Aktive Sterbehilfe

16 06 2010

„Nein, jetzt werden wir keine weiteren Schritte mehr ergreifen, die Angelegenheit Schwarz-Gelb ist erledigt. Das lohnt nicht. Da sind noch ganz andere Fragen zu beantworten, die sich im Augenblick in Deutschland stellen, fiskalische und monetäre und bei Energie und Bildung und auf dem Arbeitsmarkt, da verschwenden wir doch keine Träne mehr auf die Tollwüteriche. Vorbei. Das wird korrigiert.

Weil diese Regierung ein Fehler war. Einer, den man vorhersehen konnte, den viele vorhergesehen haben – von Merkel sah man Duckmäuserei, von Westerwelle hat man höchstens Schimpfkanonaden gehört, in denen er sich selbst demontierte. Führen können sie beide nicht, sie können vorweg laufen und auf die Pauke hauen, aber führen? Nein. Sie können nur anfangen, neu anfangen, verstolpern, noch mal neu anfangen, noch mal, noch mal. Ein Neuanfang nach dem anderen. Das ist so, als blieben Sie mit dem Hosenbein im Rad hängen und würden im Kreis herumgewirbelt, und nach jeder Umdrehung rufen Sie: Jetzt geht’s aber los!

Was haben sie denn bis jetzt wirklich zu Stande gebracht? Das ist keine Regierung, die den Namen auch verdient hätte, das ist eine Regierung in statu nascendi. Wenn sie es 2013 geschafft haben wollen, eine Mannschaft zu sein, dann sollten sie sich ein bisschen mehr beeilen. So, wie sie jetzt dastehen, könnte man auf den Gedanken kommen, Merkel bereite längst den sanften Ausstieg vor und ließe das Land bald in Anarchie zurück. Ein Trauerspiel.

Schmierentheater? Was erwarten Sie von einer Inszenierung mit der abgehalfterten Duenna, die unbedingt die Julia geben will, und einem Romeo, mit dem man selbst bei zwei Dritteln Claque im Saal nur eine Knallcharge besetzen könnte? Dabei ist das Drama doch so todlangweilig, wie das Ende vorhersehbar ist. Hier stirbt eine politische Idee in Zeitlupe. Westerwelle bäumt sich halsstarrig gegen den Eindruck auf, hier gäbe es eine Regierungskrise – vielleicht hält er’s auch für Heroismus, man kann sich inzwischen ja alles vorstellen, wenn es nur absurd genug ist – und dementiert alles. Die Phase der Verleugnung, der Übergang zum Zorn, weil die gegenseitige Zerfleischung der Parteien unmittelbar bevorsteht. Dann wird er mit der FDP verhandeln, scheitern und aufgeben. Und zwischendurch wird er hartnäckig bestreiten,dass die desolaten Prognosen für seine Partei dauerhaft sind. Natürlich sind sie das, haben Sie je daran gezweifelt? Halten Sie den kontinuierlichen Abwärtstrend für statistischen Zufall? Warum sollte eine Kürzungsorgie, die nur die begüterten Marktradikalen verschont, für ein Umfragetief bei der FDP sorgen?

Sorgen Sie dafür, dass dieser Zustand ein Ende hat. Die nächsten Jahre für Europa werden hart und trostlos sein, das wissen Sie auch, da braucht es Perspektiven, langfristige, auf die man das Volk einstimmen können muss, sonst geht es einem von der Fahne. Sie brauchen einen langen Atem, sonst scheitern Sie. Sie brauchen einen vernünftigen Plan, besser durchdacht als die Agenda 2010, die wie alle Konzepte doch nur auf eine Zielgruppe ausgerichtet war: auf die Berufspolitiker, die gar nicht mehr wissen, was eine Halbtagskraft mit zwei Kindern alles tut, um eine Waschmaschinenreparatur auf Stotter hinzukriegen. Auf einen Mittelstand, der sich täuschen lässt, weil er denkt, er sei privilegiert – höchstens noch privilegiert, die Zeche für die Millionäre zu zahlen. Sie müssen aktive Sterbehilfe leisten, damit von diesem System nichts mehr übrig bleibt, was die Gesellschaft zerstört.

Nehmen Sie meinetwegen Hannelore Kraft als Gegenentwurf, aber wozu Neuwahlen? Damit die Bundesratsmehrheit für Schwarz-Gelb dann kippt, wenn man sie nicht mehr braucht?

Nein, aktive Sterbehilfe ist das einzig Richtige. Diese Regierung hat sich den Untergang verdient, noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik hat eine Staatsführung von Anbeginn an das Volk derart schamlos belogen und hinters Licht geführt, immer wieder mit Ausflüchten hingehalten und schließlich für dumm verkauft. Sie haben sich die Höchststrafe verdient, sie sollen sehenden Auges ins Verderben gehen. Mitleid wäre verschwendet, denn dann wird sich der wahre Kern dessen zeigen, was sich jetzt entwickelt. Die FDP wird Westerwelle absetzen, der in seinem Sinnvakuum dümpelt und sich mit seinen Getreuen auf eigene Füße stellt, gemeinsam mit den Law-and-Order-Menschen der Union. Sie werden eine rechtspopulistische Partei gründen, die gerne bürgerliche Opposition spielen will, sich aber als Krawallorgan der Unverstandenen genauso totläuft wie die Republikaner oder der Schill-Verein, weil auch da die Funktionäre nur an die Macht wollen, um Pöstchen und Pensionen abzugreifen. Lassen Sie die ins offene Messer rennen. Es ist ja egal.

Reden Sie nicht ständig von Neuwahlen. Die Kanzlerin und ihr Vize wissen sowieso alles besser, zwingen können Sie sie nicht, und wenn sie der Meinung sind, sie müssten die Weltöffentlichkeit mit einer Vivisektion unterhalten – stellen Sie sich nicht in den Weg. Schauen Sie zu. Noch ist der Staat handlungsfähig. Warten Sie ab, was geschieht, und greifen Sie erst ein, wenn die Zustände auch verfassungsrechtlich kritisch werden. Lassen Sie diese Truppe in den Abgrund laufen, davon wird sie sich in Jahrzehnten nicht erholen.

Es wird vieles in Trümmern liegen, wenn Sie das Steuer übernehmen, das werden Sie so schnell nicht reparieren. Aber man wird das verstehen. Man wird es noch einmal mit Ihnen probieren. Und dann überlegen Sie genau, was Sie tun, Steinbrück.“