen Strukturen, wo gefeilt und gebohrt, geschmirgelt und geschmurgelt wird, zum allseits geachteten Meister bringen, sondern schon im frühesten Stadium seiner Berufstätigkeit dahin ausweichen, wo man Tabellen ausfüllt, Rechnungen prüft oder seine Umwelt mit Präsentationen in den Wahnsinn schickt. Dort geht das, denn es ist das Aufmarschgebiet der strategischen Inkompetenz.

Wir alle kennen diese so erfolgreiche Form des passiv-aggressiven Verhaltens. Der eine Zwilling ist ein gut entwickeltes Kerlchen, das schon früh läuft und seiner Familie damit Freude macht, der andere jedoch ist immer ein bisschen matt und mäkelt, wo er sich bewegen soll, und so lässt er sich weiterhin bequem durch die Gegend schleppen. Hier und da zeigt er sich ungeschickt, lässt Geschirr fallen und alles, was als Wertanlage ungesichert in Griffweite aufgestellt ist, bis man ihn fern von jeglichem Gut in einem Spielzimmer voll unkaputtbarem Zeug deponiert, wo er verantwortungsfrei und wie auf der Suche nach der verlorenen Zeit in anstrengungslose Kurzweil sinken darf. Das prägt für ein langes, von Gemütlichkeit geprägtes Leben, in dem man zwar nicht gerade schnell voran kommt, aber sicher nie vor Entkräftung zu Boden geht.

Vor allem nicht da, wo der Bekloppte ohne Eifer in ein Team gesteckt wurde – wir erinnern uns, die Abkürzung für „Toll, ein anderer macht’s!“ – und nun erledigen soll, was er im Vorstellungsgespräch als machbar bezeichnet hat. Plötzlich aber hat der Tausendsassa erhebliche Aussetzer, kann doch kein Businessenglisch, keine Spesenabrechnung, keine Entgeltabrechnung, und wird ihm ihn einem GAU von der Führungskraft eine Aufgabe zusammen mit dem Kollegen zugewiesen, entsteht die Situation, in der einer vor sich hin prokrastiniert, während der andere irgendwann aus Gewohnheit den ganzen Schmodder alleine erledigt. Dies führt kurzfristig zu fehlenden Kapazitäten auf der richtigen Seite, früher oder später auch, kein Wunder, zum Burnout. Wie beim Tauziehen je zwei an einem Ende nur noch mit der Hälfte, drei mit einem Siebtel der an sich verfügbaren Energie zerren, spart jeder seine, bis am Ende solidarisch verteilter Stillstand bleibt.

Die erlernte Hilflosigkeit wird auch privat zur Alltagserleichterung, vorwiegend für den Mann, der eben nicht selbst ist. Kann er allerhand technische Fähigkeiten einsetzen, um seine Überlegenheit zu beweisen, setzen doch räumliches Denken, Hand-Auge-Koordination und praktische Vernunft jäh aus beim Versuch, den Geschirrspüler einzuräumen. Muss er nur zwei Teile einkaufen, von denen eines das seit Jahrzehnten im Haushalt ausschließlich benutzte Streichfett ist, kollabiert sein Großhirn in Sekundenschnelle auf den Leistungsstand eines durchschnittlichen Bundesverkehrsministers. Glas sortenrein trennen, der Waschmaschine Textilien entnehmen, alles das hat sein Intellekt eben nicht in einem Augenblick entwickelt, sondern in jahrlanger Kleinstarbeit zusammengeschwiemelt aus erlernten Kernbestandteilen, die ihn wie ein Kleinkind unter der Aufsicht der Mutter agieren lässt.

Natürlich gibt es auch Apologeten dieser recht einfachen Manipulation: das erwachsene Kind darf in der selbstverschuldeten Unmündigkeit bleiben, die Bezugsperson wartet nicht mehr so lange mit dem lästigen Aufräumen, bis sie über den Müll stolpert, und hat ein perfektionistisch veranlagtes Opfer sich in dieser Konstellation verfangen, sind beide am Ende vielleicht sogar glücklich. Wie lange die Überlebenswahrscheinlichkeit innerhalb solcher Beziehungen währt, ist fallabhängig, wie lange sie nach ihrem Ende noch andauert, ist eine Frage für Seuchenexperten oder Archäologen, die sich mit der Frage beschäftigen wollen, wie lange ein Mensch es neben einer Suppendose aushält, die er aus lauter Unlust nicht öffnen will. Vermutlich entstand der Beruf des Motivationstrainers beim Anblick dieser Luschen, die kurz vor dem Verhungern noch genug Hoffnung hatten, dass ihnen einer Stullen schmiert.

Bezahlt wird bekanntlich am Schluss, und so ist der Ruf eines Nichtmachers nicht etwa der des total relaxten Freiheitshelden, sondern das Stigma eines nichtsnutzigen Jammerlappens, den man nicht in seiner Nähe duldet aus Sorge, sich molekularen Stillstand einzuhandeln. Keiner braucht ihn, nur als Türstopper könnte er sich nützlich machen, falls die Aufgabe, regungslos als Störmaterie an einem ihm zugewiesenen Ort zu verharren, ihn nicht wieder in irgendeine Ausflucht triebe. Wahrscheinlich labert er den Papierkorb an, überredet den Schirmständer oder nervt einen Ziegelstein, seine Aufgabe zu übernehmen. Denn das ist wahr, die könnten das ganz bestimmt viel besser.