Schatz-Spruch

20 06 2010

für Johann Wolfgang von Goethe

Als er pflügte, fand ein Bauer
tief im Acker eingegraben
hölzern und in schönen Farben
dort ein Kästchen. Und genauer

untersucht er’s. Wer will schildern
diesen Anblick, wie er bebend
in das Gold fasst, das er lebend
nie erhoffte, Not zu mildern!

„Ich bin reich!“ Er schrie die Freude
laut hinaus, und wie er prahlte,
sich die Zukunft leuchtend malte,
sich ergötzte am Geschmeide,

überschlug sich sein Begehren.
Schloss und Wald könnt er nun haben,
prassen mit des Reichen Gaben.
Wer sollt es ihm auch verwehren?

Wie er in dem Golde wühlte,
fand er an des Ackers Rändern
einen, wie aus fremden Ländern,
dessen Gegenwart er fühlte.

Klug und würdig schien der Alte,
lächelte ihm mild entgegen,
zog die Hand hervor zum Segen
aus des Prachtgewandes Falte.

Mit der tiefsten Dankverneigung
schritt der Landmann zu dem Greise,
küsste ihm auch zum Beweise
seine Hand als Ehrbezeugung.

„Herr“, so sprach er, „wollt mich lehren,
dass ich nicht für eitle Ziele
Fülle, Glück und Gut verspiele,
dass sie sich zum Schaden kehren!“

Und mit segnender Gebärde
reckt die Hand er ins Gewimmel
jener Vögel dort am Himmel,
segnend neigt er sie zur Erde.

„Alles“, spricht er, „ist das Leben –
alles ohne jede Grenze,
Gut und Böse, und in Gänze
alles Nehmen, alles Geben.

Einen Teil gib, um mit Gästen
fröhlich Haus und Hof zu schmücken,
um mit Tanz- und Freudenfesten
Euer Dasein zu beglücken.

Einen andern nimm zur Stütze
Deiner Wirtschaft, doch beachte,
dass auch kleine Münze nütze
und den Reichtum Zufall brachte.

Einen dritten sorglich hüte,
spar’s und mehre, schone, zähle,
dass noch Frucht sei, Korn und Blüte,
wenn die Not die Deinen quäle.

Drei in einem, eins in Dreien,
dies sei Antwort Deiner Frage.
Mögest Du Dich lang erfreuen
an der Sonne Deiner Tage!“

Und entschwand. Doch sein Vermächtnis
ließ den Bauern weise handeln,
bis zu uns ging sein Gedächtnis,
Not in Reichtum zu verwandeln.